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Einleitung

Knut Hamsun schildert in seinen meisten Büchern einen Menschen, der interessant ist; nicht durch das, was er erlebt, sondern durch die Art, wie er es erlebt. Oft sind es die unbedeutendsten und alltäglichsten Dinge, aber sie gewinnen sofort Bedeutung und eine eigene Beseelung, wenn sie durch die Sinne des Hamsunschen Menschen gehen.

Dieser stellt einen modernen Typus Mensch dar. Er verbindet die große Empfänglichkeit eines Kindes mit der Reizbarkeit der modernen Seele, die Ursprünglichkeit einer unberührten Natur mit einem im höchsten Maße gesteigerten Kulturempfinden. Daher die großen inneren Gegensätze, die erst durch eine schwere Entwicklung ausgeglichen werden.

Machtvoll und stark ist er am Busen der Natur, ein Herrscher und ein König mit einer unsichtbaren Krone; alle Dinge sind ihm Untertan. Schwach dagegen und verzagt ist er in der menschlichen Gesellschaft, ein Fremdling, voll Scham wegen seiner Blößen und seiner kindlichen Unbeholfenheit. Seine Nerven liegen bloß, die übermächtig auf ihn einstürmenden Eindrücke sind stärker als er. Er unterliegt ihnen und der unsteten Flucht seiner wunderlichen Eingebungen, nach Leo Berg's Bezeichnung der Typus einer geschwächten Persönlichkeit. Unbeherrscht gibt er sein volles Herz preis, den andern ein Spott und eine Gefahr, sich selbst ein Narr und dem Wahnsinn nahe.

In der großen Stille der Natur findet er sich wieder, und er ist ein Wanderer, heute hier und morgen da. Nicht nur die Not des hungernden Proletariers treibt ihn vorwärts, viel mehr noch die eigene dunkle Unruhe des Herzens und seine Sehnsucht nach neuen Sonnen und neuen Menschen. Ein kühner Abenteurer, gehetzt und verhöhnt, oft wilden Aufruhr im Herzen und Spott und Hohn auf der Zunge; aber überlegen allen Angriffen des Schicksals, ein Hexenmeister in allen Fertigkeiten, mit ungebrochenen Instinkten und voll unverwüstlicher Lebenskraft.

Im tiefsten Grunde aber ist er ein Schwärmer, ein andächtiger Mensch mit einer fürstlichen Seele und einem königlichen Herzen, groß im Schenken und Verschenken seiner selbst, trunken von der Fülle des Lebens und seinem eignen inneren Reichtum; wunderbare Märchenblumen entfalten sich in seinem Innern und er berauscht sich an ihrem Duft ...

Dieser Typus, in manchen Punkten Nietzsche verwandt, ist Knut Hamsun selbst. Er hat ihn dem wilden Kampf mit den Elementen und der Niedrigkeit eines elenden Daseins abgerungen und in allen Phasen mit zitternder Künstlerleidenschaft erlebt. Seine Werke sind die Dokumente seines Lebens.

Wie eine moderne Odyssee mutet Hamsuns Leben an. Man weiß nicht, ob man sich mehr über die überraschende Fülle der Wechselfälle oder die geniale Naivität dessen verwundern soll, der sich ein solches Leben scheinbar ganz planlos und voll der herrlichsten Torheiten zurechtgezimmert hat.

