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Im Norden saßen die Visconti als die Herren von Mailand, wo sie Kaiser Heinrich bestätigt hatte. Durch sie blieb das ghibellinische nördliche Italien mit den Kaisern und Deutschland in Verbindung. Ihre besten Soldaten waren deutsche Ritter und Landsknechte.
Nach Osten hin war Venedig den Visconti zu stark, sie wandten sich nach Süden und brachten Genua in ihre Gewalt; damit war die ganze toskanische Küste, Lucca und Pisa, einst das Ziel der genuesischen Wünsche, nun ein Gegenstand der lombardischen Bestrebungen geworden. Das aber brachte Mailand mit Florenz zusammen, für welches der Besitz der beiden Städte notwendig war. Dazu der Gegensatz der politischen Gesinnung: Mailand der Mittelpunkt des deutsch-kaiserlich ghibellinischen Adels in Italien, Florenz das Nest des päpstlich nationalen Bürgertums in engster Verbindung mit dem französischen Neapel und mit Frankreich selber, dessen Könige die römische Kaiserwürde an sich zu reißen hofften. Toskana lag zwischen dem Norden und dem Süden wie der natürliche Kampfplatz der feindlichen Mächte, auf dem sie aneinanderstoßen mußten.
Florenz war eine von unruhigen Massen bewohnte Fabrikstadt. Es stellte sich bald heraus, daß eine unabhängige starke Gewalt die Stadt nach außen schützen müsse. Von den eigenen Bürgern konnte und durfte keiner so mächtig werden, um so viel zu vermögen; wir finden Florenz daher in den Händen fremder Fürsten, meist neapolitanischer Prinzen, die für schweres Gold mit ihren Truppen herbeigeholt werden. Es kam denen wohl der Gedanke, sich zu ständigen Herren aufzuwerfen. Dann aber zeigte sich die Gewalt der Bürgerschaft, die kein anderes Joch duldete als das, das sie freiwillig zu übernehmen gewillt war. Florenz blieb frei durch seine Demokratie, wie Venedig durch seinen Adel frei blieb.
Die anderen Städte Italiens fielen durch ihre Parteiungen einzelnen Familien oder fremder Herrschaft anheim. Die Dinge nahmen ihren naturgemäßen Verlauf in solchen Fällen. Zwei Parteien des Adels befehdeten sich, jede mit einer Familie, die die mächtigste innerhalb ihres Kreises war, als Oberhaupt. Hatte eine der Parteien dann gesiegt, so suchten sich diejenigen, welche ihre Führer gewesen waren, als Herren an der Spitze des ganzen Staates zu erhalten. Verschwägerungen, Mord und dadurch herbeigeführte Erbschaften, Verbindungen mit auswärtigen Häusern, die Ähnliches beabsichtigten oder bereits erreicht hatten, befestigten die neue Stellung. Diese Herrschaft ausdrücklich in eine erbliche zu verwandeln, war kaum notwendig, da es sich von Anfang an um die ganze Familie handelte, deren Fortbestand durch Todesfälle der Oberhäupter nicht unterbrochen wurde.
In Florenz waren seit den ältesten Zeiten solche Attentate an der Freiheitsliebe des Volkes gescheitert, auch in jenen Tagen, als es noch einen Adel in der Stadt gab. Merkte die siegreiche Partei, daß es nicht bloß auf die Niederwerfung ihrer Gegner, sondern auf die Erhebung ihres eigenen Chefs zur Herrschaft abgesehen sei, so versagte sie den Dienst. Alle Feindschaft schwand in solchen Momenten. Die Vertreibung des Herzogs von Athen, der 1343 zum Herrn der Stadt gemietet worden war und den es leicht dünkte, sie unter seine Botmäßigkeit zu bringen, ist eine der glänzendsten Taten der Florentiner. Verführt durch die Feindschaft der Parteien, glaubte er sich mit Hilfe der Aristokraten oben zu erhalten. Aber er trieb es nur kurze Zeit. Ein Aufstand brach aus, an dem sich jedermann ohne Unterschied der Farbe beteiligte, und der Herzog flüchtete vor dem empörten Volke, dem er nicht zu trotzen wagte. In jenem selben Jahre noch war es, wo dann in Florenz der letzte Kampf gegen die adligen Geschlechter gekämpft wurde, die nach der Vertreibung des Herzogs alsbald von neuem einander feindlich gegenübertraten. Es waren ihrer nicht viele mehr, sie wurden vernichtet, aber sie verkauften ihren Untergang teuer genug. Eine gewaltige Straßenschlacht entspann sich, das Volk eroberte die Paläste der Familien, wunderbar weiß Macchiavelli die Wut der Bürger und den verzweifelten Widerstand der Herren zu schildern, wie eine Familie nach der anderen hinsank und dann, als die Zünfte gesiegt hatten, diese nun selber bald darauf zu erneuten Kämpfen sich zu spalten begannen. Die höheren Zünfte waren jetzt »die Großen«, die Unterdrücker, gegen welche die niederen Zünfte, »das Volk«, die Waffen ergriff. Wiederum mächtige alte Familien, die die Partei der Großen bilden, während andere, die emporzukommen strebten, die ungeduldigen Wünsche des niederen Volkes zur Empörung reizen.
