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Der Winter verging, ein Tag um den andern.
Aber natürlich hatte Oliver keine Ausdauer, sein Fleiß war Kunst, er wurde des Fischens überdrüssig, und da schob er das Kind vor.
Jawohl, ganz allmählich wurde das Kind vorgeschoben. Wenn er vom Fischmarkt heimkam, untersuchte er recht geflissentlich das Kind in der Wiege, überzeugte sich, ob es atmete, horchte eine Weile. Und er stellte beleidigende Fragen: Sie haben dir wohl nichts zu essen gegeben, Frank, sie haben es wohl ganz vergessen? Im Anfang lachten ja die Frauen darüber und hielten es für Scherz; aber Oliver erklärte, er habe im Ernst Angst. Später pflegte er offen das Kind als Vorwand zu benützen, wenn er nicht hinausrudern wollte: es schreie so herzzerreißend, wenn er fortgehe.
Seinen Platz am Bollwerk überließ er dem Fischer Jörgen, ja, er bot ihn diesem selbst an: Es ist der beste Platz, und du sollst ihn haben. Du weißt: du und ich, Jörgen!
Ob er denn nicht mehr fischen wolle?
Nicht, um zu verkaufen, er fische nur noch für sich selbst. Jörgen könne den Platz jedenfalls den Winter über haben, zum Frühjahr wolle ihn Oliver dann ja vielleicht selbst wieder. Jörgen bekam überdies noch eine deutlichere Erklärung: er habe das Herz nicht, seinen kleinen Frank allein zu lassen, es möge gehen, wie es wolle, das Kind wolle immerfort bei ihm sein. Es sei merkwürdig mit so einem kleinen Kerl, und ob Jörgen ihm wohl den Grund angeben könne, warum der Vater der Mutter und allen andern vorgezogen werde.
Das sei dem Kinde wohl angeboren?
Genau, was er selbst gedacht habe: der Vater sei der Erzeuger des Kindes, und daran hänge das Kind fest; die Mutter sei nur die Erde, in die das Kind hineingepflanzt werde. Ob das nicht ganz klar sei? Das Gras wachse, die Schiffe führen auf dem Wasser dahin, der Himmel habe Sterne, das sei alles verständlich. Aber das sei nun etwas anderes, und natürlich könne ihm kein Mensch auf dem weiten Erdenrund erklären, daß Frank – daß ein Kind – er ist kaum eine Spanne lang und hat schon Verstand!
Leeres Gerede, Grübeleien aus dem Matrosenraum. Es war eine Weiberunterhaltung bei der Häkelarbeit. Aber Jörgen, der wortkarg war, mußte seine gewöhnliche Erklärung zu Hilfe nehmen: es sei vieles in der Natur verborgen.
In der Stadt beurteilte man Oliver anders, die Stadt war, wie nicht anders zu erwarten war, der Ansicht, Oliver müßte für seine Faulheit auf Wasser und Brot gesetzt werden. Ob das eine Art sei, eines kleinen Kindes wegen daheimzubleiben, anstatt hinauszurudern?
Aber es ist vieles verborgen in der Natur, so auch in Oliver. Diesmal begründete er also seinen Abfall vom Fleiß auf eine ganze aparte Weise. Natürlich war er faul, aber hatte er etwa keinen Grund dazu?
Eines Morgens fällt ihm auf, daß Petra beim Kaffeekochen der helle Schweiß auf der Stirne steht. Bist du unpäßlich? fragt er. – Ja, antwortet sie. Er sagt nichts mehr, er ißt sein Frühstück, rudert zum Fischen hinaus und kommt erst gegen Abend zurück. Petra ist unleidlich; es ist, als habe sie Zahnschmerzen, Oliver sieht, wie vorsichtig sie kaut, sie will keinen Kaffee, kann ihn weder sehen noch riechen, sie geht umher und spuckt in den Ecken aus. Ist dir noch so schlecht? fragt er. – Ja, du hast es ja gehört! antwortet sie gereizt.
Darauf sieht er sie in höchst zweideutiger Art an, sieht langsam an ihr herunter, nicht heimlich, sondern ganz offen und gerade, er will, daß sie es merkt. Als er es getan hat, schlägt er die Augen nieder und seufzt.
O, Petra hatte Augen im Kopf, sie hatte verstanden. Willst du noch Kaffee haben? fragt sie und schenkt ihm ein.
