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9

Nichts konnte so wild und qualvoll sein, als in dieser Spannung leben zu müssen. Oliver hat seit Tagen ausgeruht, und er treibt sich in den Straßen herum, fühlt aber keine Spur von glücklicher Ruhe. Jetzt sind die Fenster seiner Stube mit Röcken und Schürzen verhangen, und er kann nichts erspähen, deshalb wandert er wie blödsinnig vor dem Hause hin und her.

Schließlich trifft er die Großmutter, und sie sagt zu ihm: Es ist wieder ein Mädchen.

Das interessiert ihn nicht, ach, wie gleichgültig ist das; aber er redet, um noch mehr zu hören. Ach so, wieder ein Mädchen? Hat sie alle ihre geraden Glieder? fragt er.

Ja, ich habe nichts anderes gesehen.

Sie hat wohl nicht nur einen Fuß?

Nein.

Nun, dann dürfen wir ja froh sein. Es ist nicht leicht, wenn man einen Stelzfuß hat. Doch was ich sagen wollte, hat sie aufgeschaut? Mit den Augen?

Wie? Was?

Ich frage nur. Warum schreit sie nicht? Sie ist doch nicht etwa totgeboren? Kann ich sie sehen?

Sie schläft jetzt.

Wieder mußte Oliver warten, die Fischerei aussetzen, sich in der Straße herumtreiben und warten. Gegen Abend bekommt er die nun erwachte Kleine zu sehen, er trägt sie ans Fenster und überzeugt sich, was für Augen sie hat. Petra sieht vom Bett aus beruhigt zu, es ist nichts im Wege: das Kind hat braune Augen.

Es war merkwürdig, wie diese unbedeutende Tatsache den Vater beruhigt; er lobt das Kind und sagt sogar einen freundlichen Scherz zu Petra. Du bist ein Hauptkerl, wenn du willst! Obgleich es schon gegen Abend war, ruderte er doch noch hinaus auf den Fischfang. Die ganzen letzten Monate hatte er in seinem Herzen gegen Petra gewütet, sie hatte vielleicht abermals schlecht und niederträchtig gehandelt, jetzt dachte er anders, sie war doch nicht so ganz toll gewesen, sondern geradezu großartig, Gott sei Dank! Und bitte, es soll Fische geben, so gewiß, als Fische zu fangen sind! Es sind wieder braune Augen, die echten Familienaugen, die Natur hatte gesiegt, alles kam wieder in Ordnung.

Ach, der geistesschwache Mann, Gott mochte wissen, wie er sich die Sache zusammenreimte!

Eines Tages trifft er Scheldrup Johnsen auf der Straße und sagt zu ihm: Jetzt kommt der Winter, nun mußt du so gut sein und an mich denken.

Ich soll an dich denken? fragt Scheldrup.

Ja. Daß ich ein Krüppel bin.

Was kann ich dabei tun?

Und daß ich viele Kinder habe.

Wie verrückt die Menschen doch reden können! äußert Sckeldrup unschlüssig.

Oliver lächelt ehrerbietig und schaut zu Boden. Ja ja, das ist wohl möglich, sagt er. Aber jetzt mußt du so gut sein und mir Arbeit geben.

Ich? Was für Arbeit?

Im Lagerhaus.

Darüber mußt du mit meinem Vater reden.

Oliver schlägt langsam die Augen auf, richtet den Blick fest auf Scheldrup und sagt: Nein, das mußt du tun!

Drohte Oliver? Der junge Scheldrup weicht etwas zurück, er sieht den Krüppel an. Aber sein Blick ist erloschen. Seht, zuerst hatte er einen so recht heftigen, rasenden Ausdruck, aber dann erlosch er. Scheldrup überlegte wohl ein bißchen, erinnerte sich an sein Benehmen, an die Backpfeife, an all den Klatsch, er hätte das Ganze nur sehr ungern noch einmal hervorgezogen, deshalb sagt er: Na ja, ich kann ja meinen Vater fragen, wenn das dein Wunsch ist.

