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Ein drückend heißer Tag. Irgendwo in der Ferne kracht dumpf ein Kanonenschuß, – ein weicher, eigentümlicher Ton, als wäre ein ungeheures faules Ei geplatzt. In der durch den Schuß erschütterten Luft machen sich die Gerüche der Stadt noch intensiver bemerkbar. Es riecht noch stärker nach Olivenöl, Knoblauch, Wein und heißem Staub.
Der laute Lärm eines südlichen Tages, der von dem schweren Stöhnen der Kanone übertönt wird, läßt einen Augenblick nach, als wäre er in sich zusammengesunken, und als schmiegte er sich an das glühende Straßenpflaster. Dann aber reckt er sich wieder über die Straßen der Stadt empor und strömt, gleich einem breiten, trüben Flusse, ins Meer hinaus.
Die Stadt ist feiertäglich, grell und bunt geschmückt wie das reichgestickte Meßgewand eines Priesters. In dem leidenschaftlichen Geschrei, in ihrem Stöhnen und Beben erklingt das Lied des Lebens gleich einem Psalm. Jede Stadt ist ein Tempel, der von Menschenhänden erbaut ward, jegliche Arbeit – ein Gebet, das an die Zukunft gerichtet ist.
Die Sonne steht im Zenit. Der glühende, blaue Himmel blendet das Auge, wie wenn jeder Punkt einen feurigen blauen Strahl auf Meer und Erde sendete, der tief ins Gestein der Stadt und in das Wasser eindringt. Das Meer glänzt wie Seide voll schwerer, silberner Stickereien und singt leise, während seine grünlichen, schläfrigen Wellen kaum das Ufer berühren, das weise Lied vom Quell alles Lebens, – der Sonne.
Staubige und schwitzende Menschen eilen zum Mittagessen. Viele rennen ans Ufer, werfen schnell die grauen Kleider ab und springen ins Meer. In dem Augenblick, wo die gebräunten Körper im Wasser untersinken, scheinen sie sich in lächerlich kleine Pünktchen zu verwandeln, die wie dunkle Staubteilchen in einer großen Weinschale umherschwimmen.
Das sanfte Plätschern des Wassers, das frohe Geschrei der erfrischten Menschen, das laute Lachen und Kreischen der Kinder, – alles steigt wie ein fröhliches Sonnenopfer mit dem regenbogenfarbenen Wasserstaub der aufgewühlten Meeresfläche zur Sonne empor.
Auf der Straße, im Schatten eines großen Hauses, sitzen vier Steinsetzer, große, gedrungene, kräftige, wie aus Stein gehauene Gestalten, die sich anschicken, ihr Mittagsmahl einzunehmen. Ein eisgrauer alter Mann, der mit einer dichten Staubschicht bedeckt ist, zerschneidet ein langes Brot, wobei er eifrig darauf bedacht ist, daß nur ja kein Stück kleiner werde als das andere. Er trägt eine rote, gestrickte Kappe mit einer Troddel auf dem Kopf, die ihm beständig ins Gesicht fällt. Der Alte schüttelt sein großes Apostelhaupt, und seine lange, papageienhaft gebogene Nase zieht laut die Luft ein, während sich seine Nüstern blähen.
Neben ihm, auf den heißen Steinen, liegt ein Prachtkerl, mit offener Brust, braungebrannt und schwarz wie ein Maikäfer. Die Brotkrumen fallen ihm aufs Gesicht, er kneift faul die Augen zusammen und singt halblaut wie im Traum etwas vor sich hin. Zwei andere sitzen mit dem Rücken an die Wand gelehnt und schlummern.
Ein Knabe mit einer großen, bauchigen Weinflasche in der einen und einem kleinen Bündel in der andern Hand nähert sich ihnen. Zurückgeworfenen Hauptes ruft er mit hellklingender Stimme und sieht nicht, daß durch das Strohgeflecht der Flasche rote, schwere Weintropfen langsam wie Rubinen auf die Erde fallen.
Der Alte sieht's, legt sofort das Brot und das Messer auf die Brust des Jünglings nieder und winkt besorgt dem Knaben: »Schneller, du Blinder! Sieh doch – der Wein!«
Der Knabe hebt die Flasche in die Höhe, fährt erschrocken zusammen und läuft schnell zu den Steinsetzern. Alle geraten in Bewegung, schreien und betasten die Flasche, während der Knabe wie ein Pfeil in den Hof hineinfliegt. Er kommt ebenso schnell wieder herausgesprungen und hält eine große, tiefe, gelbe Schüssel in der Hand.
Die Schüssel wird auf die Erde gestellt, und der Alte gießt den roten, lebendigen Strahl vorsichtig hinein. Vier Augenpaare ergötzen sich an dem Spiel der Weintropfen in der Sonne, und die trockenen Lippen der Leute zucken gierig.
Eine Frau in hellblauem Kleide geht vorüber. Ein goldigglänzender Spitzenschal bedeckt das rabenschwarze Haar, die hohen Absätze der braunen Stiefelchen klappern gleichmäßig auf dem Pflaster. Sie führt ein kleines, krauslockiges Mädchen an der Hand, das zwei rote Nelkenblüten in der Luft schwenkt. Die Kleine tänzelt neben ihr her und singt:
»O ma, o ma, o mia ma–a …«
Die Kleine bleibt hinter dem Rücken des alten Steinsetzers stehen, reckt sich in die Höhe, guckt über die Schulter des Alten und sieht aufmerksam zu, wie der Wein in die gelbe Schale fließt, klingend, als setze er den Gesang der Kleinen fort.
Das Mädchen befreit sich aus der Hand der Mutter, reißt die Blütenblätter ab und wirft sie, das braune Händchen hoch emporreckend, in die Weinschale.
Vier Männer zucken zusammen und erheben böse den Kopf, während die Kleine händeklatschend und lachend auf dem Trottoir umherspringt. Die Mutter hascht verwirrt nach ihrer Hand, der Knabe wirft den Kopf zurück und lacht aus vollem Halse, während die Blumenblätter wie rosafarbene Kähne auf dem dunklen Weine umherschwimmen.
Der Alte zieht von irgendwoher ein Glas hervor, schöpft es mit Wein und Blumenblättern voll, erhebt sich mühsam auf die Knie und sagt, das Glas zum Munde führend, mit ruhiger, ernster Stimme:
»Tut nichts, Signora! Das Geschenk eines Kindes ist ein Geschenk des Himmels. Auf Ihre Gesundheit, schöne Signora, und auch auf deine, Kind! Werde schön wie deine Mutter und doppelt so glücklich wie sie.«
Er versenkt seinen grauen Schnurrbart in das Glas, kneift die Augen zusammen und schlürft langsam, mit den Lippen schmatzend, und die krumme Nase hin und her bewegend, die dunkle Flüssigkeit aus.
Die Mutter entfernt sich grüßend und führt die Kleine lächelnd an der Hand. Die aber springt neben ihr her, scharrt mit den Füßchen auf dem Trottoir und kneift die Augen zusammen, um sie gegen das blendende Sonnenlicht zu schützen.
»O ma–a … o mia ma–a …«
Die Steinsetzer wenden die Köpfe hin und her und blicken bald den Wein und bald das Mädchen an; sie lächeln und unterhalten sich mit dem raschen Mundwerk der Südländer.
Inzwischen aber schaukeln die roten Blumenblätter auf der dunkelroten Oberfläche der Weinschale.
Und ringsum singt das Meer, die Stadt dröhnt, und die glühende Sonne zaubert wunderbare Märchenbilder hervor.