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16

Na, ungewaschen ist Abel seiner Lebtage gewesen, aber natürlich ist er beim Schmied nicht sauberer geworden.

Eigentlich war es gerade für ihn etwas Unnatürliches, in einer Schmiede zu stehen, an einem Lehmboden verankert zu sein, um den Blasbalg zu bewegen und auf das Kommando eines tanzenden Vorhammers Eisen zu schmieden. Aber etwas mußte Abel ja tun, er war nun längst konfirmiert und dazu ein großer, starker Bursche geworden. Und da rief ihn eines Tages der Schmied Carlsen in die Schmiede herein und sagte: Sieh her, kannst du nicht den großen Hammer nehmen und ein paar Schläge für mich tun? Abel schlug, es war eigentlich ganz unterhaltend, hier zu stehen und seine Kräfte dazu zu gebrauchen, Sterne aus dem glühenden Eisen herauszuhämmern.

Abel hämmerte bis zum Mittag darauf los, da zog ihn der Schmied mit sich hinein und gab ihm zu essen.

Ich hab da nun diese eilige Arbeit, sagte der Schmied, kannst du mir auch heute nachmittag helfen?

Das kann ich gut, erwiderte Abel.

Als es abend war, bekam er wieder zu essen, und als er gehen wollte, eine Krone. Du bist ein tüchtiger Mann gewesen, sagte der Schmied, könntest du nicht vielleicht auch morgen kommen?

Doch, sagte Abel.

Er entschied das auf eigene Faust. Die Entscheidung lag immer bei ihm selbst – entweder hatte er nun diesen Zug von seinem Vater, von Oliver, oder er hatte ihn sich selbst zugelegt, weil er doch während der ganzen Zeit des Heranwachsens alles allein hatte entscheiden müssen.

Eine ganze Woche lang blieb er beim Schmied.

Wo bist du denn jetzt zur Zeit? fragte der Vater.

Beim Schmied. Ich bekomme dort Kost und eine Krone am Tag.

Du Abel, du Abel! sagte der Vater, und es war nicht ausgeschlossen, daß sich etwas Stolz in dem Herzen des Krüppels regte. Willst du ganz beim Schmied bleiben?

Ganz? Nein. Nur während er die viele Arbeit hat.

Aber Schmied Carlsen hatte wochenlang viel Arbeit, ja monatelang, und er hatte soviel zu schmieden und instand zu setzen und aufzuarbeiten, Abel mußte dableiben. Nicht daß er richtig in die Lehre gegangen wäre und das Meer vergessen hätte, o nein, aber er hatte es gut beim Schmied und verdiente sich ordentlich Essen und Kleider; er brauchte beides notwendig.

Zwischen dem Schmied und dem Schmiedejungen herrschte ein freundschaftliches Verhältnis, bisweilen setzten sie sich mitten in der Arbeit zusammen und rauchten eine Pfeife, indem der Schmied behauptete, er fühle sich elend und könne nicht mehr so hart schaffen. Im ganzen genommen hatte Abel den Eindruck, daß es mit der Arbeit, die jetzt noch übrig war, nicht so sehr eile; allerdings kamen ab und zu neue Aufträge dazu, aber nicht mehr, als der Meister hätte allein bewältigen können. Eines Abends sagte Abel, ob er denn wiederkommen solle? Der Schmied meinte, er höre nicht recht, es habe ja noch nie so geeilt mit der Arbeit wie am morgigen Tage.

Der Meister war Witwer mit erwachsenen und verheirateten Kindern, er war der Bruder des Polizei-Carlsen, ein Mann, der unverdrossen arbeitete und von Tag zu Tag sein Tagewerk leistete, nach mehr trachtete er nicht, so hatte er seine kleine Schmiede seit anderthalb Menschenaltern betrieben. Er hatte eine verwitwete Tochter bei sich, die ihm das Hauswesen besorgte. Bisweilen erzählte er von seinen Erlebnissen, lauter Kleinigkeiten, alltägliche Ereignisse; aber da er seine Schmiede und seine Stadt niemals verlassen hatte, bekam jede Kleinigkeit eine übertriebene Bedeutung für ihn. Warum er es nicht ins Große getrieben hatte mit Gesellen und Lehrjungen? Er hatte sich keine Mühe darum gegeben, hatte nicht die Mittel dazu gehabt, nicht das Haus dazu, nicht einmal die Schmiede dazu. Die große Kinderschar hatte ihn auch allmählich daran gehindert, es ins Große zu treiben.

