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Der junge Mann ging wieder in den Kramladen und wählte wieder zwischen den fertigen Anzügen. Da er mager und schmalschulterig war, hatte er keine Mühe, eine Joppe zu finden, die ihm paßte, da er aber auch sehr aufgeschossen war, paßte ihm die dazugehörige Hose nicht, sie war zu kurz. Ein Rockanzug war allerdings da, der in jeder Beziehung paßte, aber Berntsen meinte, er sei zu teuer.
Der gute Berntsen war nicht immer ganz so, wie er aussah, er war zwar freundlich und wohlwollend gegen alle Menschen, aber durchaus kein Lamm. Er war außerordentlich zuverlässig, und das Geschäft ging ihm über alles, aber gerade durch diese Eigenschaften wurde er sogar oftmals für den Chef unbequem. Selbst Frau Johnsen ging nicht gerne zu Berntsen, sondern lieber zu einem der andern Angestellten, wenn sie irgend etwas aus dem Laden verlangte. Sie fand kein Vergnügen dabei, Kleiderstoffe und Putz mit Berntsen zusammen aussuchen zu müssen. Aber er war ein verflixt tüchtiger Geschäftsmann.
Meiner Ansicht nach bist du zu jung für einen Herrenrock, sagte er zu Frank. In ein paar Jahren ist es immer noch Zeit dafür.
Reinert trage auch schon einen Herrenrock, obgleich er jünger sei, wendete Frank ein.
Es half aber nichts. Was Reinert, der Küsterssohn, trage, sei keine Vorschrift für alle andern, er sei ja auch früher schon in Kniehosen herumstolziert. Und im übrigen, sagte Berntsen sehr freundlich, so ist das etwas anderes bei Reinert, sein Vater bezahlt dafür.
Der junge Frank war frühzeitig daran gewöhnt, Zurückweisungen zu verstehen und zu deuten; sie kränkten ihn nicht sehr, sie hatten ihn nur auf seinem Platz zurückgehalten, so daß er nur äußerst selten zu weit ging; geschah dies, so zog er sich sofort wieder zurück. Er wußte ja, daß doch Rat geschafft wurde. Jetzt nahm er den Anzug, der für ihn ausgesucht worden war, und bedankte sich dafür. Was waren außerdem Anzüge für ihn? Andere höhere Dinge lagen ihm im Sinn.
Reinert hatte draußen auf ihn gewartet, die beiden Studenten wanderten nun miteinander durch die Straßen, nicht weil sie Busenfreunde gewesen wären, sondern weil sie Studenten waren. Nein, sie waren keine Busenfreunde. Begabt waren beide, glänzende Sprachtalente, aber Frank stand in dem Rufe, ein gutes Stück voraus zu sein. Dieses Stück war es, was Reinert nicht ertragen und auch trotz aller Mühe nicht einholen konnte, das machte ihn oft bitter und gewissermaßen rachgierig. Aber auf einem Gebiet war er überlegen, obgleich er Frank an Jahren nachstand: bei den jungen Mädchen, den Damen. Konnte ihm Klein-Lydia widerstehen, konnten es die kleinen Mädchen auf der Werft? Hier kam es ihm zu gut, daß er für Staat und schöne Kleider, für gestärkte Leibwäsche und spitzige Schuhe Sinn hatte, dazu kam, daß er Mut in der Brust trug und nicht schüchtern war; seht, er war ja nie durch Zurückweisungen niedergedrückt worden. Deshalb fiel es Reinert auch gar nicht ein, in eine Seitengasse auszuweichen, als den beiden nun Heibergs Alice begegnete, er begrüßte sie und blieb stehen; ja, das tat er.
Und jetzt war Frank an der Reihe, sich unterlegen zu fühlen, die Dame gönnte ihm kein Wort, kaum einen Blick. O, aber er würde sich wohl hüten, seine Augen auf den Kirchturm zu richten, um zu sehen, wieviel Uhr es sei, denn Reinert hatte die Gewohnheit angenommen, seine Uhr herauszuziehen und mit einem neuen Medaillon, in dem eine Haarlocke lag, zu glänzen, natürlich baten die Damen dann sofort, die Haarlocke sehen zu dürfen, sie waren so albern. Frank trug einen neuen Anzug unter dem Arm und eine große Banknote in der Brusttasche, er fühlte sich ausnahmsweise einmal obenauf und fragte die Dame: Wie ist es Ihnen ergangen, seit wir uns zuletzt sahen? – Danke, gut, antwortete sie zu Reinert gewandt. – O, Heibergs Alice war nicht so albern wie die andern!
