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Doch all dies war so in Venedig gewesen, als es Michelangelo 30 Jahre früher zum ersten Male sah, wenn auch damals vielleicht zu jung, um es ganz verstehen zu können. Eins aber mußte ihm neu sein: es hatte sich während dieser Zeit eine eigentümliche Kunst dort entwickelt. Die Anfänge, die er damals erblickte, hatten eine wunderbare Ausbildung erhalten. Denn gemalt wurde in Venedig, wie überall, auch im fünfzehnten Jahrhundert, und es besaß ausgezeichnete Meister, aber sie gehörten der alten Schule an: scharf gezogene Umrisse, in die mit den Farben mehr hinein gemalt ward, als daß das Gemälde in sich von Anfang an als eine selbständige Harmonie von Tönen empfunden worden wäre; harte Gegensätze von Licht und schweren undurchsichtigen Schatten liebte man hier gerade vorzugsweise. Giovan Bellini arbeitete in dieser Manier, er war der beste Maler in Venedig, als Michelangelo im Jahre 1494 dahin kam. Seitdem aber hatten sich zwei Genien erhoben, die, wie Raffael und Michelangelo in Florenz und Rom, so hier eigene Wege gingen und eine Kunst ins Leben riefen, die, wunderbar und eigentümlich wie die Stadt selbst, eine neue Erscheinung bildet.
Venedig war modern. Es stand auf keinem Boden, aus dem Statuen ans Licht geholt wurden: keine antiken Bauten, die von alter ehrwürdiger Kultur redeten, nichts dort, was als Muster alter vollkommener Arbeit sich zum Vorbilde aufdrängte für das Neuzuschaffende. Keine Schriftsteller, die von antiken Venezianern berichteten und deren Worte den Leuten in den Ohren lagen. Abgeschlossen und einsam, wie eine mitten im Meere vor Anker liegende ungeheure Flotte, hatte die Stadt nichts als sich selber, was sie erfüllte, war das Gefühl des Augenblicks. Sie sprachen ihr eigenes musikalisch tönendes Patois, und darin sangen und dichteten ihre Bürger oder diskutierten über Krieg und Handel und Staatsgeschäfte. In den fremden Ländern des Orients sahen sie seltsame Bauten, und danach führten sie ihre Kirchen und Paläste auf. In der Ferne erblickten sie wohl das feste Land und die Kette der Alpen, dicht um sich her aber nichts als Himmel und Meer; und näher als der Reiz bebauter Ebenen, Wälder und Gebirge waren ihren Augen die ewig wechselnden reineren Farben der Wellen und Wolken. Und wie alle Kunst ein Abbild dessen ist, was die Seele des Menschen erfüllt, so die in Venedig aufkommende Malerei, die die festen Linien der Römer und Florentiner verschmähend, den weichen Farbenglanz, der die Stadt umspielte, zum Ausdruck ihrer Gedanken nahm.
Wie Musik zur Dichtkunst, verhält sich Tizians Kunst zu der Raffaels und Michelangelos; wie das Leben in Venedig Musik war gegenüber dem Geräusche Roms und der florentinischen Straßen. Rennen, Reiten, Degengerassel und Gelärme herrschte dort, während in den Kanälen Venedigs die Gondeln wie zwitschernde Schwalben hin- und herflogen. Noch einmal lasse ich Aretin reden, der an Tizian schreibt:
»Ich lehnte mich auf die Brüstung des Fensters«, lautet sein Brief, »und sah herab auf die unzähligen Barken mit Fremden und Venezianern darin, der Canal grande von ihnen durchfurcht, und das Volk an den Ufern, das dem Wettlaufe der Gondeln zuschaute und bravo rief, alles hatte ich unter mir bis zum Rialto hin.
Und nun hob ich die Augen zum Himmel, und seit Gott ihn geschaffen, sah ich ihn nicht so schön: solche Farben, solche Schatten, solches Licht. So war er, wie die Künstler ihn malen möchten, die euch um das beneiden, was ihr könnt und sie nicht. Erst die Massen der Gebäude, deren Stein durch die Glut des Abends in ein von der Kunst geschaffenes, edleres Material verwandelt schien, dann darüber klare Luft, ein lichter, breiter Streifen, dann Gewölk, das, dunkel und schwarzgrau herabhängend, als wollte es eben losbrechen, die Spitzen der Häuser zu berühren schien und sich so fortschiebend in der Ferne verlor, vorn von der untergehenden Sonne mit Flammen erfüllt und in der Weite von sanfterer, weniger brennender Röte angehaucht. Welch eine Meisterin war die Natur in diesem Momente, mit welchen Pinselzügen sie die Luft malte, wie sie sie zurückweichen ließ weit hinter die Paläste! Stellen hatte der Himmel, wo er blau mit grünlichem Anfluge, Stellen wieder, wo er grün mit bläulichem Anfluge war, eins hob das andere, eins ging über ins andere: Tizian, mußte ich ausrufen, wo seid ihr, um das zu malen!«
