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Es ist nichts darüber bekannt, wie das antike Florentia in das moderne Fiorenza oder Firenze überging und ob es aus den römischen Zeiten den Charakter einer Fabrikstadt mitgebracht. Nicht einmal aus der hohenstaufischen Epoche wissen wir, in welchem Verhältnis die Bevölkerung sich in Adel und gewerbetreibenden Bürgerstand teilte. Damals lag die Stadt am nördlichen Ufer des Arno, innerhalb gering umfassender Mauern, zwischen denen und dem Flusse ein breiter Raum war. Dahinaus aber vergrößerte man sich bald, schlug Brücken hinüber und setzte sich an der anderen Seite fest.
Die Besiegung Fiesoles war die erste große Tat der florentinischen Bürgerschaft. Die Fiesoleaner mußten sich in der Tiefe ansiedeln. Pisa jedoch, das nach Westen hin am Meere lag, war größer und mächtiger. Pisa besaß eine Flotte und Häfen, der florentinische Handel war abhängig von dem seinigen. Nirgends hatte Florenz freien Zusammenhang mit dem Meere, Lucca, Pistoia, Arezzo, Siena, lauter neidische und kriegerische Städte, umkränzten es mit ihren Gebieten. In ihnen aber, wie in Florenz, saßen mächtige Adelsgeschlechter, in deren Händen die Herrschaft lag.
Die Kämpfe dieser Herren im einzelnen und die der Parteien, in die sie sich der Masse nach teilten, bilden das Schicksal Toskanas, solange die Hohenstaufen die Welt regierten. Florenz gehörte zu der Erbschaft der Gräfin Mathilde, die der Papst beanspruchte, weil ihm das Land vermacht worden sei, der Kaiser, weil über kaiserliches Lehen so nicht verfügt werden dürfe. Dieser Streit gab den Parteien in Toskana feste Anhaltspunkte. Ein Teil des Adels stand auf für die Rechte der Kirche, der andere, um die des Kaisers zu verteidigen. Die Zukunft der Stadt fiel dem Ausgang des Krieges anheim, der zur Entscheidung der brennenden Frage alsbald in gewaltsamen Taten aufloderte.
War die kaiserliche Partei in Italien siegreich, so triumphierten auch in Florenz ihre Anhänger; hatten die Nationalen die Oberhand, so siegte auch in Toskana die Partei des Papstes. Als die lombardischen Städte von Barbarossa gedemütigt wurden, brachen die kaiserlich Gesinnten los in Florenz und versuchten die öffentlichen Behörden, die von ihren Gegnern befestigt worden waren, aus ihrer Stellung zu treiben. Als das Glück des Kaisers dann einen Umschlag erfuhr, kehrte die Macht seiner Feinde auch in Toskana zurück. Unter der Protektion des Papstes schlossen sich die tuskischen Städte zu einem Verband zusammen, dessen Vorort Florenz war.
So lagen die Dinge zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, als die Namen Guelfen und Ghibellinen aufkamen und, was bisher ein dumpfer Widerstreit gewesen, zu einem Kampfe mit ausgebildeten Prinzipien ward. Im Jahre 1213 begannen die Guelfen und Ghibellinen in Florenz sich zu befehden. Im Jahre 1321 starb Dante. Das Jahrhundert zwischen beiden Ziffern bildet den Inhalt seiner Gedichte, deren Verse der heldenmütigen Epoche, die sie schildern, ebenso natürlich entsprechen wie die reine Sprache Homers den Taten der Hellenen vor Ilion.
Verzeichnisse der Familien, wie sie hüben und drüben standen, sind aufbewahrt. Wir kennen die Lage ihrer Paläste, kleiner Kastelle, die auf Abwehr von Sturm und Belagerung eingerichtet waren. Wir verfolgen von Jahr zu Jahr die unheilvollen Verhältnisse. Alte berühmte Häuser kommen herab, neue erheben sich aus kleinen Anfängen zu Macht und Ansehen. Ununterbrochen neben dem innerlichen Zwiespalt Kriege mit den Nachbarn, mit Pisa voran, das den Weg zum Meere in der Hand hatte, bald mit der ganzen Nachbarschaft. Im Moment der Gefahr vereinigen Versöhnung, Waffenstillstände und Verträge die sich zerfleischenden Parteien zu gemeinsamer Kraft gegen die Feinde des Vaterlandes. Nach dem Siege aber erwacht in den eigenen Mauern der alte Hader zu neuem Unheil.
