Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Jewstignej Sakiwakin lebte lange still und bescheiden dahin, schüchtern und neidisch. Da, mit einemmal, wurde er plötzlich berühmt.
Das kam so. Eines Tages, nach einer üppigen Zecherei, war er seine letzten sechs Zehner los. Als er am nächsten Morgen, sehr verstimmt, mit schwerem Kopfe erwachte, setzte er sich an seine gewöhnliche Arbeit, – Reklamegedichte für ein »Anonymes Beerdigungs-Institut« zu verfertigen.
Er setzte sich also hin, vergoß reichlich Schweiß und schrieb dann sehr überzeugend:
»Schlägt man dich auf den Nacken oder auf den Kopf –
Ganz gleich, du mußt hinab ins dunkle, kühle Grab.
Ob du ein braver Mensch, ob du ein Schurke bist,
Man trägt dich doch hinaus zum Friedhof einst.
Sprichst du die Wahrheit oder lügst du frech, –
Es bleibt sich alles gleich; auch du mußt einmal sterben.«
Und so weiter in dieser Art, anderthalb Ellen lang …
Er brachte seine Arbeit ins Bureau des Beerdigungs-Instituts. Aber – man nahm das Gedicht nicht an.
»Entschuldigen Sie,« hieß es da, »aber so etwas können wir unmöglich drucken. Viele Verstorbene würden das sehr übelnehmen und sich vielleicht noch im Grabe umdrehen. Lebende aber braucht man nicht an den Tod zu erinnern: die werden mit Gottes Hilfe schon von selbst sterben.«
Sakiwakin ärgerte sich.
»Der Teufel mag euch holen! Um eure Verstorbenen seid ihr besorgt; ihr errichtet ihnen Denkmäler und lest ihnen Totenmessen … Aber einen Lebenden laßt ihr verhungern …«
In ganz jämmerlicher Stimmung wanderte er durch die Straßen. Da sah er plötzlich ein Aushängeschild, – in schwarzen Buchstaben auf weißem Grunde stand zu lesen: »Ernte des Todes«.
»Da ist ja noch ein Beerdigungs-Institut! Und ich wußte das gar nicht,« dachte Jewstignej erfreut.
Aber es stellte sich heraus, daß es kein Beerdigungs-Institut war, sondern nur die Redaktion einer neuen parteilosen Zeitschrift für die Jugend und zur Selbstbildung. Sakiwakin wurde von dem Herausgeber und Schriftleiter Mokej Goworuchin – dem Sohne des berühmten Talgsieders und Seifenfabrikanten –, einem sehr lebhaften und regen, wenn auch etwas kränklichen jungen Manne, äußerst liebenswürdig empfangen.
Mokej sah sich das Gedicht an. Es gefiel ihm.
»Ihre Eingebungen«, sagte er, »sind gerade jenes neue, bisher von niemand ausgesprochene Wort der neuen Poesie, nach dem ich auf der Suche bin wie ein Argonaut …«
Das war natürlich alles nur dummes Zeug und stammte von dem Wanderkritiker Lasar Syworotka, der sich durch unablässiges Gequatsche einen großen Namen gemacht hatte.
Mokej sah Jewstignej mit einnehmendem Blick an und wiederholte:
»Dieser Stoff kommt uns sehr gelegen. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß wir Gedichte nicht umsonst drucken können!«
»Ich wünsche auch sehr, daß sie mir Honorar dafür zahlen,« gestand Jewstignej.
»Ich – Ihnen? Für Ihre Verse? Sie machen wohl Witze?« grinste Mokej. »Verehrter Herr, wir haben unser Schild erst vorgestern ausgehängt, und man hat uns bereits neunundsiebzig Klafter Verse eingesandt! Und zwar alle mit vollem Namen unterzeichnet.«
Doch Jewstignej ließ nicht locker, und sie einigten sich auf fünf Kopeken für die Zeile.