Keine Spur habe ich von so begeisterter Anschauung der liegenden Natur bei Römern oder Florentinern gefunden. Eher Abneigung gegen das Landschaftliche. Die scharfe Sonne zeigte ihnen das Licht zu grell, die Schatten zu fest, es fehlt der vermittelnde durchsichtige Nebel, der die Lichter dämpfte und den Schatten die Farbe nicht nahm. Ihre Malerei neigt zu bildhauerartiger Auffassung, rund und greifbar wollen sie die Dinge erscheinen lassen, nicht bloß den unbestimmten Farbenschimmer geben, in den sich unter dem feuchten Sonnenglanze von Venedig die Gestalten aufzulösen scheinen. Raffael und Michelangelo sahen den menschlichen Körper mit Augen an wie die Geologen die Gebirge, deren innerste Struktur ihnen durch die äußeren Linien durchscheint. Wohl mögen sie es beide mit bewundernder Seele gesehen haben, wenn die Abendröte über die Campagna hinflog oder auf den Türmen und Zinnen von Florenz lag, aber ihre Kunst war nicht dazu da, diesen unbestimmten Glanz festzuhalten. Was sie darstellten, war die Harmonie der Linien in den Bewegungen menschlicher Gestalten; Tizian sah mehr: er erblickte in den Dingen die Stellung der Farben zueinander, von ihnen aus erst gelangte er zu den Linien, jene dagegen von den Linien zum Kolorit. Wie Aretin sagt, daß, angeschienen von der tiefliegenden Sonne, die Steine sich in ein idealeres Material verwandelt hätten, so erhöht Tizian den Stoff dessen, was er darstellt. Er durchhaucht es mit innerlichem Lichte. Seine Farbe hat etwas dämmerigleuchtendes. Wenn der klare Tag auf die Dinge anprallt, entsteht farbloser, das Licht zurückwerfender Glanz, und, hart davon abgetrennt, farbloser Schatten; was die Sonne am Meere beleuchtet aber, das scheint ihr Licht einzufangen gleichsam und selber leuchtend aus sich zu werden.
Giorgione hatte seinen Gemälden diese Eigentümlichkeit zuerst mitgeteilt. Die Umrisse verschwinden beinahe zu etwas Unwesentlichem. Wie wir, wenn uns lebendige Menschen entgegentreten, nur Farbe und Bewegung sehen, so auf seinen Bildern: das Feste, Statuenhafte fehlt, das Lebendige, ewig Bewegliche nur scheint festgezaubert. Diese Macht in ihrer Vollkommenheit aber besaß Tizian. Seiner Farbe wohnt etwas Unergründliches inne. Er allein hat Gemälde geschaffen, von denen wir wie vor manchen Bildern Raffaels als vor unlösbaren Rätseln stehen, deren Geheimnis sich immer aus sich selbst zu erneuern scheint, als wären die Gestalten lebendig und hegten immer andere Gedanken, wie in uns selber die Gedanken wechseln. Ich nenne sein Bild vom Zinsgroschen, das Michelangelo in Ferrara gesehen haben muß, als ihm der Herzog den Palast zeigte. Wie bei der Madonna della Sedia hier eine Behandlung der Farbe, die sich in keinem Namen klassifizieren, in keiner Sprache beschreiben läßt. Und in dieser Farbe ein solches Antlitz! Es gibt kein Lob männlicher Schönheit, das hier nicht paßte. Wer nie von Christus gehört, müßte fühlen, hier sei das edelste, schönste Männerantlitz dargestellt. Oder, um etwas zu erwähnen, das mehr in Tizians Manier, wie man zu sagen pflegt, gemalt ist: das Porträt des jungen Mädchens im Palaste Pitti zu Florenz. Welch ein Leben! Mit einem Gefühl, als sei es unmöglich, daß dies reizende Geschöpf nun schon 300 Jahre tot und nicht heute noch so frisch und blühend lebe, steht man davor und sucht die Mittel zu ergründen, mit denen die Kunst hier gewirkt hat. Man bemerkt den leichten, fast zitternden Schimmer der zartesten Röte im Weißen des Auges, die blonden Spitzen der dunkleren Flechten, die goldene Kette, die über den Hals und die im steifen brokatnen Kleide steckende junge Brust herüberfällt, als hätte die Hand mit den schmalen, etwas gespreizten Fingern sie eben umgeworfen. Es ist, als wäre sie plötzlich von der Mutter gerufen, hätte sich rasch mit den Fingern eine Träne aus den Augen gewischt, die sie, wer weiß heute um wen geweint (es braucht deshalb kein Kummer dabei im Spiele gewesen zu sein), und wäre so vor Tizian getreten, um sich zur ersten Sitzung für das Porträt einzufinden. Und dieser dann hätte diesen ersten Moment als den reizendsten festgehalten.
Giorgione war schon Jahre lang tot, als Michelangelo jetzt nach Venedig kam, Tizian aber in voller Wirksamkeit und auf der Höhe seines Ruhmes. Ob sie sich beide damals aber begegnet, wissen wir nicht. Ich möchte fast glauben, es sei nicht der Fall gewesen. Denn Michelangelos natürlicher Hang zur Einsamkeit muß ihn zu jener Zeit stärker als je von den Menschen zurückgehalten haben. Ebensowenig mag er Sansovino wieder gesehen haben, seinen alten Gegner von Rom her, der sich, seitdem er im Jahre 27 von dort geflüchtet, in Venedig eine Stellung geschaffen. Er war der Erste dort als Bildhauer und Architekt, gegen Michelangelo aber noch immer übel gestimmt, wie Benvenuto Cellini bezeugt, der mit ihm, als er Venedig besuchte, darüber scharf aneinander kam. Was alle venezianischen Künstler aber und Sansovino zumeist gegen Michelangelo einnehmen mußte in jenen Tagen, war der Wunsch der Regierung, von der Gelegenheit Nutzen zu ziehen und den großen Mann in Venedig festzuhalten. Wäre er geblieben, so wäre das gewesen, als hätte man sie alle miteinander von ihren Plätzen stoßen und erniedrigen wollen.
