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Mitja und der neue Mensch

Endlich dachten die weisesten der Bürger einmal über alles nach.

»Was ist das nur? Wohin man sieht, – rundum ist alles nichts wert …«

Sie überlegten gründlich und kamen zu dem Schluß:

»Alles kommt davon, daß wir keine Persönlichkeit haben. Wir müssen unbedingt ein zentrales Denkorgan schaffen, das von jedweden Abhängigkeiten unbedingt frei ist und fähig, sich über alles zu erheben und sich an die Spitze zu stellen. Etwa wie der Bock in einer Hammelherde …«

Jemand warf ein:

»Haben wir nicht eigentlich gerade genug unter zentralen Persönlichkeiten zu leiden gehabt?«

Das gefiel den andern nicht.

»Das klingt doch so politisch, so nach ›bürgerlichem Weh‹ …«

Einer beharrte aber:

»Ja, ganz ohne Politik geht es nicht; die macht sich doch überall fühlbar. Ich weiß natürlich, daß es in den Gefängnissen zu eng ist, daß man sich in der Katorga überhaupt kaum umdrehen kann, und daß eine Erweiterung unserer Rechte unentbehrlich ist …«

Aber man entgegnete ihm streng:

»Das ist alles Ideologie, verehrter Herr. Damit muß Schluß gemacht werden … Was wir brauchen, ist der neue Mensch, – weiter nichts …«

Und flugs begannen sie, den neuen Menschen zu schaffen, auf die Art, die in den Überlieferungen der heiligen Väter angegeben ist: sie spuckten auf die Erde, rührten um und beschmierten sich bis an die Ohren mit Dreck. Aber die Ergebnisse waren recht dürftig. In ihrem krampfhaften Eifer zertraten sie alle seltenen Blumen auf der Erde und vernichteten auch alle nützlichen Gewächse. Sie mühten sich, schwitzten, strengten sich an. Aber es kam nichts dabei heraus, außer häßlichen Reden; sie beschuldigten sich gegenseitig der Unfähigkeit zu schöpferischer Betätigung. Sogar die Elemente verloren durch diesen Übereifer die Geduld: die Winde wehten, der Donner grollte, wollüstige Hitze versengte die aufgeweichte Erde oder Sturzregen gingen nieder, und die ganze Atmosphäre war voll schwerer Gerüche: man konnte kaum atmen!

Doch von Zeit zu Zeit klärt sich das dunkle Durcheinander der Elemente etwas, und siehe, eine neue Persönlichkeit erscheint auf Gottes Welt!

Allgemeiner Jubel erhebt sich, aber, o weh, – er währt nur kurze Zeit und wandelt sich bald in schweren Zweifel.

Denn wenn auf Bauernland eine neue Persönlichkeit erwächst, wird aus ihr unverzüglich ein gerissener Kaufmann, der ins Leben hinaustritt und den Ausländern das Vaterland in Stücken zu 45 Kopeken verkauft, mit dem heißen Begehren, womöglich den ganzen Bezirk zu verschleißen, mit allem lebenden Inventar und allen Denkorganen.

Wenn auf Kaufmannsland ein neuer Mensch, geformt wird, kommt er als Degenerierter zur Welt oder will Bureaukrat werden. Auf adligen Ländereien erwachsen – wie es auch früher immer war – Geschöpfe, die am liebsten sämtliche Staatseinkünfte schlucken möchten. Und auf dem Lande der Kleinbürger und Kleinbesitzer wuchern als dichtes Dorngestrüpp allerhand Spitzel, Nihilisten, Passivisten und ähnliches Gesindel.

»Aber das besitzen wir doch alles schon in hinreichender Menge!« gestanden sich die weisen Bürger ein und überlegten sehr ernstlich:

»Vielleicht ist uns ein technischer Irrtum beim Erschaffen unterlaufen. Aber welcher?«

Sie saßen und grübelten, und der Dreck ringsum wallte wie Meereswogen, o Herrgott!

Sie machten sich gegenseitig Vorwürfe:

»Selderej Lawrowitsch, Sie spucken zu viel und zu sehr nach allen Seiten!«

»Ihnen fehlt nur der Mut dazu, Kornischon Lukitsch.«

Jedoch die neugeborenen Nihilisten, von denen jeder einzelne tat, als sei er der Recke Waska Buslajew, bezeigten gegenüber allen andern Verachtung und brüllten:

»Ach, ihr Gemüse, ihr! Zerbrecht euch den Kopf, wie es am besten ist, – wir helfen euch dann, auf alles zu speien …«

Und sie spuckten und spuckten …

So herrschten allgemeine Verdrossenheit, gegenseitige Erbitterung und – Dreck.

Da kam, die Schule schwänzend, Mitja Korotyschkin, genannt die Stählerne Klaue, vorbei. Er war Schüler der zweiten Klasse des Gymnasiums von Miamlin und berühmt als großer Sammler ausländischer Briefmarken. Mitja sah, wie diese Leute in ihrer Pfütze saßen, hineinspuckten und tief über etwas nachdachten.

