Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

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Sechzehntes Kapitel

1547-1564

I

Die Ernennung zum obersten Architekten der Peterskirche räumte Michelangelo Macht ein über alles, was den Bau betraf. Es hatte ihm niemand dreinzureden. Er konnte anstellen und entlassen, wen er für geraten fand, und die Energie, mit der er hier auftrat, war die formende Kraft gleichsam für die Schicksale, die ihn noch erwarteten und denen gegenüber er seine angebotene Festigkeit niemals verleugnete.

Lange bevor Michelangelo starb, wurde sein Tod erwartet. Im Gefühl, ihn bald verlieren zu müssen, drängte man sich freundlich an ihn heran und gab nach bei seinen Forderungen. Als er dann aber lebte und lebte und tief in die Achtzig kam und immer den alten Charakter zeigte, wurden manche, die sich selbst älter werden fühlten und gern da gestanden hätten, wo er stand, ungeduldig.

Unter Paul dem Dritten schwiegen diese Ansprüche. Erst unter seinem Nachfolger brach der Sturm los. Wir dürfen annehmen, daß Michelangelo diese Jahre ruhig verlebte und daß das Gewirr des römischen Daseins nur als ein fernes Geräusch in seine Stille drang. Doch war seine Zurückgezogenheit nicht die eines herabsteigenden Mannes, der sich absondern muß, damit der Rest seines Lebenslichtes nicht zu arg ins Flackern gebracht werde, sondern es war neben dem Bedürfnis der Einsamkeit, das er stets hegte, das Gefühl, wie weit sein Geist von den Menschen getrennt sei, das Michelangelo so auf sich selber sich zu beschränken zwang.

Wäre er im mindesten weltlich gesinnt gewesen, er hätte anders damals als Raffael vor Zeiten in einem Palaste wohnen und mit einem Gefolge von Künstlern umhergehen können. Er hätte Arbeiten, ohne sie zu berühren, als die seinigen entstehen lassen und teuer verkaufen können; aber was die Bildhauer heute als das sich von selbst Verstehende betrachten, hat Michelangelo niemals getan. Und in Rom ging es glänzender zu damals als je unter den Medici. Die Farneses haben noch ihren Ehrgeiz daran gesetzt, die Lücke, welche die Medici gelassen, auszufüllen. Künstler und Literaten fanden im Kardinal Farnese einen verständigen Beschützer. Niemals war in Rom so viel gebaut, gemalt und gemeißelt worden. Trotz Jesuiten und Inquisition herrschte in religiösen Dingen scheinbar die alte Unbefangenheit, eine Frucht der dem Herzen des Papstes innewohnenden Gleichgültigkeit. Er war nicht imstande, in der Religion mehr als ein den Päpsten besonders zuerteiltes Staatsmittel zur Erreichung politischer Zwecke zu sehen. All die Heftigkeit, mit der der Kardinal gegen die Ketzer wüten wollte, entsprang dieser Quelle. Keine Spur wirklicher Frömmigkeit oder auch nur frömmelnder Regung dabei im Spiel. Ketzer waren eine Art politischer Verbrecher der schlimmsten Art. Wenn Busini 1548 als Postskriptum eines seiner Briefe an Varchi schreibt: »Hier in Rom werden tüchtig Lutheraner eingesteckt«, so hat das denselben Sinn, als wäre 300 Jahre später aus Paris geschrieben: »Hier werden viele Anhänger der Republik eingezogen.« Denn daß man in Rom damals Tortur anwandte und Feuertod folgen ließ, war so wenig eine neu erfundene Grausamkeit, wie in Frankreich später der Transport nach Cayenne, sondern das Gewöhnliche, nur, daß eben der Religion wegen das Feuer gewählt wurde, da die Leute bei anderen Vergehen vergiftet, gehängt, erdrosselt oder geköpft zu werden pflegten.

Die erneute Härte gegen die lutherischen Umtriebe in den letzten Jahren Paul des Dritten war eine Folge seiner unglücklichen Politik dem Kaiser gegenüber, der nach dem gleichzeitigen Abgehen Franz des Ersten und Heinrich des Achten von England keinen Fürsten von geistiger Bedeutung sich in Europa mehr gegenübersah und Rom so völlig in Händen hatte, daß nur die Verblendung des ungeheuren Ehrgeizes, der die Farneses erfüllte, dies verkennen konnte. Zum Feldzuge in Deutschland mußte der Papst ein Hilfscorps und Gelder bewilligen. Ausgesprochene Ursache des Krieges war die Weigerung der Protestanten, das in Trient angesagte Konzil zu beschicken. Nach der Niederlage des Landgrafen von Hessen aber wird den Farneses bange. Niemals trat das gleichartige Interesse der Lutheraner und des Papstes dem Kaiser gegenüber so deutlich zutage. Paul will nicht, daß Karl Herr über Deutschland werde, und zieht plötzlich Geld und Truppen zurück. Karl jedoch, ohne sich daran zu kehren, überschreitet die Elbe und schlägt die Deutschen. Jetzt zwischen Rom und Frankreich schleunige Unterhandlungen. Der Papst trachtet nach der Lombardei für seinen Sohn Pierluigi; Genua und die Flotte im Hafen sollen dem Kaiser durch einen Handstreich genommen werden. Die Verschwörung aber mißlingt, und Pierluigi verliert das Leben. Der Kaiser begnügt sich damit, den Papst scharf zu beobachten. Paul hatte das Konzil in Bologna angesagt, Karl dagegen mit den Deutschen eine Übereinkunft geschlossen, durch die sie als die Unterlegenen sich immer noch gut genug gestellt sahen. Er erkannte, daß es unmöglich sei, die alten Zustände mit Gewalt zurückzuführen, ließ sich deshalb die Lage der Dinge im allgemeinen gefallen und nahm nur eine Reihe von Vorteilen für sich in Anspruch, deren Zugeständnis für die Lutheraner mehr unbequem als drückend war.