Am 4. August 1860 wurde er in Lom in Gudbrandsdalen geboren. Seine Vorfahren waren Bauern. Als er vier Jahre alt war, verzogen seine Eltern, die in kleinen Verhältnissen lebten, nach Lofoten. In der wilden Natur des Nordlandes wuchs er auf, ohne eine regelmäßige Schulbildung irgendwelcher Art zu erhalten. Einige Jahre brachte er bei einem Onkel zu, der Prediger war und ihn in sehr harte Zucht nahm. 17 Jahre alt kam er bei einem Schuhmacher in Bodö, einem kleinen Fischerort, in die Lehre. Bald wurde er dessen überdrüssig und schlug sich als Kohlenträger an der Schiffsbrücke daselbst einige Monate durch. Dann verließ er das Städtchen und zog Jahre lang in Land und Stadt umher, als Schultheißbote, Steinbrecher, Wegarbeiter, Holzhauer, Löscharbeiter usw. sein Dasein fristend. Ganz jung noch ging er als Heizer auf einem Ozeandampfer nach Amerika. 1885 taucht er wieder in Kristiania auf, 1886 geht er zum zweiten Mal nach der neuen Welt. Hier hat er sich in allen nur erdenkbaren Berufsarten versucht, u. a. war er Landarbeiter in den Prärien, Straßenbahnschaffner in Chicago, Vortragender in Minneapolis, Schlafwagenkondukteur auf einer amerikanischen Eisenbahn u. s. f. Drei Sommer und drei Winter lag er mit 8 Genossen auf den Bänken von Neufundland zum Kabeljaufang, ohne Zeitungen und ohne jede Anregung, von aller Welt abgeschnitten, nur Nebel und Meer und Wind und Wetter. Mit einigen Ersparnissen ging er nach Norwegen zurück. Von da ging er nach Paris und lebte hier unter den größten Entbehrungen ganz für sich, in fieberhafter Tätigkeit ein Werk nach dem andern schaffend. Seine Verhältnisse haben sich seitdem gebessert, aber seine ruhelose Lebensweise hat er bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Auch in Rußland und im Morgenland ist er gewesen und in seinem »Märchenland«, dem Kaukasus.

Als ich ihn im Sommer 1907 in dem Bergstädtchen Kongsberg aufsuchte, war er gerade mit Tischlerarbeit beschäftigt. »Es wird ein hoher Tisch«, sagte er, »der zugleich an der Seite einen Schrank hat, mit mehreren Schubfächern. Ich bin ja ein Arbeitsmann – dabei wies er mir seine mächtige, schwielige Faust und sein stark entwickeltes, sehniges Handgelenk – ein Proletarier wie Gorki. Dazwischen schreibe ich, aber davon werde ich so müde, ach so müde«. – »Ich lebe bald hier, bald da, immer wo anders. Und doch bin ich des Reisens müde und möchte einen festen Wohnsitz haben. Ich hatte schon einen, als ich mit meiner Frau zusammenlebte, in Dröbak (am Kristianiafjord). Auch hatte ich mir viele Möbel hie und da gekauft, im Empirestil. Ich liebe Empire mehr als Rokoko. Aber jetzt lebe ich von meiner Frau getrennt und habe das Haus und die schönen Möbel verkauft. Seit ein paar Tagen bin ich hier in Kongsberg, ich habe meine Bücher noch nicht ausgepackt. Ich schleppe so viele Koffer mit Büchern mit, das ist lästig. Ich muß auch immer eine große Fracht bezahlten. – Wenn ich nur nicht immer für mich selbst zu sorgen brauchte! Ich möchte ein Sklave sein, dann hätte ich es nicht nötig. Man müßte freilich einen guten Herrn haben. Es kann sogar eine Wollust sein zu gehorchen. Napoleon konnte so befehlen, daß es ein Genuß war zu gehorchen«. –

