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An diesen Figuren arbeitete Michelangelo vom September 1530 an. Daneben vollendete er die Statuen der beiden Herzöge. Es scheint, daß alle sechs Stücke gleichmäßig gefördert wurden. Der Papst empfing mit Befriedigung die Berichte des Priors von San Lorenzo, Figiovanni, dem die Sorge für den Bau der Sakristei oblag, und machte ihm zur Pflicht, Michelangelo mit ausgezeichneter Rücksicht zu behandeln. Was an Geldern verlangt wurde, ging auf der Stelle ein. Die nächste Vergangenheit schien in Vergessenheit versenkt zu sein. Nur in einem Punkte sahen die Medici sich gezwungen, Michelangelo zu kränken: Bandinelli erhielt den Marmorblock zurück. Er, der nie seine Anhänglichkeit an die Familie verleugnet hatte, verdiente diese Genugtuung. Zudem, die Verfügungen der revolutionären Regierung durften nicht anerkannt werden. Es wäre ein politischer Verstoß gewesen, hier eine Ausnahme zu machen, um so mehr als der Beschluß vom 22. August 1528 in absichtlichem Widerspruch gegen die Bestimmungen der Medici gefaßt worden war.
Einige Briefe aus dieser Zeit lassen Michelangelos persönliches Verhältnis zum Papste, wie es sich wieder gestaltete, lebendig erkennen. Ein Freund schreibt Mitte Januar 1531 an ihn. Michelangelo, der in Rom zu tun hatte, wird eingeladen, im Vatikanischen Palaste selber abzusteigen. Er werde, ohne die Stadt Rom zu berühren, da einreiten können, und es solle alles zu seiner Bequemlichkeit bereit stehen, wie ihm irgend lieb und angenehm wäre. Wir wissen nicht, ob er damals ging. Dann wieder schreibt Sebastian del Piombo Ende April desselben Jahres. Abermals handelt es sich um eine Reise nach Rom: Michelangelo wollte sich persönlich beim Papste, wir wissen nicht, beklagen oder rechtfertigen, und darauf gibt Sebastian ihm Bescheid. »Mein teuerster Gevatter«, schreibt er, »was mir Menichella gesagt hat, soll für euch kein Grund sein, spornstreichs hierher zu kommen: schreibt einen Brief an euren guten Freund, es wird dieselben Dienste tun. (Sebastian meint den Papst damit.) Versucht es, und ihr werdet den Erfolg sehen, denn ich weiß, wie große Stücke er auf euch hält. Mir scheint, wenn ihr eine Figur arbeiten wolltet, ganz wie euch der Gedanke dazu käme, aber mit eigner Hand ausgeführt, so würde euch das nicht übel zustatten kommen. Denn er liebt euch, versteht euch und betet eure Sachen geradezu an und weiß sie wie kein Mensch auf Erden sonst zu schätzen: es ist ein wahres Wunder und für einen Künstler das Erfreulichste was ihm geschehen kann. Ein Vater könnte über seinen eignen Sohn nicht ehrenvoller und liebevoller urteilen als er über euch. Richtig ist, daß ihn allerlei zugetragenes Geschwätz in den Zeiten der Belagerung von Florenz betrübt hat; er pflegte dann mit den Schultern zu zucken und zu sagen: Michelangelo hat unrecht, ich habe ihm nie etwas zuleide getan. Und nun, mein lieber Gevatter, versteht auch ihr ihn, seht die Dinge von der guten Seite an und laßt euch nichts anfechten: über all die Anstrengungen, die ihr für ihn durchgemacht habt, wie er wohl weiß, und daß ihr Tag und Nacht für ihn tätig gewesen seid, ist er im höchsten Grade erfreut, würde aber in noch höherem Grade erfreut sein, wenn er hörte, ihr wäret zufrieden, arbeitetet ruhigen Gemütes weiter und trüget ihm dieselbe Liebe entgegen, die er für euch hat. Verzeihung, Gevatter, wenn ich zu offen meine Meinung sage; Liebe und Wohlwollen lassen mich so zu euch sprechen. Mein Wunsch wäre, ihr zeiget ihm auf einem andern Gebiete noch als gerade dem der Malerei oder Bildhauerei, daß ihr sein getreuer Diener seid; wenn ihr das tun wolltet, würdet ihr euren Feinden ans besten den Mund schließen. Ihr könntet dann in jeder Weise erlangen und durchsetzen, was euch irgend genehm wäre.
Eine Gunst erbitte ich meinerseits von euch: denkt daran was ihr seid, und laßt euch nicht von jeder Kleinigkeit anfechten; erinnert euch, daß Adler sich nicht um Mücken kümmern, und damit genug. Lacht über mich, ich will es mir gern gefallen lassen, ich bin nun einmal, wie die Natur mich geschaffen hat.«
Man sieht aus der Schlußwendung des Briefes, was man im Vatikan eigentlich von Michelangelo erwartete. Die Differenzen lagen auf einem anderen Gebiete als dem der Kunst. Er sollte als unabhängiger Mann die neue Ordnung der Dinge anerkennen.
Michelangelo aber verleugnete seine Gesinnung niemals. Als die Statue der Nacht zum ersten Male ausgestellt ward, fand sich unter den der damaligen Sitte gemäß ihr angehefteten Versen der folgende: »Die Nacht, die du so reizend hier schlummern siehst, ist von einem Engel in Marmor gehauen worden. Sie schläft, sie hat Leben; wecke sie auf, wenn du es nicht glauben willst, und sie wird reden.« Engel und angelo, als ein Teil von Michelangelos Namen, gewähren einen Doppelsinn, der öfter in dieser Weise ihm zum Lobe gebraucht worden ist. Der übrige Inhalt des Gedichtes ist antiken Ursprunges. Der Verfasser war Giovanbatista Strozzi, einer der entschiedensten Anhänger der Medici, der 1529 schon die Stadt verlassen hatte und sich während des Krieges in Padua mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte.