Er gibt keine Antwort, er scheint wirklich ganz in tiefe Gedanken versunken zu sein, er sieht nicht, er hört nicht. Hat er sie mit seinem Seufzer gerührt? Sie gab sich jedenfalls Mühe, recht still zu sein, während sie im Zimmer aufräumte. Trink nun deinen Kaffee, ehe er kalt wird, sagt sie.
Da kommt Oliver wie aus weiter Ferne wieder zu sich, o, vielleicht aus dem Lande der Apfelsinen oder vielleicht aus der Unterwelt; er steht auf.
Nun hätte alles so ernst und tief verlaufen können, aber ein Zufall verdarb es wieder. Ja ja, Frank, jetzt geh ich, sagte er zu dem schlafenden Kinde. Soweit ging alles gut. Doch nun fing er an, sich über die Hüften zu streichen, fand aber das Gesuchte nicht. Und dann komm ich heut abend wieder zu dir, Frank, sagte er. Er sucht etwas auf einem Wandbrett, er öffnet eine Kommodenschublade und findet es nicht. Dann findet er es endlich in der Wiege – das feststehende Messer, dieses Ungeheuer, dieses Schwert, das er immer auf den Fischmarkt am Bollwerk mitnahm. Er hatte es am vorhergehenden Abend dem Kinde zum Spielen gegeben und es dann vergessen. O, das war unglaublich; erst schlug Petra entsetzt die Hände zusammen, dann brach sie in lautes Gelächter aus. Olivers Seufzer ging vollständig verloren, wie ein geschlagener Mann schlich er hinaus an seine Arbeit.
Aber warum dieser ganze Auftritt? Ein gleichgültiges Spiel! Durfte nicht eine verheiratete Frau einmal unpäßlich sein und den Kaffee verabscheuen? Ach, wie das Oliver auf einmal unüberwindlich vorkam, wie schwer und verzweifelt kam es ihm vor, Gott hatte ihn nicht verständiger gemacht. Er strich die Segel. Nicht, daß er von diesem Tag an jemand seine eigene Faulheit zur Last gelegt hätte, er beklagte sich auch nicht bei andern, nein, das tat er nicht, aber er schob das Kind vor. So hatte er einen Grund, sich von der Arbeit freizumachen.
Der Winter verging.
Und es verging mehr als ein Winter – in Müßiggang und häuslichem Streit, mit schlechtem Essen, in Lumpen, in Dunkelheit.
Im Frühjahr pflegte Oliver aufzuwachen und bis zum Herbst fleißig zum Fischen hinauszurudern; dann lebten sie daheim wieder besser, er bezahlte bei den Kaufleuten für das im Winter geborgte Mehl und für die Margarine, und so schlugen sie sich durch. Auf diese Weise ging es auch. Die Achtung, die er sich einmal sozusagen erarbeitet hatte, ging allerdings verloren, er wurde von den Menschen einfach übersehen und gering geachtet, was er vielleicht auch verdiente, weiß Gott!
Diesmal bekam Frank ein kleines Brüderchen, ein braunäugiges Eichkätzchen lag in der Wiege, der Vater nahm das so auf, wie es seine Pflicht war, und verzweifelte nicht. Er war gegen beide Kinder gut, aber Frank, der Erstgeborene, war und blieb sein Junge, mit Abel, dem zweiten, gab er sich nicht viel ab. Sogar auch die Mutter zog Frank vor, vielleicht, weil er der hübschere war; wenn die Kleider für Frank zu klein wurden, mußte der Bruder sie weiter tragen, deshalb lief Abel Jahr um Jahr in zerschlissenen Hosen herum. Nicht, daß Abel sich darüber gekränkt gefühlt hätte, im Gegenteil, er fand meist noch etwas in den Taschen dieser abgelegten Anzüge, wenn er sie übernahm, ein Taschenmesser, eine Pfeife, einen Bleistiftstumpf, Knöpfe, Angeln, Nägel; diese Sachen vertauschte er sofort gegen andere Dinge und ließ sie vorsichtshalber den Besitzer wechseln. Dies war einer von Abels Kunstgriffen, sich irdisches Gut zuzulegen. Er hatte übrigens auch noch andere Kunstgriffe; er tat sich eifrig mit Edevart, dem Sohn des Fischers Jörgen zusammen, der etwas älter war als Abel und von dem er