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I.

In den mächtigen Räumen des Palais Bertolles, die seit zwanzig Jahren heute zum ersten Male wieder geöffnet waren, begann sich die Menge der Hochzeitsgäste zu zerstreuen. Nur am Büfett herrschte noch ein kleines Gedränge. Hierher hatte sich ein Teil der intimeren Bekannten zurückgezogen, um neue Kräfte zu sammeln, bevor man ins Bois fuhr.

Sitzend knabberten die Damen an Obst oder Backwerk; die Herren standen plaudernd da. Die Unterhaltung drehte sich natürlich um die Braut.

In ihrem Spitzenschleier, welcher über das üppige, schwarze Haar zurückgeschlagen war und ihrer Schönheit als herrlicher Rahmen diente, sah die Braut tatsächlich bezaubernd aus; hierin waren alle einig. Die Männer fanden sogar, daß sie zu schön sei.

»Mir sind die weniger imposanten Schönheiten lieber,« erklärte ein sehr eleganter junger Mann. »Eine solche Frau würde ich mich niemals ins Bouffes-Theater zu führen getrauen. Und wenn der Mensch seine Frau nicht einmal ins Bouffes-Theater mitnehmen kann – – –«

»Ich kenne ja deinen Geschmack! Dir würde eine der Töchter Polrey's passen. Heirate sie immerzu. Du kannst sie dreist ins Bouffes, ins Eden oder wo immer hinführen – dafür garantiere ich dir.«

»Die Braut weiß wirklich reizend zu lächeln,« sprach eine friedfertige, ältliche Dame.

»Ich gebe ja auch zu, daß sie reizend ist: wenn sie lächelt, scheint sie eine ganz andere zu sein.«

»Und gelächelt hat sie während des ganzen Tages,« fügte ein Dritter hinzu. »Es sollte mich wundernehmen, wenn ihr die Mundwinkel nicht erlahmt sind.«

»Ja, das Glück!«

»Das Glück? Das ist's nun nicht gerade. Wie ich gehört habe, soll dies durchaus keine Liebesheirat sein.«

»Was sollte es denn sonst sein? Die Braut ist ja ebenso reich wie der Bräutigam.«

»Wenigstens!«

»Ich könnte auch nicht sagen, daß sie ihn aus Ehrgeiz geheiratet hätte. Ihr Gatte ist Dragoner-Rittmeister, was in einem Alter von zweiunddreißig Jahren ganz niedlich ist: schließlich aber besitzt dies doch keinen besonderen Reiz.«

»Es scheint also, daß ihn die junge Dame aus Freundschaft, sozusagen aus Gefälligkeit, geheiratet hat. Man sagt – ich gebe nur wieder, was ich gehört –, daß Fräulein Estelle nur aus Herzensgüte nachgegeben habe, als sie sah, daß die Liebe Raymond selbst um den Appetit brachte. Der junge Mann war wirklich total abgemagert.«

Die Gesellschaft lachte, eine Dame widersprach lebhaft, ein Herr aber fügte dieser Behauptung noch einiges hinzu und endlich trennte man sich, nachdem man Händedrucke und höfliche Abschiedsworte gewechselt.

In einer Ecke des Rauchzimmers plauderte der junge Gatte, auf die Rückenlehne eines Fauteuils gestützt, leisen Tones mit seinem Freunde und ehemaligen Offizierskollegen Theodor Benois, der schon seit mehreren Jahren seinen Abschied genommen hatte und in das Bürgerleben zurückgetreten war.

»Nun, bist du glücklich, Raymond?« sprach dieser.

