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Die beiden Spitzbuben

Es waren einmal zwei Spitzbuben. Einer hatte schwarze Haare, der andere rote; aber beiden ging es schlecht: bei Armen zu stehlen schämten sie sich, und an die Reichen kamen sie nicht heran. So lebten sie dahin, hauptsächlich darauf bedacht, ins Gefängnis zu kommen, um vom Staat verpflegt zu werden.

Bald brachen schlimme Tage an für die beiden Lumpen. Ein neuer Gouverneur, Herr v. Pest, kam in die Stadt, sah sich um und erließ den Befehl:

»Vom heutigen Tage an haben alle Einwohner russischen Glaubens, ohne Unterschied des Geschlechts, Alters und Berufes, ohne Widerrede dem Vaterlande zu dienen.«

Die Kumpane des Schwarzen und des Roten überlegten eine Weile, seufzten und liefen dann auseinander: die einen wurden Spitzel, andere Patrioten, die Geschicktesten beides zugleich. Der Rote und der Schwarze aber blieben allein zurück, ganz vereinsamt und allgemein verachtet. So lebten sie eine Woche lang nach der Reform, bis sich ihnen die Bäuche zusammenzogen. Schließlich hielt es der Rote nicht mehr aus und sagte zu seinem Genossen:

»Wanka, komm, wir wollen auch dem Vaterland dienen!«

Der Schwarze ward verlegen, schlug die Augen nieder und antwortete:

»Ich schäme mich …«

»Wenn schon! Viele, denen es vorher viel besser ging als uns, sind auch darauf eingegangen.«

»Denen drohte aber die Strafkompanie.«

»Laß gut sein! Heutzutage lehren sogar die Dichter: ›Leb' wie du willst, sterben mußt du doch …‹«

Sie stritten lange und konnten sich nicht einigen.

»Nein,« sagte der Schwarze. »Tu es meinethalben; ich bleibe lieber Spitzbube.«

Und er ging weiter seinem Berufe nach. Er stiebitzte einen Wecken beim Bäcker, aber noch bevor er ihn aufessen konnte, wurde er schon gefaßt, durchgehauen und zum Friedensrichter gebracht, der ihm in aller Form staatliche Verpflegung besorgte. Der Schwarze saß zwei Monate, futterte sich ein bißchen auf, kam wieder heraus und besuchte den Roten.

»Nun, wie geht's?«

»Ich diene dem Staate.«

»Was machst du denn?«

»Ich vertilge Kinder.«

Der Schwarze hatte keine Ahnung von Politik und fragte erstaunt:

»Warum denn?«

»Zur Beruhigung des Landes. Es ist Befehl gekommen für alle: Ruhe halten!« erklärte der Rote und schaute verdrießlich drein.

Der Schwarze schüttelte den Kopf und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Bald steckte man ihn wieder zur Verpflegung ins Gefängnis. Die Sache war ganz einfach, und er behielt sein reines Gewissen.

Kaum war er frei, da ging er wieder zu seinem Genossen. Die beiden hatten sich gern.

»Vertilgst du immer noch?«

»Gewiß doch …«

»Tut es dir nicht leid?«

»Ich suche mir immer die skrophulösen aus …«

»Einfach der Reihe nach kannst du es wohl nicht?«

Der Rote sagte gar nichts, er tat nur einen schweren Seufzer und wurde ganz blaß und gelb.

»Wie machst du denn das?«

»Nun, so … Man fängt sie irgendwo, bringt sie zu mir und befiehlt mir, die Wahrheit aus ihnen herauszuholen. Es ist aber nichts aus ihnen herauszulocken, weil sie immer sterben … Ich verstehe es anscheinend nicht …«

»Sag' mal, – wozu tut man das eigentlich?« fragte der Schwarze.

»Das Staatsinteresse verlangt es,« antwortete der Rote. Seine Stimme zitterte, und Tränen standen in seinen Augen.

Der Schwarze überlegte – der Gefährte tat ihm sehr leid –, ob sich nicht ein freier Beruf für ihn finden lasse.

Plötzlich fuhr er auf:

»Hör mal, – hast du dir dabei Geld zusammengestohlen?«

»Natürlich! Schon aus Gewohnheit …«

»Also, dann gib eine Zeitung heraus!«

»Weshalb?«

»Du inserierst Gummiartikel …«

Das gefiel dem Roten. Er schmunzelte.

»Damit keine Kinder mehr kommen?«

»Natürlich! Wozu müssen die erst auf die Welt kommen? Nur um zu leiden?«

»Das ist wahr. Wozu aber die Zeitung?«

»Um dem Geschäft ein Mäntelchen umzuhängen, dummer Kerl!«

»Wenn aber die Mitarbeiter nicht einverstanden sind?«

Der Schwarze pfiff nur laut …

»Noch schöner! Heutzutage bieten sich die Mitarbeiter den Abonnenten lebendig als Prämien an …«

So beschlossen sie also. Der Rote gab eine Zeitung heraus – »unter Mitarbeit der besten literarischen Kräfte« –, eröffnete in der Redaktion eine ständige Ausstellung von Pariser Artikeln und richtete in den Räumen darüber, um den Anstand zu wahren, ein Absteigequartier für vornehmes Publikum ein.

Die Geschäfte gingen gut. Der Rote lebte behaglich und wurde dick, die Obrigkeit war zufrieden mit ihm, und auf seinen Visitenkarten stand zu lesen:

 

Ernst Obenauf

Schriftleiter und Herausgeber der Zeitung » Hier und dort«, Begründer und Direktor der »Süßen Erholung für bei der Bekämpfung von Gesetzmäßigkeiten ermattete Staatsbeamte.« Ebenda Verkauf von Präservativs en gros und en détail.

 

Als der Schwarze das nächstemal aus dem Gefängnis kam, ging er zum Tee zu seinem Freund. Der Rote aber bewirtete ihn mit Champagner und prahlte:

»Ja, mein Lieber, ich wasche mich jetzt sogar nur noch mit Champagner. Tatsächlich!«

Er kniff die Augen zu vor Behagen und sagte gerührt:

»Das ist schön. Du hast mich auf den richtigen Weg gebracht. So etwas ist wirklich Dienst am Vaterland. Alle sind zufrieden.«

Der Schwarze freute sich auch:

»Nun, dann laß es dir gut gehen! Unser Vaterland ist recht anspruchslos.«

Der Rote wurde rührselig und lud den Gefährten ein:

»Wan, komm zu mir als Berichterstatter!«

Der Schwarze lachte:

»Nein, Liebster, ich glaube, ich bin wohl zu konservativ. Ich will lieber Spitzbube bleiben wie bisher …«

Eine Moral hat die Geschichte nicht. Nicht ein Körnchen.


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