Denk dir, fünf Mädchen, sagt er, fünf Stück, nur Mädchen, und außerdem noch zwei Jungen! Dann war ja noch ein Schmied draußen auf dem Lande, grad am Weg nach der Stadt, der tat alle Bauernarbeit, Hufeisen, Pflüge und Sensen. Carlsen war der Stadtschmied, er schmiedete kleine häusliche Sachen für die Familien und bisweilen – wie jetzt, da er sich Abel zur Hilfe genommen hatte – auch größere Sachen für die Schiffe.

O ja, wonach soll der Mensch trachten? sagt Carlsen. Ich habe mich die ganze Zeit durchgeschlagen, mit dem da! fügt er lächelnd hinzu und deutet auf den Hammer. Mehr brauch ich nicht, und mehr bin ich auch nicht wert. Über kurz oder lang muß ich sterben, genau wie mein Vater gestorben ist und wie meine Kinder sterben werden. Dann muß ich ja doch alles verlassen und wenn ich auch noch so viel hätte. Adolf ist auf der See, er ist in England verheiratet, er verdient nur gerade genug für seine Familie und hat nichts übrig, um nach Hause zu schicken, ich schreibe ihm jedesmal, ich könnte ihm eher etwas schicken, wenn er in Not sei. Dann fährt und fährt er auf der See, und über kurz oder lang muß auch er sterben. Ja ja, kleiner Abel, den Weg müssen wir alle gehen. Siehst du, Adolf war der jüngste, es ist achtzehn Jahre her, seit er mit dem Schiff fortfuhr, und seither ist er nicht mehr daheim gewesen. Achtzehn Jahre sind eine lange Zeit, das ist vor deiner Zeit gewesen, er hat sogar seine Schiffskiste von deinem Vater gekauft. Er fährt und fährt auf dem Meere, und zum Schluß ist es vorbei! Es ist sonderbar, wenn ich daran denke, er war so klein, als er hier in der Schmiede bei uns herumkramte, es ist mir gar nicht, als sei es so lange her.

Die Stimme des Schmieds versagt ein wenig, dann steht er auf, geht an die Bank am Fenster und starrt durch die undurchsichtigen Scheiben hinaus.

Hm! räuspert er sich und rafft sich zusammen. Eigentlich sollte ich die Scheiben einmal abwaschen, scherzt er. Oder was meinst du, Abel? Es ist wohl vierzig Jahre her, seit sie das Tageslicht nicht mehr gesehen haben.

Er lacht und setzt sich wieder zu Abel. Ja, ja, ja, wahrhaftig. Und mein ältester Junge tat allerlei Arbeit ringsum im Lande. Er wollte nichts Festes betreiben, sondern von einem Ort zum andern wandern; auch das kann vielleicht ganz gut sein, aber ich weiß doch nicht. Er ist nie daheim, nein, er ist recht eigen, er hat sich in den Kopf gesetzt, er wolle nicht heimkommen, ehe er so viel Geld habe, um das Haus auszubauen, damit wir in die Höhe kämen; der Junge ist da draußen in der Fremde wohl immer noch verdrehter geworden. In die Höhe – meint er etwa, wir sollen fliegen? Ich möchte nur, ich könnte einmal nur eine Stunde lang mit ihm reden. Aber seine Schwester, sie, die bei mir ist, kommt ab und zu mit ihm zusammen, sie sind sehr gute Freunde, er spielt ihr auf der Mundharmonika vor. Als kleiner Bursche war er ein Meister auf der Mundharmonika, und jetzt soll er sogar noch besser spielen. Ist es nicht sonderbar, wenn ich so an uns alle denke! Erst kürzlich ist er mit seiner Schwester zusammen gewesen und hat ihr auf der Mundharmonika vorgespielt; aber er war so bärtig, daß sie ihn fast nicht erkannt hat, und er hatte auch schon einige graue Haare. Aber nein, er wollte nicht heimkommen; ehe er ein Geldmann geworden sei, würden wir ihn nicht zu sehen bekommen! Das ist doch eine Art Wahnsinn. Und dann kam er doch eines Tages in die Schmiede herein, schlug mit dem Hammer und trug Eisenstücke herbei und schwatzte mit sich selbst. Es ist noch nicht lange her, ich glaube erst einige Jahre. Und wo immer du ihn auf der Straße sahst, zog er seine Mundharmonika heraus und spielte ein wenig. Und seine Mutter steckte ihm ja, so lang sie lebte, oft eine besondere Portion Essen zu, weil er so in die Höhe schoß, und wenn er ein neues Kleidungsstück bekam, dann streckte er uns sein Händchen hin und bedankte sich. Hm!