Das bunte Epos seines vielgestaltigen Lebens erhält demnach dadurch seine innere Einheit und tiefen Sinn, daß er im Grunde immer ein und derselbe blieb, ein Mensch von großer Einsamkeit, ein Träumer und ein geborener Dichter. Alle die wechselnden Berufe übte er nur beiläufig. Sie dienten seinem künstlerischen Erkenntnisdrange, alle Möglichkeiten des Lebens zu erschöpfen und alle Verstecke seines tiefgründigen Ich's auf experimentellem Wege zu erforschen. – Schon als Knabe liebte er das Alleinsein. Hatte er einmal bei seinem strengen Onkel eine seltene Freistunde, dann ging er in den Wald oder auf den Kirchhof. Hier wanderte er, wie er selbst erzählt hat, zwischen Kreuzen und Platten umher und träumte und dachte und redete mit sich selbst. Oder er saß im hohen und struppigen Gras und lauschte dem Winde, der in dem harten, ihm über den Leib reichenden Gras furchtbar sauste. Dazwischen knarrte die Wetterfahne auf dem Kirchturm, als ob das verrostete Eisen mit den Zähnen gegen ein anderes Stück Eisen knirschte in bitterer Klage über den ganzen Pfarrhof. – Über sein Leben in Amerika hat ein Journalist, der ihn in Minneapolis traf, interessante Mitteilungen gemacht (wie die meisten Angaben über sein Leben nach Carl Naerup, Det moderne norske litteratur 1890-1904) –: »Im gewöhnlichen Landbau und Straßenbahnwesen lag nicht seine Begabung. In Dacota (auf einer Farm) im Sommer hatte er keineswegs Anerkennung geerntet. Er hatte Kräfte genug, seine Stärke war die eines Löwen; aber wenn eine Arbeit seine Gedanken nicht ganz beschäftigen konnte, dann liefen diese mit ihm davon. Wenn er seine Schiebkarre gefüllt hatte, rollte sie sehr leicht fort; es bedurfte keiner Fürsorge, keiner Anspannung ... so vergaß er gewöhnlich seine Last an der richtigen Stelle umzustürzen und brachte beständig Verwirrung in die Erdarbeiten. Nicht besser ist es ihm als Straßenbahnschaffner in Chicago gegangen. Er konnte die Namen der Straßen, an denen man vorbeikam, in voller Ordnung und Reihenfolge nennen, von vorn und von hinten. Er irrte sich darin nicht, er sang sie mit einer kräftigen und wohllautenden Stimme heraus, um die ihn mancher Kondukteur beneiden konnte. Außerdem konnte er bei Tage die Straßenschilder vergleichen. Aber wenn er im Dunkeln aus dem einen oder andern Grund nicht darauf geachtet hatte, daß eine Straße seiner Reihe schon passiert war, geriet er in die vollständigste Verwirrung. Er besaß nicht den geringsten Ortssinn, und es war ihm schlechterdings unmöglich, sich zu orientieren, wo er war, bis er an die Endstation kam. Er nahm dann einen Straßennamen der Reihe aufs Geratewohl und sang ihn getrost heraus. Man kann sich die Verwunderung der Bürger Chicagos denken, wenn sie an den unmöglichsten Stellen abgesetzt wurden. Beschwerden liefen bei der Gesellschaft ein. –«

Der Typus des Hamsunschen Menschen tritt uns am reinsten in der lyrischen Prosa seiner mehr subjektiven Romane und in seinen Dichtungen entgegen. Der Schwärmer Hamsun gibt den Grundton ab in »dem wilden Chor« seiner Gedichte, die 1904 in der Ursprache erschienen. Daher habe ich im Einverständnis mit dem Dichter den norwegischen Titel »Det vilde Kor« für die deutsche Auswahl durch »Das Sausen des Waldes« ersetzt.

Den gleichen Stimmungen und Motiven hat Hamsun wiederholt in dithyrambischer Prosa und in Versen Ausdruck gegeben. Es sind seine innerlichsten und tiefsten Erlebnisse, die er bei seiner stark differenzierten Persönlichkeit häufiger erlebt hat. Aber neben diesem typischen Gehalt kommt der volle Zauber der unmittelbaren Gegenwart in der Besonderheit der Situation und der Nuance des Gefühls zur vollen Geltung. Die Szenerie ist in den meisten Gedichten die große Natur mit ihren weiten Perspektiven oder doch ein Ausblick auf sie. In sie hineingestellt ist der einsame Mensch mit der lauten Rede seines Herzens, die in der weiten Umgebung einen mächtigen Widerhall findet, oft bis zu den Sternen hinauf und bis zu Gott. Der Mensch vor der Ewigkeit!

