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Da und dort in der Stadt wird geflaggt, bei Grütze-Olsens, beim Doppelkonsul, ja, bei allen Konsuln und auch bei Henriksens auf der Werft. Scheldrup Johnsen und Fräulein Olsen zu Ehren geschah es, sie waren nach Christiania gereist, hatten sich dort trauen lassen und wurden heute als Ehepaar zurückerwartet. Das Postschiff ist schon sichtbar, als noch eine Flagge gehißt wird, nämlich auf Konsul Heibergs Brigg, die in einem Winkel am Bollwerk Tran ladet.

Schon stehen sehr viele Leute am Bollwerk, und es kommen immer noch mehr dazu. Von den Konsuln fehlt nur Davidsen, der verschlagene Kleinhändler, der sich von den Großen immer zurückhält. Der Hardesvogt und der Doktor waren auch nicht da, aber Frank, der junge Schulvorsteher, ist anwesend. Er ist neu verheiratet, mit Konstanze Henriksen von der Werft, aber die junge Frau ist nicht dabei. Frank ist nicht der kleinste auf dem Bollwerk, er hat die philologische Überlegenheit über die ganze Stadt, die ganze Küstenstadt, ist ein großer Mann, bis zur Übertreibung gelehrt in fremden Grammatiken und Sprachen als Lehrfach. Er steht ziemlich abseits neben einem Berg von Trantonnen, die an Bord der Brigg sollen; da er den neuen Gehrockanzug trägt, in dem er getraut worden ist, darf er den Trantonnen ja nicht zu nahe kommen, andererseits aber müssen sie ihn vor dem Zug auf dem windigen Bollwerk schützen. Er kann Zug nicht vertragen. Sein Vater steht am andern Ende des Bollwerks und schmiegt sich nicht an den Sohn an. Oliver kann sich schon richtig betragen.

Oliver ist wieder in gutem Aufstieg begriffen. Er hat jetzt nicht mehr eine hohe Stellung in einem Lagerhaus, aber er ist den ganzen Tag in der Schmiede bei Abel, bisweilen feilt er Eisen, und ein seltenes Mal rudert er auch hinaus und fischt Merlan in der Bucht. Mein Sohn, der Schmiedemeister, sagt er, mein Sohn, der Schulvorsteher, sagt er. Er stützt sich auf die Söhne und genießt ihre Achtbarkeit in vollen Zügen.

Er hat es jetzt gut und ist zufrieden; wenn ihn das Schicksal nun in Ruhe läßt, klagt er nicht. Es ist selbstverständlich, daß die Jungen dem Vater ihres eigenen Schulvorstehers auf der Straße keine Schimpfworte nachrufen, und ebenso selbstverständlich ist es, daß Oliver nie wieder auf den Tanzboden geht und dort Skandal macht. Olaus vom Anger ist der einzige, der noch zu fürchten ist, und selbst der scheint die Feindseligkeiten eingestellt zu haben. O wahrhaftig, es vergeht jetzt ein Tag wie der andere. Oliver ist auch nicht der Geringste am Bollwerk, es sind viel Geringere da als er. Alle diese guten Leute da, wer sind sie? Gewöhnlichkeiten, ein Stand, Kleinstadtgrößen und langweilige Erscheinungen in Stärkwäsche. Oliver war etwas Besonderes. An dieser Stelle, wo alle fast gleich sind, mußte er als etwas Besonderes angesehen werden, als etwas für sich. Ein Opfer der unheilvollen Kräfte des Lebens, jawohl, gekaut, wiedergekaut und ausgespuckt, an einem Strand hinterlassen, aber mit einem unausrottbaren Lebenstrieb in sich. Die Zeitung konnte ja jetzt ihr Programm wieder abdrucken und die Leute auffordern, einen nützlichen Kurs in Frömmigkeit zu nehmen, das tue man anderen Ortes, die Leute hätten das nötig und die Zeit fordre dazu auf, kurz gesagt, man solle mit dem Ende anfangen. Oliver fing nichts mehr an, es war nicht seine Sache, etwas anzufangen, er stand nun da, wo er hingestellt worden war, der Menschengedanke zerschmetterte ihn nicht, die Weiber am Brunnen bekehrten ihn nicht. Natürlich waren Leben, Schicksal und Gott verflixt himmelhohe Fragen und gewaltig notwendige Fragen, aber sie wurden von Leuten gelöst, die lesen und schreiben gelernt hatten, was sollte Oliver dabei? Wenn sich ein Gehirn wie das seinige ans Forschen machte, würde sich sicher alles vor ihm im Kreise drehen, Oliver könnte dann nicht in seiner Art fortmachen, sich nicht am Essen und an Zuckerwaren erfreuen, das nicht leisten, was er leistete. Mögen die andern sich darum sorgen, mehr zu sein, als sie sind!

