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Die Jahre 1519 bis 22 werden zu den glücklichsten der Stadt Florenz gezählt. Endlich hatte man durch das zu erwartende Aussterben der Familie eine Befreiung von ihrer auf erbliche Herrschaft losdrängenden Tyrannei vor Augen. Der Kardinal ließ, als er für seinen Neffen Lorenzo eintrat, dessen auch schon äußerlich monarchische und mit rücksichtslosen Mitteln arbeitende Regierungsweise fallen und richtete die Dinge wieder mehr nach der Idee des Selbstgouvernements ein. Mit allen Parteien stellte er sich gut. Der Bürgerschaft ward ein Teil ihrer Befugnisse freiwillig zurückgegeben; von einer idealen Verfassung war die Rede, welche die Stadt sich in nächster Zukunft selbst zu erteilen hätte, und als im Jahre 1521 die Franzosen, die bis dahin die Herren in Italien gewesen waren, unterlagen und die Furcht vor ihrem Einflusse auf die an gewaltsamere Wege zur Freiheit etwa denkenden Bürger verschwunden war, milderte sich die Strenge des mediceischen Regiments in unerhörter Weise.
Die Übermacht Franz des Ersten hatte seit 1515 auf dem Papste gelastet. Schon damals, als Leo nach dem Siege des Königs bei Marignan gute Miene zum bösen Spiel machen und sich ihm nachgiebig in die Arme werfen mußte, wollte er mit Franz lieber in Bologna als in Florenz zusammenkommen. Die Anwesenheit des Königs in Toskana erschien ihm als zu bedenklich, er hatte das schon einmal erlebt. Die Florentiner wußten es auch recht gut und ließen es den Papst trotz der prachtvollen Empfangsfeierlichkeiten fühlen. Leo wurde nicht wohl damals in seiner treuen Stadt, und er fürchtete für sie, so lange die Franzosen die italienische Politik in Händen hatten. Seit 1519 aber, wo Karl von Spanien trotz der Gegenanstrengungen des Königs von Frankreich zum deutschen Kaiser gewählt worden war und das ungeheure Gebiet von Spanien, Burgund, Deutschland, Ungarn und Neapel unter ihm zu einem einzigen Lande wurde, wandten sich Leos Hoffnungen der neu entstehenden Macht zu. Ein Bündnis kam zustande, das Glück war günstig; die letzte Nachricht, welche der Papst vor seinem Tode empfing, war die von der Niederlage der Franzosen. Hätte man nicht so gute Gründe, zu glauben, daß Leo an Gift starb, man hätte sagen dürfen, er sei aus übermäßiger Freude dahingefahren.
Auf der Stelle jedoch nahmen die Anstrengungen der Besiegten, Mailand zurückzuerobern, ihren Anfang. Von dem Tage, wo Franz bei der Kaiserwahl unterlag, dreht sich die Geschichte der nächsten dreißig Jahre für Europa um die Anstrengungen der beiden Nebenbuhler, einander zu beweisen, wer der Stärkere sei und wem in Wahrheit die Leitung der Dinge dieser Welt gebühre. Persönliche Erbitterung war dabei im Spiele, die es bis zur persönlichen Herausforderung kommen ließ. Mailand aber bildete den Zankapfel, mit dessen Besitz das Übergewicht Spaniens oder Frankreichs sichtbar verbunden schien. Wer Mailand und die Lombardei einbüßte, unterlag. Alle Künste der Politik und des Krieges lenkten auf dieses Ziel des Ehrgeizes hin, und es war undenkbar, daß der eine, sobald er hatte weichen müssen, nicht augenblicklich das Äußerste versuchte, um dem andern dasselbe Los zu bereiten. Denn an Mailand hingen Toskana und Venedig (und Genua, an Genua das Mittelländische Meer und Neapel, und daran von anderer Seite wiederum Toscana und Venedig) und an allem endlich der Papst, der unfehlbar, zugleich mit der Laune des Schicksals, demjenigen sich zuneigen mußte, der als Herr Mailands den Schlüssel zu diesen Schätzen besaß.