Das ist recht, erwiderte Oliver darauf.

Einige Tage später trifft Oliver wieder mit Scheldrup zusammen, und da fragt dieser: Meinst du, du könnest das Lagerhaus übernehmen?

Das Lagerhaus übernehmen? Das war nun allerdings Großtuerei und Dünkelhaftigkeit von seiten Scheldrups; es war bis jetzt kein fester Angestellter in Johnsens Lagerraum gewesen, nur einer von den Ladenbediensteten lief manchmal hinunter, um das nötige zu tun, da sollte doch wohl der ganze Oliver diese Kleinigkeit leisten können!

Mein Vater will mit dir reden, sagt Scheldrup.

Oliver wandert schon als großer Lagerhausvorstand heimwärts. Wie war es doch, fragt er Petra, hat dir Johnsen am Landungsplatz nicht abgeschlagen, mich anzustellen?

Doch. Und nun frag ich ihn nicht noch einmal.

Schweigen, o ein Schweigen, das Oliver gewichtig, ja schicksalsschwanger macht. Nein, ich werde selbst ein Wörtchen mit ihm reden, sagt er und geht hinaus.

Die Frauen sehen einander an. Na, das würde nichts helfen, wenn Oliver ging, vielleicht ging er auch gar nicht. Und Petra warf plötzlich den Kopf höhnisch in den Nacken.

Als Oliver zurückkam, schwieg er eine gute Weile vollkommen, o, ein gewichtiges, langes Schweigen! Die Frauen mochten nicht fragen, aber sie lächelten ein wenig, und Petra sagte sogar: Ich möchte wohl wissen, wer nun zum Konsul gegangen ist und mit ihm gesprochen hat.

Endlich bricht Oliver das Schweigen und sagt: Mein Islandwams muß heute abend noch gestopft werden. Es ist kalt im Lagerhaus.

Petra schrie beinahe: Sollst du ins Lagerhaus?

Und sogar die Großmutter blieb stehen und sperrte den Mund auf.

Aber Oliver sieht sich mit der größten Verwunderung um und versteht nicht, was sie meinen, wahrhaftig, die Frauen sind ihm das große Rätsel. Ja, natürlich? antwortet er in fragendem Ton.

Sie schlagen die Hände zusammen.

Natürlich soll ich ins Lagerhaus, sagt er. Sobald es geht. Ich fange schon morgen an.

Sie besprachen es hin und her: das bedeutete Veränderung, festen Gehalt, Vorwärtskommen, o, das hatte sehr viel zu sagen! Und da sitzt er nun, er, der das zustande gebracht hat, der Herr, von Stolz geschwellt, stutzerhaft den Hut schief auf dem Kopf, aufgeblasen. Er spricht wieder: Ich habe ja gesagt, daß ich zu ihm gehen und mit ihm reden werde.

Aber ich habe den Konsul doch schon mehrere Male gebeten, wendet Petra ein.

Oliver erwidert: Das ist eben nicht das gleiche, wie wenn ein Mann kommt.

Das bedeutete Veränderung, jawohl! Aber Oliver, der weiß, worauf er eingegangen ist, denkt wohl: ein buchstäbliches Sparkassenbuch und den Garten Eden bedeutet es nicht; der Johnsen am Landungsplatz ist nicht übermäßig nobel gewesen; aber auf der andern Seite war er der Erste Konsul, für die Familie Oliver war er also eine Art Retter geworden.