Ich trage nur rasch meinen Pack nach Hause und komme gleich wieder, sagte Frank schlauerweise.
Da konnte Reinert doch unmöglich sagen: Willst du schon nach Hause? Es ist noch nicht spät, laß mich einmal sehen! Aber Reinert ist weder eine feine noch eine merkwürdig zart besaitete Seele, durchaus nicht; er antwortet: Ich gebe dir eine halbe Stunde Zeit, und zieht dabei seine Uhr heraus.
O, Frank würde wohl in einer halben Stunde wieder da sein, jawohl!
Daheim kam er viel mehr zu seinem Recht, er wurde der Herr des Hauses, alle gingen auf den Zehenspitzen, um ihn herum. Laß mich sehen, was für einen Anzug du diesmal bekommen hast! sagt die Mutter. Zieh ihn nur gleich an!
Frank erzählt, daß er zum Konsul hineingerufen worden sei, die Mutter und Großmutter sind voller Neugier und stellen eifrig Fragen. Was wollte er? O, der Konsul! Frank stellt sich gleichgültig, bisweilen antwortet er, bisweilen auch nicht, nein, denn bisweilen ist Schweigen die beste Antwort. Sie sind sehr enttäuscht, weil er nicht Pfarrer werden will, die Großmutter versteht es überhaupt nicht, denn sein Kopf sei doch gut genug dafür. Da lächelt Frank; sein Lächeln ist betrübt und schwach, es ist eigentlich gar kein Lächeln, nur ein Anlauf dazu. Die Schwestern streichen über den neuen Anzug, schöne Knöpfe, sagen sie. Ein kleines Dreieck von rotem Seidenstoff guckt aus der äußeren Brusttasche heraus, es ist da ein für allemal festgenäht und ist das Taschentuch. Die Beinkleider sind zu kurz, und die Mutter will sie durch Herunterlassen verbessern; sie macht sich auch gleich daran, denn Frank soll noch einen Besuch beim Schulvorsteher machen. Die Großmutter aber sitzt in tiefe Gedanken versunken da, sie schüttelt den Kopf, murmelt vor sich hin und ist unzufrieden.
Dann werden sie darüber reden können, murmelt sie.
Was sagst du?
Daß du nicht Pfarrer werden könntest! Sie dachte wohl an die Weiber am Brunnen.
Da schweigt Frank, und das ist eine gute Antwort.
Das muß sich Frank erst noch überlegen, sagt Petra, die noch nicht alle Hoffnung aufgegeben hat.
O, aber Frank ließ sich wohl nicht herumbringen, sein Vorsatz stand fest, war Stein und Bein geworden, unerschütterlich, tage- und nächtelang hatte er die Sache überlegt und schweigt; er kennt seinen Beruf.
Er geht zum Schulvorsteher. Die Beinkleider sind und bleiben trotz allem zu kurz, die Joppe hängt an ihm herunter so von ungefähr wie nach einer Grammatik mit wahlfreien Formen herausgeschnitten. Er ist sehr aufrecht, sieht sonderbar aus, er trägt eine Mütze, die ihn als zur Chineserei gehörig bezeichnet, zur Kaste. Da der Weg zur Schule seit seinem letzten Aufenthalt im Ort verlegt worden ist, verirrt er sich etwas und steht dann plötzlich vor einem Haus. Er sagt zu sich selbst und zu einer Frau, die unter der Tür steht:
Ich war ganz in Gedanken versunken –
Wohin willst du? fragt die Frau.
Nach der Schule, antwortet er kurz und biegt nach einer Seite ab.
Dann mußt du dort hinaufgehen! ruft ihm die Frau nach.
Ja, das war sonderbar, daß sie nicht wußte, wer er war. Oder wußte sie es? Jedenfalls kannte sie ihn aber nicht genügend, um so vertraut zu werden, ihn zu duzen und ihm ungefragt den Weg zu zeigen.
Der Schulvorsteher ist vom Examen mitgenommen, er sitzt in Schlafrock und Pantoffeln in seinem Sessel, er macht es sich mit der Grammatik, insbesondere der Satzlehre, behaglich, er erfrischt sich daran. Es gibt doch nichts Besseres auf der Welt, als so eine ruhige, gelassene Satzlehre einer fremden Sprache, so rein, so ohne Aufregung, ohne Erdichtungen!
