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14

Henriksen auf der Werft hoffte zu Gott, daß seine Frau es diesmal auch gut überstehen werde, obgleich sie sehr krank war. Es war eine vergebliche Hoffnung. Gerade ehe er zu Mittag nach Hause gehen wollte, bekam er die Nachricht. Er stand mitten unter seinen Arbeitern und vernietete einen Nagel; da ließ er Nagel Nagel sein, warf den Hammer weg und rief, indem er eilig davonging: Geht es ihr viel schlimmer? – Ja, sie liegt jetzt ganz ruhig da.

Sie lag jetzt ruhig da. Am Morgen war der Doktor sehr hoffnungsvoll fortgegangen, im Lauf des Vormittags hatte man nach dem Pfarrer geschickt, aber er war zu spät gekommen.

So konnte es gehen.

Nun handelte es sich um das Begräbnis, um den Leichenschmaus, die Blumen, schwarze Kleider, die Flagge auf Halbmast; Henriksen mußte nicht alles allein besorgen, Lydia, die Frau des Fischers Jörgen und Petra halfen ihm, aber er mußte doch seine Zuflucht zu starken Getränken nehmen, um alles durchmachen zu können. Er weinte auch viel und war des Nachts verzweifelt. Es war um so schwerer für Henriksen, als seine Frau den ganzen schrecklichen Vormittag hindurch, wo sie mit dem Tode rang, nicht erlaubt hatte, daß man ihn holte; sie hatte ihn schonen wollen, sie war immer so gut gewesen. Aber holt den Pfarrer! hatte sie geflüstert; der war indes nicht mehr rechtzeitig gekommen.

Da lag sie nun, gefällt mitten in ihrem Lauf, mitten in ihrer Gesundheit und Jugend, einige dreißig Jahre alt. Es war zu traurig, und obgleich Henriksens nur gewöhnliche Leute waren, die sich heraufgeschafft hatten, wollten ihr alle Honoratioren der Stadt die letzte Ehre erweisen. Ja, das wollten sie. Frau Konsul Johnsen sträubte sich ein wenig: Wir sind nicht bei Kaufmann Davidsen gewesen, als er Konsul wurde, sagte sie. – Nein, er sollte aber auch nicht begraben werden, erwiderte ihr Mann. – Diese Henriksens, sagte sie; wir verkehren ja nicht mit ihnen, warum sollen wir sie da zu Grabe geleiten? – Dann wird darüber geredet, versetzte der Konsul.

Frau Johnsen gab nach, aber sie behauptete, dann sei sie wirklich sehr liebenswürdig. Die arme Frau Konsul Johnsen, sie bewegte sich im allgemeinen so wenig wie möglich und war in den letzten zwei Jahren immer schwerfälliger geworden, sie war überhaupt nicht für Leibesübungen geschaffen, o nein. Der Konsul dagegen hielt sich immer mit derselben anständigen Rundung und dem langsam ergrauenden und lichter werdenden Haar, er ging im Leichenzug mit hohem Hut und leuchtend gestärkter Hemdbrust.

Dieses große Trauergefolge tröstete Henriksen in gewissem Sinne, er verbeugte sich vor Konsul Johnsens und Doktors, überhaupt vor allen, strahlender, als er eigentlich gesollt hätte, und seinen kleinen Mädchen hatte er eingelernt, dankbar zu knicksen. Die Werftarbeiter trugen den Sarg, aber hinter ihm ging die ganze Stadt im Zug; Flaggen trauerten von jeder Stange, die Kirchenglocken läuteten. Sogar Olaus vom Anger war mit im Gefolge, und er erklärte auch jedermann warum: allerdings sei ihm auf dieser verdammten Werft die Hand abgerissen worden, aber Frau Henriksen sei immer in jeder Beziehung ein guter Mensch gewesen. Eine verflixt brave Frau, Ehre ihrem Andenken! Du hast wohl nicht eine Prise Tabak?

