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Ein hagerer, glattrasierter, hellgekleideter Herr, der äußerlich einem Amerikaner glich, nahm an einem eisernen Tischchen an der Tür des Restaurants Platz.
»Ga–ar–çon!« rief er gemächlich …
Ringsum ist alles mit weißen und goldenen Akazienblüten bedeckt; auf allem liegt der Glanz der Sonnenstrahlen; Erde und Himmel sind von der friedlichen Heiterkeit des Frühlings erfüllt. Kleine Esel mit zottigen Ohren klappern mit ihren Hufen auf dem Straßenpflaster; schwerfällige Pferde ziehen gemächlich einher, Fußgänger schreiten langsam vorüber, und man sieht deutlich, wie sich alles, was lebt, im Sonnenlicht, in der vom Akazienduft erfüllten Luft wohlfühlt.
Die Kinder, die Herolde des Frühlings, eilen in ihren Kleidchen, die die Sonne in hellen Farben aufleuchten läßt, vorüber, und wiegenden Ganges folgen ihnen bunt gekleidete Frauen, die an einem Sonnentage ebenso unentbehrlich sind, wie die Sterne am nächtlichen Himmel.
Der hellgekleidete Herr hat ein sonderbares Äußere: er macht den Eindruck, als müßte er erst vor kurzem sehr schmutzig gewesen sein und wäre nun eben erst von oben bis unten gewaschen worden, und zwar so gründlich, daß alles Grelle und Charakteristische an ihm für immer heruntergespült ist. Mit verblichenen glanzlosen Augen betrachtet er seine Umgebung, als zähle er die Sonnenflecken auf den Häusern, auf der dunklen Straße und auf der bunten Menge, die sich über den breiten Steinfliesen fortbewegt. Die welken Lippen pfeifen leise und sorgsam eine seltsam traurige Melodie; die langen Finger der weißen Hand trommeln auf dem Tischrande herum, wobei ihre Nägel trübe aufleuchten, während die andere Hand mit dem gelben Handschuh auf dem Knie den Takt dazu schlägt. Seine Züge verraten Klugheit und Entschlossenheit – wie schade, daß ihnen etwas so Trübes, Schweres ihre Eigenart geraubt hat.
Mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung stellt der Kellner eine Tasse Kaffee, ein Fläschchen grünen Likör und einige Biskuits vor ihn auf den Tisch hin. In diesem Augenblick nimmt ein breitbrüstiger Mensch mit achatfarbenen Augen am Nachbartisch Platz. Hals, Wangen und Hände sind von Ruß geschwärzt, die ganze Gestalt ist eckig und von stählerner Kraft wie der Hebel einer gewaltigen Maschine.
Der Blick des saubergekleideten Herrn schweift müde über sein Gesicht; er bemerkt es, erhebt sich leicht grüßend und spricht:
»Guten Tag, Herr Ingenieur!«
»Bah! Sind Sie wieder da, Trama?«
»Jawohl, Herr Ingenieur …«
»Gibt's wieder was, he?«
»Wie steht es mit Ihrer Arbeit, Herr Ingenieur?«
»Ich glaube, mein Freund,« bemerkte der Ingenieur mit feinem Lächeln, »man darf sich nicht bloß mit Fragen unterhalten …«
Der andere schob laut lachend seinen Hut in den Nacken.
»Ja freilich! Aber, auf mein Wort, ich möchte es so gerne erfahren …«
In diesem Augenblick blieb plötzlich ein scheckiger, struppiger Esel vor einem Kohlenwägelchen auf der Straße stehen, streckte den Hals vor und ließ ein Klagegeschrei ertönen. Offenbar mißfiel ihm aber heute seine Stimme, er brach verwirrt bei der höchsten Note ab, schüttelte die zottigen Ohren, senkte traurig den Kopf und lief mit den Hufen auf dem Pflaster klappernd weiter.