Michelangelo ließ die Statue selbst auf die Verse Antwort geben. So lautet sein Gedicht: »Lieb ist der Schlaf mir, mehr noch, daß ich von Stein bin, während die Schmach und die Schande bei uns dauern; nichts sehen, nichts hören ist das glücklichste Schicksal, deshalb erwecke mich nicht, bitte, sprich leise.«Caro m'è'l sonno, e più l'esser di sasso, / Mentre che'l danno e la vergogna dura; / Non veder, non sentir m'è gran ventura; / Però non mi destar, deh! parla basso.
Es war nicht möglich, ein deutsches Gedicht daraus zu bilden. Sooft ich es versuchte, litt der großartig einfache Zug der Worte und Gedanken darunter. Wer das Italienische nicht versteht, muß darauf verzichten, die Leidenschaft des Zornes zu fühlen, die sich hier Luft machte.
Es scheint im Frühjahr 1531 gewesen zu sein, daß sich dies ereignete, denn Baccio Valori, der von seinem Posten in Florenz bald wieder abberufen ward, hatte die Statue gesehen, ehe er die Stadt verließ. Gerade damals gab Michelangelo offen zu erkennen, wie er dachte, als man ihm von Rom aus deutlich zu wissen tat, er möge sich als Politiker beruhigen. Wenn wir bedenken, wie gefährlich es damals war, auch nur eine böse Anspielung zu machen, so ermißt sich die volle Summe des Unmutes, den Michelangelo in diesen Versen auszusprechen wagte. Er arbeitete ohne Ruhe und Rast. Er war in trauriger Verfassung. Nicht zu gedenken, daß Teurung herrschte, daß die Stadt verarmt war, daß die Pest mit erneuter Heftigkeit ausbrach: auch die öffentlichen Zustände verschlimmerten sich von Tag zu Tage. Wer ein offenes Auge hatte, merkte bald, wohin es der Papst treiben wollte. In der Kapitulation war die Bewahrung der Freiheit, das heißt, einer unabhängigen, von Bürgern, gleichviel welcher Färbung, aber von freien Bürgern gebildeten Regierung ausgesprochen, das Nähere sollte einer Vereinbarung der Stadt, des Papstes und des Kaisers vorbehalten bleiben: Clemens dachte die Dinge anders zu lenken, und der Weg, den er einschlug, war mit so viel Schlauheit gewählt, daß er, obgleich er durchschaut ward, sein Ziel erreichte. Denn wer konnte die Bürgerschaft hindern, vom Kaiser statt der Freiheit die Herrschaft eines Fürsten selbst zu begehren? Und wer den Papst, die Bürgerschaft in diesem Sinne sich zu Willen zu schaffen?
Clemens hatte gesiegt mit Hilfe des Kaisers, zugleich aber auch, wie 1512, mit Hilfe seiner Partei. Wie damals fanden sich auch jetzt unter den Pallesken Männer von Reichtum, Ehrgeiz und Energie, die am meisten widerstrebten, sobald von Fürstentum die Rede war. Der Papst brauchte sie, um die Rebellen zu unterwerfen, und durfte nichts tun, was ihnen zum Anstoß gereichte. Und so zeigte sich bald, daß im Grunde alles beim alten geblieben sei. Im Palaste der Medici saß Baccio Valori als Vertreter des Papstes, ganz wie Cortona drei Jahre früher. In der ersten Zeit gelang es ihm, seine Person als entscheidende Macht bei den Staatsangelegenheiten in Geltung zu erhalten. Die Bürger machten ihm den Hof. Er war der Alleinherrscher, im Geringsten wurde seine Meinung eingeholt. Michelangelo selbst verschmähte nicht, ihn durch die Marmorarbeit, die er für ihn bestimmte, seiner Familie geneigt zu erhalten. Der im Bargello stehende Apoll, noch roh und nur in der Bewegung kenntlich, eine dreiviertel lebensgroße Figur, soll in jenen Tagen von ihm für den allmächtigen Valori begonnen worden sein. Sehr bald aber, ganz wie früher, nur rascher diesmal, organisierte sich im Palaste der Regierung wieder das zweite Zentrum der öffentlichen Angelegenheiten. Vornehme Leute, Anhänger der Medici, Aristokraten, Männer von der Geltung in Florenz etwa wie unabhängige große Staatsmänner heute in England, stellen das Ansinnen an Valori, er möge sich zu ihnen verfügen, wenn regiert würde. Wolle er nicht, so könne er fortbleiben, nicht bei ihm aber, sondern bei ihnen läge die Entscheidung. Diese Herren standen keineswegs in Ungnade beim Papste. Clemens konnte sie nicht entbehren, solange sie mächtig waren. Beseitigen aber wollte er sie, denn seine Absicht war, daß Alessandro, sein Sohn oder Neffe, Herzog von Florenz würde.