Und dort am Brunnen stehen jetzt ein paar Weiber mit den Händen unter der Schürze; sie sehen dem Zuge nach und besprechen leise all den Blumenschmuck und die ganze Festlichkeit. Gott steh mir bei, da ist wahrhaftig auch Olaus vom Anger, der hat keine Scham im Leibe! Er weiß wohl, was er tut, die Getränke und Kuchen sind's, auf die er es abgesehen hat; seine blaue Nase hat das von weitem gewittert. Und Henriksen würde ja ordentlich traktieren, das ist sicher; er war kein Geizhals, seine Arbeiter hatten frei, und alle Leute von der Stadt, die nur wollten, konnten sich an die langen Tische setzen, die in seinem Garten aufgestellt waren.

Oliver hinkte auch mit. Er trank nicht und brauchte sich nicht um einen Bissen Kuchen zu reißen; was er von Näschereien und Backwaren gerne aß, das kaufte er sich selbst. Aber Oliver ging mit, weil alle besseren Leute vom Ort mitgingen. An diesem Vormittag war ohnedies kein Umsatz im Lagerhaus, die Menschen waren wie weggeblasen. Oliver bürstete seinen Anzug aus, betrachtete sich genau im Spiegel, verschloß die Tür und ging mit.

Ein Gefolge von vier Konsuln und einer ganzen Stadt war nichts Alltägliches, ja selbst eine schwedische Brigg, die am Landungsplatz lag und Mehlwaren für Grütze-Olsen löschte, flaggte auf Halbmast.

Das konnte sie wohl tun, die Schauerleute waren fortgelaufen, das Bollwerk lag verlassen da. Diese Brigg hatte übrigens einen kranken Mann an Bord, und es wurde nach dem Doktor geschickt, der Doktor konnte indes erst nach dem Begräbnis kommen, dann aber wollte er keinen Augenblick weiter verlieren.

Doch nun sieht der Doktor vom Kirchhof aus, daß die Brigg auf Trauer geflaggt hat, und ein Gedanke erfaßt ihn: der kranke Matrose ist vielleicht gestorben. Er hat Unglück mit Frau Henriksen gehabt, nun ist er ängstlich geworden; sobald es also einigermaßen geht, flüstert er Henriksen eine Entschuldigung zu und verläßt das Trauergeleite.

Er geht geradeswegs nach Grütze-Olsens Bollwerk und steigt an Bord der Brigg. Hier scheint alles ausgestorben zu sein, schließlich findet er einen Mann im Mannschaftsraum, und er tritt auf ihn zu. Ich bin der Doktor, sagt er, kann ich Ihren Puls fühlen?

Der Schwede reicht seine Hand hin.

Lassen Sie mich Ihre Zunge sehen!

Der Schwede sperrt den Mund auf.

Können Sie essen?

O ja, jawohl.

Schlafen?

O ja.

Der Doktor behorcht ihm die Brust, beklopft sie, dreht den Mann um und beklopft ihm auch den Rücken. Sie schwitzen stark. Wie steht es mit Ihrer Öffnung?

Nein, die sei nicht so ganz ausgezeichnet und habe ihn seit dem gestrigen Tage sehr geplagt, aber es würde schon vergehen, es sei schon besser.

Ja, das dürfen Sie nicht vernachlässigen, sagt der Doktor.

Wieso?

Sie dürfen nicht gleichgültig dagegen sein. Jetzt werde ich Ihnen etwas aufschreiben, das Sie in der Apotheke holen lassen können.

Warum denn? fragt der Mann verwundert.

Warum? fragt auch der Doktor und sieht den Mann blödsinnig an.

O dieser verflixte Schwede, dieser Spaßmacher, trieb er seinen Spaß mit dem Doktor? Da erklärt nun der Mann mit einigen wenigen Worten, er sei gar nicht krank, sondern einer von seinen Kameraden.

Was? Wo ist denn dann der Kranke?

Ja seht – aber er war eigentlich auch nicht krank, er hat sich an einer Flasche geschnitten, und das hat stark geblutet. Als da der Herr Doktor nicht gleich kam, hat er sich selbst verbunden.