Im Lagerhaus war keine schwere Arbeit zu verrichten; Oliver konnte da Tag um Tag hingehen, bloß um überhaupt da zu sein. Seine arbeitsreichsten Tage hatte er, wenn ein Frachtschiff an dem kleinen Bollwerk anlegte, Mehl und Sirup, Kaffee, Paraffin und Leinöl auslud und Fisch und Tran dafür einnahm. Da mußte Oliver die empfangenen Waren im Lagerhaus und Keller unterbringen, und bei solchen Gelegenheiten erreichte er es, abends wirklich müde zu sein. Außerdem hatte er zu scheuern, aufzuräumen und alles in gehöriger Ordnung zu halten. Ein offener Kaffeesack durfte nicht mitten auf dem Boden stehen bleiben, daß nicht etwa kleine Jungen daherkommen und ihn als Fund erklären könnten. Wenn sich dann die Kunden mit einem Zettel vom Kramladen einfanden, las Oliver den Zettel und lieferte dem einen Sack Mehl, zwanzig Meter Tauwerk oder jenem ein Liespfund Fische aus. Dem Lageraufseher lag es ob, jeden Morgen die Schiebladen im Kramhandel mit Kolonialwaren vom Lagerhaus aufzufüllen; schließlich mußte er aufschreiben, welche Waren im Lagerhaus knapp wurden, damit das Kontor beizeiten neue Bestände bestellen konnte.

Alles in allem war es gar keine so geringe Stellung, die Konsul Johnsen für Oliver eingerichtet hatte, und die Leute hatten wieder einmal guten Grund, seine Handlungsweise zu loben. Allerdings war ja Oliver auf seinem Schiff ein Krüppel geworden; aber das verpflichtete den Konsul zu nichts, höchstens zu allgemeiner Barmherzigkeit und Gnade. Und hiervon besaß der Erste Konsul ein gut Teil, er war ein großer Mann und ein Wohltäter.

Was war also dagegen zu sagen? Nichts. Wohl konnte ja oft im Lagerhaus ein häßlicher Geruch nach alten Fischen und verfaulter Leber sein, besonders im Sommer war oft ein durchdringender Gestank darin – aber was war dabei! Im ganzen war Oliver auch jetzt ebenso wie früher eine genügsame Seele, er verdiente genug für Margarine aufs Brot, für faule Sonntage, für etwas Staat, einen herrlichen bunten Schlips, frischgebürstete Schuhe, einen neuen, schief auf den Kopf gesetzten Hut. Konsul Johnsens Wohltätigkeit gegen ihn wirkte auch noch auf weitere Kreise, Oliver merkte an Kleinigkeiten, daß die Stadt ihn nicht mehr übersah, und der Rechtsanwalt Fredriksen wollte auch nicht zurückstehen, sondern hielt Frieden wegen des Hauses.

O ja, das Glück war eingekehrt! Aber das beste war, daß Oliver der Vorstand seines Lagerhauses geworden war, seines eigenen kleinen Bereichs; er war nicht weit davon entfernt, ein Herrscher zu sein, sozusagen eine Person von Stande. Das gefiel ihm, es kitzelte ihn förmlich, wenn die Leute aus der Stadt als Kunden daherkamen und guten Tag sagten, ehe sie ihre Zettel vorwiesen. Guten Tag! grüßte er dann wohl wieder, so ein Mensch war er, auch er übersah niemand. Jetzt war es nicht so ohne, ja, es lohnte sich, gegen den Krüppel ein wenig höflich zu sein, er konnte bei mancher Gelegenheit allerlei davon oder dazu tun, durch volles oder geringes Maß, durch schlechtes oder gutes Gewicht.

Der Fischer Jörgen kam mit einem Zettel – Kaspar, der Matrose auf der Fia gewesen war und seine Frau jetzt nicht mehr zu verlassen wagte, damit sie nicht zu neuen Auslandsreisen verführt würde – ja, dieser Kaspar kam auch mit einem Zettel, Martin vom Hügel kam, der Schreiner Mattis und der Polizei-Carlsen kamen und später alle von nah und fern; und Oliver war der, der sie unter der Tür des Lagerhauses empfing und ihre Wünsche anhörte. Wahrlich, Josef war ein großer Herr bei Pharao in Ägypten geworden.

Ja, jetzt bist du ja ordentlich hoch hinaufgekommen, sagte Fischer Jörgen in aller Gutmütigkeit.

