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Paul der Vierte ist eine von den Erscheinungen, die als Monstra der Geschichte dastehen. Mit dem Namen Caraffa bezeichnet man den ganzen Umfang der von Rom aus als Heilmittel der Ketzerei losgelassenen Greuel. Um zu zeigen, wie jetzt verfahren wurde, nur wenige Daten. Auf jede Art der Verbindung mit Ketzern, also auch nur zufälliges Zusammentreffen, 500 Dukaten Strafe das erste Mal, im Wiederholungsfalle Tod. Bei bloß einmaligem längeren Gespräch mit solchen, die aus irgendwelchen Ursache in Ketzerangelegenheiten vor Gericht gefordert waren, das erste Mal 250 Dukaten, dann Exil, dann Tod. So 1558. Drei Jahre später die Verfügung, daß alle Briefe und Gepäckstücke jeder Art im Interesse der Inquisition geöffnet und durchsucht werden dürfen. Bald darauf die schärfsten Überwachungsmaßregeln für die im Auslande reisenden Kaufleute. 1566, wer mit Genf irgendwie im Verkehr steht, Tod, 1568 Überwachung aller Fremden. Dem Herzoge muß in Florenz rapportiert werden über die Anzahl der vergebenen Hostien. Dies der Fortgang der Dinge. Giulio der Dritte war als Nachzügler Farneses der letzte Papst im alten Geiste gewesen. Mit ihm verschwand die heitere Renaissance, und auf das Jahrhundert des Wiederaufblühens folgte das der Wiedervernichtung.
Dennoch, finde ich, wird Caraffa Unrecht getan. Er war nicht grausam von Natur. Er glaubte an das Gute im Menschen und zeigte sich milde, wo er keinen Verdacht hegte. Und dann wie er die Zeit auch trieb: mehr noch ward er von ihr getrieben. Kaum, daß Polo und Morone, die bei der Wahl neben ihm im Vordergrunde standen, im allgemeinen andere Wege hätten einschlagen können. Polos Auftreten in England zeigt das, wohin er als Legat ging und wo er der begrabenen Ehefrau eines übergetretenen Italieners, Peter Martyrs, der vor Zeiten sogar zu seiner und Vittorias Gesellschaft gehört hatte, den Prozeß machen ließ. Noch in der Verwesung sollte der Leichnam die Qualen und die Schande erfahren, die der längst entschwundenen Seele zugedacht waren. Und trotz dieser Energie fiel der Kardinal als anrüchig in Ungnade, während Morone ins Gefängnis mußte. Caraffa saß da wie ein mit Feuer erfülltes Gerippe, er hätte am liebsten mit einer einzigen Flamme die Ketzer alle auf einmal weggesengt. Und während er so dachte und in den Kasteiungen fortfuhr, die er sein Lebtag geübt, mißbrauchten seine Verwandten ihre Stellung unter seinen Augen auf brutale Weise. Paul ahnte lange nichts davon, dann aber, als ihm die Augen aufgingen, strafte er wie ein Rasender. Und mit demselben idealen Wahnsinn begann er den Krieg gegen Philipp den Zweiten, der als Nachfolger Karls des Fünften Spanien, Mailand und Neapel übernahm und Rom so völlig bei den Flügeln hielt, daß die militärische Bewegung, mit der er die Leute im Vatikan endlich zur Vernunft brachte, kaum ein Feldzug zu nennen war.
Der Papst blieb taub gegen alle Vorstellungen. Er empfand die unwürdige Stellung Roms Spanien gegenüber: unter jeder Bedingung sollte dagegen losgebrochen werden. Ein Vertrag mit Frankreich wie gewöhnlich. Noch einmal stand die Freiheit von Florenz auf der Liste der vereinbarten Punkte: der spanische Cosimo sollte fort und der Stadt ihr altes Recht wiedergegeben werden.
