Auf einem breiten Wege schritt ich hin,
der grad und lang vor mir hinaus sich dehnte,
zur Stadt hinaus, durch niedre, letzte Hütten.
Ich sah der Sonne, wie sie sank, ins Auge:
dort hinten, wo der Weg den Hügel anstieg,
da stand sie vor mir, drohend, rot und stumm.
Sie bannte mich mit ihren letzten Strahlen,
und wie ich wollte, konnt ich meine Blicke
dem Blick des Glutenauges nicht entwinden.
Da sank sie hinter jenen langen Hügeln,.
die weit und breit den Horizont umgrenzten,
und es verwaisten meine beiden Augen.
Ein unerklärtes Bangen faßte mich,
es flitterten die farbigen Sonnenbilder
um mich herum: sie mehrten meine Angst.
Der Schatten einer Toten! Und so bunt!
Ein Tanz! Und überall muß ich sehn,
wohin ich blicke – dieses leere Bild!
Da war es mir, als hätt ich ganz verloren
aus meiner Hand die Zügel meines Willens
und würde nun von fremdem Zwang geleitet.
In eine niedre Hütte trat ich ein,
und hinter mir zog ich die Türe zu,
ich war allein im fremden, dunklen Raum.
Gedankenlos stand ich geraume Zeit,
ganz still, mit angehaltnem Atem. Vor mir
das kleine Fenster . . draußen Abendhelle . . ?
War ich nicht jemals schon, vor langer Zeit,
einmal in solchem Halblicht dagestanden?
Ich wars . . ich wars . . ich wußt es wohl . . doch wann? –
Die müden Hügel dehnten sich dahinten
und drüber lagen Sonnen-abschieds-lichter
wie Lippen, die beim Sterbekuß erblassen.
Vorn, draußen unterm Fenster spielten Kinder
am Brunnen. Still, geheimnisvoll die Luft,
die abendkühl durchs offne Fenster wehte. –
Verlaß mich nicht! Verlaß mich nicht, o Gott!
Ich schrak zusammen, als ich diese Worte
ganz nah – so jäh – so angstvoll stöhnen hörte.
Beim Eintritt hatte mein geblendet Auge
ein Bett dort vor dem Fenster nicht erkannt:
daher die Stimme. Und ein junges Weib
fuhr von den Kissen auf. Es strich die Haare,
die langen, blassen, dünnen aus der Stirne.
Da sah sie mich – und nickte stumm mir zu
und streckte grüßend ihre Hand nach mir.
Aus ihrem schmalen Kopfe, der sich dunkel
vom Himmel abhob in des Fensters Rahmen,
herleuchteten zwei große, heiße Augen.
Aufatmend, wie getröstet, sprach sie leise:
Ich wußte, daß du zu mir kommen würdest.
Komm näher, ja? Ich kann so laut nicht sprechen.
Setz dich zu mir aufs Bett! Hier ist noch Platz.
Ich bin so mager – sieh nur meinen Arm!
Und sie entblößte ihn und hob ihn auf.
Ich trat heran und setzte mich aufs Bett
und faßte diesen bleichen, schmalen Arm
und schaute in ihr junges, krankes Antlitz,
vom Dämmer draußen ungewiß beleuchtet.
Der Sturm und jedes Ungemach der Welt,
stillfressend Feuer zehrender Leidenschaft . . .
Das Kind des Armen, kaum zum Weib erblüht,
dem Not und tiefes Leid die Brust zerstört.
Ich wußte, daß du zu mir kommen würdest.
Laß deine Hand mich küssen – wehr dich nicht!
O nein! Warum? Kennst du nicht meine Schuld?
Du bist nicht stolz, du stößt mich nicht von dir:
du hast mir ja vergeben – hast du nicht?!
Wie fürchterliche Angst kams über sie.
Da gab ich willenlos die Hand ihr hin.
So. – Laß mir deine Hand. – Laß mich sie küssen. –
Jetzt stirbt der Leib – zunichte wird der Leib –
zu Staub. Du mußt ihn an den Sohlen dulden. –
Er stört dich nicht. – Laß ihn – laß ihn da unten . . .
Sie fiel im Sitzen in sich selbst zusammen.
Ein Schauer zuckte durch die matten Glieder,
es sank der Kopf nach vorn – da raffte sie
sich wieder auf und sah mir bang ins Auge:
Du mußt mich an den beiden Armen halten.
So. – Hoch! – Ich falle sonst zurück ins Kissen.
Da ist es dunkel. – Und ich muß noch aufrecht –
hier – halte mich – hier oben ists noch hell.
Sieh jene dunkle, schwere Wolkenmasse!
Sie will sich langsam auf die Hügel legen –
sie zieht so still – so sicher – so gewiß.
Das ist der Tod. Hör mich: ich muß dir sagen . . .
Wie du, so ist auch er hereingetreten
einmal – einmal, an einem Märzenmorgen.
Er kam nicht fremd. Ich hatte ihn erwartet.
Ich wußte, daß er zu mir kommen würde.
Und immer wieder ist er dann gekommen.
Zu seinem Eigen hat er mich erworben:
mein Leib ward sein, und meine Seele sein,
kein andrer hat ihn je darum betrogen.
Da hat er sich . . gefreut, als er gewahrte,
daß ich an ihm nur hing und ihn nur sah,
und daß ich nur für ihn noch leben konnte.
Und . . meine Stirne hat er da geküßt.
Und eines Tages ist er auch gekommen
und hat mich lang gelobt, daß ich so gut
und treu geworden – und noch vieles andre
hat er zu mir gesprochen – bis ich still,
ganz still geworden war – und kaum noch hörte –
und hat auch Geld auf meinen Tisch gelegt –
und hat geweint – glaub ich – und ist gegangen.
Da wandte sie die Augen von mir ab.
Sie wurden starr und wurden immer größer.
Sie schauten bang, erwartungsbang hinaus,
hinaus nach jenen mattgesäumten Hügeln . . .
Dort! Dort! so keuchte sie und riß den Arm
aus meiner Hand: Dort! Sieh: da schreitet er,
groß, übergroß! Auf seinen Armen – sieh! –
im Glanze, jubelnd, die Glückselige! –
Er weidet seinen Blick an ihrem Lachen,
an ihrem zarten Wuchs, an ihrer Seide.
Er geht! – Er geht! – Er ist so groß – so übergroß – –
Sie sank zurück. Es zuckten ihre Glieder.
Ich beugte mich erschüttert über sie
und lauschte bang den schweren Atemzügen.
Im Todeskampfe hielt ich ihre Hände.
Hingebung, selbstvernichtend, qualdurchströmt,
verklärte hoheitsvoll ihr brechend Auge.
Auf ihre Lippen preßt ich meine Lippen,
um sie zu wärmen, hauchte meinen Atem
ihr in den Mund – so haben wir gerungen
hart, Brust an Brust, mit jenem düstren Freunde
der Menschen . . .
Ich drückte ihr die kalten Augen zu.
Als ich den tränenleeren Blick dann wieder
hinaus zum Fenster lenkte, nach den Hügeln,
da war das letzte Abendgelb verloschen –
es war die Wolkenlast herabgesunken –
ausbreitete die Nacht die schwarzen Schwingen. |