deshalb außerordentlich viel lernte; die beiden verdienten sich ein paar Pfennige durch Besorgungen für andere, durch gelegentliche Handlangerdienste und durch den einen und andern glücklichen »Fund«. Einmal »fanden« sie wahrhaftig Kaffee im Lagerhaus des Grütze-Olsen; wie hätten sie das vermeiden können? Der Kaffee stand da mitten auf dem Boden und mußte deshalb von jemand vergessen worden sein, ein ganzer Sack, nur eben geöffnet, die Jungen meinten, er werde wohl etwas Ordentliches wert sein. Die Taschen reichten nun da eigentlich nicht aus, aber andererseits waren Taschen auch noch nie so nützlich gewesen. Auf dem Heimwege stiegen Edevart indes Zweifel auf, ob er mit seinem Warenanteil nach Hause gehen sollte, Abel aber ging mit dem seinen geradeswegs in die elterliche Wohnung. Die Mutter erhielt den Kaffee, sie versprach ihm auch etwas dafür, im übrigen aber verbot sie ihm, noch mehr Kaffee zu »finden«. Als sich Abel am nächsten Tag im Lagerraum einfand und etwas mitbrachte, in dem er den Kaffee forttragen wollte, mußte ihm sein Kamerad eine schändliche Geschichte mitteilen. Zuerst war Edevart gezwungen worden, sich mit dem Kaffee zu dem Sack zurückzuschleichen, und als er von diesem Gang heimkam, hatte er Schläge bekommen. Edevart war nun im Zweifel, ob er seine Eltern noch länger haben wollte.
Dieser Kaffee, der eine Quelle dauernden Wohlstandes hätte werden können, brachte übrigens auch Abel Ärger, die Mutter hielt ihr Versprechen nicht und gab ihm nichts dafür, er versuchte es im Guten und im Bösen, aber nein. Dann ging er zu Oliver, zum Vater, und weinte.
Wenn man einem Menschen etwas versprochen hat, so soll man es ihm auch geben, sagte Oliver rechtschaffen.
Na, sagte Petra, so soll ich ihm also den Kaffee abkaufen, den er gestohlen hat? Du gibst ihm ja gute Lehren!
Aber der Vater fühlte sich dadurch geschmeichelt, daß sein Sohn seine Hilfe in Anspruch genommen hatte, und da er an diesem Tage reichlich Fische gefangen hatte, schenkte er Abel eine blanke Krone. Man soll dir nicht unrecht tun, sagte er in Gegenwart aller. Und dank dieser freigebigen Handlungsweise sah sich Abel instand gesetzt, sich am nächsten Tag eine gebrauchte Angelschnur zu verschaffen. Er kaufte sie von Olaus am Anger, von demselben Olaus, der einen Minenschuß bekommen, davon lauter blaue Flecken im Gesicht hatte und von dem Tag an keinerlei Schönheit mehr aufweisen konnte. Später hatte er auch eine Hand verloren. Er trank wie ein Loch und verkaufte alles, was er hatte, jetzt verkaufte er Abel seine Fischgeräte.
Hast du Geld? fragte Olaus.
Jawohl, antwortete Abel, eine Krone.
Eine Krone? Ich verkaufe sie nicht für fünf.
Sie betrachteten die Angelschnur. Olaus rauchte und spuckte aus.
Sie ist doch wohl nicht verfault? fragte Abel und probierte sie.
Verfault? Eine nagelneue Schnur. Kannst dich daran aufhängen; aber eine Krone – nein, zum Kuckuck!
Ich hab nicht mehr als eine.
Dann geh nur weiter. Was stehst du denn da mit deiner einen Krone?
Abel ging.
Olaus rief ihm nach: Du – wie heißt du denn – hast du nicht mehr?
Nein.
Na, so komm und nimm sie! Aber sie ist fünf wert.
Jetzt war Abel obenauf. Denn es war ja eigentlich der Fischfang, wonach den beiden Kameraden, Abel und Edevart, der Sinn stand. Beide waren schon mit Edevarts Vater hinausgefahren, sie kannten die Fischgründe, aber sie hatten keine Gerätschaften; ihre Väter aber wagten es nicht, ihnen ihre Schnüre zu leihen und die Kinder auf eigene Faust hinausfahren zu lassen. Jetzt waren sie, wie gesagt, obenauf. Gegen Abend ruderten sie in Olivers Boot hinaus.
