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Die Aufregung in Caracas nach dieser Niederlage war unbeschreiblich, und man schien nichts anderes zu erwarten, als daß die »Rebellen« jetzt ohne weiteres die Stadt stürmen und nehmen würden. Alle Läden und selbst die Häuser wurden geschlossen, und auf der Plaza und vor dem Regierungsgebäude die Kanonen aufgefahren. Nichts als Signale wurden gehört – keine Militärmusik mehr, die Offiziere standen in Gruppen zusammen, Bruzual hatte die Minister zu einer Konferenz einberufen, und das Oberkommando schien vollkommen den Kopf verloren zu haben.
Wäre jetzt Mig. Ant. Rojas mit den Seinen bei der Hand gewesen, er würde mit wenig Arbeit in die Stadt eingedrungen sein, so aber verpaßten die Blauen den günstigen Augenblick, und als die Nacht einbrach und ausgesandte Kundschafter meldeten, es sei in der Nähe der Hauptstadt und bis Chacao hin kein Feind mehr sichtbar, beruhigte Falcons Partei sich wieder und konnte neue Kräfte sammeln.
Ein schwerer Schlag für die Regierung blieb es aber doch, denn wie hatte man bis jetzt geprahlt, das »Rebellenvolk« über die Achseln angesehen und sich über die Namen der Reconquistadores lustig gemacht, und jetzt jagten diese »Banden«, von denen man behauptete, daß sie nur mit Messern und Lanzen bewaffnet wären, gerade den General, auf den man in der Armee das größte Vertrauen setzte, und der fast den dritten Teil des ganzen Heeres draußen gehabt hatte, dermaßen in die Flucht, daß er kaum mit fünfhundert Mann nach Caracas zurückkehrte, um die Schmach seiner Niederlage zu erzählen.
Colina war in einer Stimmung, um Brunnen vergiften zu können. Er hatte mitten im Kampf den Neger Samuel erkannt, auf den er schon seiner riesigen Körperstärke und seines persönlichen Mutes wegen große Hoffnungen gebaut hatte, und war jetzt außer sich, daß er den, wie er meinte, »durch die Dummheit Bruzuals« nun unter den Gegnern wußte. Er hatte auch eine heftige Szene mit dem Kriegsminister, aber es war jetzt eine schlechte Zeit zum Streiten im Lager, und Bruzual gab nach, um den jähzornigen Neger nicht noch mehr zu reizen.
Aber von anderer Seite traf noch vor Sonnenuntergang böse Kunde ein. Im alten Schloß, einer prachtvollen Ruine noch aus der alten spanischen Zeit her, die im Osten von Caracas und nicht weit entfernt vom Fuß der 8000 Fuß hohen Silla lag, hatten sich die Blauen ebenfalls festgesetzt und erwarteten dort Monagas, der mit seinem Heer zu Lande von Barcelona kam, während Mig. Ant. Rojas vom Westen her, von der Lagune von Valencia fast stündlich erwartet wurde. Es war jetzt keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die bis dahin so verachteten Rebellen wie die Pilze aus der Erde wuchsen, und nach der Probe, die sie heute abgelegt hatten, durfte ihre Gefährlichkeit nicht mehr unterschätzt werden.
Der Kriegsminister Bruzual wurde zu Falcon beschieden und fand den Präsidenten nicht in seiner Hängematte, sondern in großer Aufregung in dem luftigen Gemach hin und her gehen.