Ja er ist vergnügt, das sieht man seinem Gesicht an. Ganz keck steht er auf seinem Bein und seinem Stelzfuß, und er sieht aus, als habe er mächtige Angehörige im Rücken, falls er sie gebrauchen wollte. Und die Menschen achten ihn plötzlich wieder: er ist der Vater des Schulvorstehers, denken die Menschen ...

Dann legt das Postschiff an. Da stehen die beiden Neuvermählten, von ihrer ganzen Familie umgeben, an der Reling. Am Land und an Bord werden ruhig Hüte gelüpft. Fräulein Fia scheut sich nicht, mit viel Rot, mit Purpurrot an ihrem Kleid sehr auffallend zu sein. Nun hat sie sich auch für Schoßhunde begeistert, sie trägt auf dem Arm ein kleines, lockiges schmutzigweißes Kerlchen mit Zottelhaaren über den Augen und einer blauen Schleife um den Hals. Sie ist vornehm, wie das ihre Art ist, spricht gedämpft, eine Dame und Komtesse ohne Tadel, hätte sie einen Wunsch, so wäre es der, gesund und lebenszäh zu sein, um noch recht lange ihre Kunst pflegen und indische Märchen illustrieren zu dürfen. Da sie wohlerzogen und unschädlich ist, wird ihr das Leben das wohl gewähren.

Ihre Mutter, Frau Johnsen, ist wieder zur Vernunft gekommen und nicht mehr von Sorgen niedergedrückt. Sie ist noch ebenso gelb im Gesicht wie früher, aber sie trägt wieder einen großen Hut. Das Gerücht ging um, der Untergang des Dampfschiffs Fia und der Bankerott seien nur eine Spiegelfechterei gewesen, es sei Frau Johnsen drei Wochen lang weisgemacht worden, sie sei arm, und dann sei sie wieder ebenso reich gewesen wie zuvor. Dick und umfangreich steht sie neben ihrer Tochter an der Reling, sie ist's, die ursprünglich C. A. Johnsen am Landungsplatz durch ihre Mitgift zum großen Manne gemacht hat, sie ist ihren großen Hut ehrlich wert und nimmt sich auch jetzt neben den Grütze-Olsens gut aus, steht da, wie wenn sie sagen wollte: Jawohl, wir sind jetzt verwandt geworden, aber wir verkehren nicht viel miteinander! Es war ein schändlicher Streich des Zufalls, daß ihr Mann den Kopf verloren und das Landhaus an diese Familie verkauft hatte. Was sollten diese Leute mit einem Landhaus? Sie sind nur einmal dort gewesen, seit sie es gekauft haben, und sie fuhren nicht mit Wagen und Pferden hin, sie gingen zu Fuß, er, der Konsul Olsen und seine Frau. Sie hatten aber wohl an dieser einen Fußtour genug, denn jetzt in Christiania schenkten sie das Landhaus den Neuvermählten, das war ihr Hochzeitsgeschenk. Was sollten also die Leute mit einem Landhaus, wenn sie nichts damit anfangen konnten?

Aber da kommt Johnsen, der Doppelkonsul selbst, der einzige von der Gesellschaft, der einen hohen Hut trägt. Er hat ein Plaid über dem Arm und kommt hastig daher, vielleicht ist er bei der Abrechnung aufgehalten worden, oder er hat mit der Aufwärterin ein wenig gescherzt: zum Henker noch einmal, der Doppelkonsul ist ein großer Mann und steht über vielem, er hat viele Filialen! Ein eingestürzter Turm, er? Ein wieder aufgerichteter Turm. Er gleicht wieder einer Million oder etwas anderem Rundem; in Christiania hat er das Danebrogkreuz auf der Brust getragen. Sollte wirklich etwas daran sein, daß bei dem Untergang der Fia und der Versicherung Spiegelfechterei mit im Spiele war, und was wäre der Zweck dabei gewesen? Konsul Johnsen hat jedenfalls jetzt wieder bessere Tage erlebt, er ruht nicht mehr aus, er hat offenbar wieder etwas zu sagen und mitzusprechen bei sich selbst und bei andern.