Diese Revolutionen sind es, aus denen endlich die Medici auftauchen. Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts begannen sie sich zu erheben. Ihr Wachstum war ein natürliches und deshalb unaufhaltsam. Aus dem Zusammenwirken zweier unüberwindlicher Mächte: der Eigentümlichkeit des florentinischen Volkes und des eigenen Familiencharakters, sog es seine Nahrung, und eine Herrschaft bildete sich, die mit keiner anderen Füstenherrschaft verglichen werden kann.
Die Medici waren Fürsten und doch Privatleute. Sie herrschten unumschränkt und schienen niemals einen Befehl zu geben. Man könnte sie erbliche Ratgeber des florentinischen Volkes, die erbliche florentinische Vorsehung nennen, Inhaber, Erklärer und Vollstrecker der öffentlichen Meinung. Sie regierten ohne Titel und Mandat, ihre einzige Berechtigung floß aus ihrer Unentbehrlichkeit.
Der Reichtum der Familie war nur das äußerliche Werkzeug, mit dem sie arbeitete, die eigentlich treibende Kraft, welche sie zur Höhe steigen ließ, lag in dem Talente, Vertrauen zu gewinnen, ohne es zu fordern, den Willen durchzusetzen, ohne zu befehlen, und ihre Feinde zu besiegen, ohne sie anzugreifen. Ans Tageslicht traten nur ihre Erfolge, selten die Wege, auf denen sie sie erlangten. Hier scheuten sie kein Mittel. In einer Verteidigungsschrift, in welcher der Charakter des ersten Cosimo mit Leidenschaft oder vielmehr mit Wut in Schutz genommen wird, lesen wir zum Lobe dieses Vaters des Vaterlandes, er habe den römischen Kaiser vergiftet, um Italien vor seinem Einbruche zu retten! Verräterei und Gewaltsamkeit waren ihnen geläufig wie irgendeiner anderen Fürstenfamilie ihrer Zeiten, was sie aber auszeichnete vor ihnen, war die nationale, echt florentinische Weise, in der sie damit zu verfahren wußten. Sie waren feiner als die Feinsten in Florenz, fügsamer als die Schlausten, packten ihre Feinde mit unvermeidlicher Akkuratesse und verstanden es meisterhaft, sie in das Gefühl der Sicherheit einzuschläfern, in dem befangen sie sich greifen ließen. Kaltes Blut in den schwierigsten Momenten nützt ihnen mehr noch als die Bravour, die ihnen niemals fehlte, mit beiden aber ging ein wunderbares Glück Hand in Hand, und was sie wahrhaft verklärt, ist ihr auf höhere Kultur gerichteter Geist, die Freude am Schönen und die edelmütige Art und Weise, wie sie denen sich befreundeten, die in Kunst und Wissenschaften die Ersten waren. Ihre Verdienste und wiederum ihr Glück – denn das Schicksal begünstigte die edle Neigung in vollem Maße – sind hier so großartig, und dafür, daß die ganze Welt davon erfahre, hat der Genius der Geschichte so schön Sorge getragen, daß die Medici einzig dastehen als die Beschützer von Kunst und Wissenschaft.
Der erste Medici, dessen Schicksal sich in durchgreifender Weise in die Geschickte der Stadt einmischt, war Salvestro, im Jahre 1370 Gonfalonier von Florenz. Der Gonfalonier, die höchste Behörde, saß ein Jahr im Amte. Man kann es schlechthin und allgemein mit dem Titel Regierender Bürgermeister übersetzen, dem Wortlaut nach heißt es Bannerträger; der Gonfalonier führte das Banner der Gerechtigkeit zum Zeichen der obersten Gewalt, die in seinen Händen lag.
Salvestro, zugleich Anführer der demokratischen Partei, stürzte die Bürgerschaft in eine der gefährlichsten Revolutionen. Ohne sich offen zu kompromittieren, reizte er die Leute so lange, bis der Aufruhr ausbrach. Inmitten der Bewegung stand er darauf als loyaler Mann außerhalb allen Streites und offenbarte in seinen Manövern jenen Geist der Schlauheit und Energie, durch welchen seine Familie in späteren Zeiten immer siegreich blieb, sooft sie nur ihn rücksichtslos anzuwenden Kraft und Kühnheit besaß.
Der Zweck der demokratischen Partei, an deren Spitze sich die Medici stellten, war die Bekämpfung derjenigen Familien, welche sich innerhalb der reinen Zunftverfassung durch gemeinsame Reichtümer zur herrschenden Minorität aufgeworfen hatten. Die Medici nahmen unter ihnen den Rang nicht ein, welchen sie einzunehmen wünschten. Ihre Familie war keine von den angesehensten und ältesten. Statt nun jedoch innerhalb jener Aristokraten, denen sie gleichstellen wollten, sich eine Partei zu bilden, mit deren Hilfe sie dann vielleicht die großen Familien und das ganze Volk in Abhängigkeit gebracht hätten, machten sie die Sache des Volkes zu der ihrigen, vernichteten vereint mit ihm die Großen und traten dann ihre Erbschaft an.