»Nur weil Ihre Verse wirklich sehr gerissen sind,« erklärte Mokej. »Sie müssen sich aber noch ein Pseudonym ausdenken. Sakiwakin – das klingt nicht gut. So etwa, – zum Beispiel – Smertjaschkin? Abgeleitet von »smertj«, der Tod Wie? Das wäre der richtige Stil.«
»Ganz gleich,« sagte Jewstignej. »Vor allem hätte ich gern mein Honorar, ich habe großen Hunger …«
Er war ein sehr harmloser Mensch.
Einige Zeit später erschien sein Gedicht auf der ersten Seite des ersten Heftes der neuen Zeitschrift, unter dem Titel: »Stimme ewiger Wahrheit«.
Seit diesem Tage nun suchte der Ruhm Jewstignej heim. Das Publikum las seine Gedichte und freute sich:
»Das ist sehr richtig, was er da schreibt, der verflixte Kerl! Und wir leben so hin, rackern uns ab mit allerhand, und haben dabei überhaupt noch nicht bemerkt, daß unser ganzes Leben, bei Lichte besehen, eigentlich gar keinen Sinn hat. Tüchtiger Kerl, der Smertjaschkin!«
Er wurde jetzt zu großen Gesellschaften eingeladen, zu Hochzeiten, Beerdigungen und Leichenschmäusen. Seine Gedichte aber brachten alle modernen Zeitschriften, zu fünfzig Kopeken die Zeile, und auf literarischen Abenden deklamierten vollbusige Damen mit berückendem Lächeln Smertjaschkins »Poesien«:
»Täglich verletzt uns das Leben hienieden,
Allseits bedroht uns der Tod;
Von allen Seiten gesehen
Sind Opfer wir nur der Verwesung.«
»Bravo–o! Bravo–o!« schrien die Zuhörer.
»Am Ende bin ich tatsächlich ein Dichter?« grübelte Jewstignej und wurde dabei allmählich etwas überheblich. Er kaufte sich schwarze, buntgemusterte Socken und dazu passende Krawatten, trug schwarz-weißgestreifte Hosen und verdrehte beim Sprechen schmachtend die Augen:
»Oh, wie schal, wie banal ist das alles …«
Er hielt Grabreden und gebrauchte dabei ganz besonders düstere Worte.
Allerhand Kritiker waren um ihn herum und halfen ihm beim Vertun seiner Honorare. Sie redeten auf ihn ein:
»Versenke dich weiter in dein Inneres, Jewstignej! Wir halten zu dir!«
Und tatsächlich, als er ein Buch erscheinen ließ – »Leichenreden der Träume und Grabschriften der Begierden. Poesien von Jewstignej Smertjaschkin« –, bemerkten die Kritiker äußerst wohlwollend das tiefe Grabesdüster der Gemütsverfassung des Dichters. Vor lauter Freude beschloß Jewstignej zu heiraten. Er begab sich zu einer ihm bekannten modernen Jungfrau, namens Nimfodora Sawalaschkina, und sprach also zu ihr:
»Oh, häßlich ruhmlos Unansehliche! …«
Sie hatte das längst erwartet, sank an seine Brust und gurrte, in Wonne vergehend:
»Mit dir Hand in Hand geh ich gern in den Tod! …«
»O du der Vernichtung Geweihte! …« rief Jewstignej aus.
Nimfodora aber, von heißer Leidenschaft tödlich getroffen, erwiderte:
»O du spurlos Entschwindender! …«
Rasch aber kehrte sie wieder völlig ins Leben zurück und fuhr fort:
»Wir müssen unser Leben aber unbedingt stilgemäß einrichten.«
Jewstignej war allerhand gewöhnt und begriff.