1521 aber hatten die Franzosen besondere Eile, die verlorene Stellung wieder einzunehmen. Die Wahl des neuen Papstes war zu wichtig. Zwei Männer standen sich unter den Kardinälen gegenüber: Medici, als das Haupt der spanischkaiserlichen Partei, und Soderini, der unermüdliche Feind der Medici und der Freund Frankreichs. Die Entscheidung drohte sich hinzuziehen. Soderini und die verbannten Florentiner am Hofe Franz des Ersten drängten zu einer augenblicklichen Unternehmung gegen die Stadt, und als dann, mit Umgehung der beiden Nebenbuhler, der alte niederländische geistliche Herr, der sich als Bischof von Valladolid nichts von der ihm zufallenden Würde träumen ließ, aus der Wahl hervorging, sollte nun wenigstens, bevor dieser Italien erreicht hatte, ein Schlag geschehen.
Medici suchte sich gegen den drohenden Sturm mit den Mitteln zu halten, deren seine schlaue und zu vollendeter Verstellung erzogene Seele fähig war. Sein Leben lang hatte er, auf den verschlungensten Linien wandelnd, die Interessen der Familie verfolgt. Jetzt, wo ihm niemand mehr zur Seite stand, spielte er am feinsten. Soderini und Frankreich versprachen den Florentinern das Consiglio grande, dieses Ideal, an dem die Bürger hingen wie die Deutschen an der Idee ihrer Einheit: auch der Kardinal versprach es. Die geistreiche gelehrte Gesellschaft der Männer, welche, im Garten der Rucellai zusammenkommend, als eine Art ästhetisch liberaler Klub ihre Kontrolle über das Geschehende ausübten (unter denen Machiavelli eine der Hauptstimmen führte, und zu denen auch Michelangelo gerechnet ward), suchte er durch Gespräche, die er mit einzelnen von ihnen über die Entfaltung der Florentiner Verfassung zur freiesten Form führte, an sich heranzulocken. Er forderte sie auf, ihre Ansichten schriftlich zu begründen. Er suchte nicht minder die Anhänger Savonarolas mit Vertrauen zu erfüllen, die immer noch eine mächtige Partei bildeten. Schon war davon die Rede, unter welchen Modalitäten, an welchem Tage die neue Verfassung proklamiert werden würde. Jedermann hegte Hoffnungen, deren Mittelpunkt der freundliche, gefällige, uneigennützige Kardinal war, der ja, selbst wenn er für seine Familie hätte intrigieren wollen, gar keine mehr besaß, der sogleich nach dem Tode Leos allen gefangengehaltenen Bürgern ihre Freiheit gegeben hatte und der sich jetzt ja nur deshalb nicht entscheiden konnte, weil er nicht zu wissen schien, wie er die der Stadt zugedachte Wohltat groß und schön genug gestalten sollte.
Da plötzlich kommt eine Verschwörung zutage. Der Tod des Kardinals ihr Zweck. Soderini, der in Rom den neuen Papst gänzlich in seinen Netzen hält, ihr Anstifter. Aus der Mitte jener Männer des Gartens der Rucellai ihre gefährlichsten Teilnehmer. Denn dort auch durchschaute man die Verstellung am scharfsichtigsten und hielt unverbrüchlich zu Frankreich. Was die Verstellung Giulios aber anbetrifft, so braucht nur an das Dasein Ippolitos und Alessandros dei Medici erinnert zu werden. Der Kardinal dachte von Anfang an nicht daran, das geringste von dem zu gewähren, was er, nur weil er nicht anders konnte, versprochen hatte.
Im Mai 1522 ward das Komplott entdeckt. Einige der Verschworenen retten sich durch die Flucht, andern wird der Prozeß gemacht. Zu gleicher Zeit gelingt es, Soderini im Vatikan zu stürzen. Adrian läßt ihn in die Engelsburg abführen, während Medici, unter dem Jubel des römischen Volkes einziehend, von nun an seine Stelle einnimmt. Jetzt ist er der Notwendigkeit überhoben, den Florentinern gute Worte zu geben. Keine Rede mehr von Consiglio grande und Verfassung. Gehorsam wird gefordert.