Herein! Bist du's, Frank? Nett, daß du kommst! Kennst du diese hier, Freund Frank? Ich hab sie eben bekommen, ausgezeichnet! Diese Satzlehre hätte ich vor dem Examen haben sollen, aber da habe ich mich abgeschunden und mich in der alten vorbereitet. Meine Tochter hat nämlich fast das ganze Jahr hindurch für mich französisch gegeben, und da mußte ich mich aufs Examen wieder vorbereiten. Es ist eben so in unserem Fach, sind wir eine Zeitlang außer Übung, dann ist alles vergessen, was wir gekonnt haben. Na, da ist es Gott sei Dank recht angenehm, sich wieder hinein zu versenken, nicht wahr? In dem kühlen Tempel zu knien und mit der göttlichen Weisheit gelabt zu werden!
Der Schulvorsteher war in diesen Jahren alt geworden, ein ergrautes Kind mit verblaßten Augen hinter der Brille. Er war zufrieden mit Frank, hatte nur Gutes von ihm gehört, wünschte ihm auch ferner alles Gute, setzte die größten Hoffnungen auf ihn. O, mit dem Fleiß, den er zeige, gehe er einer ehrenvollen Zukunft entgegen, es sei nicht unmöglich, daß er einmal der Vorsteher dieser selben Schule hier, aus der er hervorgegangen war, werden könne. –
Der alte Philologe war demütig, das Leben selbst und auch seine ganze Laufbahn hatten ihn drunten gehalten und dazu gebracht, bescheiden zu denken, niemand konnte sich weniger mit seiner Philologie brüsten, als er es tat. Er nannte niemals die großen Forscher, die großen Sprachgenies, verstand wohl auch nicht viel davon, kannte wohl kaum ihre Namen, was sollte er mit den Genies? Sein Beruf war es nicht, Funde zu machen, er sollte nur lehren, nur lehren: ganz genau soviel lehren, um leben zu können, ganz genau soviel lehren, um andere durch die »Pensa« fürs Examen zu bringen. Der Schulvorsteher hatte also das Seinige getan. Ein mageres, trauriges Dasein, Armut und Geistesdunkelheit, Niedergang, aufreibende Arbeit und Blindheit. Wäre es noch Geisteskrankheit, wäre es noch Schicksal gewesen, eine Torheit des Himmels, nein, es war die des Menschen, des Affen.
Jetzt sprach der Schulvorsteher übrigens von andern lobenswerten Schülern, von zwei andern, auch sie glänzende gewaltige Lernköpfe; Frank war jetzt so weit gekommen, daß der Schulvorsteher seine Aufmerksamkeit neuen Fällen von begabten Kindern zuwenden konnte. Leb wohl, Freund Frank, Gott sei mit dir!
Frank geht heim, auch er zufrieden und erhoben. Er hat keine Gelegenheit gehabt, sich für ein bestimmtes Brotstudium auszusprechen, der alte Sprachlehrer nahm wohl für selbstverständlich an, daß es Philologie sein werde, was denn sonst? Und im Grunde war es ja auch gleichgültig, wenn er nur viel las und lernte: das war sein eigentliches Ziel. Frank verläßt den Vorsteher der Schule, den Vorsteher des großen Steinhauses und geht heim.
Am Abend kommt der Vater aus dem Lagerhaus und Abel aus der Schmiede; das ändert für Frank nichts, er hat die Kammer im alten Hause als Heim und Bude. Die Absicht war, daß er auch in den Ferien studieren und lernen sollte, studieren, sein Gedächtnis vollstopfen, in Sprachen untertauchen, und das tat er auch. Wenn er zum Essen gerufen wurde, hatte er irgend etwas ausgeklügelt, war noch gelehrter und unirdischer geworden. Aber alle diese Mahlzeiten hielten ihn sehr auf.
Er konnte mit einer leeren Konservendose hereinkommen, die er von draußen mitgebracht hatte, und fragen: Was meint ihr wohl, daß auf dieser Büchse steht? Ach, das wußte niemand. Aber die Mutter kannte das Zeichen von ihrer Dienstzeit bei Konsul Johnsens her und riet: Lachs vielleicht? – Jawohl, aber das ist doch nicht Englisch, sagte Frank gekränkt, die Mutter machte ja mit ihrem praktischen Wissen seine ganze Weisheit zuschanden. Hier steht Alaska Salmon. Nun griff der Vater ein. Er war Matrose gewesen und wußte viel: Alaska ist ein Land, ich werde doch wohl wissen, was Alaska ist.