Der Doktor war gekränkt, das war deutlich zu merken. Er sagte scharf: Wo ist also der Kranke, frage ich, der Mann, der sich geschnitten hat?

Er sei zum Doktor ins Haus gegangen, dort sitze er wohl und warte auf ihn.

Ehe der Doktor das Deck verließ, konnte er sich nicht enthalten, die folgende, grimmige Frage zu stellen: Aber beim Satan, warum haben Sie sich denn dann untersuchen lassen?

Aber auch darauf hatte der Mann die glaubwürdigste Antwort bereit; er sagte das Wort Quarantäne, sagte, er habe gemeint, die Untersuchung gelte nur allein dem allgemeinen Gesundheitszustand an Bord, sonst nichts.

Na, dann war er wohl kein Gauner und Spaßvogel, sondern ein anständiger Mann. Wäre nun der Doktor in ein Gelächter ausgebrochen und hätte ein paar lustige Worte gesagt, dann hätte er seinem Mißgriff den Stachel genommen; aber er tat das, was weit schlimmer war, er zeigte seinen Ärger, er knurrte und war bitter, und dadurch bekam das Vorkommnis eine Bedeutung. Der Schwede gab dann auch Antworten, das war nicht verwunderlich, er lachte auch höchst respektswidrig, und plötzlich richtete er sich in seiner Koje auf. Da ging der Doktor.

Die Geschichte sickerte in die Stadt hinaus, in die kleine Stadt, und dem Doktor wurden boshafte Erweiterungen der Geschichte, die ohnedies lächerlich genug war, nicht erspart. Alle, die ihm eine Nase gönnten, waren obenauf, und Konsul Johnsen zum Beispiel lachte zum erstenmal seit mehreren Tagen wieder recht herzlich.

So ein Mensch, dieser Doktor, sagt der Konsul zum Rechtsanwalt Fredriksen. Er sollte es wahrhaftig nicht nötig haben, einen Kranken auszufragen, wie es ihm geht, das müßte er als Arzt selber sehen, oho, mit einem einzigen Blick. Er ist ein Narr. Na, und da fand er heraus, daß auch der Schwede Kindbettfieber hatte?

Ja, Gott weiß, ob es nicht ungefähr so war!

Haha, das ist köstlich. Kommen Sie mit herein, Herr Rechtsanwalt, und lassen Sie uns ein Glas auf eine gute Wahl trinken!

Die Herren gehen hinein.

Mit einer guten Wahl meinte wohl jeder von ihnen etwas anderes, aber Konsul Johnsen war kein Fanatiker und eigentlich auch kein Politiker. Er war nur Stütze der Gesellschaft. Fanatiker und Politiker, er? Ach nein, vor mehreren Jahren hätte er mit der größten Leichtigkeit in den Landtag gewählt werden können, aber er schlug es aus, er hatte keine Zeit, und außerdem war er ja vorher schon Doppelkonsul und ein großer Mann. Später schlug der Wind allmählich um, in diesem Jahre würde er kaum genug Stimmen für sich bekommen, wenn er es auch gewünscht hätte, so fleißig hatte Rechtsanwalt Fredriksen in dem Kreise gewirkt. Und es war auch so gleichgültig, wer gewählt wurde, für E. A. Johnsen, den Doppelkonsul, würde es keine Veränderung bringen. Dieser Fredriksen gehörte ganz und gar nicht zu seinen Leuten, aber mag er gewählt werden, meinethalben gerne! Und in diesem Falle war es nicht so ganz unklug, wenn er ihm ein privates Glas Wein gab, so einem Emporkömmling könnte es ja einfallen, aus der Meuterei an Bord der Fia eine große Sache zu machen. Na, meinethalben auch das gerne, bitte, der Doppelkonsul blieb deshalb doch der, der er war. Aber warum nicht – bitte noch ein Glas Wein, Herr Rechtsanwalt! Sie sind ein seltener Gast in meinem Hause.