Es kann bei der Art und Weise, wie er hier zu Werke ging, dem Papst das Lob eines schlauen politischen Betrügers nicht vorenthalten werden. Er nahm die Operation nach allen Regeln der Kunst vor. Alessandro, bereits zum Herzog von Penna befördert, weilte beim Kaiser in Flandern. Von ihm war in Florenz gar nicht die Rede. Vielmehr gibt Clemens der Stadt gegenüber die Absicht zu erkennen, die wirklich vorteilhafteste und gediegenste Konstitution herausfinden zu wollen, und bittet die vornehmsten Pallesken, ihre Ideen darüber schriftlich einzureichen. Allein er ersucht jeden einzeln! Dieser Zug ist bewunderungswürdig. Denn statt daß sich die Herren jetzt vereinigt und eine gemeinsame einzige Vorlage gemacht hätten, hält jeder sich für den einflußreichsten, und es gehen eine ganze Reihe Projekte ein. Eins widerspricht dem andern, in Rom werden Konferenzen darüber abgehalten, und während man dort berät, prüft, neu redigiert und gegeneinander Intrigen spinnt, wird in Florenz Raum und Zeit gewonnen, zugunsten des wirklichen Projektes kräftiger vorzuschreiten.
Baccio Valori, mit der Präsidentschaft der Romagna abgefunden, verläßt die Stadt, und Niccolo Schomberg, Erzbischof von Capua, tritt in seine Stellung ein. Mit einer Kenntnis der städtischen Verhältnisse, wie sie kein anderer besaß, und nicht als Vertreter der mediceischen Partei, sondern als ein allen Bürgern zugetaner, alle Interessen beachtender Regent, weiß dieser die Gemüter so geschickt in die erforderliche Stimmung zu versetzen, daß im Februar 1531 Alessandro dei Medici, abwesend und unbekannt wie er war, seiner ausgezeichneten Eigenschaften wegen von der Regierung für fähig erklärt wird, alle Staatsämter zu bekleiden. Von Gesandten an der Grenze empfangen, trifft derselbe Ende Juni in prachtvollem Aufzuge in der Nähe von Florenz ein, das er der Pest wegen zwar nicht betritt, dessen vier, die Ehrfurcht der Bürgerschaft bezeugende Abgeordnete er jedoch in Prato empfängt. Wenige Tage darauf erscheint ein Gesandter des Kaisers mit versiegelten Briefen, in denen die letzte Entscheidung über die Regierungsform der Stadt enthalten war. Mit ihm zugleich zieht Alessandro, festlich eingeholt, nun doch in Florenz ein. Am 6. Juli feierliche Sitzung im Palaste der Regierung, damit der Wille des Kaisers verlesen werde. Mit lautem Jubel empfängt die Bürgerschaft aus der Hand des höchsten Gebieters Alessandro als lebenslänglich regierenden Herrn, dessen Kindern oder legitimen Erben die rechtliche Nachfolge zusteht. Der Herzog nimmt die Huldigung der Behörden entgegen und reist nach Rom weiter, während Schomberg, als sei gar keine Änderung eingetreten, fortregiert. So sanft als möglich wurde vorwärts gegangen und die Hauptsache immer als Nebensache behandelt.
Aus diesen Tagen, dem September 1531, haben wir so recht aus unmittelbarer Nähe stammende Nachrichten über Michelangelo in einem an Baccio Valori nach Rom gerichteten Briefe eines Oheims des Antonio Mini, der in Michelangelos Diensten stand. Das Schreiben hat den Zweck, über dessen Zustand die rechte Aufklärung an den Papst gelangen zu lassen. Michelangelos Freunde scheinen Mini, dessen Metier, wie Stil und Orthographie zeigen, das Briefschreiben nicht war, dazu ausersehen zu haben.
»Treue Diener«, beginnt er, »wie ich einer bin, dürfen nicht verfehlen, alles das mitzuteilen, was etwa, wie ich denke, Seiner Heiligkeit zu ganz besonderem Mißfallen gereichen könnte. Und dies betrifft Michelangelo, Seiner Heiligkeit Bildhauer, und zwar hatte ich denselben mehrere Monate nicht gesehen, in Rücksicht darauf, aus Furcht vor der Pest zu Hause geblieben zu sein, doch ist er vor drei Wochen etwa zweimal abends zu mir ins Haus gekommen, zum Vergnügen, mit Bugiardini und Antonio, meinem Neffen und seinem Schüler. Nach vielen Gesprächen über die Kunst beschloß ich hinzugehen und die beiden Frauen zu sehen, und tat es, und, in Wahrheit, sie sind etwas ganz Erstaunliches. Eure Herrlichkeit, weiß ich, haben die erste gesehen, die Statue der Nacht nämlich mit dem Monde über dem Kopfe und dem gestirnten Himmel; darauf aber die andere, die zweite, übertrifft sie in jeder Beziehung an Schönheit, ein höchst wunderbares Werk, und augenblicklich arbeitet er an einem von den beiden Alten, und ich glaube, man kann nichts Besseres mit Augen sehen.
Aber weil mir genannter Michelangelo sehr abgemagert und abgefallen erschien, sprachen wir darüber, ich, Bugiardini und Mini, sehr eingehend, da beide beständig um ihn sind, und kamen zuletzt zur Überzeugung, daß es mit Michelangelo bald ein Ende haben muß, wenn nichts dagegen getan wird, weil er zuviel arbeitet, wenig und schlecht ißt und noch weniger schläft, und seit einem Monat leidet er stark an Rheumatismus, Kopfschmerz und Schwindel, und, um zum Schlusse zu kommen: zwei Übel quälen ihn, eins im Kopfe und eins im Herzen, und bei beiden ließe sich Hilfe schaffen, daß er gesund würde, und Folgendes sagen sie darüber.