Michelangelo aber fühlte, daß hier kein fester Boden für ihn sei. Die ersten Edelleute der Stadt besuchten ihn und redeten ihm zu, seinen bleibenden Aufenthalt bei ihnen zu nehmen. Er lehnte es ab. Seine Idee war, weiter zu gehen nach Frankreich, vielleicht um beim Könige für Florenz zu wirken, vielleicht auch weil dort die florentinische Kunst durch vorzügliche Kräfte vertreten und für seine eigene Wirksamkeit vorgearbeitet worden war. Franz der Erste ist der erste unter den modernen Königen, der nicht nur einzelne Künstler, sondern gleich die Tätigkeit einer ganzen Schule in sein Land zu verpflanzen suchte. Durch ihn entstand in Frankreich die aus einer Kreuzung florentinischer Anschauung und französischer Geschicklichkeit auf allen drei Gebieten fruchtbare Kunst, welche, ohne ihren Ursprung zu verleugnen, schöpferisch weiter bildete und deren Erzeugnisse man nicht ohne Wohlgefallen betrachtet, so wenig auch von reiner Nachahmung der Natur in ihnen enthalten ist. Frankreich war damals für die florentinischen Maler, was vor dreißig Jahren etwa bei uns Rußland für deutsche Musiker war: ein halbrohes, fremdes Land, wohin man gern jedoch auf einige Jahre ins Exil ging, um Geld zu verdienen. Die florentinischen Meister ritten da mit seidnen Decken auf den Pferden wie die Edelleute, erzählte man sich. Michelangelo wäre glänzend aufgenommen worden. Franz der Erste verehrte in ihm einen der Gründer derjenigen Kunst, die ihm vor allen zusagte, außerdem aber, wie in Leonardo, den berühmten Mann. Auch war seinem Gesandten in Venedig das wohl bekannt. Anfang Oktober berichtet dieser nach Frankreich, wie Michelangelo zu haben sei, und erhält die Weisung ihm ein bedeutendes Jahresgehalt, eigenes Haus und große Geschenke in Aussicht zu stellen. Noch in späteren Jahren wiederholte der König diese Anträge, und es lagen bei seinem Bankier in Rom 3000 Dukaten bereit, die für den Fall, daß Michelangelo sich je entschließen könne, als vorläufiges Reisegeld dienen sollten.
Michelangelo jedoch hatte die Reise schon deshalb aufgegeben, weil er, um nach Frankreich zu gelangen, feindliches Gebiet hätte berühren müssen. Ganz zurückgezogen lebend setzte er sich einstweilen in Venedig fest. Er hatte auf der Giudecca, einer der Inseln westlich vom Canal grande und gerade die, auf welche Aretin hinüberschaute, als er an Tizian schrieb, ein Haus gemietet; und so, nach der ungeheuren Aufregung der letzten Zeiten plötzlich in eine Stille versenkt, die nicht tiefer gedacht werden kann, fand er Zeit und Ruhe, seine Lage zu erwägen.
Was man ihm bot, wenn er bleiben wolle, ist nicht genau gesagt; in späteren Zeiten, wo auch von Venedig aus derartige Vorschläge sich wiederholten, waren es 600 Dukaten jährlich, und für jedes Werk besondere Bezahlung. Er fertigte damals zum Dank für die gütige Gesinnung, mit der man ihm entgegenkam, eine Zeichnung an für den Wiederaufbau des Rialto, der Hauptbrücke in Venedig, welche abgebrannt war. Er schenkte das Blatt dem Dogen, doch ist die Brücke später nach andern Plänen ausgeführt worden. Aber selbst bleiben und den Rialto vielleicht und Paläste bauen und neue Statuen beginnen, während in Florenz und Rom die Arbeiten lagen, die er vollendet oder angefangen hatte? Es war etwas in jenen Zeiten, eine Stadt mit der anderen zu vertauschen. Als Verbannter hätte er in Venedig gelebt, dort sogar von den wenigen Florentinern gemieden, die da wohnten oder auf Reisen durchkamen, denn auch in der Fremde war der Umgang mit den Geächteten nicht erlaubt, und es gab Mittel, im geheimen darauf achten zu lassen, ob das Gebot innegehalten werde. Fremd, getrennt von seiner Familie, zu Hause ein Edelmann, der Teil am Staate hatte, in Venedig eine bezahlte Berühmtheit ohne Rechte und Einfluß. Rom oder Florenz waren die beiden einzigen Orte in Italien, wo er leben und schaffen konnte. Eher als Venedig dann aber doch Frankreich, wo die Verbannten eine ganze Kolonie bildeten, wo der Klang der florentinischen Sprache keine Seltenheit war, und wohin ununterbrochen die frischesten Nachrichten aus Toskana fast ebenso rasch als nach Venedig gelangten.