Daß in Italien unter diesen Umständen gegen die Lutheraner heftiger vorgegangen werden mußte, war natürlich. Auf die Beschickung des Konzils, zu der man sie kurz vorher noch hatte zwingen wollen, verzichteten nun die Katholiken zuerst. Sie könnten nicht mit den Ketzern zusammen über religiöse Dinge verhandeln. In Deutschland nahm die Heftigkeit der Theologen gegen Rom zu. Luther war tot. Vergerio, jetzt deutscher Universitätslehrer, schrieb mit italienischer Heftigkeit gegen die Zustände, von denen er sich losgemacht und die er von Grund aus kannte; mit einer Glut spricht er, daß seine Schriften, die italienisch geschrieben nach Italien eingeschleppt wurden, an Luther erinnern. Immer schärfere Vorsicht mußte dem von Rom aus entgegengesetzt werden, und es wurde nun eingehauen, wo man sonst nur flache Hiebe verteilte.

Michelangelo hatte nichts zu tun mit den Lutheranern, ihn also betraf nicht, was gegen sie geschah. Aber der im allgemeinen beängstigende Zustand machte sich ihm auf andere Weise empfindlich. Ein vom 22. Oktober 47 datierter Brief an seinen Neffen läßt einen Blick in die Zustände unter Cosimo tun, dessen erste Anerbietungen damals bereits abschläglich von Michelangelo beantwortet waren. Der Herzog scheint diese Entschuldigungen nicht gut aufgenommen zu haben. Er hatte nicht bloß in Florenz, sondern durch ganz Italien Spione, um seine Untertanen auch im Auslande zu beobachten. Und so war Leonardo damals in der Lage, den Oheim vor »schlechtem Umgange« warnen zu müssen.

»Es ist mir lieb, Leonardo«, antwortete Michelangelo, »daß du mich auf die Verbannungsgesetze aufmerksam gemacht hast, denn wenn ich mich bis heute in acht genommen habe, mit den Verbannten zu sprechen und in Verkehr zu stehen, so werde ich mich künftig noch mehr davor hüten. Was das anlangt, daß ich im Hause der Strozzi krank gelegen hätte (diese vor drei Jahren geschehene Sache wurde also jetzt gegen ihn hervorgesucht), so fasse ich das so auf, daß ich nicht in ihrem Hause, sondern in der Wohnung Luigi del Riccios lag, meines genauen Freundes, da mir seit dem Tode des Bartolommeo Angelini kein Mensch besser und treuer meine Geschäfte besorgt hätte, und nach seinem Tode habe ich, wie mir ganz Rom bezeugen kann, mit dem Hause nichts mehr zu tun gehabt. Wie ich hier lebe, weiß jedermann; ich bin immer allein und spreche mit niemandem und am wenigsten mit Florentinern; wenn ich auf der Straße gegrüßt werde freilich, gebe ich einen freundlichen Gruß freundlich zurück und gehe meines Weges, aber wenn ich wüßte, welches die Verbannten sind, auf die es ankommt, so würde ich sogar diesen keine Antwort geben. In Zukunft werde ich mich wohl in acht nehmen, besonders da ich so viel andere Dinge im Kopf habe, daß ich kaum das Leben dabei behalte.«

Der Brief war, scheint es, danach eingerichtet, in Florenz vorgelesen zu werden. Michelangelo wußte recht gut, bei wem er krank im Hause gelegen und was er dem Könige von Frankreich durch Strozzi hatte sagen lassen. Als Ruberto Strozzi im Frühjahr 46 in Rom war, wäre es doch ein Wunder gewesen, wenn er Michelangelo nicht aufgesucht hätte. Die Strozzis blieben immer in Verbindung mit Rom und den dortigen Florentinern. Durch sie wurde in späteren Jahren die Bestellung der bronzenen Reiterstatue für Heinrich den Zweiten von Frankreich bei Michelangelo vermittelt. Ruberto kam selbst, um mit ihm darüber zu beraten, worauf die Arbeit Daniele da Volterra übertragen ward, der auch das Pferd dazu gegossen hat, das letzte bedeutende Werk dieser Art, das unter Michelangelos Leitung in Angriff genommen wurde. In Florenz aber mußten solche Verbindungen geleugnet werden, weil sie der Familie dort hätten schädlich sein können. Wie viel erträglicher muß in Rom doch immer das Dasein gewesen sein, wo die Gefahr, Leben und Freiheit zu verlieren, durch die vielfache Protektion der Mächtigen aufgehoben wurde, während in Florenz ein einziger unbeugsamer Polizeityrann sein Netz ausgespannt hielt und keinen wieder losließ, der sich einmal in seine Maschen verirrt hatte.


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