Was das Übel im Kopfe anbelangt, so müsse ihm von Sr. Heiligkeit verboten werden. während des Winters in der Sakristei zu arbeiten, denn gegen die scharfe Luft dort gibt es keine Abhilfe, aber er will dort arbeiten und tötet sich, und er könnte in dem andern kleinen Gemache arbeiten und die Mutter Gottes vollenden, die ein so wunderschönes Werk ist, und die Statue des Herzogs Lorenzo glücklichen Andenkens, in diesem Winter. In der Sakristei könnte unterdes die innere Marmortäfelung ausgeführt und die bereits fertigen Figuren an Ort und Stelle ausgeführt werden und ebenso die erst halbvollendeten, sie könnten dann an ihrem Platze fertig gearbeitet werden, und auf diese Weise rettete man den Meister und förderte die Arbeiten, und alles würde, wenn man es aufmauern ließe, einen besseren Platz haben als zusammengepackt unter den Schutzdächern. Dessen sind wir gewiß, Michelangelo würde damit ein Gefallen geschehen, er kann nur zu keinem Entschlusse kommen, was ich aus dem Umstande entnehme, daß man ihm vorwirft, er bekümmere sich nicht darum. Dies ist unser Urteil, was ihm guttun würde, und es möchte doch Se. Heiligkeit Figiovanni wissen lassen, mit Michelangelo darüber zu reden, und sind wir überzeugt, es würde ihm nicht unlieb sein.
Das Übel aber, das ihm im Herzen sitzt, ist die Geschichte, die er mit dem Herzoge von Urbino hat; dies, behaupten sie, nähme ihm die Ruhe, und er wünscht sehnlich, daß sie geordnet würde. Wenn man ihm 10 000 Scudi schenken wollte, würde es kein lieberes Geschenk für ihn sein. Se. Heiligkeit könnte ihm keine größere Gnade erweisen. Das sagen sie mir und habe ich ihn unzählige Male sagen hören. Se. Heiligkeit ist vorsichtig, und ich bin gewiß, wenn Michelangelo zugrunde ginge, würde er ihn mit einer großen Geldsumme gern erkaufen, und besonders jetzt, wo er so angestrengt arbeitet, verdient er berücksichtigt zu werden. Meine Liebe und Ergebenheit zu unserem Herrn haben mich so weitläufig werden lassen.«
Wie nahe bringt uns dies Schreiben die Verhältnisse. Man sieht den beinahe alten Mann, denn an 60 fehlte nicht mehr viel, gequält von Kummer, krank und eigensinnig in dem kalten und frischgemauerten Raume stehen und arbeiten. Essen schmeckt ihm nicht und schlägt nicht an. Er schläft nicht. Sein Kopf leidet. Mit Schrecken denken die Freunde an den Winter und sinnen darauf, wie man ihn hindern könnte, sich totzuarbeiten. Und mitten in dieser Trübsal hat er eben die wundervolle Gestalt der Morgendämmerung vollendet.
Auch der Herzog von Ferrara hat unter Michelangelos verzweifelter Stimmung zu leiden. Die Leda war noch während der Belagerung soweit geführt, daß sie wenig Wochen nach der Übergabe fertig dastand. Michelangelo meldet es dem Herzog, der ihm Ende Oktober 1530 aus Venedig im liebenswürdigen Tone dafür dankt und ihn selber den Preis zu bestimmen bittet, da er allein die Mühe zu taxieren wisse, die er darauf verwandt. Als ein zum Empfang des Bildes abgesandter Edelmann sich dann aber nicht ganz so benimmt, wie es Michelangelo recht war, bricht dieser den Handel mit einem Ruck ganz und gar und macht das Gemälde Antonio Mini zum Geschenk. Beinahe soviel, als hätte er es aus dem Fenster geworfen.
Was nächst der allgemeinen Lage der Dinge am meisten auf Michelangelo lastete, waren damals die Händel mit dem Herzoge von Urbino. Zwanzig Jahre hatten sie schon gedauert. Die Forderung von seiten der Roveres war eine begründet. Die Sache drückte Michelangelo das Herz ab. Er sollizitierte nicht weniger beim Papste als die Erben Giulios, daß ein Abschluß zustande käme. Der Vorwurf aber war ein ungerechter, daß er bei anderen Arbeiten seine Zeit verlöre. Noch im Mai 31 hatte er einen dringenden Antrag des Herzogs von Mantua abgewiesen, während er früher das Material des Grabmales gegen Leo verteidigte, der es für die Fassade von San Lorenzo haben wollte. Aber Geld hatte er empfangen und keine Arbeit geliefert, das stand fest, und was ihn jetzt gerade dazu treiben mochte, rasch einen Vergleich herbeizuführen, war die Furcht vielleicht, daß er den Winter nicht überleben möchte, und seine Erben dann in einen unglücklichen Prozeß verwickelt würden.