Um Frieden zu finden, hat dieser Mann in einer Stunde des Nachdenkens den alten Postmeister aufgesucht, später einmal und in einer viel schlimmeren Klemme ist er durch die Hintertür in derselben Angelegenheit zum Schmied Carlsen gegangen, danach konnte niemand behaupten, er sei ein gleichgültiger Mensch, er hat seine Lehre durchgemacht, aber es half ihm nichts. Und als die Tage vergingen, kam er ja aus der Klemme heraus und brauchte dann keine Hilfe mehr. Was sollte er damit? Wenn er an den Postmeister dachte und an dessen Bescheidenheit, mußte er wieder lächeln. Der Postmeister suchte und suchte Frieden, er hatte einen kleinen Stern gefunden und wandelte in dessen Schein seine Straße, es war kein starkes Licht, nicht Sonne und heller Tag, aber man konnte dabei schon ein wenig sehen. Nur Genügsamkeit! Konsul Johnsen suchte nicht, das war eine zu große Mühe für ihn, er wollte nur fragen, wo Frieden zu erkaufen wäre.

Jetzt steht er da auf dem Schiff wieder sorglos und obenauf. Hoho! Er sieht aus, als könne er noch drei oder vier vernichtende Bankerotte überstehen. Ein verflixter Kerl, der Doppelkonsul, auf irgendeine Weise muß er seinen draufgängerischen Sohn an die Kandare genommen und ihm Grenzen gesetzt haben. Wir, sagt er von dem Geschäft, meine Angestellten, sagt er. Es hat sich dann auch in dem Auftreten der Leute gegen ihn ein sehr rascher Umschwung vollzogen, sie sehen wieder zu ihm auf und lassen ihn nicht links liegen; im Grunde genommen ist es durchaus nicht der Sohn, sondern der Vater, um den sich die Leute ihr Leben lang gekümmert und den sie gern gehabt haben. Er har ihre eigenen Eigenschaften, ist gewöhnlich wie sie, ein gutmütiger Mensch, ohne Ernst und Standhaftigkeit, aber eine Nummer in einem Dutzend, eine der großen Standespersonen in der Stadt, rund und reich, er bekommt wohl bald eine neue Fia. –

Konsul Johnsen ist auch der einzige, der laut nach dem Ufer hinüber grüßt. Das kann er tun, denn er ist der, der er ist. Siehst du jemand, der das Gepäck in Empfang nehmen kann? sagt er zu Scheldrup, und im selben Augenblick geht er wieder weg. Vielleicht hat er etwas in seiner Kajüte vergessen, oder er will noch jemand ein letztes Abschiedswort sagen. Der Teufel mag ihm trauen!

Da kommt schließlich Olaus vom Anger über das Bollwerk geschritten, und er kommt breitspurig daher. Hat er heute verschlafen, oder hat er bis zum letzten Augenblick Karten gespielt? Er faßt nach dem Landungssteg und wirft ihn aufs Boot hinüber, daß es kracht. Das Pferd, das die jungen Eheleute für das Landhaus bekommen sollen, bäumt sich, Olaus kümmert sich nicht darum, er begrüßt den Matrosen beim Fallreep mit ein paar kräftigen Worten: So, faß den Landungssteg an und steh nicht da und halt Maulaffen feil!

Olaus hat während der letzten Tage gebummelt und scheut sich deshalb durchaus nicht, sich geltend zu machen. Eine Bummelei des Olaus vom Anger war ja höchst verschieden von einem gewöhnlichen Abendmahlsgang mit Wein in der Kirche, er trank so viel, als er überhaupt trinken konnte. Jetzt kam er betrunken und großartig ans Bollwerk, o, ein seliger Narr, aufrecht, eine kurze Pfeife rauchend, vielleicht hungrig, aber halsstarrig und stark. Er redete höchst überlegen mit den Leuten, großspurig, hatte auch eine grobe, schnarrende Stimme. Was er sagte? Seine Worte waren verständlich genug, sie verirrten sich weder nach rechts noch nach links. Er tat, wie wenn er Scheldrup Johnsen an Bord gar nicht sähe, und sprach sich also über ihn aus:

Na, du sollst also den Scheldrup nach dem Landhaus hinausfahren? rief er dem Kutscher zu. Ein netter Kerl, der! Frag ihn, wie es mit der Versicherung der Fia bestellt gewesen sei? Habt ihr's gehört? Scheldrup, die Spitznase, hatte das Schiff selbst versichert und steckte das Geld in seine eigene Tasche.