Nicht immer freilich ist die große lyrische Form eingehalten. Das persönliche und individuelle Moment tritt naturgemäß mehr in den zahlreichen Liebesgedichten hervor. Hier entwickelt sich die Situation oft dramatisch im Zwiegespräch oder in den Wechselbeziehungen zwischen zwei Personen. Die ganze Skala der Gefühle von der tiefsten Verzweiflung und Bitterkeit bis zum höchsten Glück und Rausch der Liebe ist vertreten; das heftige Klopfen des Herzens in der Erwartung, das müde Schlagen des enttäuschten; Stelldichein, Trennung und Abschied; Wehmut, Resignation, Zorn über die Treulose und abgeklärte Erinnerung in buntem Wechsel.

Dennoch lassen sich leicht einige für Hamsun typische Züge auch in seiner Liebeslyrik wiederfinden. Dahin gehört vor allem das Grunderlebnis, das er im »Pan« und in »Victoria« erzählt hat. Seine große und einzige Liebe blieb unerfüllt. Der starke Naturmensch suchte seine Ergänzung in der verfeinerten Stadtdame. Ungeteilt und ganz gehörte er ihr. Auch sie verlangte nach ihm mit starker Leidenschaft, aber nur eine Zeit lang und wie nach einer Sensation. Neben ihm will sie noch viele andere Dinge nicht preisgeben. Er muß ihr in die Gesellschaft folgen, wo er nichts ist. Es ist »Edvarda« im »Pan«; sie quält den Jäger Glahn bis aufs Blut, bald fieberheiß, bald eisig kalt und selbst mit ihrem Blicke geizend. So wühlt sie sein ganzes Wesen auf. – Auch in den späteren Büchern Hamsuns klingt die Geschichte unerfüllter Liebe, milder und abgeklärter, immer wieder durch; noch in seinen letzten Romanen »Schwärmer« »Unter dem Herbststern« und »Benoni« als die unbefriedigte Sehnsucht eines großen Herzens oder als anspruchslose romantische Schwärmerei. –

»Edvarda« im »Pan« ist Alwilde in dem Zyklus: Fiebergedichte. Diese stammen aus seiner früheren Zeit, wo er noch nicht Herr über das Chaos in seinem Innern geworden war. (Zum ersten Mal 1895 in einer nordischen Zeitschrift gedruckt). Sie nahm ihr Wort zurück und führte ihn in die Irre (III). Er sehnt sich nach dem Nebelland des Todes. Vergebens seine Fragen, warum der Mensch allein so lange lebt im Vergänglichkeitschor des Herbstes (II). Seine Dankbarkeit und seine Demut waren ohne Grenzen, aber sie dankte ihm schlecht dafür (IV). Hierhin gehören offenbar auch die Gedichte »Jugendwirren«, »Nach dem Fest«, vor allem auch »Wiedersehen«. In ihm hat der Dichter seinen Humor wiedergefunden. Launig redet er zu sich selbst wie zu einem alten Kameraden: Laß niemand das Zittern deiner Kniee sehn! Verbirg den verschlissenen Rocksaum und gib dir Haltung als ob du Millionär wärst! – Und den Brand, der bei dem Wiedersehn in seinem Herzen aufflackert, will er jetzt wahrlich löschen! –

Neben der weiblichen Hauptfigur steht in den meisten Büchern Hamsuns das sanfte und stille Naturkind. Sie bescheidet sich mit dem, was die bevorzugte Dame übrig läßt. Es ist Eva im Pan, ganz Hingabe, ganz Demut und Liebe. Felix Poppenberg hat in seinem gehaltvollen Essay über Hamsun (»Nordische Porträts« in der Sammlung: Die Literatur) von einer Doppelliebe des Jägers Glahn zu Edvarda und Eva gesprochen. Aber Glahn liebt eigentlich nur Edvarda, ihr gehört sein Denken und seine Leidenschaft. Selbst wenn er bei Eva ist, spricht er von Edvarda. Eva gehört nur sein Mitgefühl und seine Dankbarkeit. Sie gibt ihm alles, ohne etwas von ihm zu verlangen, und sie bleibt für ihn eine rosenrote Erinnerung. – Die herrlichsten Gedichte entspringen der Liebe zu dem Naturkinde. Einen besonderen Reiz erhalten sie durch die Naivität des Gefühls und den seelischen Reichtum, der durch die Armseligkeit der äußeren Verhältnisse noch gehoben wird. Echt volkstümlich entfaltet sich in einem Zwiegespräch seine nackte Notdurft von der erträumten Schloßherrlichkeit bis zum gänzlichen Entblößtsein. Je weniger er aber sein eigen nennt, desto größer wird ihre Freude. [Sieh, draußen im Sonnenduft ...] Man wird an Walther erinnert, wenn die Liebenden sich heimlich im Grase betten. [»Sommernacht« »Nichts schöner als ...«] Noch immer trägt er den Ring aus Flaschendraht, den sie ihm einstmals in guter Stunde geschenkt hat, am Finger, obwohl er viel zu klein geworden ist. [Violoncel] – Auch Johann Nagel in den »Mysterien« trägt am Finger einen Eisenring, mit dem es eine besondere Bewandtnis hat. – Irdische Güter besaß er nicht, und doch kann sie ihn nie vergessen. Er war ein verwegener Hallingtänzer und seine Lieder sang er bis an seinen letzten Tag. [Thora singt].