Die Papiere des Archivio Buonarroti haben in die Sache nun Licht gebracht. Schon im Frühlinge des Jahres hatten die Unterhandlungen begonnen. Auf der einen Seite sehen wir Michelangelo, dem die Hände gebunden sind und der sich über ungerechte Vorwürfe beklagt, auf der andern die Agenten des Herzogs, welche auf dem Rechte ihres Herrn bestehen, und in der Mitte Sebastian del Piombo, der im Namen des Papstes nach zwei Seiten vermitteln soll. Sebastian gibt sich in seinen Briefen als vorzüglicher Diplomat zu erkennen, erlangt aber wenig nach beiden Seiten. Denn da Michelangelo kein Geld herauszahlen konnte, der Papst aber, dem San Lorenzo über alles ging, ihn am Grabmale Giulios nicht arbeiten lassen wollte, so war es unmöglich, einen Vergleich zustande zu bringen. Und daher endlich Michelangelos verzweifelte Stimmung und der jammervolle Zustand, welchen Minis erster Brief darstellt. Der zweite, acht Tage nach dem ersten geschriebene Brief Minis zeigt, daß der Papst sich die Mitteilung zu Herzen genommen hatte. Valori war beauftragt worden, für Michelangelos Gesundheit sowohl, als für die Auseinandersetzung mit Urbino Schritte zu tun. »Morgen«, schreibt Mini, »ist Festtag, da will ich ihn besuchen, denn wenn er arbeitet, geht das nicht, und ich weiß, Euer Brief wird ihm angenehm sein. Wie gesagt, macht den Versuch, mit seinen Gegnern zu unterhandeln, die rechten Leute und Geld bringen ja alles in Ordnung, Ihr seid doch ein Mann, der größere Dinge als das zu vermitteln versteht, und habt den Beweis dafür geliefert. Wollte Gott, Michelangelo wäre gleich am ersten Tage abgereist, alles wäre längst beigelegt. Denn diese Geschichte, wie sie jetzt liegt, ist ein Nagel zu seinem Sarge (lo sotterra un pezzo), so sehr ist er durch sie niedergedrückt. Es fehlt ihm der rechte Mut, etwas zu verlangen und darauf zu bestehen. In den letzten Tagen hat er sich ein wenig wohler gefühlt.«
Michelangelos Freunde meinten also, er habe die Angelegenheit fahrlässig betrieben und hätte auf der Stelle in Rom mit dem Agenten des Herzogs verhandeln sollen. Bedeutend ist der Ausspruch Michelangelo sei pusillanimo a richiedere, kleinmütig im Fordern. Solche gelegentliche Urteile besagen viel. Hier eine Bestätigung seiner Unfähigkeit, stark aufzutreten, wenn es sich nicht um die höchsten geistigen Interessen handelt. Eine Weichmütigkeit und Bescheidenheit zeigt Michelangelo meistenteils, die Zeugnis ablegend für die Zartheit und Verwundbarkeit seiner Seele, die Fälle, wo er hart und abstoßend ward, ins rechte Licht setzen. Die Notwehr allein zwang ihn zuweilen, sich als unempfindlich zu geben.
In der Grabmalssache vermittelte Sebastian del Piombo weiter, der sich in Rom damals mit Bandinelli in die Gunst des Papstes teilte und das einträgliche Amt, von dem sein Beinamen herrührt und das ihm 500 Scudi jährlich einbrachte, erhalten hatte. Er versah als piombatore die päpstlichen Bullen mit dem Bleisiegel. Die Stelle wurde gewöhnlich Künstlern zuteil. Sebastian war mit den Porträts Baccio Valoris, des Papstes und der jungen Herzogin Caterina beschäftigt. An ihn hatte sich Staccoli, der Agent des Herzogs, als Vertrauensmann gewandt, und der Brief ist vorhanden, der von ihm infolgedessen Mitte November etwa an Michelangelo geschrieben ward.
Sebastian beginnt mit der Anzeige seiner Standeserhöhung. »Wenn ihr mich«, schreibt er, »als ehrwürdigen Herrn sähet, ihr würdet euren Spaß daran haben. Ich bin das schönste Stück von einem Geistlichen in Rom. Mein Lebtage ist mir dergleichen nicht in den Sinn gekommen. Aber Gott sei gelobt in Ewigkeit: Er scheint es ganz besonders so gewollt zu haben. Und so sei es denn.« Darauf folgt, was ihm Staccoli über die Grabmalsache langes und breites erzählt. Am liebsten würde dem Herzoge sein, wenn Michelangelo das Grabmal so lieferte, wie es nach Giulios Tode neu bedungen sei. Da hierbei aber von seiten des Herzogs noch einiges nachzuzahlen wäre, was Se. Exzellenz nicht leisten könne, so wünsche er, daß Michelangelo nach Maßgabe jenes Projekts einen neuen Entwurf mache, für dessen Ausführung das empfangene Geld gerade ausreiche. Er, Sebastian, habe darauf erwidert, Michelangelo sei nicht der Mann dazu, sich auf Zeichnungen, Modelle und dergleichen einzulassen. Zwei Wege gebe es nur, die Sache zum Ziele zu führen: entweder, der nach Papst Giulios Tode neu geschlossene Kontrakt würde aufgehoben und es Michelangelo einfach anheimgestellt, wie und wann er für die an ihn gezahlten Gelder das Denkmal selbst arbeiten wolle, oder aber, ein neuer Kontrakt käme zustande, wonach sich Michelangelo verpflichte, in Zeit von drei Jahren das Grabmal durch andere ausführen zu lassen und 2000 Scudi dabei aufzuwenden, für welche Summe er mit seinem in Rom befindlichen Hause haftete. Er möge sich nun erklären, welchem von den beiden Vorschlägen er den Vorzug gebe. Schließlich das Versprechen, ihn im nächsten Sommer in Florenz besuchen zu wollen. Der Brief ist lang und schlecht geschrieben.
»Mein lieber Sebastiano«, antwortet Michelangelo darauf, »ich mache Euch viel Unruhe. Tragt es im stillen und denkt, es sei immer noch ruhmvoller, die Toten wieder aufzuwecken als Gestalten zu schaffen, die nur lebendig scheinen (d. h. als zu malen). Über das Grabmal habe ich oft nachgedacht. Zwei Wege gibt es für mich, ganz wie ihr schreibt, meinen Verbindlichkeiten nachzukommen: entweder die Arbeit selbst zu tun oder Geld zu geben und jene damit auf eigene Faust arbeiten zu lassen. Von beiden Wegen muß ich natürlich denjenigen einschlagen, der dem Papste beliebt. Daß ich die Arbeit selbst vollende, wird er, wie ich mir denke, nicht wollen, weil ich dann nicht für ihn arbeiten könnte; man müßte sie deshalb dazu bewegen, d. h. denjenigen, der die Sache in der Hand hat, das Geld zu nehmen und das Werk selbst ausführen zu lassen. Ich würde Zeichnungen und Modelle liefern und was sie sonst brauchen, und ich glaube, mit dem was hier bereits fertig vorhanden ist und den 2000 Dukaten, die ich dazugebe, wird es ein schönes Denkmal werden. Arbeiter haben wir hier, die es besser als ich selbst machen würden. Gingen sie deshalb darauf ein, das Geld zu nehmen und dann auf ihre Rechnung fortarbeiten zu lassen, so könnte ich 1000 Dukaten sogleich und den Rest später zahlen. Indessen sie mögen das zu ihrem Entschlusse machen, was dem Papste zusagt. Sind sie für den letzten Vorschlag, so werde ich wegen der anderen 1000 Dukaten schreiben, wie sie beschafft werden sollen, und zwar auf eine Weise, die, wie ich denke, ihnen genehm sein wird.
