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Ein gutmütiger Mensch grübelte und grübelte lange: was sollen wir tun?
Und er faßte den Beschluß:
»Ich werde dem Übel nicht mit Gewalt widerstreben, ich werde es durch Geduld überwinden.«
Er war ein Mensch von Charakter: er faßte den Beschluß, setzte sich hin und duldete.
Aber die Späher des Hegemonen meldeten sofort, als sie das erfahren hatten:
»Einer der unter Aufsicht stehenden Einwohner hat plötzlich angefangen, sich regungslos und stumm zu verhalten, offensichtlich in der Absicht, den Vertreter der Obrigkeit irre zu führen, als sei er überhaupt nicht vorhanden.«
Der Hegemon wurde wütend.
»Was? Wer ist nicht vorhanden? Ich, die Obrigkeit, bin nicht vorhanden? Vorführen!«
Als der Mann vorgeführt war, wurde befohlen:
»Untersuchen!«
Man untersuchte ihn und nahm ihm alles Wertvolle ab: die Taschenuhr, den Verlobungsring aus Dukatengold, – man stocherte ihm auch die Goldplomben aus den Zähnen, nahm ihm die neuen Hosenträger weg, schnitt alle Knöpfe ab und meldete dann:
»Erledigt, Hegemon!«
»Nun, wie ist es? Nichts?«
»Nichts. Alles Überflüssige haben wir ihm abgenommen.«
»Und im Kopf?«
»Im Kopf hat er anscheinend auch nichts.«
»Laßt ihn herein.«
Der Einwohner trat also beim Hegemon ein, und schon an der Art, wie er sich die Hosen hochhielt, erkannte der Hegemon klar, daß er allen Zufällen des Lebens völlig gefaßt entgegen sah. Aber um einen herzerschütternden Eindruck zu machen, brüllte der Hegemon doch grimmig los:
»Aha, bist du da?!«
Der Mann gestand demütig:
»Ja, ich bin ganz da.«
»Was soll das heißen? Wie?«
»Ich tue ja gar nichts, Hegemon! Ich habe lediglich beschlossen, durch Dulden zu siegen …«
Da wurde der Hegemon aber borstig und schrie:
»Schon wieder? Schon wieder siegen?«
»Ich will ja – das Böse …«
»Maul halten!«
»Ich meine ja nicht Sie.«
Das glaubte ihm der Hegemon nicht.
»Nicht mich? Wen denn?«
»Mich selbst.«
Da staunte der Hegemon.
»Wart' mal! Worin besteht das Böse?«
»Darin, daß man sich ihm widersetzt.«
»Red' keinen Unsinn!«
Der Hegemon geriet geradezu in Schweiß.
»Was ist nur mit ihm?« grübelte er und sah ihn an. Er überlegte und fragte:
»Was willst du eigentlich?«
»Gar nichts will ich.«
»Also wirklich gar nichts?«
»Gar nichts! Gestatten Sie mir nur, durch mein persönliches Beispiel das Volk Geduld zu lehren.«
Wieder überlegte der Hegemon und biß sich auf den Schnurrbart. Er hatte eine träumerische Seele, er schwitzte gern genießerisch lallend im Dampfbade und war überhaupt geneigt, stets alle Freuden des Lebens auszukosten. Das einzige, was er durchaus nicht leiden konnte, war Widerstand und Verstocktheit, gegen die er mit erweichenden Mitteln vorging, indem er Knorpel und Knochen der Widersetzlichen in Brei verwandelte. Aber in Stunden, die nicht mit dem Auskosten der Freuden des Lebens und dem Weichmachen der Einwohner besetzt waren, träumte er sehr gern von Weltfrieden und Erlösung der Seele.
Er betrachtete den Bürger und begriff nicht.
»Wie wars noch vor kurzem! Und jetzt plötzlich!«
Dann kamen ihm milde Gefühle und er fragte seufzend:
»Wie ist denn das gekommen mit dir? Was?«
Der Bürger antwortete:
»Evolution ist es! Es hat sich so entwickelt …«
»Hm, ja, mein Lieber. So ist das Leben! Mal so, mal anders. Alles ist unvollkommen … Wir schwanken immer hin und her, aber auf welche Seite wir uns legen sollen, wissen wir nicht, – wir können keine Wahl treffen. Ja, ja …«
Und der Hegemon seufzte noch einmal: er war auch um sein Vaterland besorgt, er lebte doch von ihm! Allerhand gefährliche Gedanken bestürmten ihn.