Ich setze in diese Tage die Entstehung von Michelangelos Sonetten auf Dante, die vielleicht unmittelbar aus der Stimmung hervorgingen, welche die Nachricht in ihm erregen mußte, daß in Florenz die Acht über ihn ausgesprochen sei. Am 30. September 1529 wurde das Aktenstück dort publiziert, lateinisch abgefaßt, worin dreizehn Bürger zu Rebellen erklärt werden, wofern sie sich nicht bis zum 6. Oktober wieder eingefunden hätten. Michelangelus Ludovici Bonarrotis ist der achte Name, Rainaldus Filippi de Corsinis der erste. Diesen aber traf der Bann nun nicht mehr, da er vor dem 6. Oktober zurückgekehrt war, und es findet sich auf dem heute erhaltenen Exemplar des Ediktes sein Name ausgestrichen. Michelangelo aber war nicht erschienen und hatte alles das eingebüßt, was durch ein solches Urteil einem Bürger von Florenz genommen werden konnte.
So lautet das eine seiner Sonette auf Dante:
Kein Lob erreicht ihn. Denn was könnt' ich sagen, Da selbst den Blinden er voll Glanz erschienen? Doch dazu soll die Sprache jetzt mir dienen, Das Volk, das ihn beleidigt, anzuklagen! Ihm, der zum Reich der Seelen, die verloren, O Vaterland des Undanks! Dir zum Schaden Nur seinen Namen braucht die Welt zu lesen! |
Das kann von Michelangelo gedichtet worden sein, als die Frist zur Rückkehr verstrichen war. Denn die eigene Leidenschaftlichkeit bricht durch in diesen Versen, und daß er zweimal fast dasselbe in anderer Fassung gesagt hat, zeigt, wie ihm das eine Gedicht nicht genügte, sein Gefühl ganz auszuschütten. Er mußte es wiederholen, wie Raffael seine vier Sonette dichtete, weil sich, wenn er den Sturm durch das eine beschwichtigt glaubte, das Herz noch einmal erhob und es neuer Verse bedurfte, um die Glut zu beschreiben, von der es erfüllt war.
Von Dante red' ich, der so schlecht verstanden In seinem Tun vom undankbaren Volke, Bei dem Gerechte niemals Beistand fanden. O wär' ich er: sollt' ich, was er, erleben, |
So schließt das zweite Sonett, das in diesen letzten Versen noch deutlicher als das erste den Moment der Entstehung anzeigt.
Es war natürlich, daß Michelangelo damals Dante las und an ihn dachte. Nicht bloß der Politik wegen. Dante verhält sich zu Michelangelos Zeiten wie Goethe oder Shakespeare zu den unsrigen. Seine Werke bildeten eine Art zweiter Bibel, deren Sprache und Gestalten: diese in heidnischem Schimmer einhergehenden christlichen Helden und jene vom Lichte des Christentums halb erwärmten heidnischen Dichter und Denker, den Gemütern jener Tage bekannt und vertraut waren. Drei Jahrhunderte dauerte das, so lange als die italienische Kunst und Geistesblüte Europa beherrschte. Mit dem Ende des 16. Jahrhunderts hörte es auf »Betrachten Sie die italienische Kunst«, sagte mir Cornelius, »der Verfall beginnt, wo die Maler aufhören Dante in sich zu tragen.«
Nicht allein auf die Kunst darf das bezogen werden. Dantes Geist ist die Blüte eines auf erhabener Anschauung aller irdischen und überirdischen Dinge ruhenden Gefühls vom Gleichgewichte der Erscheinungen vor den Augen des höchsten Schöpfers und Bewegers. Dante kennt nichts, das er nicht in sein System hineinzöge. Aus Politik, Geschichte, Moral, Natur und den himmlischen Geheimnissen vereinigt, schlägt er das Öl, mit dem er sein Licht nährt. Er liefert denen, die sich in ihn vertiefen, eine vollendete Weltanschauung. Jeder fand in seinem Wesen und seinen Schicksalen, was er bedurfte, um sich zu erwärmen, zu erleuchten, zu trösten und zu begeistern.
Wollte man die Verhältnisse äußerlich nehmen, so könnte es scheinen, als hätten Dante und Michelangelo politisch verschiedene Gesinnungen gehegt. Dante sei als Ghibelline, Michelangelo als Guelfe ins Exil gegangen. Aber die Dinge lagen so, daß die Guelfen in Florenz zu Zeiten Michelangelos dasselbe wollten, was die Ghibellinen in den Tagen Dantes. Dantes Merkmal ist nicht eigentlich, daß er für den Adel und den Kaiser einstand, sondern daß er, eine Vergangenheit verherrlichend, welche niemals so bestanden hatte, wie seine Begeisterung sie erblickte, dem Eindringen der neuen Elemente sich entgegenstemmte, die auf ihre bloße Übermacht hin eine neue Gewalt, die sie Freiheit nannten, anstelle dessen setzen wollten, was er für die von Gott begründete alte Ordnung ansah, die er Freiheit nannte. Ganz ebenso stand Michelangelo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wie Dante, auch er ein von der Idee allein begeisterter Parteigänger und für die alte Freiheit kämpfend, die er für die einzig legitime erachtete. Denn zu dieser alten Freiheit hatten die Jahrhunderte das geheiligt, was von Dante bei seiner Entstehung für die unberechtigte, neue Gewalt angesehen ward. Und wie Dante sich täuschte, indem er die Fortdauer des alten Kaisertums in idealer Verjüngung für möglich hielt, so irrte Michelangelo in seinem Traum von dem Wiederaufblühen der florentinischen Freiheit. Denn es muß auch dem, der Tyrannei und die Befriedigung gemein persönlicher Herrschsucht haßt, wie Michelangelo sie haßte, die Wahrnehmung dennoch sich aufdrängen, daß den Versuchen der Medici, aus der freien Stadt eine ihnen untertänige Residenz zu bilden, ein Drang ihrer Bewohner sowohl als der des übrigen Toskanas entgegenkam, der fast stärker war als die eigene mediceische hartnäckige Schlauheit, und ohne den die Unterjochung von Florenz unmöglich gewesen wäre.