Meistens lag der Grund der äußeren Verhältnisse in den inneren selber. Die Guelfen von Florenz, wenn sie die Leitung der Dinge in Händen hatten, drängten zum Kriege gegen die Ghibellinen von Pisa oder Pistoia. Die Florentiner Ghibellinen verweigern dann, mit auszuziehen gegen die eigenen Parteigenossen. So stand Toskana in Flammen, die nicht zu dämpfen waren. Denn gelang es der einen Partei, die andere aus der Stadt hinauszudrängen, so lagen die Vertriebenen draußen in ihren Kastellen, bis dicht vor den Toren, um den günstigen Moment der Rückkehr zu erwarten. Geschlagen sein war nicht überwunden sein. Im schlimmsten Falle kam Zuzug und Geld aus der Ferne. Der Kaiser selbst sandte den unterdrückten Ghibellinen deutsche Ritter zu Hilfe.
Dem gewerbetreibenden Bürgerstand jedoch kam dieser Zustand der großen Herren wohl zustatten. Aus heraufgekommenen Kaufleuten bildete sich ein drittes Element, das in die Kämpfe des Adels mächtig eingriff und ihn zu Konzessionen nötigte. Die städtischen Behörden erstarkten; mitten in den verderblichsten Unruhen nahm Florenz zu an Umfang und Bevölkerung. Im Jahre 1252 war Pisa schon nicht halb so bedeutend mehr. Ein Handelsvertrag mit den Pisanern wurde abgeschlossen, sie nahmen florentinisches Maß und Gewicht an. Um diese Zeit war es, wo Manfred, der letzte hohenstaufische König von Neapel, allein die Ghibellinen in Toskana hielt. Als er zum letzten Male Hilfe sandte, machten seine achthundert Ritter, meistens Deutsche, mit den Ghibellinen von Florenz, Siena, Pisa, Prato, Arezzo und Pistoia vereint dreitausend gewappnete Ritter aus.
Die Guelfen unterlagen und räumten das Land. Bald aber nach dem Untergange Manfreds ziehen sie wieder auf Florenz los, das nun von den Ghibellinen verlassen wird. Karl von Anjou, der französische neue König von Neapel, übernimmt die Protektion der Stadt, und die Bürgerschaft gibt sich eine neue Verfassung, die Grundlage ihrer späteren Unabhängigkeit. Mochte der Adel Frieden schließen oder neu in den Kampf gehen, immer war es ein Signal für die Bürgerschaft, zur Erweiterung ihrer Rechte einen frischen Anlauf zu tun.
Damit diese Rechte aber ein um so sicherer Besitz wären, strebte man danach, die Kastelle des Adels außerhalb der Stadt zu zerstören, zu kaufen und sie durch Verbote auf einen weiten Umkreis von der Stadt ab zurückzudrängen. In Florenz selber mußten die gefährlichen Türme abgetragen werden, von denen herab man auslugte und Geschosse schleuderte. Zu spät empfanden die großen Herren die Folgen ihrer wütenden Selbstvernichtung. Die Ghibellinen waren unterdrückt, aber der siegreiche guelfische Adel stand geschwächt einer stolzen Bürgerschaft gegenüber, deren reiche Familien sich rittermäßig wie der Adel hielten. Neue Verfassungen gaben den Zünften, die sich zu bilden anfingen, größeren und größeren Raum, und zuletzt stand als Ziel dieser mächtigen Demokratie die Absicht da, denjenigen allein Anteil am Staate zuzugestehen, die Mitglieder der Zünfte wären. Der alte Adel sollte sich aufnehmen lassen oder völlig ausgeschlossen sein.
Alles dies jedoch ging langsam vor sich, große Erschütterungen führten stets nur kleine Schritte vorwärts. Es gab Epochen der Ruhe, glücklichere Zeiten, in denen sich die Parteien zu friedlichem Nebeneinanderleben vereinigten. Eine solche Stille trat ein in den letzten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderts, als mit dem Untergange der Hohenstaufen die Idee des alten Kaiserreiches sich aufzulösen begann und die neue Grundlage des europäischen Staatenlebens immer lebendiger in den Gemütern ward: die getrennten Völker sollten von nun an ihre eigenen Wege verfolgen. Damals wurde der Bann des alten römisch-byzantinischen Wesens zuerst gebrochen. Nationales Bewußtsein durchdrang Kunst und Literatur und äußerte sich in neuen Formen. Diese Zeiten sind es, in die Dantes Geburt und Jugend fällt.
Florenz erweiterte zum dritten Male die Ringmauern. Arnolfo, der berühmte Architekt, begann die Kirchen zu errichten, die heute noch als die größten und schönsten der Stadt dastehen, Santa Maria del Fiore die vornehmste. Er baute in einem neuen Stile, dem gotischen, oder, wie die Italiener sagten, dem deutschen, dessen freie, hochstrebende Verhältnisse an die Stelle der mehr gedrückten und in die Breite sich ausdehnenden Dimensionen traten, in denen bis dahin gebaut worden war. Wie die Herrschaft der Hohenstaufen als die äußerste Entwickelung des antiken Römerreiches anzusehen ist, so erscheint auch die Kunst bis auf ihre Zeiten als die letzte Blüte der antiken Anschauungen.