»Es ist ja sehr angenehm, einen sanften und stillen Bürger zu sehen. Gewiß! Wenn aber plötzlich alle aufhören, Widerstand zu leisten, müssen da nicht auch alle Tagegelder und Reisevergütungen aufhören? Die Gratifikationen können ebenfalls darunter leiden! … Aber nein, das ist ja nicht möglich, daß er so ganz ausgetrocknet ist: er verstellt sich nur, der Gauner! Ich muß ihn auf die Probe stellen. Wie könnte ich ihn wohl verwenden? Als Polizeispitzel? Sein ganzer Gesichtsausdruck ist so verlottert; diese Charakterlosigkeit läßt sich nie maskieren, und mit seiner Redegabe scheint es auch schwach bestellt zu sein. Als Henker? Dazu ist er wohl zu schwächlich …«
Schließlich kam ihm ein Gedanke, und er sagte zu seinen Leuten:
»Steckt den Narren in die dritte Feuerwehrabteilung! Er mag die Pferdeställe ausmisten.«
So geschah es auch. Ohne Murren mistete der Bürger die Pferdeställe aus. Gerührt beobachtete der Hegemon seine arbeitsfrohe Geduld, und in ihm wuchs Vertrauen zu diesem Bürger.
»Wenn alle so wären!«
Nach kurzer Probezeit näherte er ihn seiner Person und Heß ihn eine eigenhändig gefälschte Abrechnung über Verausgabung und Eingang verschiedener Summen abschreiben. Der Bürger schrieb sie stillschweigend ab.
Der Hegemon war völlig gerührt, er vergoß beinahe Tränen.
»Nein, er ist doch ein nützliches Wesen, wenn er auch schreiben kann.«
Er rief den Bürger vor sein Angesicht und sprach:
»Ich vertraue dir. Gehe hin und verkünde deine Lehre! Aber, sieh dich vor!«
Der Bürger wanderte über Märkte und Messen, durch große und kleine Städte und verkündete überall:
»Was tut ihr?«
Und die Menschen sahen: dieser Mann flößte Vertrauen ein und besaß ungewöhnliche Sanftmut. Sie beichteten ihm, jeder, wessen er sich schuldig fühlte, und enthüllten ihm selbst ihre geheimsten Träume: einer wollte gern straflos stehlen, ein anderer lieber betrügen, ein dritter einen Mitmenschen verleumden. Und sie allesamt – als wahre Russen – wollten möglichst allen Anforderungen des Lebens aus dem Wege gehen und aller Pflichten ledig sein.
Er sprach zu ihnen:
»Laßt das lieber alles! Denn es ist gesagt: ›Jedes Dasein ist Leiden, aber zum Leiden wird es nur durch Wünsche und Begierden. Folglich, um das Leiden zu vernichten, muß man die Begierden vernichten.‹ So ist es. Wir müssen aufhören zu wünschen, und alles wird sich selbst vernichten. Glaubt mir!«
Die Menschen freuten sich natürlich: das war so richtig und einfach. Jeder legte sich lang da hin, wo er gerade stand. Es wurde frei und still im Lande …
Über kurz oder lang fand der Hegemon, es sei doch allzu ruhig um ihn her, beinahe unheimlich. Aber er redete sich noch Mut ein.
»Sie verstellen sich nur, die Halunken!«
Nur die Insekten verrichteten weiter ihre natürlichen Pflichten; sie vermehrten sich in ganz unnatürlicher Weise und wurden immer frecher in ihrem Tun.
»Alles ist so stumm!« dachte der Hegemon, bog und krümmte sich und kratzte sich überall.
Dann rief er einen diensttuenden Kavalier von den Bürgern der Stadt.