Sosehr nun auch der Weg, den sie einschlugen, und die Hilfsmittel, deren sie sich bedienten, den schließlichen Erfolg als das siegreiche Spiel kalt angezettelter Intrigen erscheinen lassen konnten, so sehr bedurfte es dennoch der größten Geisteskraft, um als Sieger hervorzugehen. Eine Reihe der gefährlichsten Momente treten ein, in denen sich die Medici mit fürstlichem Takte benehmen. Das Aufsteigen dieser königlichen Bürger besteht aus einer Folge politischer Ereignisse, die immer umfassender werden. Das Reinmenschliche aber gab am Ende doch den Ausschlag, und Edelmut und Geistesgröße öfter als heimlich berechnende Hinterlist. Die Medici herrschten nicht bloß dadurch, daß sie die bösen Eigenschaften ihrer Mitbürger in der größten Potenz besaßen, sondern auch, weil sie das Vortreffliche des florentinischen Nationalcharakters stärker in sich trugen als irgendwer. Das Nachteilige tritt überall stark hervor, weil es deutlicher zu erkennen ist und sich in einzelnen Fällen mit Schärfe zeigt; das Gute, das mehr in einer allgemeinen Stimmung beruht und das selbst da, wo man es anerkannt hat, dennoch als etwas sich von selbst Verstehendes leicht übersehen wird, erblaßt dagegen und scheint kaum ein Verdienst zu sein. Deshalb mag auch wohl bei Salvestro weniger augenscheinlich ins Gewicht fallen, daß die Sache, der er diente, an sich eine gute und gerechte war. Man glaubt in zu hohem Grade zu erkennen, daß er sie nur benutzte. Er ging aus den Stürmen, die er angeblasen, mit dem Ruhme eines Demokraten hervor, den das Volk liebte, zugleich blieb er der Mann, den die Großen nicht entbehren konnten. 1388 starb er. Nach seinem Tode ward Veri dei Medici das Haupt der Familie. Die Streitigkeiten der höheren und niederen Zünfte um den Anteil an der Regierung dauerten fort. Die Aufstände nahmen kein Ende. Man mordete, man stürmte den mißliebigen Großen die Paläste, plünderte und steckte sie an. Hinrichtungen, Verbannungen, Konfiskationen oder Anrüchigkeitserklärungen, durch welche bedenklichen Persönlichkeiten auf gewisse Zeit die Ausübung der politischen Rechte entzogen ward, waren an der Tagesordnung. In ganz Italien herrschte um diese Zeit ein prinzipienloser Krieg aller gegen alle. Kaiser und Papst mischen sich hinein, kümmern sich aber, wie die übrigen, nur um niedere Vorteile. Die großen Gedanken sind in Vergessenheit geraten. Es mangelte in geistigen und politischen Dingen die letzte Instanz, bei der eine Entscheidung zu suchen wäre. Der Trieb, zu unterjochen und materielle Güter zu sammeln, war der einzige Grund der Ereignisse.
Vergleicht man unsere Tage, die von vielen verwirrt und haltlos gescholten werden, mit den damaligen Zeitläuften, so scheint der heutige Zustand ein ideal harmonisches Gefüge, wo Wahrheit, Würde und Langmut das Szepter führen, wo alle unedle Leidenschaft ihr Gift und selbst das Geld seinen Zauber verloren hat. Wir bilden uns manchmal ein, für Geld wäre heut alles zu haben: wie wenig aber scheinen wir mit diesem Werkzeuge ausrichten zu können, wenn wir jene verflossenen Strömungen der Geschichte betrachten. Welcher Fürst dürfte heutigen Tages so mit allem Handel treiben, was seiner Macht zugänglich ist, wie es damals geschah? Die Gewalt der öffentlichen Meinung, die heute mit finsterer Stirn auf die Handlungen der Fürsten und Völker herabblickt, existierte nicht. Das zwingende Gefühl politischer Sittlichkeit, das in den Gemütern erwacht ist, war etwas, das auch nicht die fernsten Ahnungen der Menschen berührte.
Die Herrschaft Cosmos dei Medici fällt zusammen mit dem Aufschwunge, der Italien aus dieser Versunkenheit aufriß. Wie rettende Inseln tauchten die Gedanken des antiken Geistes in der allgemeinen Sündflut empor; zu ihnen flüchtete man. Der Einfluß der griechischen Philosophie wurde neu lebendig. Die Medici sind aufs innigste beteiligt bei ihrem Wiederaufblühen. Von der Kunst jener Tage ist, ohne ihren Namen zu nennen, nicht zu erzählen. Die Vorteile, welche Florenz und seinen Bürgern von der Natur verliehen waren, wurden durch Cosmo erkannt und gesteigert, und so ist die Stadt zum Mittelpunkt Italiens gemacht, das jetzt an Bildung die übrigen Länder Europas überflügelte.