Alle Leute auf dem Bollwerk hörten zu. Das waren keine Kleinigkeiten, Olaus übertrieb vielleicht gar nicht, er gab jedenfalls einem sich immer weiter verbreitenden Gerücht Ausdruck. Was hier über Scheldrup gesagt wurde, war keineswegs unglaublich, er war ja eigentlich der gewesen, der die ganze Zeit her über das Schiff verfügt hatte, wozu der Vater gar nicht die Erfahrung haben konnte – konnte da nicht Scheldrup auch einen Termin Versicherung bezahlt haben? Er wäre dazu imstande gewesen. Das würde zugleich auch erklären, daß Scheldrup heimkommen, sich auf des Vaters Stuhl im Kontor setzen und Wechsel um Wechsel an die Gläubiger ausstellen konnte. Schließlich würde es auch erklären, daß der Vater von seinem Stuhl wieder Besitz ergriff, als die Sache an den Tag kam. O, vielleicht war deshalb Konsul Johnsen wieder aufgeflammt und wieder rührig geworden. Er hat seinen modernen Sohn in seine Grenzen verwiesen, er hat wieder soviel von der Leitung der Geschäfte an sich genommen, als er selbst für gut fand. Nichts ist so belebend für den Menschen wie ein Sieg.

Die Arme voller Blumen, gehen die Neuvermählten an Land, steigen in den Wagen und fahren grüßend ab, fahren hinein in den Ehestand und die Flitterwochen. Olaus schweigt einigermaßen. Einer nach dem andern von der Hochzeitsgesellschaft verläßt das Boot, dabei wird es Olaus wohl zu langweilig, er geht vom Landungssteg weg und begibt sich nach der Vorderluke, um nach den Waren zu sehen. Einige Kisten werden an Land geschafft. Olaus kommt es nicht auf ein paar weitere lümmelhafte Grobheiten an, er ist wie gewöhnlich, ohne eigentliche Bosheit, aber er ist mannhaft und ohne jegliches Verantwortlichkeitsgefühl darauf aus, die Anwesenden mit seiner Freimütigkeit in Erstaunen zu setzen und sie zum Lachen zu bringen.

Da steht nun Frank, der neue Schulvorsteher, mager und sprachenkundig in seinem Winkel. Olaus redet ihn an: Steh nicht da und mach die Trantonnen schmutzig! ruft er. Da er diesmal ein Witzbold ist, kichern alle Leute. Oliver hört diesen auf den Sohn gemünzten Zuruf, diese tiefe Respektlosigkeit, und hinkt ein paar Sätze näher, wie um einzugreifen. Er hat jetzt seinen heimtückischen Blick und scheint gewisse Gefühle gegen Olaus zu hegen.

Aber Olaus wird durch den Sieg aufgestachelt und fährt fort: Du stehst da mitten in meinem Logis, das weißt du wohl nicht? Jawohl, in dem Winkel liegen der Olaus vom Anger und ich bei Nacht unter einer Persenning. Wenn du heut abend hierherkommst, dann will ich dir auch ein Obdach geben!

Noch mehr Respektlosigkeit also!

Um seine Gleichgültigkeit zu zeigen, legt Frank die Hände auf den Rücken und geht langsam vom Bollwerk fort. Er redet nicht, ohne zu belehren, und er belehrt nicht auf einem Bollwerk.

Olaus läßt ihn nicht los, er lacht hinter ihm drein und sagt: Ja, du kannst glauben, vor dir habe ich Achtung! Jetzt erblickt er Oliver, Franks Vater, und nun treibt er diesen an, er ruft ihm zu, dort gehe sein Sohn, Petras und des Mondes Sohn. Oliver hört es, er bleibt stehen und schaut zu Boden. Übrigens erkennt Olaus Petra an, lobt Petra, sagt, er habe sie schon als ganz kleines Mädchen gekannt, hübsch war sie die ganze Zeit, sagt er, viel zu gut, um ins Unglück zu geraten. Dann hat sie den Oliver geheiratet und dann wurde sie sozusagen Witwe in alle Ewigkeit mit ihm. Ach, du lieber Gott, Oliver, dich sollte man gar nicht in den Mund nehmen! Ein solcher armer Tropf, du tust mir leid, und du bist ja zu nichts anderem gut, als wie ein Frauenzimmer dazusitzen und eine Nadel einzufädeln. Petra dagegen –

