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Hochgeehrter Herr Doktor!
Die Gedichte, die ich herausgegeben habe, machen nur einen kleinen Band aus, und es sind vielleicht auch nicht die besten, die ich geschrieben habe, ich weiß es nicht. Später werde ich einmal andere Sammlungen zustande bringen, ich habe zahlreiche Verse liegen.
Ich finde nämlich, daß es eine Unverschämtheit gegen die Leser ist, Entwürfe und lose poetische Skizzen als fertige Gedichte herauszugeben.
Jeder Dichter weiß, daß Gedichte unter einem stärkeren oder schwächeren Druck der Stimmung geboren werden. Es summt ein Ton in uns, Farben leuchten auf, man fühlt, daß etwas in unserm Innern rieselt. Es kommt darauf an, wie lange dieser Gemütszustand dauert; ich habe es – in guten Augenblicken – erlebt, daß ich schlechterdings nicht einen Vers fertig bringe, bevor der nächste zuströmt; ich muß dann den halbfertigen Vers überspringen und mit einem neuen weiter unten auf dem Papier beginnen, ja oft steht nur eine einzelne Zeile hie und da, die nicht dem großen Strom mitgefolgt ist. Und dürfte ich dann diesen unvollkommenen Entwurf herausgeben? Es würde weder mich selbst noch die Leser zufriedenstellen.
So kommt es, daß ich eine Menge Verse liegen habe, die nicht herausgegeben werden können, bevor die Form verbessert ist.
Ich weiß nicht, wie die großen Lyriker arbeiten, bei denen vielleicht das Gedicht vollständig fertig und ohne Fehler im Stimmungsaugenblick selbst entsteht. Ich will nur – auf Ihren liebenswürdigen Wunsch, Herr Doktor – erzählen, wie meine eigenen Verse zustande kommen.
Es ist übrigens kein wesentlicher Unterschied in meiner Arbeitsweise bei Prosa oder bei Poesie. Ein ganzer Teil von dem, was ich geschrieben habe, ist bei Nacht entstanden, wenn ich einige Stunden geschlafen habe und dann wach werde. Ich bin dann klardenkend und äußerst empfindsam. Ich habe immer Papier und Bleistift neben meinem Bett liegen, ich zünde kein Licht an, aber ich fange sogleich an im Dunkeln zu schreiben, wenn ich fühle, daß etwas einströmt. Es ist mir zur Gewohnheit geworden, und es wird mir nicht schwer, meine Papiere des Morgens zu deuten.
Ich wünsche nicht, Ihnen den Eindruck von etwas Mystischem bei dem Entstehen meiner Gedichte zu geben. Daß ich am besten im Dunkeln bei Nacht schreibe, ist eine Art – oder Unart –, zu der ich wohl ursprünglich in mir in den Jahren den Grund legte, als ich kein Licht zum Anzünden besaß und mich so gut ich konnte behelfen mußte. Es ist nichts Mystisches und nichts »Geniales« darin. Die wirklich großen Dichter haben wohl auch ihre eigene Methode, die von meiner verschieden ist, ich weiß es nicht. –
Im Sommer habe ich meine beste Zeit. Viele Gedichte entstehen, wenn ich auf dem Rücken im Walde liege. Ich versuche, von Menschen und von allen Erinnerungen an das moderne Leben weit wegzukommen, ich versetze mich in die Tage meiner Kindheit, als ich ging und die Tiere daheim hütete. Damals erwachte mein Naturgefühl – wofern ich ein solches habe –, ich lebte jedenfalls von meiner ersten Kindheit an auf Grasflächen, im Walde und in den Bergen, und ich traf alle Tiere und Vögel, die seitdem meine guten Bekannten für das Leben wurden. Das Meer gehört auch mit in die Naturumgebungen, mit denen ich seit meinem vierten Jahre zusammen aufgewachsen bin. Meine Heimat lag am Westfjord, und dieser Fjord öffnet sich weit geradeaus zum Atlantischen Ozean.
Und darum sind die Berichte der Forscher und Entdeckungsreisenden meine liebste Lektüre. Diese Leute können nicht so gewandt wie die Dichter von Beruf mit gewählten Adjektiven umspringen, darum sagen sie mir so sehr zu. Wenn ich manchmal Naturbeschreibungen in modernen Romanen lese, so erfüllt es mich mit Widerwillen, ich sehe ziemlich bald, daß es nur etwas angelernte Naturkenntnis ist, mit einiger Beobachtung an Ort und Stelle vermischt, nicht das innerliche und heilige Einsgefühl mit Wald und Weiten.
Der Winter ist meine härteste Zeit. Ich liebe den Schnee nicht, sein Anblick quält mich und meine Vernunft versteht nichts davon als seine ewige und naturwidrige Sinnlosigkeit. leb habe im Winter zu Weihnacht ein großes Epos geschrieben; aber das ist gewiß traurig mißlungen, obwohl es von einem unserer ersten Künstler illustriert ist.
Wenn im Winter etwas geschieht, was mich an den Sommer erinnert, so fühle ich immer Freude und Wohlbehagen. Das Fallen des Regens auf den Schnee bei Witterungswechsel, ein kleines Vogelpiepen in einem Baum oder der Blütenduft gewisser Parfüms tun mir eine kurze Weile wohl; manchmal auch überkommt mich, wenn eine Fliege im Fenster summt, eine kleine rote Freude in der Erinnerung an den Sommer, der jetzt unter dem Schnee liegt.
Der Frühling beginnt mich schon im Februar oder März zu beherrschen. Dann kommt die lichte Zeit wieder, man faßt neue Hoffnung, und es wird der Verse mehr.
Viele weitere Verse zu denen, die schon liegen und darauf warten, fertig geschrieben zu werden.
Dies ist es, Herr Doktor, was ich Ihnen über meine Versdichtung mitteilen kann. Gebrauchen Sie es, wie Sie es selbst wünschen, mögen Sie nun diese Zeilen übersehen oder nur die brauchbaren Stellen benützen, wenn Sie Ihre Einleitung schreiben.
Mit freundlichem Gruß