»Das wollen Erwachsene sein, – solche Schmutzferkel!« dachte Mitja mit der seinen jungen Jahren eigenen Frechheit.

Er blickte erst genauer hin, ob auch kein pädagogisches Element unter ihnen sei. Als er nichts derartiges wahrnahm, fragte er:

»Warum seid ihr denn in die Pfütze gekrochen, Onkels?«

Einer von den Bürgern fühlte sich beleidigt und begann zu streiten:

»Wo ist hier eine Pfütze? Das ist lediglich ein Ebenbild des Urchaos!«

»Und was tut ihr dadrin?«

»Wir wollen den neuen Menschen schaffen. Solcher Kerle, wie du einer bist, sind wir überdrüssig.«

Mitja war interessiert.

»Und nach wessen Bilde?«

»Was heißt das? Wir wollen einen machen nach niemandes Bilde. Mach' daß du weiter kommst!«

Weil Mitja noch ein in die Geheimnisse der Natur gänzlich uneingeweihtes Kind war, freute es ihn natürlich, bei einer solchen wichtigen Handlung dabei sein zu können, und er schlug harmlos vor:

»Ach, macht doch einen mit drei Beinen!«

»Warum denn?«

»Der muß sehr drollig laufen.«

»Geh weg, Bengel!«

»Oder einen mit Flügeln? Das wäre ulkig! Macht doch einen mit Flügeln, ja? Der könnte dann alle Lehrer entführen, wie der Kondor in den ›Kindern des Kapitäns Grant‹. Das heißt, der Kondor raubt allerdings keinen Lehrer. Aber schöner wäre es, einen Lehrer …«

»Bengel, du redest Unsinn, und zwar sehr argen Unsinn. Denk' lieber an das Gebet vor und nach dem Unterricht.«

»Wenn der Lehrer in die Schule geht, müßte der ihn dann – schwupps! – hinten am Kragen packen und durch die Luft wegschleppen, – wohin, das wäre ja gleich! Der Lehrer zappelt mit den Beinen und verliert alle seine Bücher. Und die müßte er nie wiederfinden …«

»Bengel! Geh, hab' Achtung vor alten Leuten!«

»Und von oben schreit er seiner Frau zu: ›Leb' wohl, ich fahre auf gen Himmel, wie Elias und Henoch.‹ Und sie kniet unten, mitten auf der Straße, und jammert: ›Ach Männchen, du mein liebes Lehrerchen!‹ …«

Sie wurden schließlich böse.

»Scher' dich! Dummes Zeug schwatzen schon genug Leute. Außerdem bist du noch viel zu jung dazu!«

Und sie jagten ihn weg. Er lief ein Stückchen, dann blieb er stehen, überlegte und fragte:

»Wollt ihr das im Ernst?«

»Natürlich …«

»Es wird wohl nichts?«

Sie seufzten finster und sagten:

»Nein. Laß uns in Ruhe …«

Da ging Mitja noch weiter weg, streckte ihnen die Zunge heraus und neckte sie.

»Ich weiß warum … Ich weiß warum …«

Sie liefen ihm nach. Er rannte weg. Aber weil sie es gewohnt waren, aus einem Lager ins andere überzulaufen, holten sie ihn bald ein und zausten und schüttelten ihn tüchtig.

»Ach du … Du willst ältere Leute necken?«

Mitja heulte und flehte:

»Onkels … Ich schenke euch eine Sudan, – die habe ich doppelt … Ein Federmesser schenke ich euch …«

Aber sie machten ihm Angst mit dem Direktor.

»Liebe Onkels! Auf Ehre, ich will euch nie wieder necken. Und ich weiß wirklich, warum ihr den neuen Menschen nicht machen könnt …«

»Sprich!«

»Laßt mich ein bißchen los!«

Sie ließen ihn, hielten ihn aber an beiden Händen fest. Da sagte er ihnen:

»Onkels! Das ist nicht die richtige Erde hier! Die Erde hier eignet sich nicht dazu, Ehrenwort! Ihr könnt spucken, soviel ihr wollt, es kommt nichts dabei heraus! … Denn als Gott den Adam machte nach seinem Ebenbilde, gehörte die Erde noch niemandem. Aber jetzt gehört die Erde irgendjemandem. Deshalb gehört auch jeder Mensch immer irgend jemandem … Am Spucken liegt es nicht …«

Das verdutzte sie derartig, daß sie seine Hände freigaben. Mitja riß aus, und als er ein Stückchen weggelaufen war, legte er die Faust an den Mund und brüllte:

»Komantschen, rothäutige! Iroke–esen, ihr!«

Sie aber setzten sich wieder einmütig in ihre Pfütze, und der Weiseste von ihnen sprach:

»Meine Herren Kollegen, fahren wir mit unserer Tätigkeit fort … Vergessen wir diesen Lümmel, – zweifellos war das ein verkleideter Sozialist …«

Ach Mitja, lieber Kerl …


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