Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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Elftes Kapitel

1530-1534

Am 9. August läßt die Regierung bekannt machen, jedem stände frei, die Waffen niederzulegen und seinen Geschäften nachzugehen. Am 10. verlangen diejenigen Bürger, welche sich an Malatesta angeschlossen hatten, die Loslassung der politischen Gefangenen. 65 Edelleute erhalten ihre Freiheit wieder. Malatesta läßt den Dominikaner, der am wütendsten gegen den Papst gepredigt, festnehmen. Er wünscht Clemens mit dem Manne ein angenehmes Geschenk zu machen, der nach Rom geschafft und in die Engelsburg gesteckt, in Schmutz und Elend langsam verhungern mußte.

Das Volk erbricht jetzt die Gefängnisse, und wer darin sitzt, erhält die Freiheit. Der Ruf: palle, palle! ertönt wieder in den Straßen. Die Form der Kapitulation wird neu beraten. Immer noch bleibt man dabei, daß die Freiheit bewahrt werden müsse und daß der Kaiser über die Gestaltung der Verhältnisse endgültig zu entscheiden habe.

Ein matter Anflug von Energie überkam die, welche für die Freiheit gekämpft hatten, am folgenden Tage, als die vier von der Regierung erwählten Gesandten mit der Vollmacht, abzuschließen, zu Ferrante Gonzaga abgegangen waren. Bewaffnete Bürger sammeln sich vor dem Palaste. Kaum kommt dies zur Kenntnis derer um Malatesta, welche in der südlichen Stadt eine Art kriegerischer Aufstellung inne hatten, als auch sie mit blanken Waffen auf dem Platze erscheinen. Varchi meint, noch einmal hätte es zu allgemeinen Kampfe kommen können, aber die Bürger, die zuerst sich eingefunden, verloren sich, und die anderen behielten das Feld. Abends kamen die Gesandten nach abgetanem Geschäfte zurück; am 11. wird die Kapitulation angenommen, am 12. unterzeichnet. Die Armee draußen erhält 80 000 Scudi. Innerhalb zweier Tage sollen Gonzaga bis zu einer Höhe von 50 Personen alle die ausgeliefert werden, welche er bezeichnet. Malatesta bewacht die Stadt, bis weitere Befehle vom Kaiser kommen. Übrigens solle alles vergeben und vergessen sein. Dies der Schluß. Wer nur die geringste Erfahrung besaß, wußte, daß die ganze Kapitulation sich in den einen Satz zusammenziehen ließ: der Papst verfährt mit der Stadt nach Belieben und nimmt Rache an seinen Gegnern, wo er ihrer habhaft werden kann. Wer entfliehen konnte, entfloh; die meisten nach Venedig und Frankreich. Viele auch verbargen sich in der Stadt. In Kirchen, Klöstern und Häusern gab es Schlupfwinkel genug. Jedes Haus hatte damals einen versteckten Ort, wie es für Zeiten der Pest und Hungersnot seine geheimen Vorratskammern besaß.

Auch Michelangelo wurde unsichtbar. Während sein Haus zu wiederholten Malen durch und durch untersucht ward, saß er im Glockenturm von San Niccolo oltra Arno im südlichen Teile der Stadt, nicht weit von dem nach San Miniato führenden Tore. Er hatte bis zuletzt auf seinem Posten ausgehalten.

Langsam gingen die Medici jetzt vorwärts. Nur mit Mühe gelang es, das über die versagte Plünderung wütende Heer von den Mauern abzuhalten und zum Abmarsche zu bringen. Die Spanier und die deutschen Landsknechte lieferten sich eine förmliche Schlacht zwischen ihren Lagerplätzen. In den Nächten aber griffen sie gemeinschaftlich die Stadt an und mußten blutig zurückgewiesen werden. Aus Rache verhinderten sie die Zufuhr. Kaum war es möglich, Lebensmittel herbeizuschaffen. Keine Ernte gab es in diesem Jahre. Ringsum das Land verheert und die kleinen Städte ausgesogen wie Florenz selber. Hier, nachdem so viele Bürger getötet, gestorben und entflohen waren, nehmen die Hinrichtungen ihren Anfang, und die Gefängnisse füllen sich wieder. Girolami wurde im Turm zu Pisa vergiftet.

Der 20. August war der erste Tag der neuen Ordnung, Baccio Valori läßt die große Glocke anschlagen und das Parlament berufen. Zwölf Männer erhalten Machtvollkommenheit, der Stadt eine neue Verfassung zu geben. Den erklärtesten Anhängern der Medici wird dies Amt übertragen. Am 12. September verläßt Malatesta die Stadt, ein Zug von Wagen folgt ihm, um das fortzuschaffen, was er für sich erworben hatte. Auch von der Artillerie wird ihm zum Geschenke gemacht. Die deutschen Landsknechte, die einen Teil der Belagerungsarmee gebildet, ziehen als päpstliche Besatzung ein. Wieder sind sie es, deren Menschlichkeit gerühmt wird. Nardi erzählt, wie sie florentinischen Frauen und Kindern, die vom Hunger getrieben sich ins Freie wagten, beistanden und den Italienern zu Leibe gingen, die sich über sie hermachen wollten.

So waren die Medici endlich wieder die Herren. Aber was sie besaßen, war das alte Florenz nicht mehr. Die reiche, stolze, üppige, übermütige, freie Stadt, umdrängt von Vorstädten, Villen und blühenden Gärten, war ein Märchen geworden, von dem denen, die später auf die Welt kamen, erzählt wurde wie von versunkener, feenhafter Herrlichkeit. Wie Rom nach 1527, war Florenz nach dem Jahre 30 leiblich und geistig für alle Zeiten verändert und ohne die eigene aus sich selbst schöpfende Kraft fortan, die bis dahin sein Ruhm und die Quelle seiner Freiheit gewesen.

Michelangelos Name war zu groß, als daß man die Schmach hätte auf sich laden dürfen, einen solchen Mann zu töten oder ins Gefängnis zu werfen. Außerdem, es gehörte zur Politik des Papstes, den Anschein zu wahren, als sei im Kriege gegen die Stadt alles, was ausgezeichnet war, auf seiner Seite gewesen. An dieser Auffassung wurde festgehalten. Der Krieg sei nur eine Empörung der vornehmen Familien zweiten Ranges gegen die gewesen, welche in erster Linie standen. Und demgemäß auch wurde bei den Verurteilungen verfahren.

Freiheit, Sicherheit und Fortbestehen der alten Aufträge unter den alten Bedingungen bot man Michelangelo, wenn er sich zeigen wolle. Endlich kam er nun aus seiner Verborgenheit hervor und ging still an die Arbeit für die Sakristei. Während der Belagerung hatte man dort die Gerüste abgebrochen und als Brennholz verbraucht. Michelangelo ließ die Bauarbeit in den ersten Zeiten ruhen und meißelte an den Figuren für die Gräber. Er mühte sich ab in krankhafter Hast. Er mußte arbeiten, um sich zu betäuben. Mit so großer Anstrengung förderte er sein Werk, daß er binnen wenigen Monaten die vier kolossalen Gestalten zusammenbrachte, die auf den Steinsärgen zu Füßen der in Wandnischen thronenden Statuen Lorenzos und Giulianos liegen. Zwar vollendete er keine von ihnen ganz und gar, aber unfertig, wie sie sind, haben sie die Bewunderung der Menschen erregt, von der Zeit ihrer Entstehung an bis heute. Sie sind das Höchste, was Michelangelo als Bildhauer geschaffen hat.


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