Über mich selbst ist nichts Besonderes zu sagen. Nur so viel: aus 3000 Dukaten, die ich nach Venedig mitnahm, wurden, als ich nach Florenz zurückkam 1500, die Regierung nahm 1500 davon in Anspruch. Mehr also kann ich nicht geben. Doch werden sich Wege finden lassen, hoffe ich, zumal wenn das, was der Papst verspricht, in Betracht kommt. Sebastiano, lieber Gevatter, das sind meine Vorschläge, bei denen ich bleiben muß. Habt die Güte, Kenntnis davon zu nehmen.«
Clemens entschied, wie Michelangelo vermutet hatte. Die Willensmeinung des Papstes wurde durch ein Breve zu erkennen gegeben, in welchem Michelangelo bei Strafe der Exkommunikation verboten ward, irgend andere Arbeit zu berühren als die, mit der er augenblicklich für den Papst beschäftigt sei. Das in ausgesucht schmeichelhaften Wendungen gehaltene Schriftstück spricht von seinen Verdiensten, seiner angegriffenen Gesundheit und der Liebe des Papstes zu ihm; man fühlt, wie bei der Abfassung die Absicht, ihm angenehme Dinge zu sagen, vorhanden war. Dem Gesandten Urbinos ließ sich Clemens als geneigt darstellen, zu jedem vorteilhaften Abkommen gern die Hand bieten zu wollen, Michelangelo selbst werde in Rom die Sache zum Abschluß bringen. Zuerst hatte der Papst diese Reise nicht gestatten wollen, Michelangelo aber, der ihre Notwendigkeit einsah, bat dringend um Erlaubnis, kommen zu dürfen. »Da Michelangelo will«, berichtet Staccoli dem Herzoge, »wird auch dem Papste nichts übrig bleiben, als damit einverstanden zu sein.« Michelangelo war bekannt als der, dem sich nichts abschlagen ließ. Papst Clemens wagte sich nicht niederzusetzen, wenn er mit Michelangelo sprach, aus Furcht, dieser möchte unaufgefordert ein Gleiches tun. Und wenn er Michelangelo befahl, sich zu bedecken in seiner Gegenwart, so geschah es nur vielleicht deshalb, weil Michelangelo auch hier die Aufforderung dazu nicht lange abgewartet hätte.
Michelangelos Wunsch, jetzt Florenz zu verlassen, war ein sehr natürlicher. Zu Winters Anfang war der Herzog dorthin zurückgekehrt. Seinem Vater und Großvater nachschlagend, gehörte Alessandro nicht zu denen, die, wie es sonst bei den Medici herkömmlich war, versteckt und heuchlerisch zu Werke gingen. So wenig, wie diese auch, machte er ein Hehl daraus, daß er absoluter Herrscher von Florenz zu werden beabsichtige. Widerspruch war ihm gleichgültig, Haß schreckte ihn nicht, auch ließ er deutlich merken, auf wen er selbst seinen Haß geworfen hatte.
Was der Ursprung seiner Abneigung gegen Michelangelo war, wissen wir nicht. Indessen es bedarf keiner besonderen Gründe. Das dürfen wir wohl glauben, Alessandro würde Michelangelo nicht so haben herumgehen lassen, wenn von ihm die Begnadigung abgehangen hätte. Der »Mauleselplatz«, zu dem Michelangelo den Palast der Medici machen wollte, war mit auf ihn gemünzt gewesen. Die Reise nach Rom bot jetzt eine gute Gelegenheit, dem neuen Herrn aus dem Wege zu gehen. Anfang April 1532 traf er dort ein, wo er sich sogleich mit Staccoli in Verbindung setzte und den Verhandlungen mit Urbino die Richtung zu geben suchte, daß er womöglich durch die Arbeit am Grabmal nach Florenz zurückzukehren verhindert würde.
Die mitgeteilten Briefe zeigen den Stand der Angelegenheit. Giulio der Zweite hatte auf 10 000 Dukaten für das Ganze abgeschlossen. Nach seinem Tode war im neuen Kontrakte der Preis auf 16 000 Dukaten erhöht worden. Diese Summe nun, behaupteten die Roveres, habe Michelangelo empfangen, zum eigenen Vorteil verwandt und nichts geliefert. Dies war der Vorwurf, der an ihm nagte und ihm die Ruhe nahm.
