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In später Nacht kam ich in Stockheim an. –
Des »Vogelschießens« Wollust hatt ich noch
mit vollen Zügen in der Stadt der Musen,
im alten Jena, galgenfroh genossen.
Zum letztenmale – rief ich frech mir zu –
zum letztenmal laßt uns den Leib besaufen!
Schon morgen liegt er naß auf kalter Bleiche,
Solidität, kaltwasserheilsam, schaurig,
verödet seine Sinne, und ein Sitzbad
umfängt das Hinterteil mit stillen Armen.
So laßt uns heute noch der Freude denken,
der nervenspannenden, der bunten Sünde –
ein frisches Glas, du weltgewandte Schenkin,
ein frisches Glas und einen letzten Kuß! –
Ein Mann, der jüngst der Feder sich verschwor,
mit dem ich sonnigere Tage einst
an Limmatufern, an des Ütli Fuß,
frei, froh verlebt – ihn führte mir das Glück
dort in den Weg. Vorm Schützenhause saß er,
mit warmen Würstchen pflegend seinen Bauch,
und rief mich an, als ich vorübereilte.
Auf seine Fragen mußt ich ihm mein Los
enthüllen, und ich sprach: Es ist der Weg
des Irrenhauses, den ich trete – schonend
auch wohl Kaltwasserheilanstalt genannt.
Des edlen Oheims würdevolle Dummheit
hofft, daß ich dort durch kalte Dauerduschen,
geheilt von literarischen Allüren,
zum Königlichen Landrat reifen werde. –
Die Stunden drauf im lärmenden Gewühl
des staubigen Marktes waren kurz nur, doch
wir haben herzhaft lustige draus gemacht
und herzhaft war der Affe, der uns kratzte.
Dann auf die Bahn – und durch die dunklen Berge
gen Süden fuhr ich. Klare Sterne blitzten
wie Goldesschmuck auf rabenschwarzem Haar
von düstren Tannenhügeln mir herüber . . .
In später Nacht kam ich in Stockheim an.
Der Mond beglänzte nachtbewegte Flaggen,
die rings von kranzgeschmückten Hütten wehten,
und selber macht er mir den schönsten Knix.
Ich dankte stillbeglückt nach allen Seiten
und machte selbstbewußt mich auf den Weg.
Da wurd ich mit Verwunderung gewahr,
daß (um mich, der Gelegenheit entsprechend,
ein wenig à la Goethe auszudrücken),
daß nicht ein einziger edler Bürger Stockheims
auf meinem Wege mir entgegen kam,
bedeutsam und bescheiden mich zu grüßen
und mit des Gastfreunds frohbewegtem Wort
den Pfad zu weisen in ein reinlich Haus.
Droschke! so rief ich mürrisch durch die Nacht
und drehte etwas indigniert dem Monde
den Rücken zu. – Doch still bliebs wie zuvor.
Da kams mir bald verdrießlich in den Sinn,
daß (um mich, der Gelegenheit entsprechend,
[denn heute fühlt ich mich noch ganz als Dichter]
auch einmal wie Paul Lindau auszudrücken),
daß hier in diesem ganz verstockten Stockheim
die Droschke als Kulturentwicklungsmittel
bis jetzt die ihr gebührende Beachtung
vielleicht noch nicht gefunden haben möchte.
Und düster schritt ich meines Weges weiter.
– Doch da ich Realist zu sein mich mühe
und nichts erzähle, was ich nicht erfahren
und aufgenommen in den eignen Schatz
des Vorgestellten, so erzähl ich lieber –
nicht, wie ich jene Nacht zu Bett gekommen,
noch wo und wie mein Haupt gebettet lag.
Ich müßte lügen . . .
Genug: am Morgen weckte mich ein Hämmern.
Im Kopfe? Nein! Der Kater ist ein Haustier,
mich Heimatlosen hat er längst verlassen,
kriecht dort herum, wo frohe Menschen sind.
Ein wenig Fieber nur in schlaffen Adern
und unerfrischt, so kroch ich aus den Federn.
Pardon! – Da zeigt sichs wieder mal frappant,
wie stetiger Gebrauch gebrauchter Worte
uns Sinn und Inhalt ganz vergessen macht.
Mechanisch kauen wir die leeren Hülsen:
hohl bleibt der Kopf und hungrig das Gemüt.
So sagt ich denn, ich kröche aus den Federn.
Ich Schuft! Stroh war es, Stroh und dreimal Stroh!
Die Sprache, die des Wortes Wert nicht kennt,
der die Begriffe höher gelten nicht
als schmutzige Karten in des Spielers Hand,
bald träg, bald wuchtig auf den Tisch geworfen,
die Sprache, der das Blut der Sinne schwand,
und deren Blässe Schminke nur verdeckt –
ins Grab mit ihr – sie hat zu lang gelebt –
bringt sie den Schinderknechten auf den Anger,
den Oberlehrern und den Professoren! –
Ein Hämmern weckte mich, denn Fahnenweihe
war heut in Stockheim: der Verein der Krieger
betrank sich treu für Gott und Vaterland,
betrank sich fest, um seiner neuen Fahne
für alle Zukunft echten Glanz zu geben.
Daher die Flaggen, daher diese Kränze . . .
Schweig still, mein tiefbeschämtes Dichterherz!
Und eine Notdurft trat an mich heran,
zwang mich, die Kammer schleunigst zu verlassen.
Die Speisen, die der Mensch, wie jedes Tier,
um seinen Leib zu nähren zu sich nimmt,
behält er nicht in vollem Umfang bei sich.
Befähigt ist der Körper, was da wertvoll
von dem, was minder wichtig, wohl zu sichten:
das erstere nimmt er voll Schlauheit auf
und mit Bedacht ausscheidet er das andre.
Auch mir ist dieses Menschliche nicht fremd.
Und als ich nun mit kindlich offner Seele
die alte schmutzbetriefte Pflegerin
anging um einer Klause keusche Wohltat,
wies sie mit unverständlichem Gebrumm
mich auf der Hintertür und auf den Hof,
wo goldnen Mist die frühe Sonne krönte.
Nachdem ich lange dort mich umgetan
und hinter jede Brettertür gespäht,
und hinter jeder nur – beliebte Tiere,
doch nie den trauten Sitz gefunden hatte –
da dämmerte in meiner zagen Seele
ein ungewollt beglückender Gedanke.
Natur! so rief ich, ewige heilige Mutter,
du ziehst den Halbverlornen machtvoll an!
Das trotzige – das reuevolle Kind
ziehst du aufs neue sanft in deinen Schoß!
O dank, du gute, liebevolle Mutter!
So strömten die Gefühle brausend über . . .
Tief in mir klang es wie ein heilger Schwur:
Auf deinem Pfade will ich fürder wandeln,
dir ewig folgen, Herrscherin Natur! –
Kein Machtgebot verirrter Menschen soll
entfernen mich von dir und meinem Eide:
mein Leib ist dein und fürder meine Seele,
denn beide sind ein einig Gut von dir!
Und langsam – und erleichtert reckt ich mich
nach solchem tiefentquollnen Schwur empor
und dehnte mich und streckte meine Glieder.
Und selbstbewußt und höchst vertraulich nickt ich
der jungen Sonne zu, die frisch und blank
dort auf dem dunklen Fichtenwalde lag –
ein nacktes Weib auf einer Bärenhaut –:
Schön guten Morgen – hast du ausgeschlafen? |