Dem hingebenden Weib entspricht der Typus des Naturburschen mit den starken Instinkten und dem saugenden Tierblick, dem kein Mädchenherz widersteht. Er ist ein entsetzlicher Herr und Meister in der Liebe wie der junge Zigeuner in der Novelle »Alexander und Leonarda« oder der Telegraphist Ove Rolandsen mit dem großen gefährlichen Herzen in dem humorvollen Roman »Der Schwärmer«. Wie dieser streift er umher und segelt nach seiner glücklichen Schäreninsel, wo er tagelang wie ein Wilder lebt. Kein Weib widersteht dem brausenden Blick und dem Blütenduft seines Atems. [Er ist's.] Es ist der Jäger Glahn, so lange er mit der Mutter Erde in Berührung bleibt. Von ihm erzählt Edvarda noch nach 15 Jahren aus frischer Erinnerung in dem neuesten Roman Hamsuns »Rosa«: Er war ein Tier, ich verliebte mich über die Maßen in ihn, er war groß und freundlich. Er aß gewiß manchmal Renntiermose, denn sein Atem duftete wie bei einem Renntierochsen. Wildgeschmack lag in seinem Atem. – Einmal war sein Hemd offen, und er war dick behaart an der Brust. Es ist wie eine Wiese, sich hineinzulegen! dachte ich, denn ich war so jung. Er war ganz herrlich – er band seine Halsbinde wie ein Kind, oft vergaß er sie und ließ sie zu Hause liegen. – Ohne Grenzen war er – hier war damals ein Doktor, der hinkte. Glahn schoß sich durch den Fuß, um nicht besser zu sein als der Doktor. – Ohne Grenzen war er, ohne Grenzen. Er war kein Gott, aber er war ein Tier. –

Einige Male ist der Typus des sieghaften Mannes ins Romantische gesteigert. Im »Herrscherlied« ist er ein mächtiger Fürst mit einem Schloß an einem Salzwassersee. Er jagt und tollt mit einer Prinzessin, die ihm in stürmischer Wetternacht ganz zu Willen ist. Man erinnert sich der leuchtenden Schönheitsträume, die den heruntergekommenen Literaten in Hamsuns ersten Roman »Hunger« mitten in seinem tiefsten Elend und seiner hellsichtigen Verzweiflung überkommen – der Träume von der Prinzessin Ylajali und ihrem Schloß, wo seiner ungeahnte Herrlichkeiten warten größer als sie je ein Mensch fand. In »Abdullahs Hoffnung« und im Zyklus »Alraune« ist der Schauplatz das träumerische Morgenland mit seinen schweigenden Bewohnern, denen sich der Dichter innerlich wahlverwandt fühlt. Auch hier [Alraune II.] ein gewaltiger Jäger und Fürst der Tiere, ein Gott, der von Simla's Alpen hinabsteigt und das überraschte Mädchen, das Alraunenwurzel im Busen birgt, im Sturm erobert. –

Trotz des Reichtums der Motive hat stärker als alle Liebe die Natur auf Hamsun gewirkt und seine Persönlichkeit gestaltet. Sein Naturgefühl ist grundgermanisch und wie sein Liebesempfinden von großer Zartheit und Innigkeit. Oft sind seine Liebesgefühle mit Naturstimmungen zu einem wunderbaren Einklang verwoben z. B. in dem Gedicht »Nach dem Fest«. Zahlreich aber auch sind die reinen Naturgedichte, die nichts enthalten als eine Stimmung oder ein Gefühl, das aus dem Antlitz der Dinge und dem geheimen Weben und Raunen in der Natur auf die menschliche Seele einströmt.