Die Spanier wußten alles. Sie warnten. Sie machten endlich Ernst. Eine Armee unter Alba kommt aus Neapel heran, legt sich wie eine große Schlange um Rom und zieht ein paarmal die Schlinge an, und darauf dann Versöhnung, Verzeihung und herzliches Einverständnis. Caraffa empfängt durch den äußersten Hochmut, den er zu Schau trug, fast etwas Komisches. Er wollte mit keinem Diplomaten unterhandeln. Er, der einfache asketische Mann, hatte als Papst eine ungeheure Pracht zu entfalten begonnen, nur um der Kirche willen. Er sei der erste Fürst der Welt, danach solle sein Haus gehalten werden. Die Kunst war ihm gleichgültig, aber die Peterskirche sollte rasch emporsteigen. Deshalb ließ er Michelangelo seine Gnade zuteil werden und tat mehr für den Bau als einer der früheren Päpste.
Auch als Rom gegen die Spanier in Verteidigungsstand versetzt wurde, wobei die Mönche in ihren Kutten Erde tragen mußten, wurde Michelangelo um Rat gefragt; dann aber, als die Spanier immer näher kamen, verließ er die Stadt. Er hatte damals gerade Urbino, seinen treuen Diener, durch den Tod verloren und war in trostloser Stimmung. Hätte er nach Florenz zurückkehren wollen, niemals wäre die Gelegenheit passender gewesen, aber er ging in die Gebirge von Spoleto und blieb dort, bis im September die Rückkehr nach Rom möglich war.
In dem Briefe, in dem er Vasari mitteilt, daß er zurück sei, findet sich zum ersten Male ein Wort über die Natur. Es ist seltsam, auch nicht ein Anklang bis dahin weder in Briefen, mündlichen Äußerungen oder Gedichten. Wie, wenn man Rousseaus Confessions durchliest, Gemälde und Statuen ausgestrichen erscheinen aus der Reihe der Erscheinungen, so verschwinden, wenn von Michelangelo die Rede ist, Wälder und Wolken, Meere und Gebirge, und nur was von dem Geiste des Menschen geformt wird, bleibt übrig. Michelangelos einsame Fahrt in das Gebirge damals war der erste Weg, den er machte, um die Natur zu suchen. »Große Unbequemlichkeiten und Ausgaben habe ich gehabt«, schreibt er Vasari, »aber auch großen Genuß, als ich die Einsiedler des Gebirges besuchte; meine Seele ist mehr als zur Hälfte dort zurückgeblieben, denn wahrlich, nirgends ist Frieden als in den Wäldern.«
Diesen Frieden mußte er besonders jetzt vermissen, wo die Intrigen Piero Ligorios begannen und er durch den Verlust Urbinos sich um ein gutes Teil mehr von der Welt getrennt fühlte. Denn je älter er ward, um so mehr schwand nun die Zahl auch derjenigen, die er schon in mittleren Jahren an sich gezogen. Tag und Nacht hatte er an seines alten Dieners Krankenlager gesessen, dessen Witwe er, wie schon erzählt worden ist, die sorgsamste Teilnahme zuwandte. Der Brief, den er nach Urbinos Verscheiden an Vasari schrieb, ist wahrhaft verzweiflungsvoll. Nur die einzige Hoffnung bleibe ihm jetzt noch: den verlorenen Freund in jenem Leben bald wieder zu finden. Er habe wohl gefühlt, wie Urbino, als er im Sterben gelegen, weniger durch die Furcht vor dem eigenen Tode, als durch den Gedanken gelitten habe, ihn so alt und einsam in dieser verräterischen Welt der Trübsal zurücklassen zu müssen, in der ihm nun nichts mehr übrig sei als unendliches Elend.
Die Reise ins Gebirge aber hatte ihn doch aus seinen Schmerzen herausgerissen und ihm neue Kraft verliehen seinen Feinden gegenüber. Er wich und wankte nicht. Wieder schrieb ihm jetzt der Herzog in den liebevollsten Ausdrücken und ließ den Brief durch einen seiner eigenen Kämmerer nach Rom tragen. Michelangelo blieb fest. Es würde Schimpf und Schande für ihn sein, antwortete er Vasari, jetzt fortzugehen, wo nach langem Brachliegen die Arbeit neu aufgenommen worden sei und das Wichtigste, was seit zehn Jahren vorbereitet werde, wirklich geschehen solle. Wäre zu allen Zeiten fortgearbeitet worden, wie unter Paul dem Dritten begonnen sei, dann würde er jetzt den Wunsch hegen dürfen, sich nach Florenz zurückzuziehen, so aber sei es unmöglich. Vasari möge dem Herzoge danken für die so gütigen Briefe. Er selbst könne nicht antworten, sein Geist sei zu sehr angegriffen und das Schreiben eine harte Arbeit für ihn; aber wolle er jetzt von Rom fortgehen, so würde er nichts tun, als einigen Dieben einen großen Gefallen erweisen und das Verderben des Baues, ja dessen Aufhören für alle Zeiten vielleicht herbeiführen.