Es ist schade, daß Nardi da, wo er das Entkommen der Verschworenen erzählt, durch seine Methode, statt die Namen der Leute zu geben, sie zuweilen nur anzudeuten, uns im ungewissen läßt, wer der »sehr berühmte Bildhauer« (scultore assai segnalato) war, der damals dem flüchtigen Zanobi Buondelmonti ein Obdach gewährte. Eben nämlich will dieser durch die Porta Pinti aus der Stadt entfliehen, als der Kardinal dort einreitet. Buondelmonti, der die Straße versperrt sieht, tritt in eine dicht am Tore gelegene Bildhauerwerkstätte, die der Kardinal selbst, sowohl der Skulpturen wegen, als auch weil ein schöner Garten um das Haus lag, öfter zu besuchen pflegte. Diesmal geschah das glücklicherweise nicht, und der Flüchtige findet Zeit, seine Kleider zu vertauschen und später in der Dunkelheit davonzukommen.
Außer Michelangelo befanden sich eine Anzahl anderer nicht unbedeutender Bildhauer in der Stadt. So Bandinelli; doch war dieser damals mit keiner Arbeit beschäftigt, welche ein Atelier erforderte, geschweige denn daß dieses, selbst wenn Bandinelli in Marmor gearbeitet hätte, mit Skulpturen gefüllt gewesen wäre. Außerdem hätte ihn Nardi wohl genannt; und schließlich, Bandinelli würde sich ein wahres Vergnügen daraus gemacht haben, Buondelmonti dem Kardinal auszuliefern. Ferner Jacopo Sansovino, der, gleich Baudinelli, als nach Leos Tode in Rom die fröhliche Wirtschaft ein trauriges Ende nahm, sich nach Florenz zurückzog; aber auch er dort schwerlich mit einem Atelier von Arbeiten. Weiter Benedetto da Rovezzano, der den vom Gonfalonier Soderini vor Zeiten nach Frankreich gesandten David des Michelangelo zu ziselieren hatte und dem später einer von den Aposteln für den Dom zuerteilt wurde, die Michelangelo wieder aufgab. Sein Atelier aber lag in einer anderen Stadtgegend. Endlich Tribolo und Mino da Fiesole. Jener noch jung und dem Kardinal ergeben, dieser alt und ohne große Aufträge. Es scheint, daß Nardi Michelangelo gemeint habe. Die Werkstätte war wohl jenes besonders für ihn erbaute Haus, das nach Beendigung der Apostel sein Eigentum werden sollte, in der Folge aber dem Dome verblieb und von diesem vermietet wurde. Es lag dicht an der Porta Pinti, dem alten Zisterzienserkloster gegenüber. Möglich, daß Michelangelo, der es früher schon einmal gemietet hatte, jetzt wieder darin arbeitete. Soviel steht fest, er war mit den Verschworenen befreundet. Einer von ihnen, Luigi Alamanni, unterzeichnete mit ihm die Bittschrift an Leo wegen der Asche Dantes; auch Nardis Name stand darunter, und dieser wußte vielleicht näher um die Verschwörung, als in seinem Buche gesagt wird. Und deshalb konnte ihm geboten erscheinen, Michelangelos Namen nicht zu nennen, denn er pflegt diese Art des Umschreibens da zumeist eintreten zu lassen, wo es sich um ihm befreundete Männer handelt.
Kein anderer auch hätte den Mut gehabt, Buondelmonti so aufzunehmen und sich dem Gesetz gegenüber zum Mitschuldigen zu machen. Und endlich, es verdient Michelangelo neben jenen andern vielleicht allein die Bezeichnung »sehr berühmt«, da Nardi mit dergleichen sparsam umgeht. Dennoch sind dies nur Vermutungen.