Ich kann nicht klagen, gab Oliver wohl zur Antwort. Die Vorsehung hat mich hierhergestellt und mich nicht vergessen.

Nun übergab er Jörgen für alle Zukunft seinen Platz drunten am Bollwerk, den Platz, den Oliver den Fischmarkt nannte. Nimm nur alles miteinander, die Kisten und den Platz, und wohl bekomms! Du hast mir manches Gericht Fische gegeben, wenn ich elend war und nicht auf die See hinaus konnte, fügt er noch hinzu und tut dabei gerührt. Was mich nun anbetrifft, so habe ich mit den Meinigen jetzt das tägliche Brot, und was weiter brauchen wir Menschen denn zum Exempel? Und deine Kinder und meine Kinder, Jörgen, sie lassen sich gut an, und der Frank geht in die höhere Schule und wird immer gelehrter, es ist ein wahres Wunder, er kann das Deutsche lesen, sobald er es nur vor Augen hat.

Jörgen bestätigt mit einem Kopfnicken, daß auch seine eigenen Jungen und Mädchen mit hoher Achtung von Frank sprechen.

Ja, es ist ganz außerordentlich, fast wie in einem Geschichtenbuch! Er kann jede Stelle bekommen, die er nur will, er kann geradeswegs auf eine Bank, auf ein Kontor; da fehlt nichts. Wenn du ein klein wenig wartest, Jörgen, dann gehen wir zusammen heimwärts.

Oliver zog ein Taschentuch heraus, rieb das Schweißleder in seinem Hut damit ab, ebenso Mehl und Staub von seinem Gesiebt, er bürstete seine Schuhe und seine Kleider und ließ Jörgen warten. Er wollte wohl Jörgen gerne merken lassen, daß er nicht mehr derselbe wie früher war, daß seine neue Stelle nicht die des ersten besten sei. Und Jörgen ist geduldig und wartet. Dann schließt Oliver die Lagerhaustür für diesen Tag ab; sie knirscht durchdringend in den Angeln, aber das ist ein freundlicher Laut für Oliver, der abendliche Schwanengesang einer Lagerhaustür. Er steckt den schweren Schlüssel in die Tasche, und dann ist er fertig.

Sie gehen heimwärts. Jörgen trägt ruhig seine Ölkanne und hört Olivers Reden zu, die einfach und eigentlich demütig, aber voller Prahlerei sind. So, du willst dein Haus anstreichen?

Ja.

Du bist glücklich, daß du das selbst tun kannst. Ich muß mir nun Maler nehmen, um meines anstreichen zu lassen, selbst habe ich keine Zeit dazu.

Nein.

Aber ich kann nicht anders sagen, es hat sich für mich recht günstig gewendet, ich kann anstreichen und aufputzen lassen, wie es gerade nötig ist. Es kostet zwar, aber da ist nichts zu machen.

Jörgen hat etwas auf dem Herzen und sagt: Wir müssen versuchen, unsere Jungen mehr daheim zu halten.

Die Jungen? Warum?

Gestern abend sind sie wieder draußen gewesen. Ich bin manchmal recht in Sorge um sie.

Um den Edevart und den Abel? Nein, Jörgen, das ist nicht nötig, erwidert Oliver und fühlt sich überlegen. Diesen Burschen geschieht nichts.

Sie kommen manchmal so sehr spät heim. Ich wünschte, du gäbest ihnen das Boot nicht.

Laß doch die Jungen! sagt Oliver. Als ich im Ausland fuhr und in allen Städten der Welt war, habe ich überall kleine Jungen gesehen, die in einem Boot draußen waren. Du solltest auf den großen Ozean kommen, da springen sie vom Boot aus ins Wasser und schwimmen wie die Aale.

Aber dann lernen sie ihre Schulaufgaben nicht.

Die beiden Väter besprechen die Sache verständig nach beiden Seiten hin, und Oliver ist überdies der erfahrenere von den beiden und ein Weltumsegler; Jörgen kann ihn wohl anhören. Aber plötzlich sagt Jörgen: Ja, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß sie Fische stehlen.