»Ja, das bin ich – – – denn ich hoffe!«

»Was erhoffst du denn noch?«

»Daß sie mich lieben wird – – – denn noch liebt sie mich nicht.«

»Ach, wenn du hören würdest, in welcher Weise sie von dir spricht! Und wie ihr Gesicht heute gestrahlt hat!«

»Ja, es hat gestrahlt, denn sie hat ein edles, goldenes Herz, sie ist die Güte selbst! Du sagst, sie spricht von mir mit so viel Güte? Du weißt ja, daß sie warme Freundschaft für mich empfindet; daß es aber keine Liebe ist, weiß ich selbst sehr gut. Hast du auf ihrem Gesicht irgend etwas an die ungeduldige Schüchternheit einer Braut Gemahnendes wahrgenommen? Sieh, seit fast vier Stunden sind wir Mann und Frau und wirst du glauben, daß ich noch kein Wort unter vier Augen mit ihr zu sprechen vermochte und ihr nicht einmal die Hand küssen konnte?«

»Gestehe doch, lieber Raymond, daß dies bei einer solchen Gästeschar, da anderthalbtausend Menschen an Euch vorübergingen, ziemlich schwierig gewesen wäre.«

»O, wenn sie mich lieben würde, so hätte sie schon irgendein Mittel ausfindig zu machen vermocht – – Ich bete sie an!«

Raymond strich sich mit der Hand über die Stirne, auf welcher sich für einen Moment eine finstere Falte gezeigt, und richtete sich lächelnd empor.

»Du liebst sie zu sehr!« sagte Benois ernst.

»Ich fürchte, du hast recht – – doch auch sie muß mich lieben. Und sie wird mich lieben, nicht wahr?« fügte Raymond fragend hinzu.

»Ich hoffe und wünsche es,« erwiderte der Freund mit ermutigendem Lächeln.

»Du bleibst doch bis zu unserer Abreise hier? Wir nehmen den Sechsuhr-Zug, um zum Souper in Bertolles zu sein, wo wir etwa ein Viertel vor sieben Uhr anlangen. Wenn sich der Zug in Bewegung setzt, möchte ich dir noch einmal die Hand drücken.«

»Gut. Inzwischen werde ich deiner Tante, der Frau Montelar, den Hof machen. Sie ist heute anbetungswürdig. Uebrigens ist sie das immer und ich kenne keine angenehmere, liebenswürdigere alte Frau: heute aber ist sie geradezu verklärt vor Glückseligkeit.«

»Sie ist glücklich, denn sie liebt Estelle innig. Sie behauptet, sie und Estelle seien einander in Vielem gleich. Ich habe dies zwar nicht wahrgenommen: doch ändert das nichts an der Sache. Die arme Tante! Ihre Liebe mußte mir die Liebe der Eltern ersetzen, denn meine Mutter kannte ich gar nicht und meinen Vater verlor ich ja vor zwanzig Jahren auf so völlig unvorhergesehene Weise.«

Raymond schwieg und sein Gesicht verdüsterte sich.

»Denke jetzt nicht daran,« sagte Benois liebevoll. »Heute darfst du keiner Trauer Raum geben.«

»Ich denke immer daran,« erwiderte Raymond ernst. »Kein Tag ist seither vergangen, ohne daß ich das Gesicht meines armen Vaters so vor mir sehen würde, wie es gewesen, als man ihn nach Hause brachte. Sein tragischer Tod wird mir ewig unvergeßlich bleiben.«

»Aber so sei doch vernünftig, Raymond: auf der Jagd kann jedermann von einem Unglück ereilt werden.«

»Mag sein – – doch verläßt mich die Erinnerung an diese Katastrophe niemals.«

»Aber, Freund, ich werde dich wirklich ausschelten! Schau dort zu deiner Frau hin im roten Salon und denke daran, daß du drei Stunden später allein mit ihr in deinem Schloß sein wirst.«

»Du hast recht, ich danke dir. Ich gehe. Du erwartest mich doch? Ich will mich nur umkleiden.«

Damit reichte er dem Freunde die Hand und ging.

Dieser blickte ihm mit sorgenvoller Miene nach und sah, daß er sich der Gruppe anschloß, welche die junge Frau umgab.