O, aber Rechtsanwalt Fredriksen wünschte gar nicht in diesem Hause ein seltener Gast zu sein, nein, das wünschte er nicht. Hatte er sich nicht in den letzten paar Jahren mit dem jugendlichen Gedanken getragen, in diesem Hause als Mitglied der Familie aus und ein zu gehen, ja als einer der ihren! Dies war gut verborgen vor der Welt, und es würde auch nicht ans Tageslicht kommen, solange er hier noch nichts war, nur ein Rechtsanwalt in einer kleinen Küstenstadt, aber die Wahlen – die Wahlen konnten ihn vielleicht zum Sprechen bringen. Es kam darauf an.

Fräulein Fia ist mit Gästen heimgekommen, wie ich gesehen habe.

Ja, das versteht sich! erwiderte der Konsul nachsichtig. Es sind auch Maler, Kollegen, zwei Stück. Wären wir nicht mit Lebensmitteln so gut versehen und hätten wir nicht soviel Platz im Hause, dann wäre guter Rat teuer gewesen.

Es sind junge Leute, können sie etwas?

Das weiß ich nicht. Doch, sicherlich. Man spricht viel von ihnen und schreibt auch über sie. Und sie bringen ordentlich Leben ins Haus.

So?

O, sie versuchen ihre Kunst am ganzen Hause; der eine malt meine Frau, der andere mich, wir sitzen ihnen; stocksteif sitzen wir. Das schlimmste ist, daß meine Frau in ihrem höchsten Staat ist, sie ist so eifrig dabei, daß sie jetzt vormittags und nachmittags sitzt, und so trägt sie jetzt immer ein ausgeschnittenes Seidengewand. Heiraten Sie niemals, Herr Rechtsanwalt!

Sagen Sie das?

Dann bekommen Sie Frau und Kinder, lauter Ausgaben, haha!

Na, das war nun Großtuerei, und dem Rechtsanwalt gefiel dieser Ton nicht. Es war eine Unverschämtheit, anzudeuten, er, der Rechtsanwalt sollte von jetzt an unverheiratet bleiben. Warum denn? Nichts als Ausgaben? Der Rechtsanwalt dachte nun wohl im stillen, der Konsul zum Beispiel habe durch seine Heirat durchaus nicht verloren; Frau Johnsen hatte die solide Mitgift gehabt und hatte den Mann von Anfang an in Gang bringen können. Warum hätte er denn sonst Johanna Holm genommen? Sie war keine Schönheit und kein Licht. O nein, Herr Doppelkonsul, du wärest ohne deine Frau bis auf den heutigen Tag ein Kleinkramhändler und nur ein Johnsen am Landungsplatz, vergiß das nicht! Aber gerade an das erinnerte sich der Konsul sehr ungern; der Doktor hatte ihn in seiner gewohnten stichelnden Art einmal daran erinnert, und von diesem Augenblick schrieb sich die Feindschaft zwischen den beiden her. Dagegen vergaß es Frau Johnsen niemals, obgleich sie durchaus nicht immer darüber redete und ihren Mann damit quälte. In jüngeren Tagen, wo sie den Mann ein paarmal in unvorsichtigem Geschäker mit den Dienstmädchen ertappt hatte und sich von ihm scheiden lassen wollte, hatte sie das Ihrige zurückverlangt; da aber das Geschäft ihre Unterstützung nicht entbehren konnte, mußte ihr Mann lernen, vorsichtiger zu sein, einen andern Weg konnte er nicht einschlagen.

Der Rechtsanwalt hätte deshalb jetzt eine hinterlistige Antwort geben und den Konsul dadurch noch zahmer machen können; aber er wagte es nicht, es war auch gar kein Grund dazu da, wenn er im guten seinen Zweck erreichen konnte. Er zitierte deshalb: Heirate und du wirst es bereuen! Aber es ist wohl dasselbe wie mit dem Tode, wir müssen alle diesen Weg gehen.