»Exzellenz haben befohlen.«
»Lieber Bruzual,« sagte Falcon, sich rasch wendend und auf ihn zukommend – »diese Herren Reconquistadores, wie sie sich zu nennen belieben, werden übermütig, und es scheint an der Zeit, ihnen einmal eine tüchtige Lektion zu geben.«
»Ich habe Exzellenz immer gewarnt. Wir ließen ihnen zu lange Zeit sich zu sammeln, und unsere Kräfte sind zersplittert. Was nützen uns die Divisionen jetzt, die wir in San Fernando und Calabozo liegen haben? Sobald wir den Kampf hier entschieden, mußten sich die kleinen Städte doch dem fügen, ob sie eine Garnison hatten oder nicht.«
»Und wäre es nicht möglich sie noch herbeizuziehen?«
Bruzual schüttelte mit dem Kopf. »Jetzt ist es zu spät; sie sind völlig abgeschnitten, und denken Sie nur, welche Zeit wir gebrauchten um einen Boten hin und die Soldaten durch das überall ausgesogene und vom Feinde jetzt besetzte Land hierherzubringen. Die Hälfte wenigstens würde zu den Rebellen übergehen und sie nur noch verstärken – den günstigen Fall angenommen, daß wir die andere Hälfte hierherbekämen.«
»Caracho!« murmelte der Präsident leise zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch – »und ist da gar nichts zu machen.«
»Was in diesem Falle getan werden konnte, ist geschehen,« sagte Bruzual. »Ich habe Order an die verschiedenen umliegenden Garnisonen in Victoria, Villa de Cura und Los Teques geschickt, sich augenblicklich zusammen und hierherzuziehen, denn wir dürfen sie nicht länger der Gefahr aussetzen, dort abgeschnitten zu werden: ich begreife eigentlich kaum, daß es noch nicht geschehen ist. Dadurch verstärken wir unsere Kräfte hier und können gesicherter auftreten, und dann –«
»Nun?« fragte Falcon, als er schwieg.
»Habe ich noch eine Hoffnung, Exzellenz.«
»Welche?« rief Falcon rasch.
»Rojas,« erwiderte Bruzual.
»Sie meinen Pedro Manuel – aber der steht ja in San Fernando! Glauben Sie, daß er unterwegs ist?«
»Ich meine Miguel Antonio.«
»Den General en chef der Reconquistadoren?«
»Den Rebellengeneral selber.«
»Und wieviel glauben Sie, daß er kosten könnte?« fragte Falcon und sah Bruzual scharf an. Dieser zuckte die Achseln.
»Ich glaube nicht, daß es mit Geld allein abzumachen wäre. Rojas ist sehr ehrgeizig – ich kenne ihn genau. Nur die Aussicht hat ihn in das Lager der Feinde getrieben, dort eine sehr bedeutende Rolle zu spielen, aber jetzt kommt ihm Monagas in die Quere und droht nicht allein den Ruhm, sondern auch den Gewinn an sich zu reißen, und ich weiß, daß Rojas jetzt schon schwankt.«
»Sie wissen es? Von wem?«
»Einer von Bermudas Brüdern ist Adjutant bei ihm, es gelang ihm neulich, einen Brief herein zu senden.«
»Aber Monagas hat er doch nicht zu fürchten. Es ist zu unsinnig, zu glauben, daß sich nach alle dem Vorgefallenen das Volk wieder zu ihm wenden könne.«
»Exzellenz, Monagas hat einen Namen, und solch ein Mann wird jetzt überall notwendig gesucht. Ob er einen guten oder schlechten hat, bleibt sich vollkommen gleich – er hat einen Namen, das ist die Hauptsache. Ein jeder kennt ihn und weiß auch, daß er sonst ein energischer und tüchtiger Kopf ist, und was er früher getan, lieber Gott, darüber ist Gras gewachsen. Haben wir denn nicht ähnliche Beispiele genug in den verschiedenen Republiken aufzuweisen?«