Bei der Produktion der Quittungen aber stellte sich jetzt heraus, daß er nicht mehr als höchstens 5000 Dukaten erhalten hatte. Wolle man das fehlende Geld zuschießen, erklärte er, so sei er erbötig, das Grabmal, wie es im zweiten Kontrakte bedungen sei, zu vollenden. Der Papst aber sagte ihm ins Gesicht, es sei reine Torheit, sich einzubilden, Urbino werde noch Geld nachzahlen. Nun blieben zwei Wege: entweder die fertigen Marmorstücke herauszugeben, 2000 Dukaten dazuzulegen und dem Herzoge zu überlassen, wie er daraus durch andere Arbeiter ein Denkmal zustande brächte; oder aber für die 5000 Dukaten das Denkmal, so gut es ginge, selbst herzustellen. Das erste wäre Clemens am liebsten gewesen, Michelangelo der zweite Modus. Man wählte eine Art Mittelweg. Er schlug vor, nur eine einzige Vorderwand in reduziertem Maßstabe aufzustellen. Die bereits fertigen Stücke werde er dabei zu verwenden wissen, sechs von den Statuen mit eigener Hand ausführen, darunter den Moses und die beiden Gefangenen (die Bronzeteile kamen in Wegfall), binnen drei Jahren stände das Grabmal fertig an Ort und Stelle, und in jedem dieser drei Jahre werde er auf zwei Monate nach Rom kommen, um sich während dieser Zeit der Arbeit ganz zu widmen. Über die Aufstellung, in welcher Kirche sie erfolgen sollte, würde innerhalb von vier Monaten entschieden werden. Die Peterskirche war aufgegeben, dagegen schwankte man noch, ob Santa Maria del Popolo oder San Pietro in Vincola vorzuziehen sei.
Am 29. April wurde der Kontrakt abgeschlossen, und am nächsten Tage bereits ging Michelangelo auf Befehl des Papstes nach Florenz zurück, um in der Sakristei weiterzuarbeiten. Zum ersten Male mußte er jetzt von seinem Grundsatze abweichen, sich nicht helfen zu lassen. Aus Rom wurde ihm Montorsoli mitgegeben, ein Bildhauer, der unter seiner Leitung eine Statue des heiligen Cosmas anfertigte, deren Modell Michelangelo jedoch überging, während er Kopf und Arme ganz und gar aus eigener Arbeit hinzufügte. Auch bei den Ornamenten der Herzöge half Montorsoli. Ferner Tribolo, dem die beiden nackten Figuren gegeben wurden, welche in den Nischen zur Rechten und Linken Giulianos ihren Platz finden sollten. Die eine Gestalt, »die Erde«, mit weitgeöffneten Armen und zypressenumkränztem, gesenktem Haupte den Tod des Herzogs beweinend; die andere, »der Himmel«, mit erhobenen Händen und lächelndem, strahlendem Antlitze seine Aufnahme unter die Seligen begrüßend. Montelupo, ein dritter Bildhauer, sollte den heiligen Damian, als Gegenstück zum heiligen Cosmas, arbeiten, beides die himmlischen Schutzpatrone der Medici. Als vortreffliche Arbeiten anerkannt, erscheinen sie neben den Werken Michelangelos in der Sakristei dennoch steif in der Bewegung und stumpf im Marmor.
Außer diesen dreien arbeiteten eine Menge Steinmetzen an den architektonischen Teilen des Marmorschmuckes. Giovanni da Udine ward berufen, um die Decke zu malen. Holzschnitzer fertigten nach Michelangelos Zeichnungen die Bänke für die Manuskripte der Bibliothek an, deren Vollendung sich jedoch, wie die des Ganzen, weit in die späteren Jahrzehnte hineinzog. Denn so rasch man arbeitete, wurde nichts übereilt. Es lag das nicht im Geiste der Zeit. Und deshalb, als das Werk hernach liegen blieb, war nichts vollendet.
Man muß das Innere der Sakristei genau vor Augen haben, um diese bis in das kleinste Detail sich erstreckende künstlerische Sorgfalt zu verstehen. Man müßte zu gleicher Zeit, was für den, der Italien kennt, kaum möglich ist, alles hinwegdenken, was in den folgenden Jahrhunderten aus der Nachahmung dieser Architektur entstanden ist, um die Originalität der Schöpfung ganz zu fühlen. Vasari sagt, die Sakristei von San Lorenzo sei der Anfang einer neuen Art zu bauen. Sie enthält die Elemente, aus denen unendliche Arbeiten später hervorgingen. Für die wunderbare Mischung antiker Regelmäßigkeit mit bizarrer moderner Willkür, deren letzte trockene Blüte das Rokoko war, bildet sie den Beginn und zugleich den Abschluß der zarteren, an die Antike enger sich anschließenden Manier Bramantes, Raffaels, Sangallos und Perruzzis. Es ist schwer, die Arbeiten dieser vier Meister und ihrer Anhänger und Nachahmer in ein System zu bringen, denn ihre Bauten gleichen einander zu sehr und sind doch wieder zu mannigfaltig, Stück für Stück, um sich bestimmten Verhältnissen nach registrieren zu lassen. Man muß sich an die Persönlichkeiten halten. Und da stellt sich heraus, daß, während bei ihnen eine freie, aber doch immer gehorsame, etwas magere Nachahmung der Antike hervortritt, bei Michelangelo eine schrankenlose, ganz aus sich schöpfende Phantasie die Quelle ist, aus der seine Erfindungen flossen. Rücksichtslos, wie es ihm in den Sinn kam, bediente er sich dessen, was eine ungemeine Erfahrung in ihm angehäuft, zu neuen Kombinationen, und fügte so viel Eignes zum Nachgeahmten hinzu, daß, während er als der Meister einer neuen Schöpfung erscheint, dieselbe freilich in den Händen seiner Nachahmer zu nichts Gutem weitergebildet wurde. Denn die Sakristei von San Lorenzo wurde nun bald für die studierenden Künstler, was die Kapelle Brancacci und die Sixtina bisher für die Maler, Pantheon und Kolosseum für die Architekten und das Belvedere am Vatikan für die Bildhauer gewesen war. Hier saßen die jungen Leute jetzt und kopierten und glaubten mehr zu empfangen, als die Natur und die Antike ihnen bieten könnte.