»Ich warte mit derselben Ungeduld auf Ihre Maschine, wie auf ein neues Buch, aus dem ich was lernen könnte …«
Der Ingenieur schlürfte seinen Kaffee:
»Ich verstehe diesen Vergleich nicht ganz.«
»Glauben Sie nicht, daß die Maschine die physische Kraft des Menschen ebenso freimacht, wie ein gutes Buch seinen Geist?«
»Ach so meinen Sie! … Ja, das kann schon sein … jawohl …«
Dann setzte er die leere Kaffeeschale auf den Tisch und wandte sich direkt an den anderen:
»Sie werden natürlich wieder mit der Agitation beginnen?«
»Ich habe schon begonnen …«
»Wiederum Streiks, Unruhen?«
Jener zuckte die Achseln und lächelte weich:
»Wenn es ohne dies ginge …«
Eine schwarzgekleidete alte Frau mit dem ernsten Gesicht einer Nonne bot dem Ingenieur stumm einen Veilchenstrauß an. Er nahm zwei und reichte seinem Gegenüber einen davon hin.
»Sie sind ein tüchtiger Kopf, Trama, wie schade, daß Sie ein Idealist sind …«
»Ich danke für die Blumen und für das Kompliment … Sie sagten: wie schade?«
»Ja, denn in Wirklichkeit sind Sie ein Dichter, und Sie sollten was lernen, um ein tüchtiger Ingenieur zu werden …«
Trama lächelte leicht, wobei er seine weißen Zähne sehen ließ:
»Oh, Sie haben recht! Ein Ingenieur ist ein Dichter, das habe ich während unserer gemeinsamen Arbeit erfahren …«
»Sie sind sehr liebenswürdig …«
»Und dann dachte ich mir stets: was sollte den Herrn Ingenieur hindern, ein Sozialist zu werden? Ein Sozialist muß gleichfalls ein Stück Dichter sein …«
Beide lachten und prüften sich gegenseitig mit klugen Blicken. Man konnte sich kaum einen merkwürdigeren Kontrast als den zwischen diesen beiden Menschen denken: der eine – ein trockener, nervöser, glanzloser Mann mit verblichenen Augen, der andere – ein Stück Erz, das scheinbar erst eben aus der Schmiede kam und noch nicht ordentlich poliert war.
»Nein, Trama, ich würde es vorziehen, meine eigene Werkstatt zu haben und darin drei Dutzend solcher Burschen wie Sie. He! Dann wollten wir was Ordentliches leisten …«
Er trommelte mit den Fingern leicht auf der Tischplatte und steckte seufzend die Blumen in das Knopfloch.
»Weiß der Teufel,« rief Trama erregt aus, »was für Kleinigkeiten uns am Leben und Schaffen hindern!«
»Sie nennen die Geschichte der Menschheit eine Kleinigkeit, Meister Trama?« bemerkte der Ingenieur mit einem feinen Lächeln. Der Arbeiter riß den Hut vom Kopfe, schwenkte ihn in der Luft und versetzte lebhaft und eifrig:
»Ach was, die Geschichte meiner Vorfahren?«
» Ihrer Vorfahren?« wiederholte der Ingenieur, indem er das erste Wort durch ein sardonisches Lächeln unterstrich.
»Ja, meiner Vorfahren! Oder ist das etwa eine Anmaßung meinerseits? Nun gut! Sind Giordano Bruno, Vico und Magini nicht meine Vorfahren? Lebe ich nicht in ihrer Welt, genieße ich nicht, was ihr großer Geist ringsum ausgesät?«
»Ach, Sie fassen es so auf?«
»Alles, was die Toten der Welt hinterlassen haben, gehört auch mir!«
»Natürlich,« gestand der Ingenieur mit ernstem Gesicht zu.
»Alles, was vor mir, was vor uns geschaffen wurde, ist ja das Erz, aus dem wir unseren Stahl schmieden müssen. Nicht wahr?«
»Aber gewiß! Das ist ja klar!«
»Denn auch ihr Gelehrten lebt ebenso wie wir Arbeiter auf Kosten der Geistesarbeit, die die Vergangenheit geleistet hat.«
»Ich bestreite das nicht,« entgegnete der andere und senkte den Kopf; neben ihm stand ein in graue Lumpen gehüllter Knirps, mit einem Strauß Krokusblüten in den schmierigen Fingern, und wiederholte in einem fort:
»Kaufen Sie mir die Blumen ab, Signore …«
»Ich habe schon welche …«
»Blumen hat man nie genug …«
»Brav, Kleiner!« rief Trama. »Gib auch mir zwei davon …«
Der Knabe reichte ihm die Blumen; er lüftete leicht den Hut und überreichte sie dem Ingenieur.
»Bitte!«
»Ich danke.«
»Ein herrlicher Tag heute, nicht wahr?«
»Ja, das fühle ich auch, trotz meiner fünfzig Jahre …«
Er sah sich gedankenvoll um, kniff die Augen zusammen und seufzte tief.