Die Konservendose brachte Frank keinen Triumph.
Sie kamen zu ihm mit andern Dingen, die sie nicht verstanden. Die Mutter kam mit einer Fadenrolle, bitte Brook Brothers, 50 Yards. Wieder griff der Vater ein, ohne Rücksicht auf seinen Sohn, und sagte mit geschwellter Brust, was es bedeutete. Seemannsenglisch! sagte Frank. Im ganzen war Oliver, der Hausvater, unausstehlich mit seinen englischen Erklärungen, er schwächte die Größe und das Geheimnisvolle dieses Augenblicks ab, indem er den Nadelbrief seiner Frau erklärte: Silver Eye, Cast Steel. – Das gehört mit kleinen Buchstaben geschrieben, erklärte Frank. – Dies begriff der Vater nicht. Warum sollten die Buchstaben kleiner sein? fragte er. Da gab Frank die einzig richtige Antwort: er schwieg. Und plötzlich ward ihm eine wohlverdiente Erhöhung. Die Mutter brachte eine Schachtel, die sie in einem Laden bekommen hatte, darauf stand: Toilet Soap. Superior. Nein, jetzt war Olivers Weisheit zu Ende, jedes Wort war ihm fremd, Frank mußte feierlich nachhelfen.
Da saß nun sein Bruder Abel, er verstand nichts von der Vorstellung und schwieg. Welch ein Unterschied zwischen den Brüdern! Einen Augenblick schien sich im Herzen des gelehrten Bruders ein wenig Mitleid mit Abel regen zu wollen, er war ja eben erst heimgekommen und wollte sich nicht über ihn erheben. Jaja, Abel, sagte er. Das ist gar keine Hexerei, du wüßtest gewiß ebensoviel wie ich, wenn du studiert hättest. Abel lächelte etwas verlegen und schüttelte den Kopf.
In vielen Fällen hatten die Betreffenden Nutzen von Franks Sprachenkunde; die Gelehrsamkeit hatte in Olivers Haus ihren Einzug gehalten. Sonderbar, daß niemand von den Nachbarn sich einstellte, um sich rätselhafte und ausländische Worte in der Zeitung oder auf einem Paket Tee erklären zu lassen! Sie hatten keinen Sinn für Bildung und geistige Fragen, sie waren dumm und faul. Derartig war Franks Umgebung.
Eines Abends kam Oliver nach Haus und sagte: Wenn du nachher gegessen hast, Frank, und ganz satt bist, dann will ich dich etwas fragen. Sie aßen unter einer gewissen Spannung, Frank allein war gelassen, er zweifelte nicht daran, daß er antworten könne.
Dann kam der große Augenblick. Oliver legte etwas auf den Tisch. Der alte Sünder legte ein Spiel Karten auf den Tisch und fragte Frank, was auf dem Futteral stehe. Ein Spiel Karten also! Die Frauen fielen über ihn her, aber er stillte den Sturm. Maul halten! rief er. Was ihr sagt, das weiß ich schon im voraus, ich würde auch nicht die Hand dazu bieten und so etwas heimbringen, aber Olaus auf dem Hügel hat mich darum gebeten.
Frank nahm das nicht übel, im Gegenteil, er nahm das gut auf. Er hatte in der letzten Zeit nicht viele Sprachkenntnisse entfalten können und hatte nichts dagegen, sich wieder einmal zu zeigen. Whist à 52 Blatt. Verzierte Asse. – Ja, Abel, was meinst du, daß das bedeutet? fragte Frank immer noch gutwillig. Abel lächelte wieder verlegen und mußte die Frage unbeantwortet lassen. Frank fing an: Eigentlich sind das drei verschiedene Sprachen. Und dann erklärte er den Sinn vom ersten bis zum letzten Buchstaben, keinen Augenblick war er im Zweifel. Fabelhaft! Indessen hatte Abel das schmutzige Kartenspiel in die Hand genommen und zeigte, daß es ganz gewöhnliche Asse waren; wie war das zu verstehen? Darauf wurde Frank nachdenklich und ließ sich auf nichts Weiteres ein. Aber ich kann für den Grundtext einstehen, sagte er.
Oliver hatte ihm schweigend zugehört, jetzt rief er: Ausgezeichnet!