Na, sagt Oliver. Darauf kommt ihm wohl der Gedanke, daß Diebstahl unvereinbar mit seiner neuen Stellung sei, und er bleibt jählings stehen. Stehlen sie Fische? fragt er.

Nicht von den meinen, aber Martin auf dem Hügel klagt über sie.

Jetzt werde ich mit den Jungen reden! erklärt Oliver, und nickt, jawohl, jetzt solle auch ordentlich mit ihnen geredet werden.

Diese beiden, der Fischer Jörgen und Oliver haben im Lauf der Jahre manches Gespräch miteinander geführt, und sie waren immer ohne einen Gruß und ohne Gute Nacht auseinandergegangen; aber an diesem Abend sagt Oliver: Willst du nicht bei uns hereinsehen?

Jörgen ist langsam und als Geist betrachtet nicht schlagfertig: Was meinte denn der Nachbar, der Mann vom Lagerhaus?

Ich weiß nicht, ob Petra vielleicht eine Tasse Kaffee und etwas Backwerk hat; wir können es ja probieren.

Nein, ich danke, aber es ist für heut abend zu spät, erwidert Jörgen auf diese Großtuerei.

Na, ja ja. Nun, dann grüß daheim!

So etwas hatte Jörgen noch nie gehört: daheim grüßen!

Als er heimkam, mußte er seiner Frau sein Erlebnis erzählen, und Lydia, die Kluge, war nicht faul, alles zu durchschauen. Sie werben verrückt, sagt sie. Dies wäre ja einerlei, den Kaffee bezahlen sie wohl nicht mehr teuer, wenn sie ihn im Lagerhaus finden können; aber Backwaren! Und jetzt ist Petra selbst beim Schulvorsteher gewesen und hat gefragt, ob ihr Frank nicht Pfarrer werden sollte.

Die tüchtige Lydia, sie war nicht ganz frei von Neid. Na, Petra hatte wahrlich keinen Grund, stolz zu sein – es müßten denn die vielen braunäugigen Kinder sein, haha! Nein, das war wahrlich nicht der Mühe wert! Den grauen Mantel, den sie bekam, ehe sie verheiratet war, den konnte sie jetzt nicht mehr tragen, was man auch nicht erwarten konnte; aber eine verheiratete Frau sollte nicht wieder einen hellen rotbraunen Mantel haben, wie sie ihn eben jetzt von Frau Johnsen geschenkt bekommen hatte, das schickte sich nicht, sie machte sich ja lächerlich damit.

Arme Petra, alle waren hinter ihr her, sie war eigentlich ein unglückliches Geschöpf, ein angebundenes Stück Vieh, das die Fessel toll macht. Das schlimmste aber für sie selbst und für andere war, daß sie so ungenügsam und so unzufriedenen Sinnes war. Sie hatte nun ihr Heim und ihr Auskommen, hatte Mann und Kinder, da hatte sie sich doch nicht so schlecht gebettet, oder wie? War sie mehr wert? Hatte sie nicht alle Ursache, mit einem Manne wie Oliver, der zum Vorstand von Konsul Johnsens Lagerhaus emporgestiegen war, glücklich zu sein?–

Oliver tritt in seine Stube und hängt den mächtigen Schlüssel an seinen Nagel am Fensterpfosten. Er hat selbst das Kleingeld für die Kuchen, die beim Bäcker geholt werden sollen, hergegeben; jetzt kommen sie auch auf den Tisch, jawohl, aber nicht viele, nicht ein Haufen für ihn, der der Versorger ist, außerdem benimmt sich Petra nicht im geringsten höflich, sondern legt die Kuchen auf den bloßen Tisch. Um ihr eine Lehre zu geben, nimmt Oliver seine Obertasse weg und legt die Kuchen auf die Untertasse, dann schaut er auf. Aber Petra ist nun verdrießlich und sagt: Ich wußte nicht, daß du in Gesellschaft bist. Oliver ist sich seiner Würde bewußt, streiten tut er nicht, wenn er es vermeiden kann; so gibt er den beiden kleinen Mädchen jedem einen Kuchen, dann hat er noch einen für sich. Jawohl, Oliver ist naschhaft wie ein Frauenzimmer, er genießt sein süßes Kuchenbrot mit Behagen und trinkt Kaffee dazu, danach macht er sich zum Abendbrot tapfer an den Brotlaib und die Margarine.