Hamsuns Naturgefühl knüpft sich vor allem an den Wald. Er ist »der Sohn des Waldes und der Einsamkeit«, und in ihm möchte er dereinst sterben, ein Fest für die Tiere und – ein Leichenschmaus ... Im Wald sang er das Lied seiner Verzweiflung, ein zerlumpter Sänger, des Wahnsinns Sterne im Blick. In ihm fand er Worte für das schneidende Weh, von Gott verfolgt und mißhandelt zu werden. Im Walde aber auch heilten seine Wunden und seine Seele wird ausgeglichen und voll Macht. Er grüßt sich mit dem Degen »als seiner selbst ein Sieger« [Fiebergedichte VIII].

Eine innere Freude erfüllt ihn, wenn er durch den Wald streift. Seine Sinne sind offen und nichts entgeht seiner Beobachtung. Er spürt alles, jeden Duft und jeden Hauch. Alle Dinge strömen auf ihn ein, und er lebt mit ihnen zusammen, er teilt ihre Freuden und ihre Schmerzen. Der Leutnant Glahn ist Jäger, nicht um Tiere zu schießen, sondern um im Walde zu leben. Ein Stein steht vor seiner Jagdhütte, der ihn mit Wohlwollen grüßt, wenn er vorbeikommt, und wie ein guter Freund auf ihn wartet, wenn er zurückkehrt. Er liebt alle Wesen, auch die winzigsten, und legt eine ganze Seele in sie hinein. Ein zitternder Grashalm oder ein beinahe verfaulter Zweig auf dem Wege gibt ihm zu denken. Er nimmt ihn auf, Mitleid durchzieht sein Herz. Er schleudert den Zweig nicht von sich, sondern legt ihn behutsam nieder und hat Gefallen an ihm. – In dem Gedicht »Herbstnacht« zieht der Dichter den erhobenen Schuh, mit dem er im Liegen über den Himmel und die Sterne schrieb, wieder zurück, um nicht ein Mäuschen zu erschrecken. Sein zur Verehrung geneigtes Herz ist wie in der Liebe von Dankbarkeit und Demut erfüllt. Er dankt Gott für alles, das ihm zuteil ward. [Der Lenz jubiliert ...] – und daß er es ist, der das alles erleben darf. –

Oft gerät er in einen Rausch des Entzückens im seligen Ausströmen seines ganzen Seins in die große Natur und das unendliche All. Dann ist sein Herz aufgelöst vor Danksagung, er spricht laut vor sich hin, und seine Rede tönt aus der Tiefe des Herzens. Alle Dinge ruft er bei Namen, Vögel, Bäume, Gras und Ameisen. In überströmender Freude segnet er das Leben und die Erde und den Himmel. Er segnet die Lüfte, die ihn umwehen, und sein Blut beugt sich in seinen Adern vor Dank gegen sie. Die Stimmung des Waldes schwankt durch seine Sinne auf und nieder, und er vermischt sich mit allen Dingen. – In solchen Stunden wird sein Herz zum Märchengarten. Pan, der Gott des Waldes, sitzt gekrümmt auf einem Baum und sieht schielend seinem sonderbaren Benehmen zu und lacht über ihn, daß der ganze Baum bebt. Seltene Blumen, die ihn auf der Schäreninsel [das gleichnamige Gedicht] mit lachenden Kinderaugen ansehen, erblühen auch in seinem Innern. – Die Sage von Iselin wird in Glahn lebendig. Ein Schauer geht durch den Wald, das könnte Iselins Stimme sein. Er schließt die Augen und fühlt Iselins Kuß. – Man kann es wohl verstehen, daß Hamsun auch gerade Böcklin in einem Gedichte gehuldigt hat.