Alle sahen ihn an, und er hatte wohl auch etwas getrunken, Frank schien nicht zu strahlen. Aber Oliver hatte ja sonst schon den Sohn geduckt und war ihm mit seinem Englisch auf den Leib gerückt, jetzt wollte er ihn wieder aufrichten, er verstand sich auf Kinder. Er stellte sich an und tat ganz entzückt: nein, so ein Kopf, wie ihn sein Sohn Frank auf den Schultern trüge, großartig!
Wurde Petra eifersüchtig? Sie fuhr bei Olivers Ausspruch auf und warf den Kopf in den Nacken: Dein Sohn!
Oliver ist wie vom Schlag getroffen, sein Gesichtsausdruck wird ganz leer, er läßt den Mund hängen, und seine fetten Finger liegen leblos auf dem Tisch.
Petra gibt eine nähere Erklärung. Er ist doch nicht dein Sohn allein, er ist doch auch meiner!
Langsam kommt Oliver wieder zu sich: Ja, wer hat denn etwas anderes gesagt? Natürlich ist er auch dein Sohn! Und jetzt wird Oliver wieder prachtvoll der Alte, er wird wieder gerecht und will keinen Unterschied zwischen seinen Söhnen machen, er zog Abel mit herein und sagte: Ja, wenn ich nur euch Jungen gut ins Leben hinausstelle, euch in eine nützliche Lehre oder in die Gelehrsamkeit bringe, dann habe ich das meinige getan. Mehr kann ich nicht leisten.
Am nächsten Abend konnte Oliver erklären, wie das mit den Assen zusammenhing. Dieser Lump von Olaus auf dem Hügel hatte zum Scherz ein falsches Spiel Karten in das Futteral gesteckt und hatte gemeint, er könne Frank aufsitzen lassen. Aber Frank hatte recht gehabt. Und du, Abel, hast auch recht gehabt, es waren keine andern Asse, als man sie in der ganzen Welt hat, so weit ich herumgekommen bin. Und es ist, wie ich sage: Gelehrsamkeit habt ihr, Gott sei Dank!
Was auch der Grund sein mochte, Frank strahlte dennoch nicht; diese Sitzungen daheim brachten ihm wohl nicht genug ein. Oder wie, hatten sie denn überhaupt einen Umfang? Keine Länge und keine Breite, ein enger Rahmen, Vater, Mutter, drei Geschwister und die Großmutter. Er verfiel darauf, seine gelehrten Schulbücher herzunehmen. Mathematik, sagte er, himmelhohe Rechnung. Ja, er las laut vor über Geometrie, Algebra, Derivationsregeln, Integralrechnung – ein Kreis, dessen Krümmung der Krümmung eines Bogens in einem gegebenen Punkt gleich ist, wird der Krümmungskreis des Bogens in dem gegebenen Punkt genannt, sein Radius heißt Krümmungsradius –
Oliver sagt ganz geknickt: Das klingt ja beinahe, als ob es gar kein Mensch mehr wäre, der das sagt. Müßt ihr das lernen?
Wir müssen alles lernen.
Frank war weit über seinen Stand hinausgewachsen und sprach wie ein Verrückter. Er war nur noch sich selbst verständlich und konnte sich nicht einmal wie die Elster den Elstern verständlich machen. Wo will das noch hin? Er fragte Abel: Es gibt wohl nicht eine einzige ausländische Zeitung hier in der Stadt?
Das weiß ich nicht, erwidert Abel. Aber der Stadtingenieur hält sich Zeitungen.
Ausländische? In ausländischen Sprachen?
Das weiß ich nicht. Aber die norwegischen.
Die norwegischen! macht Frank verächtlich.
In dieser kleinen Küstenstadt konnte jedermann englisch; wer hätte nicht englisch gekonnt? Aber der Jüngling Frank konnte allzuviel, er mußte sich selbst mitteilen, mußte fragen und antworten, nicken, den Kopf schütteln, zweifeln und stumm glauben. Zuweilen drang ein Stöhnen zu der Großmutter in die Stube heraus, das kam aus der Kammer, es kam von dem Felsen, kam von einem, der in Ketten lag.
Abel war unglaublich einfältig; er konnte ein Buch in die Hand nehmen und fragen: Was ist das für ein Buch?
Latein. Das verstehst du nicht.
So, dann ist es also lateinisch gedruckt.
Willst du am Sonntag eine Bootfahrt mit uns machen? fragt Abel.
Frank schüttelt zweifelnd den Kopf. Wer geht mit?
Wir sind eine ganze Gesellschaft.
Einige von der Werft?
Was, von der Werft? Die sind ja so klein. Klein-Lydia kommt mit.