Der Schmied springt auf und macht sich zu schaffen: Nein, das geht nicht an! Bist du bereit, Abel? Hehe, ja wir sind tüchtige Gesellen! So, nun zieh den Blasbalg!

Er scherzt und tut ganz lustig, aber er ist wohl eher alles andere, alt und müde, rührselig, verbraucht. Er hatte keine Kräfte mehr; Abel, der junge Kerl, konnte das doppelte Gewicht heben und den ganzen Tag aushalten. Was dem Alten half, war sein Handgeschick, die Übung, die Arbeit ging ihm leicht von der Hand; aber oft starrte er mit seinen matten Augen auf ein schweres Stück und scheute sich, es in Angriff zu nehmen.

O nein, er war sicher nicht lustig. Er hatte auch nicht die große Freude an seinen Kindern, nicht an allen. Über eine seiner Töchter war einstens viel geredet worden, jetzt war sie mit dem Kasper verheiratet, der wegen ihrer »Weitschweifigkeit« den Dienst als Matrose aufgeben und auf der Werft Arbeit nehmen mußte. Jetzt war sowohl die Frau als das Gerede über sie stillgeworden, aber vor vielen Jahren, während der Mann draußen war, verließ sie ihr Haus und fuhr auch auf der See, fuhr frech dahin, fuhr lustig fort. O, sie war eine leichte Haut – der Mann und vielleicht noch mehr der Vater wurden damals allgemein bemitleidet.

Und doch – der Schmied Carlsen ist weit davon entfernt, ein trostloses Leben zu führen, er hat, was er braucht und sogar noch mehr, er ist zufrieden mit seinem Los. Am Abend dankt er Gott für den vergangenen Tag, er ist verwundert, daß er so gut vorübergegangen und nichts Schlimmes geschehen ist. Wie leicht hätte ein Unglück passieren können! Nachher spaßt er wohl behaglich und schnurrig mit seiner Tochter: Ja, wir zwei Männer haben heute wahrhaftig außerordentlich viel geleistet, aber was hast du getan? Ich seh nichts davon, daß du dich hier gerührt hättest, die Stühle stehen noch ebenso heil, wie vorher.

Sie lachen beide, und die Tochter sagt: Aber ich habe leider heute zwei Teller zerbrochen.

Ist das auch noch etwas? sagt der Vater. In der Zeit hätte ich ein Dutzend zerschlagen können!

Wenn sie nun in so guter Laune sind, wagt es Abel aufs neue, zu fragen, ob er wohl morgen wegbleiben könne, ob er überhaupt noch zu kommen brauche? Aber da wird der alte Schmied ernst; er sieht den Jungen an und meint fast, das sei das Schlimmste, was er je von ihm gehört habe: ob er solche Eile habe, mitten in der strengsten Arbeit fortzugehen, und wohin er denn wolle?

Abel wollte sich verheuern.