Nein, wie gespannt sie waren! Geduckt und vorsichtig wie Diebe glitten sie am Ufer hin, um an der Landzunge vorbei und außer Sicht zu kommen; sie waren nicht groß, eine Elle hoch, Nichtse, aber sie waren von ihrer Sache erfüllt und schmiedeten Pläne. Sie wußten ja nicht, was sie beim erstenmal ergattern würden, aber was sie erlangten, sollte für Angelschnüre auch für Edevart ausgegeben werden, dann hatte jeder seine eigene. O, sie verstanden sich auf das Boot, sie konnten rudern und wriggen und rückwärtsfahren schon fast solange, als sie gehen konnten; für das Eichhörnchen und Edevart brauchte man keine Angst zu haben. Was Abel betraf, so paßte es ganz besonders gut für ihn an diesem Tag; denn er hatte große Stiefel bekommen, Schaftstiefel. Er war sehr stolz auf sie, obgleich sie früher seinem Vater gehört hatten und dann von Frank vertragen worden waren.
Dann fischten sie.
Das heißt, sie ließen Abels Schnur bis auf den Grund hinunter und zogen sie dann wohl einen Klafter hoch wieder herauf; Edevart hielt das Boot auf derselben Stelle. Hoho, sie wußten alles, sie konnten das! Ab und zu ließ Abel das Lot wieder bis auf den Grund hinab und zog es wieder eine Klafter herauf; dies geschah, damit sie jederzeit die richtige Tiefe hatten. Dann ließ er es wieder hinab, aber als er es hierauf wieder hochziehen wollte, saß es fest. Da saß es fest. Was – rudere gen Norden, rudere zurück! Versuch es nach Osten, nach Westen! Die Schnur saß auf dem Grunde fest. Da, nimm die Ruder und laß mich danach sehen! sagt Edevart, der der Größere von beiden ist. Sie fahren hin und zurück, endlich bewegt sich die Schnur: Da hab ich's sagt Edevart. Er holt ein, aber die Schnur ist leer, sie ist in der Mitte entzweigegangen, das Lot und der Angelhaken liegen auf dem Grunde des Meeres.
Sie sehen einander an, sie können es gar nicht verstehen; die Schnur ging entzwei. Beim Satan! sagt Edevart, der der Größere ist. Abel selbst fluchte nicht, aber als Edevart es tat, drückte er damit auch seine Herzensmeinung aus. Einander konnten sie keine Schuld an dem Unglück beimessen, aber der Olaus vom Anger, der hatte ihnen eine verfaulte Schnur verkauft! Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Hause zu rudern.
Du bekommst deine Krone gewiß wieder, tröstete Edevart.
Ich bekomme sie nicht wieder, murmelt Abel mutlos.
Nicht wiederbekommen? Ich geh mit dir!
Ja, willst du das? – O, Abel verließ sich auf seinen treuen Kameraden, seinen erprobten Kameraden, und er wurde beherzt. Da saß Edevart nun, kniff den Mund barsch zusammen und nickte Abel zu, daß er mitgehen und die Sache in Ordnung bringen werde. Morgen wollten sie Olaus auflauern, wenn er ans Bollwerk kam, er trieb sich ja immer da unten herum.
Jawohl, aber Olaus wollte den Handel nicht rückgängig machen. Weg mit euch, ihr jungen Mäuse! Abel begann zu weinen, aber das nützte nichts. Die Schnur war auch nicht dazu da, um im Meeresgründe eingehakt zu werden, sagte Olaus, sie war zum Fischen. Fort mit euch, sag ich.
Aber der kleine Edevart war der größere von den beiden Jungen und in allen losen Streichen wohl erfahren. Die beiden Kameraden beratschlagten miteinander und kamen überein, in Olaus Pfeife Pulver hineinzuschmuggeln, und ihn noch einmal in die Luft zu sprengen. O, diese Gassenbuben, sie waren kaum eine Elle hoch, und schon hatten sie sieben Teufel im Leibe! Nun also, Edevart kaufte den Tabak, und Tabak mußte er ohnedies haben, er war also nicht verloren; einen netten Klumpen Minenpulver holte er sich draußen bei den Wegarbeitern. Nun war er ausgerüstet, die Kameraden setzten sich aufs Bollwerk und warteten.