Jetzt hatte Estelle ihren Schleier bereits abgenommen. Mit dem leicht seitwärts geneigten Haupt und dem goldig schimmernden weißen Seidenkleid, welches die Bewegungen ihres geschmeidigen Wuchses in nichts behinderte, erinnerte sie lebhaft an ein altertümliches Porträt.

Das regelmäßige Gesicht, die schönen, schwarzen Augen sowie der unbeschreiblich gütige Ausdruck der lächelnden Lippen verliehen ihr einen noch größeren Reiz, als ihre Schönheit.

Inmitten der üppigen Vegetation, der Girlanden und zahllosen weißen Blumensträuße aller Formen und Arten glich die junge Braut der lieblichen Göttin, die man mit jungfräulichen Geschenken umgibt, welche sie wohlwollend entgegennimmt.

Raymond näherte sich ihr und sprach einige Worte zu ihr. Benois konnte dieselben nicht vernehmen; doch die Haltung seines Freundes und schon die Art und Weise allein, wie er die Hand auf den Stuhl seiner jungen Gattin legte, verriet eine so vollkommene Zärtlichkeit, eine so alles ausschließende und ausschließliche Leidenschaft, daß der Zuschauer davon gerührt sein mußte.

Indem Estelle antwortete, hob sie das Auge zu dem Gatten empor; ihr Blick war offen, ihr Lächeln Vertrauen ausdrückend, während sie die feuchtschimmernden, weißen Zähne sehen ließ. Dann aber wandte sie den Kopf hinweg, wie ein Kind, wenn etwas seinen Gefallen erweckt, und ihr ganzes Wesen atmete die Lieblichkeit einer heiteren, unschuldsreinen Seele aus.

»Hoffentlich wird sie Raymond lieben,« sagte sich Benois im stillen. »Es wäre jammerschade, wenn diese herrlichen zwei Leute einander nicht verstehen würden; sie sind ja wie für einander geschaffen.«

Inzwischen hatte sich alles erhoben. Die weiblichen Verwandten und Freundinnen drückten dem jungen Paar ihre Glückwünsche von neuem aus. Der Rittmeister überragte seine Gattin um eine volle Haupteslänge; doch war er ein ausnehmend hochgewachsener Mann und in der Gesellschaft nur die eine Frau Montelar so groß wie Estelle.

Das kastanienbraune Haar, die blauen Augen und der blonde Schnurrbart des Gatten bildeten einen prächtigen Gegensatz zu der braunen Schönheit der Frau, die sich der leuchtenden Gesichtsfarbe der Blondinen rühmen konnte – eine ebenso große, als fesselnde Seltenheit bei schwarzen Augen.

»Raymond hat keine Aehnlichkeit zwischen seiner Tante und Gattin gefunden,« sprach Benois zu sich: »ich aber nehme dieselbe deutlich wahr. Die Gesichtszüge, die Kopfbildung sind einander vollkommen gleich. Nach vierzig Jahren wird Raymonds Gattin genau dieselbe schöne Frau sein, wie es seine Tante heute ist; nur daß sie wahrscheinlich noch schöner sein wird.«

Die Gäste zerstreuten sich in den Räumen; Benois trat näher und konnte bereits die Bruchstücke der Unterhaltung vernehmen.

»Ich will mich bloß rasch umkleiden,« sagte die junge Frau, »eilen auch Sie sich, Raymond.«

Bertolles neigte sich zu der Hand seiner Gattin hinab, die auf der Lehne des Fauteuils ruhte, küßte dieselbe, grüßte die letzten Gäste, die noch anwesend waren, und schritt hinaus.

»Auch ich muß mit meinen Vorbereitungen zu Ende kommen,« sprach Estelle, »damit wir nicht etwa den Zug versäumen. Es wäre das etwas Unerhörtes – am Hochzeitstage.«

»Es verkehrt noch ein zweiter Zug,« bemerkte Frau Montelar ruhig.