Bemerkenswert ist es für den Dichter Hamsun, daß die Wahrnehmungen des Gehörs, des philosophischsten aller Sinne, vor den übrigen, so scharf diese auch sind, den Vorrang haben. Mit ihnen verbindet er die höchsten Wertgefühle, sie vermitteln ihm die tiefsten Offenbarungen. Die rhythmischen Geräusche wiegen ihn in süße Träumerei ein. Und er hört alle, auch die heimlichsten und leisesten Töne, das nächtliche Knicken der sonnverbrannten Halme und das Fallen der Tannennadeln [Herbstnacht] so gut wie das Brausen des Meeres, die kleinen Melodien der niederrieselnden Wasser an den schwarzen Felswänden und das Sausen des Waldes. Dieses hat es ihm besonders angetan. Oft liegt er nachts im Walde und lauscht dem Sausen, »dem Muschelsausen ewig lang und lange«, in der Herbstnacht beim flackernden Schein des Feuers [Das Sausen des Waldes] oder im Sommer, wenn jeder Busch ein Haus ist. Dann erklingt seine Seele wie eine Saite in dem großen Choral der Natur. Seine Träume verlieren sich in ferne Welten, bis Dunkelheit ihre Steige deckt und er auf seinem Moosbett in Schlaf fällt. [Das Sausen der Nacht.] Oder er lauscht dem seltsam bebenden Frühjahrsspiel. Dann klingt ein Danklaut seines Herzens in die große Musik der Natur und ein Hufgetrampel der Freude durchbebt seine Brust. [Der Lenz jubiliert ...] Und in der Winternacht singt ein Ton in ihm, schwer und reich an Gold, und sein Herz will fast vor Glück vergehen zu langen, brausenden Akkorden. – [Der Ton].

In solchen beseligten Stunden wird ihm Gott zum Erlebnis: »Horch nach Osten und horch nach Westen, nein Horch! Das ist der ewige Gott! Diese Stille, die an meinem Ohr murmelt, ist das Blut der Allnatur, das siedet, Gott, der die Welt und mich durchbebt« und an anderer Stelle im »Pan«: »Nach einer Stunde fangen meine Sinne an, in einem bestimmten Rhythmus einzuschwingen; ich klinge mit in der großen Stille, klinge mit. Ich sehe hinauf zum Halbmond, er steht am Himmel wie eine weiße Muschel, und ich empfinde etwas wie Liebe zu ihm, ich fühle, daß ich erröte. Das ist der Mond! sage ich leise und leidenschaftlich, das ist der Mond. Und mein Herz schlägt ihm in leisem Klopfen entgegen. Es dauert einige Minuten. Es weht ein wenig, ein fremder Wind kommt auf mich zu, ein seltsamer Luftdruck. Was ist das? Ich sehe mich um und erblicke niemand. Der Wind ruft mich und meine Seele beugt sich bejahend dem Ruf, ich fühle mich aus dem Zusammenhang herausgehoben, an eine unsichtbare Brust gedrückt, meine Augen werden feucht; ich zittere – Gott steht irgendwo in der Nähe und blickt mich an. –«

Ecce homo! Die Geburt einer reinen pantheistischen Naturreligion in einem leidenschaftlich erzitternden Menschenherzen!