Und es war ein hübsches Päckchen Tabak mit Silberpapier und Fabrikmarke, hundeteuer übrigens und einladend, geöffnet und zum Rauchen vollkommen bereit. Das Minenpulver lag dazwischen.
Nun kommt Olaus einher. Was hast du da für einen Plunder? fragt er.
Meinst du meinen Tabak?
Ist das Tabak? Laß mich meine Pfeife mal stopfen!
Nein, du nimmst ihn mir nur, versetzt Edevart und machte Miene, davonzulaufen.
Dürft ihr kleinen Lausbuben Tabak haben?
Und übrigens kannst du deine Pfeife ja gar nicht stopfen, du hast doch nur eine Hand.
Olaus sieht ein, daß er möglicherweise keinen Tabak bekommt und sagt: Nein, dann stopf sie selbst, hier nimm sie! Was sind denn das für Narrenstreiche?
Während Edevart den Pfeifenkopf in den Tabak steckt und den Tabak hineingräbt, schwatzt Olaus weiter: Habt ihr Lausbuben Tabak? Woher hast du ihn?
Ich hab ihn gekauft.
Gestohlen wirst du ihn haben. Du solltest mein Junge sein! So, stopf die Pfeife nun ordentlich voll und sei nicht geizig!
Edevart gibt ihm die Pfeife zurück, und Olaus will anzünden.
Jetzt gehen die Jungen zehn Schritt weit weg und betrachten ein Pferd, das dort an einem Pfahl angebunden ist. Es war etwas Besonderes an diesem Tier, es sah ganz genau aus wie ein Pferd, war braun, und im ganzen genommen war durchaus nichts an ihm auszusetzen, aber die Jungen redeten eifrig hin und her über das Pferd und gaben ihre Meinung darüber kund. Plötzlich erhebt sich ein Zischen und eine Flamme von Olaus am Anger steigt empor, und die Jungen sehen ihn einen Satz machen. Dann aber schien ihnen plötzlich etwas anderes höchst Merkwürdiges in einem anderen Teile der Stadt einzufallen, das sie eiligst betrachten mußten. Aber sie hörten hinter sich rasende Zurufe: werde euch »einholen« und »wartet nur!« Abel trug leider große Schaftstiefel und wäre im Anfang wirklich fast eingeholt worden.
Dies war nicht der letzte lose Streich der beiden Kameraden, und ebenso waren sie nicht zum letztenmal auf den Fischfang hinausgefahren; es dauerte nicht lange, da bekamen sie ordentliche Angelschnüre und durften mit Olivers voller Erlaubnis das Boot benützen. Die Sonntage waren gute Tage für die Jungen; da es zwischen ihnen keine religiösen Meinungsverschiedenheiten gab, waren sie ohne weiteres bereit, an den Sonntagen zu fischen, wo das Boot vom Morgen bis zum Abend unbenutzt war. Jeder von ihnen konnte mit einem kleinen Bündel Fische heimkommen, ja wahrhaftig! Die Fische loszuwerden, war keine Sache, ach nein, bei Doktors bekommen sie nicht nur den verlangten Preis, sondern auch noch ein wenig darüber, weil die Jungen den Doktor der Familie Johnsen am Landungsplatz, mit der sie unleugbar auf feindlichem Fuß standen, vorzogen. Bisweilen bekamen sie auch ein herrliches Butterbrot, das beste, was ihnen nach achtstündigem Fasten geboten werden konnte. In der Küche des Doktors wurden sie allerdings auch gefragt, ob es denn recht sei am Sonntag zu fischen, während die Leute in der Kirche seien; aber sie schienen sich mit dem Leben der Gemeinde in der Stadt nicht weiter befaßt zu haben.