Sie auch, Herr Rechtsanwalt? Ja ja, es ist natürlich auch für Sie noch nicht zu spät. Ihr Wohl!

Der Rechtsanwalt trank und schwieg. Zu spät? Er war jedenfalls ein gut Teil jünger als der Konsul, der immer noch ringsum eifrig auf Eroberungen aus war. Der Konsul verstand vielleicht nicht, daß er hier einem Manne gegenüber saß, der in den Landtag gewählt werden konnte, sein Ton war ein wenig zu sehr von oben herab.

Im gegebenen Falle habe ich nicht im Sinn, zu warten, bis es zu spät ist, sagte Fredriksen. Wir müssen es ja alle vermeiden, unsere Altersgrenze zu überschreiten! – So, da hatte er es dem Konsul gegeben!

Der Rechtsanwalt ging. O meinethalben, bitte auch das! So, er würde in den Landtag kommen, ein Mitglied des großen Haufens, vom Elternrat des Landes. Nein, da war der Konsul doch lieber der, der er war! Er hatte seinen Humor und seine Arbeitslust wiedergefunden, hatte den fremden Regierungen seine Berichte geschickt, hatte sich seine Haltung in der Matrosenaffäre zurechtgelegt, sich auch dem Doktor gegenüber ein festes Auftreten vorgenommen; er wollte sich zornig anstatt ängstlich zeigen und steigerte sich in eine Art kriegerischen Willen hinein – jawohl, komme, was da kommen mag!

War das nicht recht viel?

Und während all diesem war er der liebenswürdigste Wirt den Gästen seiner Tochter gegenüber; er unterhielt sich mit ihnen und saß ihnen Modell, versah sie mit Wein für die Waldausflüge sowie mit Süßigkeiten vom Ladengeschäft, war sehr freundlich gegen sie und schickte jedem ein gelbseidenes Halstuch, wenn sie bis zum späten Abend im Garten draußen schwärmten.

Der Konsul sah sehr wohl ein, daß seine Fia, wenn sie Gäste von dieser Art mit heimbrachte, es nur tat, um ihnen auf eine andere Art zu helfen, als nur ihre Bilder geradezu zu kaufen. Sie war keine billige Dame. Er mußte ja die Porträte von sich und seiner Frau behalten, und er durfte nicht einmal nach dem Preis fragen, sondern mußte ihnen eine Summe überreichen. Hätte er es wohl anders machen können?

Das konnte übrigens einerlei sein, der Konsul rechnete nicht so genau, er war im Gegenteil ein wenig stolz darauf. Es war ja in der Stadt bekannt geworden, was diese jungen Herren taten, ja, es war nicht nur in seiner eigenen kleinen Stadt bekannt geworden, sondern auch in der Hauptstadt. In den Zeitungen hatte gestanden, daß die beiden jungen Künstler sich zurzeit bei Konsul Johnsen, dem Matador der Küste, aufhielten, um die Porträte der Familie zu malen.

Warum setzen Sie mich in die Zeitung? sagte er göttlich scherzhaft zu den Künstlern. Ich will keinen Skandal haben, sagte er. Und im übrigen sind Sie im geheimen hier bei mir, vergessen Sie das nicht! Kommt es heraus, daß Sie mich und meine Frau malen, muß ich bloß mehr Steuern bezahlen!

Ha, wie er mit den jungen Leuten reden und von oben herab dabei lächeln und sich ihre losen Streiche erzählen lassen konnte! Sie verfielen auf keine gefährlichen Dinge, es waren anständige Burschen, soweit er es beurteilen konnte, aber der Teufel mochte ihnen allzuviel trauen, hehe! Sie fuhren ja auch hinaus in das Sommerhaus und trieben dort allerlei Kurzweil, unter anderem malten sie in einer Nacht den Rappen grau an. Ob es nun echtes oder gut gespieltes Entsetzen war – der Hofjunge verlor am Morgen eine gute Weile den Verstand und fand ihn erst wieder, als er einen Fünfkronenschein bekam mit dem Auftrag, die Wasserfarbe von dem Pferde abzuwaschen.