Das Innere der Sakristei ist ein viereckiger Raum, der den Eindruck beschränkter Größe macht. Die dem engen und unbedeutend in einer Ecke angebrachten Eingange gegenüberliegende Wand weitet sich zu einer mächtigen Nische aus, welche einen nach antiker Art geformten Altar mit Leuchtern zu beiden Seiten enthält, beides nach Michelangelos Zeichnungen. Die Wand mit der Tür selbst hat die von Montorsoli und Montelupo gearbeiteten Heiligen und die Madonna zwischen ihnen als Schmuck empfangen, alle drei, um den Ausdruck zu brauchen, an ihre Plätze nur so hingestellt. Hauptsache sind die beiden andern Wände, auch diese unvollendet, völlig geeignet aber, ahnen zu lassen, wie Michelangelo das Ganze durchgeführt haben würde.
Die Sarkophage mit den darauf liegenden Figuren nehmen der Breite nach so viel Raum ein, daß die Fußspitzen der Gestalten beinahe die die Ecken der Sakristei bildenden starken Pfeiler aus dunklem Marmor erreichen. Hinter den Sarkophagen, welche durch ihr hohes Fußgestell leicht und schlank dastehen, ist der untere Teil der Wand glatt mit Marmor getäfelt. In einer Höhe, wie man sie mit ausgestreckter Hand bequem erreichen kann, durchschneidet ein kühn vorspringender Fries die Breite der Wand und bildet den Anfang der oberen Architektur. Die liegenden Gestalten ragen mit den Häuptern über ihn hinaus, die Statuen der Herzöge dagegen stehen mit den Füßen darauf. Jeder sitzt über einem Sarkophage, und die Figuren strecken sich zur Rechten und Linken zu seinen Füßen aus. Die so entstehende Vereinigung der drei Gestalten zu einer Gruppe und das Sicheinandergegenüberstehen der beiden Gruppen an den beiden Wänden gewährt einen prachtvollen Anblick, als dessen eigentlicher Grund nicht sowohl die Schönheit der Marmorgestalten an sich, als ihre vollständige Harmonie mit der Architektur erscheint, deren Teile sie bilden. Überall sehen wir Michelangelo von diesem einzig richtigen Gedanken ausgehen, daß Architektur, Malerei und Skulptur nicht als etwas Getrenntes zu betrachten sind, sondern nur wenn sie zu gleicher Zeit an derselben Stelle angewandt werden, jede für sich allein zu voller Geltung komme. Wäre die Sakristei von San Lorenzo vollendet worden, so würde sie vielleicht als das schönste Beispiel für die Wahrheit dieses Satzes dastehen.
Die Nischen mit den Herzögen sind von gekoppelten kannelierten Pilastern, je zwei auf jeder Seite, eingefaßt und bilden das die Mitte der Wände einnehmende architektonische Element. Der Raum von diesen Pilastern bis zu den in die Ecken der Sakristei vorspringenden Pfeilern ist wiederum zu zwei sich entsprechenden, fensterartig angelegten flacheren Nischen benutzt, in welche auf der einen Wand jene niemals ausgeführten Statuen Tribolos, Himmel und Erde, kommen sollten. Was für die andere bestimmt war, wissen wir nicht. Die Kapitäle der Pilaster in der Mitte liegen weit höher als die Seitennischen samt ihrer Krönung. Über diesen Kapitälen nimmt ein balustradenartiger Aufsatz die ganze Quere der Wand ein und darüber eine stark vorspringende Krönung von dunklem Marmor wie die Eckpfeiler, auf denen sie in den Ecken anfliegt und mit denen sie einen Rahmen für die Wand bildet, die so wie ein aus Bildhauerwerk und Architektur ausgeführtes Gemälde ringsherum ihren Abschluß findet. Das einzige, was bei dieser Anordnung ein wenig kahl und unvollendet erscheint, ist jener balustradenartige Aufsatz. Michelangelo aber darf dies nicht beigemessen werden. Seine Absicht war, in dessen Mitte, über jeden der beiden Herzöge, eine Trophäe zu setzen. Diese waren bereits von Silvio Cosini, demselben Bildhauer, welcher auch die Kapitäle der Säulen gearbeitet hatte, begonnen, blieben aber dann mit dem Übrigen liegen, so daß außer Vasaris Notiz nichts als ein konsolenartiger Vorsprung, über dem die Trophäen ihren Platz gefunden hätten, von diesem letzten Abschlusse der Architektur Kunde gibt.
Über der die Höhe der Wände ringsum im Viereck abschließenden Krönung beginnt das Gewölbe. Giovanni da Udine hatte es mit Arabesken von Masken, Vögeln und Blätterwerk in Stuck und Gold auszuführen begonnen, in die bunt hineingemalt werden sollte; er selbst und viele unter ihm waren damit beschäftigt. So weit war dieser Teil der Arbeit vorgerückt, daß es nur noch vierzehn Tage bedurft hätte, um sie zu vollenden, als sie liegen blieb. Heute ist nichts mehr davon zu sehen. Nehmen wir dazu, daß die Sarkophage, wie sie heute dastehen, denen nicht entsprechen, welche Michelangelo ausführen wollte, sondern nach der eignen Idee, wie es scheint, Vasaris, später erst gearbeitet wurden, daß die Gestalten auf den Sarkophagen nicht fertig geworden sind und daß die vier Nischen, von denen die Rede war, leer stehen, so haben wir in der Sakristei von San Lorenzo kein von Michelangelo vollendetes Werk, sondern nur eine halbausgeführte Unternehmung, die als solche beurteilt werden muß.