»Und unser Koch, der uns sicherlich mit einem fürstlichen Mahl erwartet? Er wäre imstande, sich selbst aufzuspießen. Und das sollte der Beginn meiner ehelichen Laufbahn sein? Niemals! Ich eile! Ade!«

Damit verschwand sie hinter einer Portiere, deren Falten sich hinter ihr schlossen, während die lange Schleppe ihres seidenen Kleides ihr rauschend folgte.

Ihre Tante kehrte, nachdem sie den letzten Gast bis zur Treppe begleitet hatte, zu Benois zurück, der in der Mitte des Salons stand.

»Wenn ich Sie stören sollte, Madame,« sprach er, »so beordern Sie mich in irgendeine Ecke und bekümmern Sie sich nicht weiter um mich. Raymond bat mich, hier zu bleiben, bis er zur Bahn fährt; er will mir noch einmal die Hand reichen. Es ist vielleicht kindisch, doch sind wir so gute alte Freunde!«

»Sie stören mich durchaus nicht, Herr Benois,« erwiderte Frau Montelar. »Ich lasse mich in diesem Fauteuil nieder, nehme mir einen Schemel unter die Füße – so, ich danke – denn ich bin ein wenig ermüdet; aber auch zufrieden, Freude verleiht Kraft! Und dann werde ich ja Zeit genug zum Ausruhen haben, da ich erst eine Woche später nach Bertolles zu gehen gedenke.«

»Eine lange Zeit das,« meinte Benois lächelnd: »da Ihr Neffe nur während der Manöver von Ihnen fern zu sein pflegt. Welche Mutter waren Sie ihm!«

»Was hätte ich tun sollen? Der arme Junge! – – Als sein Vater starb, war Raymond erst zwölf Jahre alt; und was soll denn aus einem solchen Kinde werden, wenn man ihm die verlorenen Eltern nicht zu ersetzen sucht? Nun aber ist er verheiratet und ich bin beruhigt.«

»Sie haben Ihre Nichte sehr lieb, wie mir Raymond sagte; es ist ein reizendes Wesen, in der Tat.«

»Sie vermögen das gar nicht zu beurteilen! Sie ist gleichfalls verwaist. Vor zwölf Jahren starb ihre Mutter; – zu Ihrem Glücke möchte ich sagen, wenn ich es wagen würde.«

»Weshalb?«

»Sie war eine stets traurige Frau und auch kränklich, glaube ich. Die Tochter flößte ihr keine Liebe ein und so beschäftigte sie sich auch gar nicht mit ihr. Eine Freundin von mir übernahm hernach die Obhut des Kindes und erzog dasselbe in Gemeinschaft mit ihren Töchtern, noch dazu in ganz trefflicher Weise. Raymond war ein Freund des Hauses. – Im Grunde genommen glaube ich, daß meine Freundin Raymond ihrer eigenen ältesten Tochter zugedacht hatte; mein Neffe aber verliebte sich zum Sterben in Estelle und man mußte ihm sie geben, gutwillig oder nicht. Aus diesem Grunde erkaltete dann auch die warme Freundschaft zwischen mir und Frau Polrey. Es tut mir leid, doch vermag ich nichts dagegen! Und unter uns gesagt, ist mir Estelle hundertmal lieber, als alle Polrey-Mädchen zusammengenommen. Sie sind ja recht nett; doch sind sie mit ihren Mumiengesichtern kleinen Salon-Papageien nicht unähnlich, während unsere Estelle eine wirkliche Frau ist und eine echte Bertolles sein wird!«

»Welche Begeisterung!« sagte Benois lächelnd.

»Begeisterung? Mag sein. Mein ganzes Leben war derselben gewidmet und ich habe ihr so manche Freude zu verdanken; Sie dürfen es mir glauben.«

Frau Montelar versank in tiefes Sinnen. Plötzlich erhob sie sich.

»Ich will nachsehen, wie man die Kleine ankleidet. Sie gestatten doch? Auf Wiedersehen!«

Und sie entfernte sich durch dieselbe Tür, welche vorhin auch Estelle benützt hatte, Benois mit seinen Gedanken allein lassend.


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