Aber nun Fia, dachte sie an einen von den jungen Männern, war sie, sozusagen, verliebt in sie? Das müßte dann auf eine ruhige, ja eine gar zierliche Art sein. Sie war freundlich und kameradschaftlich gegen sie, aber immer mit etwas Vorbehalt, niemals vergaß sie, innerhalb der Schranken zu bleiben. Die Maler pflegten sie die Komtesse zu nennen. Gegen diesen Spitznamen hatte sie ihrerseits nichts, es war ein ganz passender Spitzname, sie kam sogar gut dabei weg; und verdiente sie ihn etwa nicht? Die Tochter ihres Vaters, ja fast der Stadt, aus dem vornehmsten Hause, Künstlerin, eine poetische Dame, ein Talent – wie sollten andere bestehen, wenn man davon reden wollte! Alice Heiberg, auch eine Konsulstochter, aber ohne besondere Talente, nur in der Haushaltung und den täglichen Pflichten erzogen, Grütze-Olsens Töchter, die das Zeug hatten, tüchtige Mädchen zu werden, aber von törichten Eltern, die sie vornehm machen wollten, gründlich verzogen wurden! Wer war sonst noch da? Die zwei kleinen Henriksens auf der Werft waren noch zu neu, nur Kinder, und aus ihnen würde übrigens auch sicherlich nie etwas Rechtes werden.

Fia war die Komtesse, groß und gertenschlank, von feinem Wesen, vollkommen recht und richtig. In den letzten zwei Jahren hatte sie sich große Hüte und etwas lebhaftere Farben zugelegt, aber nichts Übertriebenes, nur so viel, als ihr gut stand. Wenn sie wie ein Maler angezogen auf der Straße ging, war es nicht verwunderlich, daß ein anderer Künstler, der Postmeister, an einem Schaufenster stehen blieb und sich über Fias Anblick freute.

Nein, der Konsul konnte sich nicht denken, daß seine Fia Absichten habe, in diesem Falle hätte er als Vater ernstlich mit ihr sprechen müssen. Diese jungen Leute waren nichts für sie, der eine war der Sohn eines Hardesvogts und insofern aus einer studierten, gebildeten Familie, der andere der Sohn eines Anstreichers, und beide waren gleich arm. Der Konsul verachtete keine Klasse, nein, das tat Konsul Johnsen wahrhaftig nicht, aber er hatte nun eben diese einzige Tochter, sie war sein liebes Kind, und er wollte sie auf die beste Weise beschützen. Der Sohn eines Geschäftsmannes aus einem alten großen Hause würde ihm besser passen.

Deshalb war es dem Konsul gar nicht unangenehm, als die jungen Künstler eines Tages beim Mittagessen erzählten, sie hätten beide Bestellungen bekommen. Und das haben wir Ihnen zu verdanken, Herr Konsul, sagten sie.

Ich gratuliere! erwiderte der Konsul. Was sind das für Aufträge?

Wir sollen die Bilder von Konsul Olsen und seiner Frau malen.

Vom Grütze-Olsen! schreit Frau Johnsen. Nein, wissen Sie was!

Da lachen alle andern am Tisch, und der Konsul sagt freundlich: Bestellung ist Bestellung, das wirft du doch verstehen, Johanna!

Haben nicht auch Heiberg und Davidsen ihre Porträte bestellt? fragt Frau Johnsen. Die werden sicher noch kommen.

Und wieder lachen alle miteinander.

Der Konsul wendet sich an die beiden Künstler und gibt eine kurze Erklärung: Es seien so viele Konsuln am Ort, und alle die jüngeren wollten die älteren nachahmen. Daran kann man sich nur ergötzen, Johanna! Nun sei allerdings andererseits eines recht ärgerlich, man könne sich hier im Hause fast nicht bewegen, ohne daß die andern sich ganz auf dieselbe Weise bewegten, sozusagen im Takt. Aber es ist doch nicht der Mühe wert, so etwas ernsthaft zu nehmen, Johanna!