»Natürlich bin ich über alle Vorurteile unendlich erhaben,« sagte er. »Aber wenn du so wünschest, lassen wir uns in einer Leichenkapelle trauen.«
»Ob ich es wünsche? O ja. Und alle Brautführer sollen sich gleich nach unserer Hochzeit erschießen!«
»Alle werden nicht darauf eingehen. Aber Kukin könnte es tun, der hat schon siebenmal versucht, sich zu erschießen.«
»Und der Priester muß uralt sein, – weißt du, so einer, der sicher am nächsten Tage stirbt.«
So träumten sie gar stilvoll, bis aus kaltem Grabesraume, allwo Myriaden erloschener Sterne begraben sind und erstarrte Planeten im Totentanze kreisen, – bis in dieser Einöde eines abgrundtiefen Friedhofes entschlafener Welten das traurige Antlitz des Mondes erschien und mürrisch die alles Lebendige verschlingende Erde bestrahlte … Oh, dieser grausige Glanz des gestorbenen Mondes – dem Glimmen faulenden Holzes vergleichbar – erinnert gefühlvolle Herzen stets daran, daß des Daseins Sinn nur Verwesung ist, Verwesung …
Jewstignej kam derartig in Stimmung, daß er vollkommen mühelos ein Gedicht von sich gab und in schwarzem Flüstertone dem künftigen Skelett der Geliebten ins Ohr hauchte:
»O horch! – wie ehrlich pocht der Finger
Des Todes an das Dach des Sarges!
Ich höre seinen Ruf gar deutlich
Durch stumpfen Alltags schales Chaos.
Das Leben wehrt sich, ruft verlogen,
Und lädt zu seinem Trug die Menschen.
Doch wir zwei wollen nicht vermehren
Die Zahl der Sklaven, die es knechtet.
Uns kaufst du nicht mit süßer Lüge!
Wir wissen wohl: ein Augenblick nur,
Ein kranker, kurzer, ist das Leben;
Sein wahrer Sinn liegt doch im Sarge …«
»Wie tot das klingt!« sprach Nimfodora hingerissen. »Wie grabhaft dumpf!«
Sie verstand all solche Kunststücke vorzüglich.
Vierzig Tage später heirateten sie in der Kirche zu »St. Nikolaus auf dem Gepfähl«, einem alten, von selbstzufriedenen Gräbern eines überfüllten Friedhofes umringten Gotteshause. Um den Stil zu wahren, wirkten zwei Totengräber als Trauzeugen mit; die Brautführer waren stadtbekannte Selbstmordkandidaten; als Brautjungfern hatte die Braut drei hysterische Weiber geladen, von denen eine schon einmal Essigsäure getrunken hatte; die beiden andern planten dasselbe: eine hatte gar einen feierlichen Eid geleistet, am neunten Tage nach der Hochzeit ein Ende mit sich zu machen.
Als sie die Kirche verließen, öffnete ein Brautführer – ein junger Mensch mit Pickeln im Gesicht, der die Wirkung des Salvarsans an sich erprobte – den Kutschenschlag und sprach mit dumpfer Stimme:
»Hier stehet euer Katafalk …«
Die junge Frau, im weißen Kleide mit schwarzem Brautschleier, starb fast vor Wonne. Smertjaschkin musterte feuchten Auges die Anwesenden und fragte den Brautführer:
»Sind auch Berichterstatter da?«
»Sogar Photographen …«
»Nicht bewegen, Nimfodorotschka! …«
Die Berichterstatter hatten sich aus Hochachtung für den Dichter als Träger von Trauerfackeln kostümiert, der Photograph als Henker. Die Leute aus der Stadt aber – denen ist es ja immer völlig gleichgültig, was es zu gaffen gibt, wenn sie nur einen Spaß dabei haben –, die Leute meinten beifällig:
»Quel chic!«
Sogar ein ewig Hunger leidendes Bäuerlein stimmte ihnen bei:
»Charmant!«
»Ja–a,« sagte Jewstignej zu seiner jungen Frau während des Hochzeitsmahles, das im Gasthof gegenüber dem Kirchhof stattfand. »Sehr hübsch haben wir unsere Jugend zu Grabe getragen. Das darf man wirklich einen Sieg über das Leben nennen.«
»Du vergißt hoffentlich nicht, daß alles meine Idee war?« fragte Nimfodora zärtlich.