Was hatte denn Jörgen in der großen Blechkanne? fragt Petra.

Maleröl.

Was, will er anstreichen?

Das ist wohl seine Absicht.

Ja, manche Leute können anstreichen und es hübsch bei sich machen! sagt Petra.

Von Olivers Seite Schweigen. Kurz nachher ergreift sie wieder das Wort. Der Mattis, der ist nun obenauf, er hat einen roten Briefkasten an seinem Haus.

Woher weißt du das? fragt Oliver.

Woher ich es weiß? Ich ging da vorbei, und da sah ich's.

Was hattest du in der Gegend zu tun?

Petra spottet: Ich werde dich wohl um Erlaubnis fragen, ob ich vor meine Haustür hinausgehen darf!

Warum hast du denn den Mattis nicht genommen? fragt Oliver. Dann hättest du ja jetzt einen roten Briefkasten.

Von Petras Seite Schweigen.

Die Sache aber war die: jetzt war Oliver gut und dankbar gegen die Vorsehung für das Große, was er erreicht hatte, er philosophierte nicht mehr gottlos über sein Unglück, sondern meinte, es sei Sünde und Schande, wenn andere es taten, der jetzige Oliver war geradezu ein glücklicher Mensch. Aber der Schreiner Mattis, der war gleichsam das Gift in seiner Freude, und wenn dieser Mann aus der Welt draußen wäre, zum Beispiel mitten in der äußersten Finsternis, das wäre ein Glück! Hoho, wie komisch geistesschwach war doch Oliver, er sah den Schreiner im Zusammenhang mit seinem blauäugigen Mädchen, wart nur, er würde schon ordentlich aufpassen, wenn das Kind eine Pferdenase bekommen sollte!

Eigentlich war an dem Schreiner Mattis nichts auszusetzen, er stand nicht im Geruch, ausschweifend zu sein. Dieser solide Mann, der jetzt Haus und Werkstatt hatte und mit einem Gesellen und einem Lehrling schaffte, »veränderte« sich nicht, er hatte keine Frau, war vollständiger Junggeselle. Es war, als hätte er zu sich selbst gesagt: Nein, ich danke, ich hab einmal eine lange Nase bekommen, diese Nase braucht nicht noch länger zu werden, das steht fest. Jetzt hatte er Maren Salt als Haushälterin, und sie war wohl über vierzig und würde niemand in Versuchung führen. Da stand er nun jahraus, jahrein in seiner Werkstatt, sägte und hobelte und hatte heruntergezogene Mundwinkel, sah auch mit der Zeit immer trauriger und einfältiger aus, aber er tat seine Arbeit.

Aber gerade das, daß Mattis sich nicht verheiratete, machte ihn in Olivers Augen verdächtig. Was hatte der Mann im Sinn, schlich er hinter Petra her? So oft des Schreiners Name genannt wurde, bekam Oliver einen Rückfall in seine Eifersucht.

Kannst du mir sagen, was ein Briefkasten am Haus für ein Staat sein soll? fragte er.

Nun ja, es ist ein kleiner Schmuck und eine Aufmunterung. Nicht jedermann hat einen Briefkasten an seinem Haus.

O, ich, der weit in der Welt draußen gewesen ist, ich habe vergoldete Briefkästen gesehen!

Vergoldete?

Ja, von oben bis unten vergoldet. Und mit einer Kaiserkrone darauf.

Oh, aber Petra hatte schon tausendmal gehört, was Oliver in der Welt draußen gesehen hatte.


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