Dante redet von den Tagen seiner Jugend wie von seinem verlorenen Paradiese. Aber er war kein Dichter, der in einseitige Träumereien versunken ein abgeschlossenes Dasein geführt hätte. Er war Soldat, Staatsmann und Gelehrter. Er kämpfte in Schlachten mit, nahm teil an wichtigen Gesandtschaften und schrieb gelehrte und politische Werke. In seiner Jugend ein Guelfe, wurde er zum wütenden Ghibellinen und schrieb und dichtete für seine Partei, die noch einmal auf die Ankunft eines deutschen Kaisers überschwenglich ideale Hoffnungen setzte. Heinrich von Luxemburg erschien im Jahre 1311. Aber für ihn hatten die alten Parteinamen den alten Inhalt verloren. Er sah, daß Guelfen und Ghibellinen ihn für die eigenen Zwecke zu benützen wünschten, und hielt sich, gleichfalls die Richtung verfolgend, die ihm für die eigene Politik am nützlichsten dünkte, auf einem Mittelwege, der ihn siegreich weiterführte, ohne einer von den streitenden Parteien den Sieg zu verleihen. Bald machte der Tod seinem Wirken ein Ende, und nach seinem Verschwinden blieb im Lande kaum eine Spur seines Daseins zurück.
Sein Zug durch Italien ist von Dino Compagni, einem Florentiner und Freunde Dantes, beschrieben worden. Die Chronik dieses Mannes in ihrer einfach schönen Prosa bildet ein Seitenstück zu Dantes Gedichten. Der Zusammenklang zweier Welten, der antiken und modernen, erfüllt ihrer beider Werke. Sie gebrauchen die Sprache, wie die besten alten Autoren die ihrige, naiv und ohne Mißbrauch ihrer Gelenkigkeit. Dante nennt die Dinge und Gefühle schlechthin, wie er sie erblickt und empfindet. Wenn er den Himmel beschreibt und den Auf- und Niedergang der Gestirne, ist es der Himmel Hesiods, oder wenn er uns an den Strand des Meeres führt, scheint es dasselbe Gestade zu sein, an dem Thetis den verlorenen Sohn betrauerte oder dessen Wellen zu Odysseus' Füßen rollten, als er von der Insel der Kalypso hinausblickte und bei den ziehenden Wolken an den aufsteigenden Rauch seiner Heimat dachte. Dante vergleicht unbefangen die kaum geöffneten lichtscheuen Augen der wallenden Gespensterscharen in der Unterwelt mit den zusammengekniffenen Augen eines Schneiders, der seine Nadel einfädeln will.
Sein Gedicht ist die Frucht arbeitsamer Versenkung in den Geist der italienischen Sprache. Ihre Worte mußte er wie eine Schar wilder Pferde, die noch niemals im Geschirr gegangen waren, mühsam einfangen und zusammenhalten. Sein stolzes vollwichtiges Italienisch sticht wunderlich ab gegen das abgeschliffene konventionelle Latein, in dem er bequemer schrieb. Da ist er scharf, gebildet und elegant, während seine italienischen Sachen klingen, als hätte er sie selbst im Traume geschrieben. In seinen lichten Versen liegt etwas von der Wehmut, zu der uns oft der Anblick der Natur stimmt, von jener Trauer ohne Ziel, die ein kühler glühender Sonnenuntergang im Herbste in uns herauflockt. Dantes Schicksal steht vor uns wie das Leiden eines verbannten Hellenen, der am Hofe eines Barbarenfürsten Gastfreundschaft genießt, während Haß und Sehnsucht an seinem Herzen nagen. Man sieht mehr zu Zeiten, als man vielleicht zu sehen ein Recht hat: wenn ich Dantes Kopf betrachte, wie ihn Giotto mit wenigen wundervollen Linien in der Kapelle des Bargello auf die Wand malte, da scheint in den sanften Zügen sein ganzes Leben zu liegen, als überschattete seine jugendliche Stirn eine Ahnung, wie die Zukunft sich ihm gestalten sollte.
Dante starb in der Verbannung, keines seiner politischen Ideale gestaltete sich zur Wirklichkeit. Die Nationen steckten zu tief in ihrer eigenen Unordnung, um für die allgemeine europäische Politik Kraft und Begeisterung übrig zu haben. Die Päpste zogen nach Avignon, Rom stand leer, Italien blieb sich selbst überlassen. Die hundert Jahre, welche dieser Zustand dauerte, sind die zweite Epoche in der Entwicklung der florentinischen Freiheit und bilden zugleich das erste Säkulum der erblühenden Kunst, die in Giotto ihren ersten großen Arbeiter findet.