Doch da sieht Olaus den Doktor aufs Bollwerk zukommen, und in seiner Trunkenheit zieht er sofort den Doktor in sein Gewäsch hinein, er verschont niemand: Petra war nicht wie die Frau Doktor, die keine Kinder haben wollte, nein, bekam sie solche nicht daheim, dann ging sie in die Stadt und bekam sie dort. So sollte es sein, ihr war es einerlei, was im Betsaal gesagt wurde. Es sollte vielleicht so sein, daß die Weibsleute keine Kinder bekämen? Das wäre beim Satan! Sie sollten es wie die Frau Doktor machen und sie sich wegweinen und wegjammern? Wein mir hier, wein mir dort, und versenk sie auf den Meeresgrund, sie war nichts Besseres wert! – War es so, Doktor, rief er in seinem Übermut, daß du damals mit einem Lappen ihre Tränen auf dem Boden auftrocknen mußtest? Ja, jetzt drehst du um und willst nichts mehr hören. Aber ich will dir noch eins sagen, ehe du gehst, die Frauen, die nicht Leben und Blut hergeben, die sollten sich selbst in die Erde hineingraben, das sollten sie –

Nimm die Laufplanke weg! ruft der Kapitän.

Olaus hebt die Laufplanke unnötig hoch auf, tritt mit ihr ein paar Schritte zurück und läßt sie dann fallen. Das Bollwerk erzittert. Dann fährt das Schiff ab.

O, aber an diesem Tag hatte Olaus vom Anger zum letztenmal da auf dem Bollwerk lose Reden geführt und seine Kräfte gezeigt; er verstummte in der darauffolgenden Nacht. Heibergs Trantonnen stürzten auf die Persenning herunter, unter der er lag, und zerschmetterten ihm den Brustkasten. Es nahm ein trauriges Ende mit diesem Olaus, und er hatte eigentlich auch nichts Besseres erwarten können. Vieles konnte gegen ihn vorgebracht werden, aber vielleicht war auch er vom Schicksal geschädigt worden, war ein Gaul, der bei der Zähmung zuschanden gemacht worden war. –

Die Leute an Bord der Brigg hatten wohl das Gepolter in der Nacht gehört, aber dann wurde alles wieder still, und sie schliefen weiter. Als es bei Tagesgrauen hell wurde, fand man Olaus. Etwas flacher als sonst lag er da, und um Nase und Mund zeigten sich Blutspuren, aber er lag nicht mit weit offenem Munde da, seine Zähne waren fest zusammengebissen. Im übrigen sah er träg und schlafend aus, mausetot natürlich, aber keine Spur von Spott und Zorn im Gesicht; er sah aus, als wolle er sagen: Weckt mich nicht, ehe wir angekommen sind!

Die Nachricht von dem Unglück verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Merkwürdigerweise war Oliver in der Nacht kurze Zeit draußen gewesen und hatte da ganz harmlos den Lärm von den Trantonnen gehört, aber geglaubt, das habe nichts auf sich. Oliver sagte, er habe einem guten Kameraden ein solches Ende nicht gewünscht, so einem in Grund und Boden guten Menschen, sagte er. Es war eigentlich fast rührend ihn über einen so armen Kerl, der nicht einmal eine Nadel einfädeln konnte, so gute Worte sagen zu hören, aber Oliver hatte wohl selbst eine gute, interessante Erfahrung darüber gemacht, was ein wirkliches Unglück ist, und diese legte ihm nun die Worte in den Mund ...

Da stand man wieder vor den Fragen über Leben, Schicksal und Gott, und manche sprachen sich talentvoll darüber aus. Da konnte man doch einmal sehen, was für ein unsicheres, sprödes Seil das Leben ist, und wir tanzen darauf! Olaus schwieg jetzt, aber andere schwatzten. Im übrigen war Olaus vom Anger doch eine zu geringe Persönlichkeit, als daß sein Tod die Menschen zu dauerndem Nachdenken hätte bringen können, man wurde es müde, immerfort in einen Gewehrlauf hineinzustarren, und man tanzte aufs neue. O, diese Tanzmadam, sie kehrte immer wieder in der Stadt ein, um Eitelkeit und Sünde am Leben zu erhalten. Es war, als werde sie von einer inneren Berufung getrieben. Manchmal konnte es ihr schlecht gehen, aber sie hielt aus, was tut man nicht für die Kunst auf den Brettern? Als vor einiger Zeit die Fia unterging, und es still in der Stadt wurde, bekam sie keine Schüler, und sie reiste damals recht mager ab, aber als sie nun wiederkehrte, bekam sie die doppelte Zahl Anmeldungen. So sind die Menschen, irdisch und unverändert. Und so sind die Menschen, sie tanzen ebensowohl, ob der Tod in der Nacht wirklich zu ihnen kommt oder an ihnen vorbeigeht – für diesmal.