»Deine Idee! Ach, – wirklich?«
»Natürlich.«
»Nun, ganz gleich:
Ich und du, ein Leib und eine Seele,
Eins sind wir nunmehr für alle Ewigkeit;
Weise hat der Tod uns so befohlen:
Sklaven sind wir, seine Satelliten …«
»Trotzdem werde ich dir keinesfalls gestatten, meine Individualität zu unterdrücken!« warnte sie ihn in bezauberndem Tone. »Außerdem spricht man ›Satelliten‹ glaube ich, mit zwei T und zwei L. Übrigens passen Satelliten hier wohl überhaupt nicht recht …«
Smertjaschkin versuchte sie noch einmal mit Versen zu besiegen:
»Ja, was ist denn unser Ich,
Liebe Sterbliche?
Ob's ein Ich gibt oder nicht
Bleibt sich einerlei.
Sei du tätig oder träge,
Nimmermehr wirst du unsterblich.«
»Nein, das müssen wir wohl andern überlassen,« erwiderte sie ergeben.
Nach zahlreichen Scharmützeln dieser und ähnlicher Art hatte Smertjaschkin mit einemmal ein Kindchen, ein kleines Mädel. Nimfodora befahl:
»Bestell' eine Wiege in Form eines Sarges!«
»Ist das nicht vielleicht doch ein bißchen zu stark, Nimfotschka?«
»Nein, nein, bitte! Wir müssen streng unsern Stil innehalten, wenn du nicht willst, daß Kritik und Publikum dir Zwiespältigkeit und Unaufrichtigkeit vorwerfen.«
Nimfodora entpuppte sich als eine sehr wirtschaftliche Dame: sie salzte selbst Gurken ein, sammelte gewissenhaft alle Besprechungen der Gedichte ihres Mannes, vernichtete die abfälligen und gab die lobenden auf Kosten der Verehrer des Dichters als Einzelbändchen heraus.
Vom guten Essen wurde sie eine üppige Frau; ihre Augen waren stets traumumwölkt und erweckten in Personen männlichen Geschlechts leidenschaftliches Begehren, sich dem Geschick zu unterwerfen. Sie stellte einen Hauskritiker an, einen sehnigen, rothaarigen Kerl, der immer neben ihr sitzen mußte, durchbohrte mit ihrem nebelhaften Blick sein Herz, deklamierte mit gemacht näselnder Stimme die Gedichte ihres Mannes und fragte überzeugt:
»Ist das nicht tief? Ist das nicht stark?«
Anfänglich knurrte der Mensch nur; später schrieb er allmonatlich flammende Aufsätze über Smertjaschkin, der mit unnachahmlicher Versenkung in den bodenlosen Abgrund des schwarzen Geheimnisses eindringe, das wir kläglichen Menschen »Tod« nennen, – Smertjaschkin aber habe mit reiner Liebe das lichte Kind liebgewonnen. Seine bernsteinhelle Seele habe sich durch die Erkenntnis der Zwecklosigkeit des Daseins nicht verdunkelt, er habe vielmehr dieses Entsetzen in stille Freude gewandelt, in einen wonnevollen Aufruf zur Vernichtung der grenzenlosen Banalität, die wir blinden Seelen »Leben« nennen.
Mit der wohlwollenden Hilfe des Rothaarigen – der seinen Überzeugungen nach Mystiker und Ästhet, von Beruf aber Barbier war und Prochartschuk hieß – erreichte Nimfodora, daß Jewstignej einwilligte, seine Gedichte auch öffentlich vorzutragen. Er bestieg also die Rednerbühne, bewegte die Knie nach rechts und links, musterte mit weißen Schafsaugen die Zuhörer, wackelte mit dem eckigen Kopf, auf dem allerhand bastfarben Zotteln wucherten, und kündete apathisch:
»Wir sind im Leben wie auf einem Bahnhof,
Grad' vor der Abfahrt in das dunkle Jenseits.
Je weniger Gepäck wir mit uns führen,
Je leichter und behaglicher die Reise!
Wir wollen sinnlos und in Einfalt leben.
Sei leer! Denn bist du leer, wirst du auch rein sein.
Kurz ist der Weg zum Friedhof von der Wiege!