»Ich glaube, Ihre Nerven müssen das Spiel der Sonnenstrahlen besonders stark fühlen, nicht nur, weil Sie jung sind, sondern weil Sie, wie ich sehe, das Leben mit anderen Augen betrachten als ich, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht,« lachte der Arbeiter, »aber das Leben ist schön!«
»Weil es viel verspricht?«
Die Skepsis des Ingenieurs schien Trama zu verletzen. Er stülpte den Hut auf und fuhr lebhaft fort:
»Alles ist im Leben schön, was mir gefällt! Hol's der Teufel, mein lieber Ingenieur, für mich sind die Worte nicht nur Laute und Buchstaben; wenn ich ein Buch lese, wenn ich ein Bild betrachte, wenn ich etwas Schönes in mir aufnehme, so habe ich ein Gefühl, als hätte ich das alles selber geschaffen!«
Beide lachten, der eine laut und offen, mit zurückgeworfenem Kopf und weit vorgestreckter Brust, als prahlte er mit seiner Fähigkeit, zu lachen; der andere kaum hörbar und glucksend, und die mit Goldplomben durchsetzten Zähne entblößend, die den Eindruck erweckten, als hätte er soeben Gold gekaut und hätte dabei vergessen, sich die grünlich schimmernden Zähne zu putzen.
»Sie sind ein braver Bursche, Trama. Ich freue mich immer, Sie zu sehen. Wenn Sie nur nicht revoltieren wollten,« fügte er augenzwinkernd hinzu.
Der Arbeiter legte sein Gesicht in ernste Falten und fragte, indem er seine schwarzen tiefen Augen zusammenkniff:
»Ich hoffe, wir haben uns damals vollständig korrekt benommen?«
Der Ingenieur erhob sich achselzuckend.
»O ja, ja! Aber wissen Sie, – diese Geschichte hat dem Betrieb siebenunddreißigtausend Lire gekostet …«
»Es wäre vernünftiger gewesen, man hätte sie schon früher in die Lohnsumme eingeschlossen …«
»Hm! Sie sind ein schlechter Rechner, Trama. Vernünftiger? Jedes Tier hat seine eigene Vernunft.«
Er reichte dem Arbeiter seine hagere, gelbe Hand zum Abschied.
»Und dennoch wiederhole ich: Sie sollten lernen, lernen …«
»Das tue ich ja in einem fort.«
»Sie könnten ein tüchtiger Ingenieur werden, Sie haben das Zeug dazu …«
»Oh, was das betrifft, so stört es mich jetzt auch nicht.«
»Adieu, Meister Eigensinn.«
Der Ingenieur schritt mit seinen langen, dünnen Beinen langsam unter den Akazienbäumen und in dem Gewirr der Sonnenstrahlen dahin und zog sorgfältig den rechten Handschuh über seine dünnen Finger. Der kleine blauschwarze Kellner, der dem Gespräch an der Tür des Restaurants gelauscht hatte, näherte sich dem Arbeiter, der in seinem Geldbeutel nach ein paar Kupfermünzen suchte.
»Er ist stark gealtert, unser berühmter …«
»Oh, der steht noch seinen Mann! Er hat viel Feuer unter seinem Schädel.«
»Wo werden Sie nächstens sprechen?«
»Wieder auf der Arbeiterbörse. Haben Sie mich sprechen hören?«
»Dreimal, Genosse …«
Sie trennten sich mit einem kräftigen Händedruck; der eine schlug die entgegengesetzte Richtung ein, wie der Ingenieur, während der andere, gedankenvoll vor sich hinsummend, die Tische abzuräumen begann.
Eine Gruppe Schulkinder, Knaben und Mädchen, mit weißen Schürzen, kamen auf dem Fahrdamm vorübermarschiert. Lautes Gelächter und fröhlicher Lärm stoben von ihnen wie Funken nach allen Seiten auseinander; die vorderen zwei bliesen laut auf Papiertrompeten, während die Akazien eine Wolke von weißen Blüten auf sie herabfallen ließen. Stets, besonders aber im Frühling, verfolgt man die Kinder gierig mit den Blicken, und man möchte ihnen laut und fröhlich zurufen:
»He, ihr Menschlein! Hoch lebe eure Zukunft …«