Verheuern? Jetzt, so spät im Sommer, wo es dem Winter zugehe? Im Frühjahr sei die beste Zeit. Ob er nicht wenigstens noch einen Monat bleiben könne? Denn jetzt hätten sie ja die vielen großen Arbeiten; sie müßten Hauen und Minenbohrer für den Stadtingenieur machen, für Konsul Heiberg zwei Türschlösser instand setzen, für Henriksens auf der Werft eine neue Stahlfeder in den Kinderwagen einsetzen, für die Buttermaschine in Konsul Johnsens Landhaus eine neue Achse drehen, und für den Maler, der die Kirche malen sollte, alle möglichen Kloben schmieden. Das sei für lange Zeit die Arbeit von vielen Gesellen.

Abel blieb.

O, aber die See, es fehlte nur noch, daß er sie vergaß! Sein Kamerad Edevart, der nach den letzten Nachrichten in Südamerika war, der war nun schon zwei Jahre auf der See, und hier war Abel noch auf dem Festlande und stand in einer Schmiede! Nein, danke! Allerdings, ganz ohne Reiz war es nicht; er wurde tüchtig und ordentlich rußig dabei, die Leute konnten sehen, was er leistete, und es gab ihm ein gewisses Ansehen bei den andern Jungen seines Alters, wenn er mit klirrenden Eisenstangen auf der Schulter wie ein Erwachsener durch die Straßen schritt. Und mußten nicht die kleinen Jungen sich vor seinen Eisenstangen in acht nehmen und auf die Seite treten, um nicht aufgespießt zu werden?

Es war also gar nicht so schlimm. Dazu kam, daß Abel zu regelmäßigen Zeiten nahrhaftes Essen erhielt, er schlief regelmäßig, er wuchs fest in einer besseren Lebensweise. War es nicht auch äußerst behaglich in diesem Handwerkerheim, wo alles an seinem Platz war, der Fußboden sauber, blühende Fuchsien am Fenster! Am Sonntag zog der Schmied einen guten Anzug an und wanderte langsam in der Stadt und in Feld und Wald umher. In die Kirche pflegte er nicht zu gehen, aber er war ein redlicher, frommer Mann mit tausend Sünden, die er bereute, und tausend Wohltaten Gottes, über die er sich freute. Alles war unverdient gut.

Eines Sonntags trifft ihn Abel auf der Straße. Komm ein Stück mit! sagt der Meister. Wohin willst du?

O, Abel wollte nirgends hin, er trieb sich nur herum, er war einsam, Klein-Lydia war ihm ganz aus dem Gesicht gekommen. Na, Glück auf die Reise! Und jetzt hätte sie es so gut haben können, er wendete den Kopf nicht mehr nach ihr um! Ihr Bruder Edevart war einmal sein guter Freund gewesen, aber nun war wohl auch er hochmütig geworden, er schrieb niemals ein Wort an Abel, und jetzt war er in Südamerika. Aber wo sollte Abel dann an einem Sonntag hingehen? Daheim konnte er jedenfalls nicht sitzen bleiben, sauber gewaschen, in seinem neuen Anzug und mit einem blanken Messer in glänzender Scheide, das er sich gekauft hatte; sein Bruder Frank war auf der höheren Schule und nie daheim, und Oliver, sein Vater, war in die Schären hinausgerudert, was er ohne Ausnahme an allen Sonntagen tat; er ließ nicht davon ab, das Abenteuer zu suchen. Nein, Abel wollte nirgends hin. Aber er kannte im Ödland einen guten Platz, wo es Kreuzottern gab, und nun war er wohl auf dem Wege dahin, um einige zu erlegen. Älter war er nicht, ein Junge war er noch immer.

Oder hatte er auf den Schmied gewartet? Es müßte denn sein, damit ihn gewisse Leute in geachteter Gesellschaft sehen sollten. Wenn sie am Stubenfenster saß, und er ging mit dem Meister vorbei, so schadete das gar nichts. Aber sie konnte es dabei genau so halten, wie sie wollte – wie heißt sie nur gleich? Klein-Lydia – na, jedenfalls ging er ganz wie ein Schmiedsgeselle und unentbehrlich für Carlsen vorüber ...