Manche Ungeduldige wollen in die Vorsehung eingreifen und reformieren; sie planen eine von der jetzigen höchst verschiedene Welt, sie stellen Programme auf, sie schaffen alle Schlechtigkeit ab. Dies tun sie nicht aus Übermut, sie verdrehen nicht den Hals und krähen den Himmel an, nein, sie beten und katzbuckeln sich vorwärts; sie wenden die Notenblätter um und flüstern zärtlich dabei. Aber es wird nicht nach den Noten der Menschen gespielt.

Wer hätte es ehrlicher verdient gehabt, in seinem Programm recht zu bekommen, als der alte Postmeister, aber wer wurde am meisten betrogen? Allerdings setzte ihn ein gewisser Postraub instand, für den Rest seines Lebens ein Idiot zu sein, aber als Idiot konnte er den damit verbundenen Segen nicht fassen. Oder wie, war er auch fernerhin zufrieden, wenn auch auf einer neuen Grundlage, fühlte er, sah er vielleicht tiefer als andere? Es war, als sei er in einer neuen Welt, sei gleichsam eins mit dem Wind und den Sternen, als ein Teil von allem, mit dem er auf der Strömung dahintrieb? Nahrung? Ja, Nahrung nahm er auch zu sich, aber wie gleichgültig war es ihm, woraus sie zubereitet war und ob er sie bekam! Ein Schatten, ein Schemen in Kleidern, ein kleiner Abgestorbener, das einzige war noch, daß er das Licht sah und mit den Augen blinzelte, er atmete ein und aus; wenn er erkältet war, nieste er. Aber leisten konnte er nichts mehr. War er deshalb das unglücklichste Geschöpf in der Stadt? Er redete nicht davon, er hatte sein Geschwätz hinter sich. Die Leute, die ihn gesehen hatten, fanden ihn jetzt ruhig und gefaßt, er sah aufrichtig und natürlich aus, als ob er sagen wollte: Hier sitze ich und bin wegen nichts und wieder nichts Idiot, ich habe meine Gründe dafür, ich habe mich darein gefunden.

Und die Dinge gehen ihren Lauf. Vielleicht hatte der Postmeister recht, der meinte, das Leben werde hinter der sichtbaren Welt von einem großen gerechten Gehirn geleitet. Es gab verschiedene in der Stadt, die wahrhaftig allmählich zu diesem Glauben hinneigten. Wie hätten sie sich es sonst erklären sollen, daß alles eigentlich wieder ganz gut ging? Nun war zum Beispiel die Werft wieder in Gang gesetzt worden. Es gab auch noch andere freudige Ereignisse, aber daß die Werft ihre Tätigkeit wieder aufnahm, das war einfach ein großes Glück für die Stadt. Kaspar hatte wieder Arbeit, alle Arbeiter hatten ihren Verdienst wieder. Henriksen selbst ist zwar wohl nicht gerade auf einen Schlag ein reicher Mann, aber es ist ihm reiche Hilfe zuteil geworden. Es zeigte sich, daß der Doppelkonsul wirklich noch einmal wohltun konnte, wenn er sich in seinen Sessel setzte und die Leitung des Geschäfts übernahm.

Es geht also, alles miteinander geht, und vieles geht sogar gut. Was das beste ist, wissen wir nicht; hinaufsteigen und herabsinken gehört wohl zum Ganzen, alles gehört zum Ganzen. Ein Licht brennt still im Leuchter, die Tür wird aufgemacht, und das Licht geht aus. Wessen Schuld ist es? Schuld, wieso?

Laßt uns geduldig sein wie die Bäume im Walde! sagt der Schmied Carlsen. Er beurteilt es nun auf seine Weise, er ist unbegabt, deshalb sagt er nicht viel, aber er gibt sich Mühe, Gott für jeden neuen Tag dankbar zu sein. Es ist, als hätte er in der letzten Zeit nicht einmal mehr das richtige Verständnis für sein altes Handwerk und die täglichen Dinge. Da stehen sie nun in der Schmiede und sprechen miteinander vom Tode des Olaus vom Anger und von vielem andern. Und da erzählt der Schmied Carlsen von einer Zeit, als er keine Kohlen bekommen konnte. Er sagt, seine seien zu Ende gewesen, und er habe einige Tage mit der Arbeit aussetzen müssen. In der ganzen Stadt hat es keine Kohlen gegeben, kein Mensch hatte Kohlen. Es dauerte indes nicht viele Tage, da kamen Gott sei Dank wieder Kohlen an, aber es hätte gewiß viel länger gedauert, wenn sie nur bei mir allein gefehlt hätten.

Warum denn? fragt Oliver.