Denn aus Florentinern bestanden ihre besten Helfershelfer. In Florenz fühlte man das. Zu schimpflich nur erschien es denen, welche gegen die Medici kämpften, daran zu glauben oder um deswillen nachzugeben. Und das macht jene letzten Kämpfe so verzweifelt, daß das Gefühl des Unterliegenmüssens aus sich selbst als heimlicher Begleiter neben den ungeheuren Anstrengungen herläuft, mit denen man sich nicht allein zu retten, sondern auch zu betäuben suchte.
Denn so war die Lage der Dinge: all diese Häupter der den Medici feindlichen Familien, welche, durch gemeinsame Not zusammengeschlossen, dem einzigen übermächtigen Geschlechte entgegenstrebten, arbeiteten, sie mochten noch so enge verbunden scheinen, unwillkürlich gegeneinander, heimlich oder in offenbarer Feindschaft. Herrschen wollten sie alle. Unterdrücken wollten die höheren Zünfte die niederen. Unterdrücken wollten alle die Mitglieder des Consiglio grande diejenigen, die nicht zur Teilnahme am Staate berechtigt waren. Unterdrücken endlich wollten wiederum alle Florentiner vereint die Bewohner der anderen Städte von Toskana, die Bürger von Pisa, Lucca, Arezzo, Volterra, Livorno, Prato, Pistoia, die sie die Untergebenen (sudditi) nannten. 50 wollten herrschen über 2500, 2500 über 100 000, und diese 100 000 die Tyrannen spielen über alle übrigen Bewohner des Gebietes der Republik. Hätte man die Freiheit gewollt, das erste hätte eine gerechtere Auffassung ihrer Bedeutung sein müssen. Davon aber keine Rede. Was die Bürger von Florenz am meisten empörte, war vielmehr, daß die Medici, ohne auf Geburt und Reichtum zu achten, talentvolle Toskaner von überall her, wenn sie nur brauchbar schienen, in die Stadt versetzt und bei der Regierung verwandt hatten: daß das niedere Volk durch die Medici einen Kanal fand zu den Ämtern, zu Würden, Reichtum und Einfluß. Unterdrückt sollte sein außerhalb der Stadt, was nicht Florentiner war, innerhalb, was nicht Sitz im Consiglio hatte, im Consiglio, was nicht vom ältesten Adel war. Michelangelo selbst soll Feinde gehabt haben, nur, weil er zu den Neun Männern gehörte und seine Familie nicht zum hohen Adel der Stadt.
Für die Aufrechterhaltung dieses Zustandes kämpfte er wie Dante einst für das Regiment des unfähigen ghibellinischen Adels. Aber sie hatten beide nicht die Menschen, sondern die Ideen vor Augen. Dante sah die guelfische, Michelangelo die mediceische Freiheit für das unberechtigte glückzerstörende Element an. Für die größere Masse der Bewohner von Florenz und Toskana war das damals aber Freiheit, was von den Medici gebracht wurde. Lieber wollte sich das Land von einer einzigen, willigen, freigebigen, leicht zugänglichen Familie beherrschen lassen als von einer hochmütigen, kalten, geizigen, unnahbaren Bürgerschaft. Das hatte Benvenuto Cellini, dessen arme Familie keinen Sitz im Consiglio zu verlieren hatte, angetrieben, zum Papste nach Rom zu gehen, statt seine Vaterstadt mitzuverteidigen, hatte auch Vasari aus Arezzo zu einem Diener der Medici gemacht, und aus ähnlichem Beweggrunde eine Menge von Toskanern und Florentinern, denen unter der alten Freiheit die Wege des Emporkommens versperrt waren. So betrachtet erscheinen die Medici weniger als ein mit ungerechten Gelüsten nach Herrschaft auftretendes Geschlecht, vielmehr als eine auf natürlichem Boden anwachsende Macht, die im Laufe der Dinge zuletzt dazu gezwungen war. die Alleinherrschaft an sich zu reißen.
Immer noch aber, auch so betrachtet, erscheint was 1527 bis 1530 in Florenz geschah, zu geringfügig. Der letzte Kampf der Bürger gegen die Tyrannei hat höhere Bedeutung.
Schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts, als Giulio der Zweite zwischen Frankreich, Spanien und dem Kaiser stand, begann die unter diesen Mächten spielende Politik eine Richtschnur für die übrigen Staaten zu werden und ihnen Zwang aufzulegen. Damals aber zerfiel Europa noch in so viele Teile, daß dem einzelnen das Belieben, wo er sich anschließen wollte, nicht ganz genommen war. Seit Karl des Fünften Erscheinen war dem ein Ende gemacht. Die Vereinigung der ungeheuren Ländermasse in einer Hand wirkte gebieterisch ein auf die Politik der nicht von ihm beherrschten Teile, und die Verbindung ihrer aller nach der Schlacht von Pavia zu gemeinschaftlichem Wirken gegen das Übergewicht des Kaisers erscheint natürlich wie das Zusammenrotten einer Schar von niederen Raubtieren gegen den einzigen Löwen, der sie zu töten droht. Die Macht der Hohenstaufen war einst gesprengt worden, indem alles sich zurückzog, und sie, verlassen von Fürsten und Städten, zu Landesfürsten von Neapel herabsanken, denen ein unglücklicher Krieg den Rest gab. Jetzt stand ein Kaiser auf, in dessen Gewalt so viel als Privatbesitz kam, daß er den alten idealen Anspruch, Herr des Ganzen zu sein, mit neuen Mitteln geltend zu machen imstande war. Und damit hatte die Rolle des Papstes, der nicht nur geistig in Europa die erste Macht, sondern zugleich in Italien weltlicher Fürst sein wollte, ein Ende. Wäre Clemens der Siebente der erbliche Inhaber des Kirchenstaates gewesen, er hätte sich mit Frankreich, England, Norddeutschland und Venedig vielleicht gegen den Kaiser verbünden können; abhängig aber schon durch seine Einkünfte, die aus den Ländern am reichlichsten flossen, welche Habsburg anheimgefallen waren, blieb ihm keine Wahl: er mußte auf die Seite des Kaisers treten. Immer wieder, getrieben von der Sehnsucht, seine Freiheit dennoch zu bewahren, möchte er auf Schleichwegen sich Frankreich nähern, jedesmal aber ein gewaltiger Tatzenschlag, der ihm den richtigen Weg weist. Jetzt endlich ließ er nach. Roms Unabhängigkeit ward preisgegeben. Florenz wenigstens wollte er retten für die Seinigen. Und so bezeichnet die Unterjochung dieser Stadt durch die Armee des Kaisers zugleich die Unterjochung Roms und den vollendeten Eintritt der neuen Gewalten in Europa.
Denn wie der Kaiser innerhalb seiner Länder alles zu gleichmäßiger Brauchbarkeit für seine höheren Zwecke zuzurichten strebte, so nun auch die Fürsten, die ihm gegenüberstanden. Gleich ihm mußten sie ihre Macht zu konzentrieren suchen. Ein Ende sollte es haben mit dem Widerstande des Adels, der den Landesherrn nur als den Ersten unter Gleichberechtigten anerkennen wollte, und mit der Unabhängigkeit der Städte, die ihm nach Belieben ihre Tore zu öffnen oder zu schließen als Recht beanspruchten. Untertanen verlangten die Fürsten, über deren höchsten Rechten das Recht des Kaisers oder Königs in unantastbarer Erhabenheit wartete. Nicht mehr guten Willen, sondern Gehorsam brauchte man. Und so schwamm nichts Rettendes im Strome der Zeit heran, kein Strohhalm, an den die niedergehende Freiheit von Florenz sich hätte anklammern können. Die alten Rechte, an deren Verteidigung die Bürger sich neu zu erheben hofften, waren wie Steine, die sie sich an den Hals gebunden. Mit derselben unerbittlichen Konsequenz zerbrach damals das Alte in sich und gewann das Neue die Oberhand, wie in unsern Tagen heute dieses Neue, das in jenen Tagen gebildet ward, als alt und unfruchtbar in sich abstirbt und abermals ein Neues an seine Stelle treten muß, das wiederum kommende Zeiten als abgetan zerstören werden.
Niemals aber haben die Menschen ein völlig klares Gefühl ihrer Lage. Sie sehen nur das einzelne. Weder die, welche sinken, wissen, was sie tiefer und tiefer stößt, noch die Ansteigenden kennen die geheime Hilfe ganz, die sie von Stufe zu Stufe siegen läßt. Denn die Zukunft ist unenthüllt, und es scheint jeder Tag jede Möglichkeit in sich zu schließen. Nur eine dunkle Ahnung zeigt in Momenten, was als unabwendbares Schicksal hereinbricht.
Deshalb wäre es zu viel, anzunehmen, Michelangelo hätte vor Augen gesehen, warum die Sache seiner Stadt eine verlorene war. Daß aber eine leise Stimme ihm gesagt, der Kampf sei vergeblich, und daß ihn nicht das Gefühl durchschauert manchmal, seine Mühe sei fruchtlos, läßt sein Charakter vermuten und seine Neigung, die Dinge schwer zu nehmen. Er und die Besten neben ihm bezweifeln nicht, was kommen müsse, wie in Homers Iliade die Trojaner von Anfang an die Gewißheit ihres Unterliegens in der Seele zu tragen scheinen. Das aber gerade macht sie größer für unsern Anblick. Wie die Gestalten eines in der Luft schwebenden florentinischen Heldengedichtes, das in Worten aufzufangen nur kein Dichter berufen wurde, erwecken sie ein höheres Gefühl in uns als das alltägliche Bedauern, das wir empfinden, wenn ein guter Soldat zuletzt durch eine Kugel oder einen Stich zu Tode kommt. Das Mitgefühl erregen sie in unserer Seele, mit dem wir den Helden einer Tragödie sinken sehen. Es ist, als nähme Florenz die Natur einer einzigen edlen Gestalt an, einer Frau mit Helm und Schild und Lanze, wie ganz Deutschland zusammengefaßt wird in der einen Gestalt der Germania, und stände da und verteidigte den Platz, an den sein Leben gekettet war. Und so ist es kein inhaltloses Bild, wenn gesagt wird, daß die Stadt heldenmäßig zuletzt und bewußtlos niederstürzend erst dann vom Kampfe abstand, als sie kein Blut mehr aus ihren Adern zu vergießen hatte.