Der Tod führt die Maschine unsres Lebens! …«
»Bravo–o!« johlte hochbefriedigt das versammelte Publikum. »Bravo-o!«
Zueinander aber sprachen sie:
»Der versteht zu reden, der Spitzbube! Wenn er auch so ausgesogen aussieht.«
Leute, die wußten, daß Smertjaschkin früher für ein Beerdigungs-Institut geschrieben hatte, bildeten sich natürlich ein, er singe alle seine Lieder nur als Reklame für das Institut. Aber weil ihnen ja im Grunde genommen doch alles völlig gleichgültig war, hielten sie den Mund, denn sie sagten sich vor allen Dingen das eine:
»Irgendwie muß sich jeder Mensch sein Brot verdienen.«
»Vielleicht bin ich aber wirklich ein Genie?« dachte Smertjaschkin, dem Beifallsgebrüll der Zuhörer lauschend. »Eigentlich weiß ja kein Mensch, was ein Genie ist. Manche behaupten, Genies seien Halbverrückte … Und wenn es so ist …«
Traf er Bekannte, so erkundigte er sich nicht etwa nach ihrem Befinden, sondern fragte:
»Wann gedenken Sie zu sterben?«
Dadurch gewann er noch mehr Popularität.
Seine Frau aber richtete sich ihren Salon in der Form eines Grabgewölbes ein: sie stellte grünliche Sofas auf, die aussahen wie Grabhügel und hängte Reproduktionen von Goya an die Wände, – nur von Goya und von Wiertz!
Sie prahlte:
»Bei mir spürt man sogar im Kinderzimmer einen Hauch des Todes. Die Kinder schlafen in kleinen Särgen, die Wärterin trägt Nonnenkleidung, – wissen Sie, einen schwarzen Sarafan mit weißer Stickerei: Schädel, Knochen und so, sehr interessant. Jewstignej, zeig' den Damen das Kinderzimmer! Und Sie, meine Herren, bitte ins Schlafzimmer!«
Und mit einem bezaubernden Lächeln zeigte sie die Einrichtung ihres Schlafzimmers. Über dem Bett, das aussah wie ein Sarkophag, befand sich ein schwarzer Baldachin mit Silberfransen, gehalten von aus Eichenholz geschnitzten Totenköpfen; als Ornament dienten kleine Skelette, die mit Grabwürmern spielten.
»Jewstignej«, erklärte sie, »ist so von seiner Idee besessen, daß er sogar im Totenhemde – schläft …«
Einige Besucher waren sehr erstaunt:
»Schlä–äft?«
Sie lächelte trübe.
Aber Jewstignejka war im Grunde seines Herzens ein ehrlicher Kerl. Manchmal kam ihm unwillkürlich der Gedanke:
»Wenn ich auch ein Genie bin, – was hat das auf sich? Die Kritik schreibt über Smertjaschkins Einfluß, über seine Schule, und ich … ich glaube gar nicht daran!«
Prochartschuk erschien, ließ seine Muskeln spielen, sah ihn an und fragte:
»Hast du was geschrieben? Du mußt viel mehr schreiben, Freundchen! Alles übrige besorge ich schon mit deiner Frau … Sie ist eine brave Frau, ich habe sie sehr lieb.«
Das hatte Smertjaschkin schon längst gemerkt; aber weil er nie Zeit hatte und auch weil er seine Ruhe sehr liebte, tat er nichts dagegen.
Manchmal setzte sich Prochartschuk in einen recht bequemen Sessel und erzählte sehr ausführlich:
»Wenn du ahntest, Freund, wieviel Hühneraugen ich habe, und was für welche! Nicht einmal Napoleon hat solche Hühneraugen gehabt …«
»Ach, du Armer!« seufzte Nimfodora. Smertjaschkin aber trank seinen Kaffee und dachte:
»Wie richtig doch jemand gesagt hat: für Frauen und Kammerdiener gibt es keine großen Männer!«
Selbstverständlich war er im Urteil über seine Frau ebenso im Unrecht, wie jeder Mann. Denn sie weckte mit viel Eifer seine Energie.