»Aber welchen Nutzen kann uns Rojas' einzelne Person bringen?«
»Der einzelne Mann wohl nur sehr wenig – der wäre keinenfalls den Kaufpreis wert, aber er hat vielen Einfluß unter seinen Leuten und ist außerordentlich beliebt. Brächten wir ihn mit seiner Abteilung zu uns herüber und gegen Monagas, so wäre in dem Augenblick kein Preis zu hoch, um das zu ermöglichen.«
»Und wie wollen Sie sich mit ihm in Verbindung setzen?«
»Ich habe einen zuverlässigen Mann,« erwiderte Bruzual, »aber es wäre dann kein Augenblick Zeit zu versäumen. Er müßte noch in dieser Nacht, vielleicht noch in dieser Stunde zu ihm aufbrechen.«
»An die Lagune?«
»Er braucht nicht so weit zu gehen, ich habe vor einer Stunde Nachricht bekommen, daß Rojas in Los Teques lag und jetzt wahrscheinlich schon auf dem Marsch hierher, jedenfalls aber noch in dieser Nacht zu erreichen ist.«
»Und wen wollen Sie schicken?«
»Ich bitte, daß Exzellenz das mir überlassen und mich nicht weiter nach der Person fragen. Ich gehe ganz sicher, Sie können sich fest auf mich verlassen.«
»Gut, gut,« entgegnete Falcon nach einer Pause, in der er still und nachdenkend vor sich niedergesehen hatte. »Ich verlasse mich ganz auf Sie; ich muß mich auf Sie verlassen, da wahrscheinlich schon von morgen oder übermorgen an überhaupt alles in Ihren Händen liegt.«
»Exzellenz wollen fort?« rief Bruzual rasch und erschrocken, »jetzt, in dieser Zeit?«
»Fort – nein,« sagte der Präsident und wandte sich halb ab – »fort kann man es doch nicht gut nennen, denn ich will mich selber an die Spitze der Armee stellen, und hoffe dann das Gesindel zu Paaren zu treiben. Sie haben recht, Bruzual, das Volk verlangt einen Namen, besonders die Soldaten, und wenn der Präsident an ihrer Spitze steht, so folgen sie ihm mit weit mehr Begeisterung, als einem gewöhnlichen General. Das wäre heute nicht vorgefallen, wenn ich selber hätte dabei sein können, und ich weiß wirklich nicht, was ich von Colina denken soll. Es ist zu unglaublich und kommt mir oft manchmal so vor, als ob es gar nicht möglich sein könne, daß ihn ein Haufen Rebellen mit fast dem dritten Teil unseres ganzen Heeres in die Flucht gejagt und bis nach Caracas hineingetrieben hätte.«
Bruzual hatte ihn, während er sprach, still und schweigend betrachtet, er erwiderte auch jetzt nichts, und es entstand eine lange Pause, die Falcon zuletzt peinlich wurde – »ich glaube doch, daß unsere Geschäfte soweit alle geordnet sind. Das Ministerium hat Sie zum Designado erwählt.«
»Exzellenz, wir haben keinen Centabo Geld in der Kasse. Die Soldaten wissen nicht einmal mehr, was es heißt, Löhnung zu bekommen, und fangen an zu murren. Selbst die Vorräte in der Stadt werden knapp werden, wenn wir längere Zeit von den Feinden eingeschlossen bleiben.«
»Caramba, deshalb gehe ich ja gerade hinaus, um uns Luft zu machen!« rief Falcon. »Geld kann ich Ihnen jetzt nicht schaffen, aber der Telegraph meldete heute wieder zwei Schiffe in Sicht. Sistieren Sie alle Zahlungen an der Douane und – machen Sie meinetwegen, was Sie – für das beste halten. Sie haben ja unbeschränkte Vollmacht.«
»Aber wenn Exzellenz nur so kurze Zeit ausbleiben und sich vielleicht nicht einmal von Caracas entfernen –« sagte Bruzual.