Frau Johnsen sagte, sie nehme es durchaus nicht ernsthaft, das sei ein Mißverständnis. Wenn irgend jemand die andern Konsuln mit einem Lächeln betrachte, so sei sie es. Ihr Ausruf vorhin sei als reiner Freudenschrei gemeint gewesen.

Und was Davidsen betrifft, fährt der Konsul fort, so ist er von einem ganz anderen Schlage: ohne Ansprüche, ohne Bildung, aber auch ohne Narrheit. Er ist ein Mann der Arbeit, steht hinter seinem Ladentisch und verkauft grüne Seife. Ich habe Davidsen schätzen gelernt.

Hehe, lacht Frau Johnsen sehr nachdenklich. Ich überlege mir eben etwas; wenn ich nun in einem Seidenkleid gemalt worden bin, was wird Frau Olsen anziehen, um noch großartiger auszusehen?

Sie beredeten sich eine Weile über Farben, Kostüme, Schmucksachen, ob eine goldene Kette oder ein reicher Schmuck angebrachter sei. Die Standespersonen der früheren Jahrhunderte scheuten nicht davor zurück, sich mit Pracht abbilden zu lassen, mit Spitzen, Spangen, Ketten, Juwelen, jetzt saß man im Gehrock, den man auch Diplomatenrock nannte, wie der Konsul, und er konnte so ein gutes Diplomatenbild abgeben.

Ja, sagt der Konsul, indem er sein Glas erhebt. Möge es nun den Herren ebensogut gelingen, mögen Sie ebenso genial inspiriert sein, wenn Sie den Konsul Olsen malen, wie Sie es bei mir und meiner Frau gewesen sind! Wir sind beide hochbefriedigt und Ihnen tief dankbar.

Darauf tranken sie ihr Glas aus.

Wann fangen Sie bei Olsens an? fragte Fia.

Sobald wir wollen, sofort! Und sie erzählten, die beiden jungen Töchter des Hauses sollten wahrscheinlich auch gemalt werden.

Da haben wir es, noch viel großartiger soll es sein! ruft Frau Johnsen wieder. Und jetzt weiß ich, was Frau Olsen anhaben wird: sie wird in zwei seidenen Kleidern sitzen.

Wieder lautes Gelächter, daß es von der Decke widerhallte. Frau Johnsen machte so selten einen Witz; das hatte wohl seine Gründe, und niemand erwartete es von ihr. Der Konsul sagte nun sofort, sie sei großartig, sie sei brillant!

Aber Frau Johnsen kann Lobsprüche nicht gut vertragen, und so verdirbt sie das Vorhergehende, indem sie fragt, was wohl Frau Olsen an den Füßen haben werde – zwei Paar Stiefel?

Darauf lachten alle wieder; aber wenn sie jetzt nur aufhören wollten, wünschten die Maler.

Bei Konsul Olsen zu sein und zu malen, erwies sich als ein schöner, guter Aufenthalt; die beiden Künstler hatten es noch nie besser gehabt mit Frühstückswein und Kuchen und Nachmittagskaffee mit Sahnenwaffeln. Dazu waren die »Mädchen«, die beiden jungen Töchter, überaus gesund und lustig, geradezu zum Anbeißen. Der Anstreicherssohn verliebte sich in alle beide, aber er richtete nichts aus, so leicht war es nun doch nicht, Eingang bei Konsul Olsen zu bekommen; wäre es wenigstens der Sohn des Hardesvogtes gewesen! Die Mädchen waren schon recht, sie zierten sich vielleicht ein wenig und sprachen etwas feiner, als sie es gewohnt waren, aber sic waren verflixt hübsche Mädchen und junge Mädchen, nichts fehlte ihnen, es müßte denn sein, daß sie zuviel von allem hatten, sogar auch von Körpergröße, sogar von üppigem aschblondem Haar und etwas zu vollen Lippen. Ihre Mängel lagen im Übermaß; sie wackelten auch ein wenig, wenn sie gingen.