Viel länger, antwortet der Schmied leise. Denn ich hatte es nicht besser verdient. Um der andern willen ist mir geholfen worden.

Da stand er wohl mit einer Art weisen Erkenntnis, war freundlich und demütig, ein wenig dumm vielleicht auch, wie so vieles, was Weisheit ist.

Und wie geht es? fragt er Abel.

Es geht gut.

Dein Schmiedknecht dort tut wohl seine Arbeit? fragt er scherzend, indem er auf den Maschinenhammer deutet. Ja, Gott segne dich und den Hammer! sagt Schmied Carlsen. So, es geht also gut! sagt er.

Dann schaut er forschend unter die Bank am Fenster. Abel fragt, ob er etwas suche, und will ihm helfen. Nein, nein, sagt er, er suche nichts, nein, nein. Dann findet er es, und er hat es gewiß die ganze Zeit über gesehen, tut aber, als sei es etwas ganz Unbedeutendes, das er einmal weggeworfen hat; es ist eine kleine Kiste mit verschiedenen Säckchen darin, mit verschiedenen kleinen Säcken.

Was ist das? fragte Abel.

Ja, was ist's? Es liegt nur im Wege.

Soll ich es auf der Esse verbrennen?

Der Meister überhört die Frage und sagt: Nur ein paar kleine Säcke; jeder von ihnen hatte einen, es sind Sachen, die sie sich geschnitzt haben. Jawohl, eine Weile haben sie gar soviel geschnitzelt, meist wurden es natürlich nur Klötzchen, aber die einen waren Boote, und die andern waren Ochsen, und einige waren Menschen aus kleinen Klötzen. Wir haben sie aufgehoben, sie waren ihnen gar so wichtig, und jeder hatte sein Säckchen. Daß die auch noch daliegen, es ist unglaublich! Ich will sie mit hinaufnehmen und sie natürlich in den Ofen werfen.

Abel bietet sich an, sie hinaufzutragen, aber der Meister geht selbst mit seinen kostbaren Säcken nach oben.

Dann arbeitet Abel weiter. Ein Mann tritt herein und will ein paar neue Wagenräder beschlagen haben; einem Prahmführer ist eine Kette entzwei gegangen, und er will sie gleich geschweißt haben. Abel schweißt eifrig. Er sagt zu seinem Vater: Wenn du Zeit hast, könntest du die Beschläge hier ein wenig putzen. Das ist ihr Ton untereinander, freundliche Zwiesprache wie früher, kein Befehlston. Und der Vater bekommt sicherlich nicht den Eindruck, als treibe er sich nur müßig in der Schmiede herum, sondern er ist da und dort notwendig und erwidert: Ich werde mir die Zeit dazu nehmen.

Dann feilt Oliver die Beschläge blank, und es sind Henkel und Eckbeschläge für eine Truhe. Sie kommt aufs Land hinaus, wo die Leute noch solide Schmiedearbeit für ihre verschlossenen Truhen und Kisten verlangen.

Und der Tag vergeht in der Schmiede, vergeht unter Arbeit und Zwiesprache zwischen Vater und Sohn. Am Vormittag hat die Blaumeise auf dem Weg zum Kaufmann in die Schmiede hineingesehen, da haben sie sich zu dritt unterhalten. Da die Blaumeise ein helles Kleid trägt, steht Abel von dem Kohlenhaufen auf und lädt sie zum Sitzen ein; nachher behauptet er, sie habe einen Schmutzfleck auf der Stirn und drückt einen rußigen Finger gerade auf die Stelle. Da muß der Vater ja den Taschenspiegel herausziehen.

Sie sind vergnügt zusammen, keines ist dem andern im Wege, als die Blaumeise wieder fortgeht, wird sie vermißt.

Am Abend will Oliver auf den Fischfang hinaus, es hat leicht zu regnen angefangen, es ist also günstiges Wetter zum Fischen. Abel trifft mit ihm im voraus eine Verabredung und kauft die Fische. Wenn du zurück bist, hänge ein nettes Fischbündel an die Küchentür von Stadtingenieurs. Was willst du dafür?

Nichts will ich dafür, erwidert der Vater.

Oho, du möchtest wohl lieber anklopfen und eine tüchtige Bezahlung vom Stadtingenieur selbst verlangen, scherzt Abel. Aber davon will ich nichts wissen, sagt er. Hier sind zwei Kronen, mehr gibt's nicht!