Hinter Karthago oder Jerusalem steht Florenz so weit zurück, daß es neben diesen gar nicht genannt werden kann. Mit den Mächten verglichen, die dort sich bekriegten und die Eingeschlossenen zur Verzweiflung trieben, sind die Anstrengungen der Florentiner geringen Umfangs. Gegen jene Städte wurden Befreiungskriege gekämpft, hier nur ein Aufstand zu Boden geschlagen. Aber der Vergleich nimmt dem, was in Florenz geschah, doch seine Größe nicht. Die Gesinnung war die gleiche. Man wäre derselben rasenden Tapferkeit fähig gewesen. Man hat, wie dort, Leben und Vermögen für nichts geachtet. Man fühlte, daß ohne die Freiheit alles verloren sei, und in den Tagen gerade, die der Entmutigung folgten, unter deren Einflusse Michelangelo geflohen war, brach das große Gefühl rein zum ersten Male durch und verwandelte den Mut in Begeisterung.
Die Briefe seiner Freunde mußten ihm zeigen, wie die Stadt, gesäubert nun von denen, durch deren Einfluß die geteilte Meinung und der Mangel an Vertrauen entstanden war, vertrauensvolle Einigkeit und Mut zurückgewonnen hatte. Man beschwor ihn zurückzukehren, und wenn die Botschaften, die das enthielten, ihn zu bewegen nicht imstande gewesen wären, die Depeschen des venezianischen Gesandten, welche dieser den Tag nach seiner Flucht nach Venedig abgehen ließ und deren Inhalt Michelangelo bei seinen hohen Verbindungen dort nicht verborgen bleiben konnte, hätten das Heimweh zur drängenden Sehnsucht, nach Florenz zurückzueilen, steigern müssen.
Eher wolle man mit eigenen Händen die Stadt in Flammen setzen und sich selbst den Tod geben, hatte die Signorie dem Papste geantwortet, als dieser als Grundlage der Unterhandlungen gefordert hatte, daß man seinem Gesandten erlaube, nach Gutdünken die Dinge umzugestalten. Mochte Clemens seiner Sache noch so sicher sein, daß er jetzt in übermütiger Halsstarrigkeit das Unmögliche begehrte: auch in Florenz wußte man endlich, was man wollte: sich verteidigen bis zum letzten Blutstropfen und zuletzt die Stadt in einen Trümmerhaufen verwandeln. Dem Sieger sollten die rauchenden Steine nur zur Beute werden. Wäre Michelangelo dem Gefühl zugänglich gewesen, das gemeinhin, als ein milderer Ausdruck für Feigheit, Furcht genannt wird, er hätte sich nicht entschlossen, statt nach Frankreich zu gehen, jetzt nach Florenz zurückzukehren.
Fern von dort, unberückt von der in der Heimat Blutenden Begeisterung, war er imstande, kälter die Zukunft ins Auge zu fassen. Man mag ihm in Venedig noch so trostreich von Hilfe oder Umschwung der Dinge geredet haben, er mußte erkennen, was möglich und unmöglich und was wahrscheinlich war. Fest stand, daß, wenn die stolze venezianische Republik in die ihr zu Cambray offengehaltenen Bedingungen zu friedlicher Ausgleichung mit dem Kaiser eintrat, sie selbst genug verlor an Besitz und Ansehen, als daß sie, wenn sie Widerstand hätte leisten können, nicht um ihrer selbst willen weit eher hätte losschlagen müssen als zur Verteidigung von Florenz. Venedig fühlte die Kraft nicht mehr in sich, die kühne Politik zu verfolgen, welche die Florentiner von ihm begehrten. Es hätte geholfen, nicht aus Liebe zu ihnen, sondern aus Haß gegen die Spanier. Der Moment war sehnsüchtig erwartet, wo man sich rächen würde. Hielt sich Florenz, ward die Lage der Kaiserlichen in Toskana dadurch bedenklich; ging dem Papste das Geld aus, waren die Türken siegreich in Ungarn; zeigte sich nur ein Schimmer von Erfolg, dann blieben Frankreich, Ferrara und Venedig die alten Verbündeten. Aber von alledem war das Gegenteil viel wahrscheinlicher, und in Venedig wiederum erkannte man es am unbefangensten, weil seine Gesandten am geübtesten zu beobachten verstanden. Wie verzweifelt der Papst seine Interessen mit denen des Kaisers verknüpft hatte, wußte man, und ebenso, wie dieser, und wenn er selbst anders gewollt, Florenz den Medici in die Hände zu liefern gebunden war.