Als sie Fischer Jörgens Haus hinter sich haben, merkt der Schmied allmählich, daß er ganz allein spricht und Abel ihm nicht antwortet. Der Schmied hatte zwar nicht mit einem blitzschnellen Seitenblick nach einem gewissen Fenster etwas entdeckt und dadurch heftiges Herzklopfen bekommen, aber er fühlt, daß er für Abel ein zu alter Gefährte ist. Lächelnd sagt er: Ja, jetzt danke ich dir für die Begleitung, Abel, ich muß diesen Weg hier einschlagen.

Abel geht nach den Kreuzottern. Auf einem steinigen Abhang pflegten viele zu sein; sie lagen da auf dem Geröll und sonnten sich in aller Behaglichkeit, Abel und andere Jungen hatten im Lauf der Jahre gar oft Jagd auf sie gemacht. Mit dieser Jagd war Gefahr und Ehre verbunden; in den Schultagen stand man in großem Ansehen dafür.

Als er in die Nähe des Abhangs kommt, hört er lautes Rufen und Geschrei von anderen Jungen, die schon vor ihm dort sind; da geht er nicht weiter. Nein, denn das sind natürlich noch Kinder, achtjährige, und die sind so dumm. Verständige Leute schreien nicht auf der Kreuzotternjagd, sondern halten den Atem an und treten so sachte auf wie auf Rosenblätter.

Was jetzt? Jenseits des Hügels weiß er einen Platz, wo ein gutes Echo ist, dorthin lenkt er seine Schritte, um ein wenig zu rufen; ein Junge ist er immer noch.

Hier ist es still und abgelegen und keine Menschenseele weit und breit. Er ruft – ja, das Echo ist da. Aber eigentlich ist er mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt, als ein Echo herauszulocken, er wirft sich ins Heidekraut und lebt in Gedanken den Vorgang bei einem gewissen Fenster noch einmal durch. Na, was hatte er im großen und ganzen mit diesem Einfall erreicht? Das Messer mit der neusilbernen Scheide hing auf der richtigen Seite und glänzte sehr schön, aber hatte sie es auch gesehen? Und außerdem hätte die Gestalt hinter den Scheiben gut eine von ihren Schwestern und nicht sie selbst sein können. Nichts war entschieden.

Abel bleibt lange liegen und erlebt das Vorkommnis wieder und wieder; er überlegt alle Möglichkeiten, bisweilen droht sein Herz auszusetzen, so heftig klopft es vor lauter Glück, bald kriecht er zusammen vor Entzücken, bisweilen ist er hoffnungslos, und dann richtet er sich trotzig auf mit einem lauten: Na, Glück auf die Reise!

Reise! äfft das Echo nach.

Er ruft: Jawohl, Glück auf die Reise!

Auf die Reise! erwidert das Echo.

Er ruft deutlicher und lauter, er buchstabiert es dem Echo vor und bringt es dazu, jedes einzelne Wort zu sagen. Das beschäftigt ihn eine Weile; aber ins Endlose kann er sich ja nicht mit diesem Papagei in den Bergen unterhalten, dagegen versinkt er in Gedanken über das Echo selbst, über diese Sprache ohne Mund, diesen Laut ohne Stimmwerk, diese Bauchrednerei aus einem Scheinbauch, der sich vielleicht jenseits der Grenzen des Lebens befindet. Abel hat sich daran gewöhnt, das, was ihm selbst begegnet, sowie auch das, was ihm auf seinem Wege begegnet, einer notdürftigen Untersuchung zu unterwerfen; niemand hat es ihn gelehrt, niemand hat seine Überlegung dazu entwickelt, nur er selbst. O, er verbrachte wahrlich manche behagliche Stunde in seiner eigenen Gesellschaft! Früher wandte er sich wohl an seinen Vater und fragte ihn nach den erstaunlichsten Dingen, und Oliver war nicht der Mann, der einer Untersuchung solcher tiefsinniger Fragen aus dem Wege ging, denn er war ja weit in der Welt herumgekommen. Aber in der letzten Zeit, und besonders, seit seine unglückliche Neigung zu Klein-Lydia übermächtig in Abel geworden war, suchte er lieber die Einsamkeit auf und schlug sich mit den Fragen allein herum. Der Schmied Carlsen hatte auch auf ihn eingewirkt, des alten Mannes weise Einfalt und Milde tat ihm gut, und seine Fröhlichkeit ermunterte ihn.