Und in diesem Sinne beantwortet er alle noch folgenden Aufforderungen. Eine Sünde würde es sein. Um Gottes willen habe er begonnen: er müsse aushalten. Wohl sei es ein lockender Gedanke, seine müden Gebeine neben die seines Vaters zu betten, aber er dürfe nicht. Und wie Michelangelo aushielt, hielt auch der Papst aus. Seine Gegner vermochten nichts durchzusetzen. Der Herzog, dem gegenüber Michelangelo auch das geltend machte, daß er sich zu alt und gebrechlich fühle, um die Reise zu unternehmen und die milde römische Luft, an die er gewöhnt sei, mit dem schärferen Klima von Florenz zu vertauschen, stellte ihm schließlich frei, in Rom zu bleiben. Als Cosimo in den letzten Jahren Michelangelos nach Rom kam, besuchte er ihn, ließ ihn neben sich niedersetzen und bezeigte ihm ehrerbietige Hochachtung, während schon vor ihm selbst sein Sohn, der zum Kardinal gemacht worden war, ihn aufgesucht und mit derselben Ehrfurcht behandelt hatte. Die Gedanken an Politik traten jetzt in den Hintergrund. Alle waren tot, die ehedem für die Freiheit gekämpft, ja sie nur noch erlebt hatten, und der neue Zustand ein unumstößlicher geworden. Michelangelo ließ sich die Ehre gefallen, mit der er von den Inhabern der neuen Gewalt umgeben wurde. Er sah ein, daß es nicht an Cosimo allein liege, sondern daß die Natur der Menschen sich verändert habe. Er nahm Rücksicht auf seine Familie. Er gebrauchte gegen den Herzog die Formen untertäniger Höflichkeit, mit denen seiner zu erwähnen schicklich gefunden wurde: was er im stillen dachte, wissen wir darum nicht. Altersschwäche hat ihn niemals übermannt, seine Klugheit ihn nie verlassen, und auf irgendeine Art hat er sogar stets ausgesprochen, was er in der Tiefe fühlte; ich führe hier eins von seinen Gedichten an, dessen Entstehungszeit wir nicht kennen, das aber wohl die Ergänzung zu jener äußerlichen Nachgiebigkeit bilden könnte, die Männer, wie Vasari, weil es in ihrem Interesse lag, für eine Umkehr ausgaben.
So viel scheint groß und kostbar, und es blickt Das Volk drauf hin bewundernd, aber einer Steht abseits, ihm erscheint es um so kleiner Und gallenbitter, was sie hoch entzückt. Und das sogar: der eitlen unverständ'gen Mein Glück ist nur, daß ganz verborgen sei, Blind ist die Welt und nur Verrätern treu, |
Es ist nicht nötig, daß diese Verse auf den Herzog von Florenz gedichtet seien, die darin ausgesprochene Gesinnung aber genügt, ihnen diese Beziehung beizulegen. Wer so geheim hielt, was er dachte, und sich bis zur scheinbaren Anerkennung des Gegenteils bringen ließ, von dem darf angenommen werden, daß er in dem, was ihm sein Lebtag das Heiligste war, eher eine Veränderung der Gesinnung heuchelte, als daß er sich hätte belehren lassen. Und dies wäre selbst für den Fall festzuhalten, daß Michelangelo sich in der Folge sogar wirklich entschlossen hätte, nach Florenz zurückzukehren, nicht um seiner Vaterstadt willen, sondern weil seine Gegner in Rom immer mehr taten, ihn dort unmöglich zu machen. Denn damals, so alt er war, lagen noch viele Jahre und Erfahrungen für ihn in der Zukunft.