»Stegnyschko,« sagte sie liebevoll, »ich glaube, du hast gestern schon wieder nichts geschrieben? Du läßt es immer häufiger an Talent mangeln, mein Lieber! Geh, arbeite, – ich schick' dir Kaffee …«
Er ging, setzte sich an den Schreibtisch und machte plötzlich ein ganz neuartiges Gedicht:
»Wieviel Quatsch und wieviel Blödsinn
Schrieb' ich schon, o Nimfodora,
Nur für Lappen, nur für Pelze,
Nur für Hüte, Spitzen, Röcke!«
Doch er erschrak und erinnerte sich jäh:
Er hatte drei Kinder. Sie mußten in schwarzen Samt gekleidet werden; täglich um zehn Uhr vormittags kam ein prächtiger Leichenwagen, und sie fuhren fort, um auf den Friedhof spazieren zu gehen. Alles das kostete viel Geld.
Und Smertjaschkin dichtete mißmutig Vers auf Vers:
»Fetten Leichendunst verbreitet
Auf der ganzen Welt der Tod,
Hält in seinen Klau'n das Leben,
Wie ein Schaf der Aar umkrallt.«
»Weißt du, Stegnyschko,« sagte Nimfodora liebevoll, »ich finde, das ist nicht ganz … Ja, wie soll ich sagen? Wie soll ich das sagen, Masja?«
»Es ist eigentlich nicht wie von dir, Jewstignej,« erklärte Prochartschuk mit Baßstimme und viel Sachkenntnis. »Du bist nun einmal der Dichter der ›Hymnen des Todes‹, – also schreib gefälligst Hymnen! …«
»Das ist eben eine neue Etappe meines Erlebens!« entgegnete Smertjaschkin.
»Ach, Bester, was heißt: Erleben?« redete ihm seine Frau gut zu. »Wir wollen doch nach Jalta reisen, und ausgerechnet jetzt kommst du mit solchen Schrullen!«
Und Prochartschuk mahnte mit Grabesstimme:
»Was hast du versprochen?«
»Beachte bitte: die Worte ›kak owza w‹ (wie ein Schaf) erinnern unwillkürlich an den Namen des Ministers Kokowzow. Das kann als politische Anspielung aufgefaßt werden. Das Publikum ist töricht und Politik ist banal.«
»Also gut, ich will es nicht wieder tun«, sprach Jewstignej. »Ich will es nicht wieder tun! Es ist ja einerlei, das ist ja doch alles Quatsch.«
»Beachte bitte, daß deine Gedichte letzthin nicht nur bei deiner Frau Befremden erregen!« warnte Prochartschuk.
Eines Tages beobachtete Smertjaschkin, wie sein fünfjähriges Töchterchen Lisa im Garten spazierte, und er schrieb:
»Ein kleines Mädel durch den Garten läuft,
Ihr weißes Händchen keck die Blümlein bricht.
Du kleines Mädel, brich die Blümlein nicht,
Die Blümlein sind so lieb und nett wie du!
Du liebes, kleines Mädel! Schwarz und stumm
Schleicht leise hinter dir der Tod einher.
Du bückst zur Erde dich; es hebt der Tod
Die Sense, fletscht die Zähne, lacht und harrt …
Du kleines Mädel tötest Blumen hier,
Zwecklos, als wärest Schwester du dem Tod.
Doch er mit scharfer Sense – ewig scharf! –
Er mordet Kindlein, Kindlein lieb wie du …«
»Aber das sind ja Sentimentalitäten, Jewstignej!« rief Nimfodora empört. »Erbarm' dich, was wird aus dir? Was machst du mit deinem Talent?«
»Ich will nicht mehr!« erklärte Smertjaschkin finster.