In solchen Gedanken wohl erhielt Michelangelo den Brief des florentinischen Gesandten in Ferrara, worin er einer wichtigen Sache wegen um eine Zusammenkunft dort gebeten wurde. Die Zehn über Krieg und Frieden hatten diesen Weg gewählt, um, ohne selbst Schritte tun zu müssen, da eine solche Behörde nicht mit einem Verbannten unterhandeln konnte, Michelangelo zur Rückkehr zu bewegen. Der Gesandte, Galeotto Giugni, ein älterer erfahrener Mann, seinem Wesen nach dem Michelangelos verwandt, ein rasender Guelfe, aufbrausend, von altem Adel, beliebt beim Volke, uneigennützig und wenn er sprach, feurig in der Rede und mit dem Talente begabt, seine ganze Natur in die Seele dessen einfließen zu lassen, den er überreden wollte, wußte Michelangelo so wohl zu behandeln, daß er ihn nicht nur heimzukehren bewog, sondern ihn sogar dahin brachte, die ersten Schritte zu tun. Am 13. Oktober ist Giugni imstande, der Regierung zu melden, er sei von Michelangelo ersucht worden, Fürsprache für ihn einzulegen. Wolle man verzeihen und seine Sicherheit verbergen, so sei er bereit, in Florenz die Befehle der Signorie entgegenzunehmen. Am 20. läuft die Rückäußerung ein, er solle kommen und seinen Posten wieder einnehmen.
Michelangelo war nach Venedig zurückgegangen, und das Schreiben, worin ihm freie Rückkehr zugesichert wird, kam dort in seine Hände. Einer von seinen eigenen Marmorarbeitern war zum Boten ausersehen worden. Wie sehr man auf seine Rückkehr rechnete und sie herbeizuführen bemüht war, geht daraus hervor, daß, als am 6. Oktober die auf den ersten Aufruf nicht erschienenen Flüchtlinge noch einmal förmlich zu Rebellen erklärt worden und die Konfiskation ihrer Güter ausgesprochen war, Michelangelo, obgleich er ausblieb, nicht unter ihnen genannt ward, und daß sich sein Name ebensowenig auf der am 15. vom venezianischen Gesandten mitgeteilten Liste findet. Die ihm auferlegte Strafe bestand in der Ausschließung vom Consiglio auf drei Jahre, unter der Bedingung, daß er alle Jahre um Aufhebung dieser Maßregel beim Consiglio selbst einkommen dürfe und ihm durch zwei Drittel der Stimmen der Eintritt wieder zuteil werden könne. Die Fassung dieses Urteils kann die Möglichkeit gewährt haben, auf der Stelle seine Wiederaufnahme zu beantragen, und es erscheint mithin als eine bloß formelle Bestrafung, welche eintreten mußte, weil völlige Straflosigkeit eine Verhöhnung des Gesetzes gewesen wäre.
Der in Ferrara am 10. November ausgestellte Paß mit der Unterschrift des Herzogs ist noch vorhanden und zeigt den Weg über Modena und durch die Carfagnana. Seine Gültigkeit beträgt fünfzehn Tage. Mit dem Herzoge war Michelangelo bei der ersten Durchreise durch Ferrara wieder zusammengetroffen. Alfons ließ sich jeden Abend eine Liste der angekommenen Fremden überreichen und sandte, als er Michelangelo darauf fand, einige seiner Edelleute zu ihm ins Wirtshaus, welche ihn in den ehrenvollsten Ausdrücken aufforderten, im Palaste abzusteigen. Michelangelo dankt, sucht den Herzog aber auf, der ihm Geld anbietet und dem er zur Antwort gibt, daß er selbst reichlich versehen sei und mit dieser Summe Seiner Exzellenz zu Diensten stände. Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, in dieser Äußerung, Michelangelos Art und Weise nach, der oft dunkel ironische Umschreibungen seiner Gedanken liebte, eine Anspielung auf das wenig ehrenvolle Verhalten des Herzogs zu erblicken, der, als sein Sohn den Oberbefehl der florentinischen Truppen niederlegte, die daraufhin im voraus empfangenen Gelder zurückzugeben verweigerte, streng genommen also die Republik darum betrogen hatte.
Daß Michelangelo die im Passe vorgesschriebene Route innehielt, beweist sein Zusammentreffen mit dem Bildhauer Begarelli in Modena, dessen Werke er sah und höchlich lobte. Begarelli verstand den Marmor nicht zu behandeln, fertigte dagegen Tonstatuen an, welche er brennen ließ und denen er durch Anstrich ein beinahe marmorartiges Ansehen zu geben wußte. Michelangelo soll gesagt haben: »Wehe den Statuen der Alten, wenn dieser Ton sich in Marmor verwandelte.« Begarellis Arbeiten haben allerdings etwas äußerst Lebendiges, doch will mir ein solches Lob aus solchem Munde nicht ganz glaubhaft erscheinen.
Michelangelos Ankunft wurde von seinen Freunden ungeduldig entgegengesehen. Man hatte ihm geschrieben, er solle nach Lucca kommen, wo man ihn erwarten werde, damit er die letzte Strecke bis Florenz gefahrlos zurücklegen könnte. Man beschwört ihn, nicht länger zu säumen, denn schon würden die Güter der Verbannten öffentlich verkauft, und kämen die seinigen erst einmal an die Reihe, so vermöge kein Mittel die Sache mehr rückgängig zu machen.
Der Brief, welcher dies enthält, ist vom 10. November datiert. Kurz darauf muß Michelangelo in seiner Vaterstadt wieder angelangt sein.