»Hier – befreie mich von den lästigen …«
Der aber antwortete:
»Ich kann nicht.«
»Wa–as?«
»Ich kann es tatsächlich nicht. Wenn sie auch sehr lästig sind, – aber sie sind doch lebende Wesen, und …«
»Ich werde gleich einen Toten aus dir machen!«
»Wie Sie wollen …«
Und so war es mit allem. Alle sprachen einmütig: »Wie Sie wollen« –, aber wenn er befahl, seinen Willen auszuführen, gab es tödliche Verdrossenheit. Des Hegemonen Palast zerfiel; Ratten bevölkerten ihn, fraßen alle Akten auf, vergifteten sich daran und verreckten. Der Hegemon versank immer mehr in »Nichtstun«, – er lag nur auf dem Diwan herum und träumte von der Vergangenheit. Schön war das Leben damals! Die Bürger widersetzten sich verschiedenartig den behördlichen Verfügungen; manche mußte man mit dem Tode strafen, und es gab dann Gedenkfeiern mit Plinsen und anderer guter Bewirtung! Ein andermal versuchte ein Bürger etwas zu unternehmen: man mußte hinfahren, um es zu verbieten, und es setzte Reisegelder! Man meldete an zuständiger Stelle, »in dem mir anvertrauten Bezirk sind alle Einwohner ausgerottet«, – dann gab es Gratifikationen und es wurden neue Einwohner geschickt! …
So träumte der Hegemon von der Vergangenheit. Aber seine Nachbarn, die Hegemone anderer Völker, lebten weiter so, wie sie immer gelebt hatten. Ihre Bürger widersetzten sich einander, so gut jeder konnte, und wo es angebracht war; bei ihnen gab es Lärm, Tumult und Bewegung aller Art, aber trotzdem geschah ihnen nichts: alles schlug immer zum Guten aus und, überhaupt, das Leben war interessant bei ihnen.
Plötzlich begriff der Hegemon:
»Alle Heiligen! Der Mensch hat mich ja ganz schändlich hineingelegt!«
Er sprang auf, lief im Lande umher, puffte und knuffte alle Leute, zauste sie an den Haaren und befahl:
»Aufstehen! Wacht auf! Hoch mit euch!«
Jetzt war ihm alles gleich …
Er packte sie am Kragen, – aber ihre Kragen waren verfault und hielten nicht mehr.
»Teufel!« schrie der Hegemon in höchster Unruhe. »Was tut ihr? Seht eure Nachbarn an. Da, – sogar China …«
Die Bürger rührten sich nicht und blieben stumm auf der Erde liegen.
»Herrgott!« grämte sich der Hegemon. »Was soll ich nur tun?«
Dann versuchte er es mit List. Er beugte sich zu einem Bürger nieder und flüsterte ihm ins Ohr:
»He, Bürger! Das Vaterland ist in Gefahr! Wirklich, also ich schwöre es dir, – in ernstester Gefahr! Steh auf, – wir müssen uns widersetzen … Es heißt, jede eigene Betätigung soll jetzt gestattet werden … Bürger!«
Aber der Bürger war schon am Vermodern und knurrte nur:
»Mein Va–va–Vaterland ist in Gott.«
Andere blieben ganz stumm, wie beleidigte Tote …
»Verdammte Fatalisten!« schrie der Hegemon ganz verzweifelt. »Steht auf! Jeder Widerstand ist jetzt erlaubt …«
Einer, der früher ein großer Spaßvogel und Maulheld gewesen war, richtete sich ein wenig auf, sah ihn an und sprach:
»Widerstand? Gegen was? Es ist ja gar nichts mehr da …«
»Aber das Ungeziefer …«
»Daran haben wir uns schon gewöhnt!«
Des Hegemonen Geist wurde jetzt endgültig irre. Er trat in die Mitte seines Landes und brüllte, mit Entsetzen in der Stimme:
»Ich gestatte alles, liebe Leute! Rettet euch! Tut etwas! Alles gestatte ich! Freßt euch meinethalben gegenseitig!«
Stille und selige Ruhe ringsum …
Da begriff der Hegemon, daß alles aus war!
Er schluchzte laut auf, vergoß heiße Tränen, raufte sich die Haare und rief:
»O Mitbürger! Liebe Leute! Was soll ich denn tun? Etwa selbst Revolution machen? Besinnt euch! Es ist doch historische Notwendigkeit, nationales Erfordernis … Ich kann doch nicht selbst und ganz allein Revolutionmachen! Ich habe ja nicht einmal mehr die nötige Polizei dazu, – das Ungeziefer hat sie aufgefressen …«
Aber die plinkten nur mit den Augen. Sie hätten sich pfählen lassen, ohne zu piepsen.
So starben sie alle still und stumm, – als letzter der verzweifelte Hegemon.
Woraus folgt, daß auch im Dulden gewisse Grenzen innegehalten werden müssen.