Überhaupt ist Hamsun der philosophische Trieb, von der Seite des Gefühls, eigen, alle Dinge zu vereinheitlichen und das Ganze des Alls zu umfassen. Alle Dissonanzen lösen sich in dem beseligenden All-Eins-Gefühl mit der Natur und alles ist in Gott, Pan-en-theismus. Ein kosmisches Empfinden durchglüht ihn, und er verliert sich oft in die Mystik des Sternenhimmels. [Sternengesang; die Posaune.] Er lauscht der Musik der Sphären, auch die Erde und die Sterne sind beseelt, und er hört das Siebengestirn in seinem Blut singen. Alles ist eins; die tiefe Mystik des Alls erlebt er als Musik in seiner Seele, in den Schwingungen seiner Nerven und dem Raunen seines Blutes, gleichsam auf psychophysischer Grundlage; und er dürfte in diesem Punkte, sollte man einen modernen Philosophen der Wissenschaft nennen, Fechner am nächsten kommen. Auch das stärkste ethische Motiv der Persönlichkeit, das Weltbild nach eigenen Kategorien umzubilden und zu gestalten, ist in ihm wirksam. Die Welt und ihre Wertung kümmert ihn wenig, auch wenn sie ihn mit Schmutz bewirft. [Entschuldigung.] Glücklich ist er, wenn er ein paar neue Schuh hat und Geld in der Tasche und sein Licht festlich in der Flasche brennt. Er hat seine eigene Wertung der Dinge. Ein Loch am Knie oder an den Socken kann ihn in seinem überlegenen Humor nicht stören. Weinen dagegen kann er über Dinge, die andern unbedeutend vorkommen. [An Fräulein S. ***].

Hamsun ist in allem ein Eigener. Seine Sprache hat er sich selbst geschaffen, sowohl seine rhythmische, äußerst knappe und suggestive Prosa wie seine klingenden Verse. Ganz neue Klänge hat er der spröden norwegischen Sprache abgelauscht, und für seine subjektive Stimmungslyrik das noch wenig behauene Material der Volkssprache und oft nur mundartlichen Ausdrucksweise mit sprachschöpferischer Kraft geformt. Und dem entspricht die innere Form seiner Gedichte; stets spürt man in ihnen den Atem einer großen Persönlichkeit, die sich Zoll für Zoll selbst geschmiedet hat.

Das wird noch deutlicher durch eine Parallele zu dem eine volle Generation älteren Lyriker Björnson. Beide sind demselben Boden entwachsen und haben darum naturgemäß auch viel Gemeinsames. Beide sind freudige Bejaher des Lebens und urwüchsige Dichternaturen. Dennoch trennt sie die Kluft eines vollen Zeitalters. Björnson geht fast immer im Empfinden der Masse auf. Sein Bestes sind seine volkstümlichen Weisen, seine Balladen und Nationallieder. Wo er nicht sein ganzes Volk vertritt, ist er doch der Führer einer Partei oder einer Schar blind ergebener Anhänger. Seine persönlichen Gefühle stellt er zurück. Durch die Einsamkeit fühlt er sich bedrückt, stark dagegen im Zusammenfühlen mit anderen Menschen. Hamsun fühlt sich umgekehrt stark und ganz nur im Alleinsein, zersplittert aber und schwach in der Gesellschaft. Er hat kein einziges nationales Lied, keine volkstümliche Ballade gedichtet. Björnson ist in erster Linie Epiker. Auch in seiner Lyrik ist er am größten, wo er im knappen Saga-Stil erzählt. Daneben ist er Prophet und Kämpfer. Sein lyrisches Element ist das Pathos und fortreißende Begeisterung. Er liebt daher die großen Worte und die himmelstürmende Geste. Stets ist er auch Bannerträger demokratischer Ideen und sozialer Aufklärung gewesen. Oft mischt sich die unkünstlerische Tendenz auch in seine lyrischen Gedichte. Hamsun dagegen ist Lyriker und nichts als Lyriker. Er bringt nur die allgemein menschlichen Gefühle, die nicht auf ein Volk oder eine Partei beschränkt sind, in vollendeter Form zum Ausdruck. Björnsons Wirkung als Lyriker geht in die Tiefe; er hat sich für immer in das Herz seines Volkes hineingesungen; aber kaum wirkt er mit seinen Gedichten über die Grenzen Skandinaviens hinaus. Hamsun dagegen ist Weltlyriker im besten Sinne des Wortes; er kann überall verstanden werden, wo empfängliche Herzen dem Rauschen des Meeres und dem Sausen des Waldes lauschen.

Dr. Heinrich Goebel,

Hildesheim.


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