Oliver rudert hinaus und bleibt nicht lange fort, nach zwei Stunden klärt sich das Wetter auf, und er kommt zurück. Er zieht die Fische hübsch auf die Schnur und hinkt in die Stadt damit. Abel weiß vielleicht recht gut, wohin er damit geht. Er geht an Stadtingenieurs vorbei und geradeswegs nach dem großen steinernen Haus mit den Säulen davor; Blut ist dicker als Wasser, er geht zu seinem Sohn, dem Schulvorsteher, und bleibt da vor der Küchentür stehen. Hier macht er seinen Schuh mit Speichel sauber, er wird für einen Augenblick unwahrscheinlich neu und blank, und der Stelzfuß braucht nicht geputzt zu werden. Dann klopft Oliver.

Das Dienstmädchen ist in der Küche, und Franks Frau, Konstanze von der Werft, recht wohlbeleibt, weil sie guter Hoffnung ist, kommt heraus. Oliver hat Takt und gute Manieren, er nimmt den Hut ab und reicht nun seine Fische hin. Das Mädchen nimmt ihm das Bündel ab. Frau Konstanze ist nicht hochmütig, sie dankt ihm persönlich für das Geschenk, sie kennt ihren Schwiegervater, aber sie bietet ihm keinen Stuhl an. Ach, wenn wir diese Fische zum Mittag gehabt hätten! sagt sie, um etwas zu sagen. Oliver spielt sich ordentlich auf, genau wie wenn er selbst von vornehmen Leuten herstammte, und antwortet: Soweit es in meiner geringen Macht steht, werde ich das nächste Mal früher kommen. – Nein, entgegnet Frau Konstanze, er solle keine Fische mehr bringen, das wolle sie nicht, da er doch lahm sei, und alles miteinander. – Oliver pfeift auf diese Redensarten, pfeift natürlich nur ganz gemäßigt, bewegt aber unaufhörlich die Hände, wie um anzudeuten, daß er nicht lahm sei, o, er werde schon kommen –

Du hörst ja, daß ich es nicht will, sagt Frau Konstanze, und ich bin gewiß, daß es mein Mann auch nicht will, sagt sie. Aber Oliver versteht nichts und macht noch weiter. Da bleibt der jungen Frau nichts anderes übrig, als das Mädchen irgend etwas Gleichgültiges zu fragen, und als sie Antwort darauf bekommen hat, dreht sie sich um und geht hinein. Oliver versucht sich unterdessen mit dem Mädchen zu unterhalten, die Schwiegertochter ging vielleicht hinein, um etwas für ihn zu holen, ein Stück Kuchen, eine kleine Erinnerung, es wäre ihm unangenehm gewesen, zu verschwinden, während sie fort ist. Aber selbst das Mädchen ist wortkarg. Er erkennt sie wieder, es ist das Mädchen vom Tanzsaal, die mit der vollen Brust, er hat ihr damals Zuckerwaren gegeben. Natürlich spielt er jetzt nicht auf jenen lustigen Abend an, nein hier im Hause ist Oliver ein anständiger Mann, er sagt, das sei einmal eine schöne Küche, eine sehr hübsche Küche. – O ja, erwidert das Mädchen. – Ist der Schulvorsteher daheim? fragt Oliver. – Jawohl, der sei daheim. – Was tut er, studiert wohl? – Das wisse sie nicht, sagt das Mädchen und macht ihre eigene Arbeit weiter. Oliver wartet noch eine Weile, aber die junge Frau kommt nicht wieder heraus. Da sagt er gute Nacht und geht.

Nichts ist im Wege, nichts unangenehm und verkehrt, Oliver fühlt sich nur ein wenig erleichtert, daß er das Fischbündel losgeworden ist. Er grübelt jetzt nicht. Wenn jemand daherkäme und ihm den Tod anböte, so würde er ihn nicht annehmen, o weit entfernt, das Leben ist nicht gar zu schlimm, findet Oliver. Nicht alle Menschen haben es so gut wie er: ein Dach über dem Kopfe, das tägliche Brot, ein Zweikronenstück in der Tasche, Frau und Kinder, und was für Kinder! Er ist der unvergängliche Menschenstoff.

Da hinkt er heimwärts. Er ist etwas marode, etwas unvollkommen, aber was ist vollkommen? Er ist, sozusagen, ein Bild des Lebens in der Stadt, es ist in ihm verkörpert, es kriecht, aber es ist darum doch ebenso emsig. Es fängt am Morgen an und dauert bis zum Abend, dann legen sich die Menschen schlafen. Und einige legen sich unter eine Persenning.

Kleines und Großes geschieht, ein Zahn fällt aus einem Munde, ein Mann aus den Reihen heraus, ein Sperling auf die Erde herunter.

 


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