Das waren frohe, reiche Tage! Unbändige Wildfänge und unverschämte Bengel in verschiedenartiger Tätigkeit! Den ganzen Tag hindurch hell wach und auch im Schlafe voller Erlebnisse. Hatte Abel etwas Träumerisches und zeigte er eine gewisse Würde? O, keine Spur! Ein Eichhörnchen, so klein und blitzschnell, o ein Wildfang, alle seine Glieder in beständiger Bewegung. Man sah ihn gleichzeitig droben bei der Kirche und drunten am Strande, er ging nicht, wenn irgendeine Gelegenheit zum Laufen da war, er hatte es immer eilig, seine großen Stiefel dröhnten auf der Straße. So war er. Edevart war auch kein gebrechlicher Bursche, aber er war älter und hatte die Verantwortung, außerdem bekam er daheim immer genug zu essen und hatte deshalb einen runderen Körper. Seine Wohlgenährtheit war ihm aber durchaus nicht im Wege, er konnte merkwürdig beweglich sein, wenn der Apotheker in seinen Garten herausstürmte und schrie: Beim Satan, was tust du da droben auf dem Apfelbaum? Als Edevart im Ernst in die Schule ging, nahm er etwas ab, aber doch nicht so, daß es verschlug, eher war es Abel, der den Nachteil davon hatte; Abel war nun ein recht einsamer, magerer Bursche. Aus alter Gewohnheit trieb er sich noch immer bei dem Fischer Jörgen herum, und dort war vor ein paar Jahren ein drittes kleines Mädchen angekommen, mit dem er bisweilen spielte; aber den Edevart, seinen männlichen Freund, den konnte das kleine Ding doch nicht ersetzen, nein, weit entfernt! Sie hieß Lydia, wie ihre Mutter, Klein-Lydia also, war für ein Mädchen ganz unterhaltend und schon recht, aber doch unangenehm mit ihrem Geschrei für nichts und wieder nichts.
Ja, Abel war einsam geworden, sein Bruder Frank ging auch in die Schule und war seiner Lebtage viel zu gelehrt und zu selbstbewußt für Abel gewesen, sie hatten nie so recht zusammengehalten. Sie stimmten in ihren Lebensanschauungen schlecht überein, was die Fischerei für den einen war, bedeuteten für den andern Bücher und Zeitungen und feine Sachen. Frank ging schon vor dem schulpflichtigen Alter in die Schule und war ein großes Licht. Er sollte Telegraphist oder Bankbeamter werden; der Ehrgeiz der Mutter ging darauf aus, daß Frank unter bessere Kinder in die höhere Schule käme und alles mögliche lerne. Jedermann hat seinen Ehrgeiz; sollte also nicht auch Lydia, die Frau des Fischers Jörgen, den ihrigen haben? Jawohl, und was noch schlimmer war, ihr Ehrgeiz war Torheit, und die Stadt lachte darüber: sie meldete ihre kleinen Töchter für die Tanzstunde an. Natürlich wollte Lydia da weit über ihren Stand hinaus.
Es führte auch nur dazu, daß Henriksens auf der Werft, die Zollinspektorfamilie, und Frau Johnsen am Landungsplatz sich veranlaßt sahen, ihre Kinder von der Tanzstunde zurückzuziehen – nein, nicht wegen der Fischerskinder, o durchaus nicht, aber weil zum Beispiel Fia Johnsen Bleichsucht bekommen hatte und so mager und aufgeschossen war, daß sie einem ganz leid tat. Es war Politik in der Sache. Die arme zugereiste Tanzlehrerin rang die Hände und grübelte über den Fall nach, hier stand sehr viel auf dem Spiel; endlich fand sie einen Ausweg. Der erste Kursus war ja vollzählig – daß sie das nicht begriffen hatte! – aber sie wollte noch einen halten, die Nachfrage war so unerwartet groß gewesen, ja, sie müsse vielleicht noch zwei Kurse einrichten. Da war doch wohl alles in Ordnung!
Und nun nahm das Tanzen im Ort einen bemerkenswerten Aufschwung; über Lydia lachte jetzt keine von den Frauen mehr, die Kinder strömten herbei. Wenn Lydias Kinder dabei waren, warum sollten dann nicht auch die Kinder des Böttchers und die des Barbiers Holte dabei sein? Noch niemals hatte die Tanzlehrerin so in die Hände geklatscht, sie hatte eine Freude fürs ganze Leben und hatte die Tanzpolitik gelernt. Auch Edevart war angemeldet, auch Frank war angemeldet, weil sein Vater Oliver zurzeit dem Fischfang oblag und Geld verdiente. Jawohl, Frank, sagte Oliver, du sollst alles lernen, was gelernt werden kann! Aber was Edevart betrifft, so ging er ein einziges Mal in die Tanzstunde, dann kam er zu Abel und bat ihn, doch hinzugehen und für ihn zu tanzen. O ja, Abel wollte dem Kameraden gerne den Gefallen tun; da er aber nicht danach angezogen war und sich auch nicht gewaschen hatte, wurde er glatt zurückgewiesen. Auf diese Weise wurden alle beide frei.