Bumm! ruft Abel wie ein Schuß.

Bumm! antwortet das Echo.

Eine ganz kurze, dröhnende Antwort, es klang wie ein ferner Knall. Es ist merkwürdig, Abel plagt sich ordentlich mit der Aufgabe, ja, sie dreht sich tüchtig mit ihm im Kreise herum; das soll der Kuckuck verstehen! Abel ist von Rätseln und unbegreiflichen Vorgängen umgeben; da ist er ausgegangen, Kreuzottern aufzuspüren, und ganz richtig, dann hört er zum Beispiel ein Echo. Auch diese Verkehrtheit ist unbegreiflich und geheimnisvoll, auch darüber könnte er bis zum Abend nachgrübeln. O, er kann grübeln! Das ist nicht eine Art Eßlust oder ein Negersport oder ein Versuch, Geld zu verdienen, Gott bewahre! Aber was es nun auch sein mag, Klein-Lydia versteht jedenfalls nichts davon, sie sitzt jetzt wohl daheim und schaut durchs Fenster hinaus, aber sie sollte nur wissen, wie dumm sie ist! Er sieht große Ebenen mit Vieh darauf, sieht Berge, Wälder, Meere, Unendlichkeiten, Jahrhunderte. –

Hat er geschlafen?

Er richtet sich auf, räuspert sich, gähnt, schlägt mit den Armen um sich und reckt sich. In demselben Augenblick hängt etwas baumelnd zu seinem Jackenärmel heraus, ein dunkles Tauende mit einem aufgesperrten Maul, ein langes Tier, das sich blitzschnell ins Heidekraut hineinschlängelt. Ho – hier schreit man nicht und rafft die Kleider zusammen vor Mäusen, man ist in einer Sekunde auf den Beinen und hinter dem Ausreißer her, findet ihn, tritt ihn nieder, zerschmettert ihm den Kopf. Getan!

O, aber wer hat es gesehen? Der Himmel und die Erde, niemand. Die Tat ist umsonst getan.

Er hebt das Tier am Schwanz auf und nimmt es mit, er will es unterwegs einem Ameisenhaufen zum Geschenk machen. Es ist ein prachtvolles Exemplar, gestreift, auf dem Rücken gekreuzt, eine Schönheit, o, so ekelhaft! Er findet keinen Ameisenhaufen, und so schleift er das tote Biest weiter mit, es begegnen ihm auch keine Menschen, nicht einmal ein Kind.

Allmählich wird es Abel langweilig, es ist doch weit bis ins Städtchen. Plötzlich fühlt er einen Stich in der Hand, in der rechten Hand, die die Schlange trägt, und als er nachsieht, ist die Hand dunkel und geschwollen, er ist also vorhin doch gebissen worden. Und da war man wieder keine Jungfer, die aufschreit und in Tränen ausbricht; obgleich kein Mensch zusieht, führt man sich doch wie der Mann von Eisen auf, der man ist. Abel läßt die tote Schlange los, sucht nach der Wunde und fängt an sie auszusaugen. Er kann das, er hat es früher auch schon getan; gleichzeitig löst er die Hosenträger und schnürt den Arm vom Handgelenk ab. Merkwürdig, daß er den Schlangenbiß selbst nicht gefühlt hat, jetzt hat er das Gift schon mehrere Minuten im Körper, und da wird es immer schwieriger, es durch Aussaugen allein herauszuholen. Als er weitergeht, nimmt er die tote Schlange mit.

