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Alraune.

I.
So ist die Wurzel Alraune.

Da steht sie und wächst im gefährlichen Kraut
   in Simla's und Vindhyas Gefilde.
   Vom Teufel wird ihre Glocke betaut,
   der Mond versteint ihr Gebilde.
   Die Frucht ist nichts, doch die Wurzel betraut
   mit treibender Lust und Laune.
   Das ist die Wurzel Alraune.

Und allen gewährt sie seltsame Gunst
   und spielt mit den menschlichen Sinnen;
   Der stirbt, der verdirbt im betäubenden Dunst,
   der tanzt in tollem Beginnen.
   Dem spendet sie Haß mit grausamer Kunst
   und macht ihn zum teuflischen Faune.
   Das ist die Wurzel Alraune.

Nur selten füllt sie in launigem Drang
   die Sinne mit Himmel und Sonne,
   und blind schenkt sie dem, der sich früher bezwang,
   der Liebe Reichtum und Wonne,
   Berauscht versinkt er im Rosengerank'
   voll brausender Liebeslaune.
   So ist die Wurzel Alraune.

II.
Sie ist ein Meister der Kabale.

Drei Nächte Thors sieht man ein Mädchen sinnig
ins Tal zu Ilrapune's Lager steigen.
Sie nimmt die Hexenpflanze sich zu eigen
und ihre braunen Augen lachen innig.

Den Hirten hoch im Berge will sie binden
und treu mit ihm des Lebens Bürde tragen.
O Himalajas Tochter, laß Dir sagen,
er ist der schönste, weit und breit zu finden.

Und Deine Arme treu und warm sich breiten
und Deine Brüste spannen sich und schwellen
und für den Hirten Deine Seufzer quellen ...
da knackt ein Zweig zu Ilrapunes Seiten.

Jäh birgt sie die Alraune im Gewande,
es springt ein Jäger machtvoll auf vom Boden,
der Tiere Fürst, umhüllt von rauhen Loden,
er grüßt mit seinem Arm nach Brauch im Lande.

O Himalajas Kind, Du bist verwundet,
sein Blick ist Stahl, Dein Atem Dir benommen!
Du stehst gebannt voll Scham und siehst ihn kommen,
Dein Busen war noch nie so hoch gerundet.

Von Simla's Alpen kam der Gott hernieder,
ein Herrscher rauh und hehr vom Kopf zur Zehe.
Er riecht nach Wild, Du schreist vor Lust und Wehe,
gewaltig wuchten auf Dir seine Glieder.

Alraune ist ein Meister der Kabale:
Du ringst, bis Du vergehst an seinem Munde –
Du fällst dem Gott anheim zur vierten Stunde,
bis allzu hell die Sonne scheint im Tale.

III.
Das Hohelied.

Hohel: 7, 13.

O sieh nimmer auf mich, mein König,
   wenn Du herauskommst vom Saale.
   Ich bin so verbrannt von der Sonne
   und doch eine Rose in Saron
   und doch eine Lilie im Tale.

Nach Dir rief ich, o mein König,
   die Wächter hörten mein Hoffen.
   Jerusalems Töchter halfen
   Dich finden im Nußbaumgarten,
   Dein Königsmantel war offen.

O seht ihn, Jerusalems Töchter,
   so schnell wie ein Pfeil vom Bogen
   und wie eine Hindin der Höhe,
   wie Pfeil und wie Hindin fliegen
   kam er mir entgegengeflogen.

Die Zeit des Gesangs ist gekommen,
   die Tage des Winters verschwunden.
   Schon wurden Blumen gesehen
   und girrende Tauben vernommen
   und Trauben in Blüte gefunden.

O führ' mich, Geliebter, zum Garten,
   wo Blumen stehen und schweigen.
   Ich will unser Lager bereiten
   mit Blumen und köstlicher Liebe,
   dann sollst Du Dich zu mir neigen.

Komm' mit mir zu Mutters Stube,
   Ich liebe Dich so, mein Geliebter.
   Ich steckte alte und neue
   Alraunenwurzeln zusammen,
   sie sind nur für Dich, mein Gebieter.

O küss' mich, Dein Mund ist herrlich,
   er ist wie die rote Lilie.
   Ich fühl' mich durchglüht von Liebe,
   o führ mich zu Mutters Kammer
   und nimm mich, es ist mein Wille.

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