»Was willst du nicht?«
»Das alles … Tod, Tod … Ich habe die Sache satt! Das Wort allein ist mir schon widerwärtig!«
»Entschuldige bitte, – aber du bist ein Narr!«
»Meinethalben. Kein Mensch weiß, was eigentlich ein Genie ist. Und ich kann einfach nicht mehr … Zum Teufel mit der ganzen Grabesstimmung und all dem … Ich bin doch schließlich ein Mensch …«
»Ach soo?« machte Nimfodora spöttisch. »Du bist bloß ein Mensch?«
»Ja. Ich liebe alles Lebende …«
»Aber die moderne Kritik hat doch bewiesen, daß ein Dichter sich mit dem Leben, wie überhaupt mit dem Banalen und Trivialen, nicht abgeben darf!«
»Kritik?!« brüllte Smertjaschkin. »Halt's Maul, du schamloses Weib! Ich habe gesehen, wie die moderne Kritik dich da hinter dem Schrank abgeküßt hat.«
»Das war Begeisterung über deine Verse.«
»So? Und daß unsere Kinder rote Haare haben, – kommt das vielleicht auch von der Begeisterung?«
»Was bist du für ein fader Kerl! Das kann sehr wohl ein Resultat rein geistiger Beeinflussung sein.«
Und plötzlich sank sie in einen Sessel und erklärte:
»Ach, ich halt's nicht mehr aus, mit dir zu leben.«
Jewstignejka freute sich; gleichzeitig aber bekam er auch einen Schreck.
»Du hältst es nicht mehr aus?« fragte er voll Hoffnung und Angst. »Und die Kinder?«
»Jeder die Hälfte.«
»Die Hälfte von dreien?!«
Doch sie bestand auf dem Ihren. Dann erschien Prochartschuk. Als er erfuhr, um was es sich handle, wurde er sehr böse und sagte zu Jewstignej:
»Ich hatte gedacht, du wärest ein großer Mensch. Aber du bist weiter nichts als ein winziges Mannsbild.«
Dann suchte er Nimfodoras Hüte zusammen. Während er finster dieser Beschäftigung oblag, sagte sie ihrem Manne die Wahrheit:
»Du bist erledigt, du Jammermensch. Du hast kein Talent mehr, gar nichts … Hörst du, gar nichts!«
Sie schluckte ihre ehrliche Entrüstung hinunter und schloß:
»Du hast überhaupt nie etwas gehabt. Wenn ich nicht gewesen wäre und Prochartschuk, dann hättest du dein ganzes Leben lang Reklamegedichte gemacht, du Spulwurm du! Du Schuft, o du Räuber meiner Jugend und meiner Schönheit …«
In Augenblicken großer Erregung wurde sie immer schönrednerisch.
Sie ging auch wirklich fort und eröffnete bald danach unter Prochartschuks Leitung das »Schönheits-Institut von Madame Gizanne aus Paris. Spezialität: gründliche Beseitigung von Hühneraugen.«
Prochartschuk aber veröffentlichte selbstverständlich einen Schmähartikel – »Düstere Vision« –, in dem er haarscharf darlegte, daß Jewstignej nicht nur kein Talent habe, sondern daß man sogar daran zweifeln dürfe, ob ein Dichter dieses Namens überhaupt existiere. Falls er aber existiere und das Publikum ihn anerkenne, so sei das lediglich Verschulden einer übereilten, unvorsichtigen und überaus leichtfertigen Kritik.
Jewstignej grämte sich eine Zeitlang, dann sah er – der Russe tröstet sich rasch! – daß die Kinder ernährt werden mußten.
Er warf seine ganze Vergangenheit und alle Todespoesie hinter sich und nahm die altgewohnte Tätigkeit wieder auf: er schrieb lustige Anpreisungen für das »Neue Beerdigungs-Institut« und redete dem Publikum gut zu:
»Lange, wonnevoll und heiter
Leben gerne wir auf Erden.
Einmal aber kommt die Parze,
Schneidet ab des Lebens Faden.
Solche Wahrheit wohl erwägend,
Ohne Hast, von allen Seiten,
Offerieren wir Bedienung
Bester Art in Todesfällen.
Alles ist bei uns gar prächtig,
Nichts verschlissen, nichts veraltet.
Liebe Leute, werdet Kunden
Unsres ›Neuen Institutes!‹
Mogilnaja 16«
So kehrten alle wieder auf die ihnen angemessenen Pfade zurück …