Frau Olsen mußte verleumdet worden sein, sie war eine liebenswürdige Dame, gutherzig bis zu Rührseligkeit und Tränen, mütterlich, mit freundlichen Augen und einer zurückweichenden Stirne. Ihre ganze Fürsorge gehörte ihren Töchtern, sie sollten vornehm und glücklich werden. Wie sehr liebte sie diese Töchter, sie ließ sie tun, was sie wollten, ließ sie heranwachsen zu Unnützlichkeit und Ungezogenheit, als Zierpuppen und Hohlköpfe.

Nein, Frau Olsen war es sicher nicht gewesen, die verlangt hatte, gemalt zu werden, sie wehrte sich jeden Tag dagegen und wollte die Töchter statt ihrer gemalt haben, beide auf einem Bilde, ein Doppelporträt. Konsul Olsen mußte seine Frau jedesmal überreden, ruhig zu sitzen. – Hörst du, Henriette, nachdem nun einmal angefangen ist. Das Doppelporträt kommt später dran!

So saß denn das Opferlamm in Seide, mit vielen Ringen und der Uhrkette geschmückt, und war dem Manne willfährig.

Bei ihm selbst ging's mit mehr Prunk und Gepränge; er war vom Kleinstadtreichtum wohlbeleibt geworden, ein Emporkömmling, ein glücklicher Spekulant. Es machte ihm Spaß, Gassenhauer zu singen und Fratzen zu schneiden und dann plötzlich wieder eine gute Weile ganz würdig und schweigsam dazusitzen und nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Er gab sich das Aussehen, als hätte er große Geschäftsangelegenheiten zu überdenken. Still, sagte Frau Olsen, laßt den Vater nun in Ruhe, Mädchen!

Und der Vater war lieb und gutmütig und sehr eitel, er sah es gerne, daß es still um ihn her war, wenn er an große Geschäfte dachte.

Richtig! sagte der Maler, da haben wir gerade den rechten Ausdruck, das ist großartig, der feste Mund, die Klugheit. Bleiben Sie nun so sitzen, Herr Konsul, sagte er, wie wenn er photographieren sollte.

Und Konsul Olsen gab sich aus Eitelkeit Mühe, sich mit einem großen Kornhandel in Argentinien zu beschäftigen, anstatt zu singen und den festen Mund durch Grimassenschneiden zu verunstalten.

Das Porträt versprach ganz besonders gut zu werden, und der Maler, der Sohn des Anstreichers, bat, es in Christiania ausstellen zu dürfen. Bitte, ja, jawohl!

Der Konsul selbst verabscheute zwar, ausgestellt zu werden, aber wenn es für den Maler von Nutzen sein konnte, dann –! Er wollte sich gerne dem jungen Künstler entgegenkommend zeigen, alle in der Familie zeigten sich entgegenkommend, auch die Töchter, aber sie verliebten sich nicht in ihn. Da schien sein Kollege, der die Frau Konsul malte, bessere Aussichten zu haben, o, aber auch er wurde eines Tages ordentlich geprellt! Das mußten ein paar eigene Damen sein, sie waren aus einem Kaufmannshaus und wollten wohl am liebsten im Kaufmannsstande bleiben; sie nannten deshalb auch sehr oft Scheldrup Johnsen. Komische Mädchen also und vielleicht nicht besonders aufgeweckt. Oder wie? Eines Tages, als der Hardesvogtssohn ihr Porträt angefangen hatte, blieben sie, der Teufel hols', einfach von der Sitzung weg. Als Entschuldigung gaben sie an, daß sie ganz unerwartet Scheldrup Johnsen auf der Straße getroffen hätten, bei ihm stehen geblieben seien und mit ihm geplaudert hätten; er sei zu kurzem Aufenthalt zu Hause.

Als ob das eine Entschuldigung wäre! Der Maler empfand es als einen Betrug – eine Beleidigung.


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