Die Stiche in seiner Hand verstärken sich, na, dies ist jedenfalls ein Sonntag ohne Einförmigkeit. Ab und zu betrachtet er seine Hand, die nicht weißer werden will, betrachtet die Wunde– ein lächerlich kleiner Biß, kaum der Mühe wert. Aber allmählich, während er so dahinwandert und die Hand nicht besser wird, sieht er sie ungeduldig noch einmal an, gründlich, wie um zu untersuchen, ob es wirklich eine Wunde ist, und zwar seine Wunde. O ja, ein Irrtum ist ausgeschlossen, und es ist ihm nicht unwillkommen, daß eine kleine Strecke vor ihm ein Mensch sichtbar ist. Abel saugt im Weitergehen an der Wunde.

Er legt die Hand mit der Schlange auf den Rücken, um den Menschen nicht zu erschrecken. Der Schmied Carlsen sitzt da am Rain. Hierher ist er also gegangen, da sitzt er einsam auf einem Stein, die Hände um seine erloschene Pfeife gefaltet.

Bist du wieder da, Abel? sagt er. Ich sitze hier ganz müßig, betrachte die Berge und Täler und muß mich verwundern, baß verwundern. Siehst du den Berggipfel dort, die Felsenkuppe? Hehe, ein gewaltiger Kerl, sieh nur alle die Steine, mit denen er sich behängt hat! O wie schön ist die Welt! Willst du nach Hause gehen?

Ja, nach Hause, sagt Abel und nickt. Aber da habe er ja die Schlange, und er sei auch ein wenig gebissen worden –

Der Schmied springt auf, alt, verwirrt, zitternd.

Neinneinnein –

O, es ist nicht gefährlich, erklärt Abel.

Aber wie dieses Mitgefühl wohltut, älter ist man nicht, wenn man noch ein Junge ist; diese Verwirrung und dieses Entsetzen bei einem andern Menschen zum Vorteil für einen selbst ist geradezu köstlich, das Herz schwillt einem dabei, und man lacht, um sich als Mann zu zeigen, man sagt, ach was, es sei doch gar nichts, der Meister solle nur so gut sein und ihm das Handgelenk furchtbar stramm abschnüren, etwas weiter oben, so, ja –

Sie gehen heimwärts. Einen solchen Kerl wie dich habe ich noch nicht gesehen, sagte der Schmied. Und tut es nicht weh?

Nein, keine Spur, nur ganz wenig.

Abel macht einen Umweg, um einen Ameisenhaufen zu suchen, den er von seinen Streifereien her kennt; der Schmied schüttelt zwar den Kopf, geht aber mit. Von dem Ameisenhaufen begleitet er ihn nach Hause, der Alte ist wahrlich ein wenig stolz auf den Jungen, er zeigt ihn dem und jenem, der ihnen begegnet, und verbreitet ein großartiges Entsetzen.

Sie gelangen in die Stadt, und der Fischer Jörgen steht unter seiner Tür. Da, sieh mal dem Jungen seine Hand! sagt der Schmied eifrig. Aber Abel, von all der Ehre stolz geworden, hält vor dieser Tür nicht an, gerade vor dieser Tür nicht, er lächelt nur und geht vorbei. Und der Schmied ruft ihm nach, ihn zur Eile antreibend: Ja, geh nur rasch! Und geradeswegs zum Doktor! Sofort!

Abel ist eigentlich in kalten Schweiß gebadet und krank wie ein Hund, aber er ist überglücklich. Seht, nun steht der Meister dort und erzählt von ihm; gewisse Leute sollen nur erfahren, wie sich ein Mann von Eisen bei einem Schlangenbiß benimmt!

Habe ich nicht durch dich deinem Vater sagen lassen, er solle zu mir kommen? fragt der Doktor.

Ich weiß nicht.

Sag ihm, er soll sofort kommen! Sonst wird er geholt. Sag ihm das! Laß mich deine Hand sehen! Pfui, wie sieht sie aus!

Der Doktor versteht sich auf seine Kunst; jeden Sommer hat er Kreuzotternbisse zu heilen, und noch nie ist jemand daran gestorben. Aber dies ist ein besonders schlimmer Fall, sagt er jedesmal; das macht den Kranken sehr stolz, er kann jedermann erzählen, daß er am Rande des Grabes gewesen sei. Hier jedoch sagt der Doktor mehrere Male, es sei ein sehr gefährlicher Fall


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