Klein-Lydia! versetzt Frank spöttisch.
Unglaublich einfältig ist Abel. Er fühlte kein Entzücken, wenn er Bücher las, er dachte wie ein Schmied. Klein-Lydia, sagte er. Frank hatte sich nie etwas aus Bootfahrten gemacht, jetzt machte er sich noch weniger daraus, er war daran gewöhnt, für sich zu bleiben. Er verkehrte nicht einmal mehr mit Reinert, die beiden Studenten traten nun jeder für sich auf. Der gute Reinert trat ja allmählich auf der Straße allzu überlegen auf, er trug Überzieher und Medaillon und sprach sehr erwachsen, eines Tages begrüßte er Fia Johnsen und sagte ihr eine Schmeichelei über ihren Hut. Das war zu viel, Fräulein Fia ging stumm vorbei. Frank stand allerdings in der Nähe, als dies geschah, und Reinert zog ihn frech mit in den Skandal hinein, indem er laut lachte und sagte: Hast du das gesehen, Frank? Frank wählte einen Richtweg nach Hause.
Nein, er hatte anderes zu tun, als sich mit Reinert herumzutreiben, die Mädchen zu grüßen, die Damen, und sie heimzubegleiten. Leeres Vergnügen! Dagegen ging er dann und wann auf die Werft hinaus, er hatte bei Henriksen, der Achtung vor dem studierten Mann empfand, Zutritt gefunden und machte nun zuweilen einen Spaziergang mit der ältesten der kleinen Töchter, mit Konstanze, und erzählte ihr einiges aus einer größeren Welt, als die ihrige war. Seht, Konstanze war noch ein kleines Mädchen und noch nicht ganz erwachsen, nein, aber wahrhaftig, sie war schon recht verständig und horchte dankbar auf seine Erzählungen aus einer großen Welt. Das waren angenehme Ausflüge. Frank betrug sich bei Henriksens sehr gebildet, er sagte »wie beliebt!« und »bitte um Entschuldigung!«; er erhielt eine Zigarette und nahm sie aus dem Munde, wenn er sprach, er trank Kaffee und spreizte dabei sehr gebildet den kleinen Finger. Von großer Verliebtheit war keine Rede, nur von einer kleinen Herzensregung, einem guten Geschmack im Munde. Man sah, wohin Reinerts Gewaltsamkeit führen konnte, sein Herz machte am hellen Tage große Sprünge auf der Straße, es konnte ihn eine leichtsinnige Lust ankommen, laut zu pfeifen, zu singen. Frank hielt sich jede Verliebtheit auf Armeslänge vom Leibe.
Es wurde Sonntag, und Abel kam nach Hause, um seine Schwestern zu der Bootfahrt abzuholen; noch einmal fragte er Frank, ob er nicht mitkommen wolle.
Nein.
Wir haben Mundvorrat mitgenommen, dann legen wir an und tanzen. Der Zeichenstift nimmt seine Ziehharmonika mit.
Nein.
Trotzdem schaute ihnen Frank lange nach, als sie weggingen, er fühlte wohl ein schwaches Leuchten in sich, den Widerschein des Lebens draußen. Der Ärmste war von Anbeginn an irre gegangen. In der Tiefe seines Handgelenks sieht er einen blauen Puls schlagen, seine Brust weitet sich, in seinem achtzehnjährigen Kinderhirn brennt ein sonderbares Feuer.
Seiner Großmutter draußen in der Stube gefiel es, daß er abgelehnt hatte, an der Bootfahrt teilzunehmen; das war der künftige Pfarrer! Die Großmutter hat den Befehl, den Studenten nicht zu stören, jetzt macht sie aber doch furchtsam die Tür auf mit einer Tasse Kaffee in der Hand und bittet ihn, den Trank nicht zu verschmähen.
Das kam ihm gerade recht.
Du hast sehr recht daran getan, daß du zu Hause geblieben bist, sagt sie.
Was sollte ich denn dabei? erwidert er.
Er zweifelt nicht daran, daß er keinen Fehler gemacht hat, als er daheim blieb und sich so vernünftig auf der rechten Seite hielt. Er wußte nicht, daß nur die, die gar nichts tun, keinen Fehler machen.
Dann steckte er die Nase wieder in seine Bücher. Aber die Mahlzeiten kosteten ihn viel Zeit. Der Ruf zum Essen führte ihn ja in die Wirklichkeit hinein und machte ihm klar, daß er nicht hungrig war; aber das wußte er schon vorher.