»Das wollen wir nicht hoffen!« rief Falcon. »Wenn Sie wirklich meinen, daß Monagas der gefährlichste Gegner ist, so rücken wir ihm zuerst auf den Leib, und wenn wir ihn bis nach Barcelona und weiter jagen sollten. Halten Sie mir nur unterdessen den Rücken frei von Rojas. Für das andere lassen Sie mich sorgen. Munition haben wir doch genug?«
»Reichlich genug.«
»Schön, lieber Bruzual,« sagte Falcon, mit der Hand winkend. »Morgen früh sehe ich Sie jedenfalls noch. Zuerst müssen wir nur erst einmal das Gesindel aus dem alten Schloß hinausjagen. Schade, daß sich das steinerne Nest nicht in Brand stecken läßt, ich habe es schon immer wollen abreißen lassen, denn in allen Revolutionen hat es den Rebellen zum Schlupfwinkel gedient.«
»Also ich habe ausgedehnte Vollmacht mit Rojas zu unterhandeln. Wie?«
»Jede die Sie gebrauchen. Fertigen Sie mir das Schriftstück aus, daß ich es noch unterzeichnen kann – und selbst das ist nicht einmal nötig,« setzte er hinzu, »denn als Designado können Sie das nachher ebensogut tun.«
Bruzual verließ das Zimmer, und Falcon, dem der Boden schon unter den Füßen gebrannt hatte, ging rasch in sein anderes Gemach, um dort das Packen einer Anzahl von Koffern, das er selber und ganz allein besorgte, zu beenden.
In Gonzales' Haus und der sonst so glücklich zusammenlebenden Familie herrschte heute tiefe Trauer. Der alte Herr saß in seinem breiten Rohrlehnstuhl, die Arme auf der Brust gefaltet, und sah still und in tiefem Nachdenken vor sich nieder – die Mutter und Beatriz hatten verweinte Augen, die Kinder selbst standen scheu und gedrückt umher, und José ging mit erregtem Antlitz, aber blitzenden Augen und raschen Schritten vorn auf der Veranda des Hofes auf und ab. Keiner von allen sprach auch ein Wort, es war, als ob sich jeder fürchte, das kaum fallengelassene Gespräch wieder aufzunehmen.
Die alte Großmutter hatte still in der Ecke gesessen und zu dem allen, was die übrigen miteinander sprachen, kein Wort gesagt, jetzt nahm sie mit ihrer weichen und wohlklingenden Stimme das Wort:
»Der José hat recht! Er kann nicht anders, und wenn ich an seiner Stelle wäre, tat ich das nämliche.«
»Großmutter!« rief die Mutter erschreckt auffahrend, »und du redest ihm auch noch zu?«
»Weil es meine feste Überzeugung ist,« erwiderte die alte Frau. »Wenn sie alle so handelten wie er, brauchte es gar keinen Krieg, denn die Überzahl erdrückte die Gegner; aber auch schon die einzelnen können durch ihr Beispiel wirken, und der Zustand jetzt muß ja doch einmal ein Ende nehmen. Laß ihn ziehen, Pedro, er ist jung und kräftig und hat einen klaren Kopf. Solche Leute brauchen sie draußen, und der liebe Gott wird ihn schon schützen.«
»Und muß ich dann nicht fürchten, daß jede Kugel, die von hier aus abgefeuert wird,« sagte der alte Gonzales düster, »das Herz des einzigen Sohnes trifft? Für wen hab' ich denn mein ganzes Leben lang geschafft und gearbeitet und geduldig ausgehalten in allen Schicksalen?«
»Es geht nicht anders, Vater,« drängte aber auch José. »Sieh, ich hielte es wahrhaftig hier nicht aus und müßte mich ja vor den Freunden schämen – Eloi Castilia ist auch seines Vaters einziger Sohn, und ich weiß, daß er jetzt draußen steht unter unseren Freunden. Teja, ein Fremder in unserem Lande, kämpft für dessen Freiheit, und ich sollte hier feige sitzen und die Hände in den Schoß legen? Ich könnte den Kopf im Leben nicht wieder hoch tragen. Und habt auch keine Furcht,« setzte er lebhaft hinzu, wie der alte Mann recht aus tiefster Brust aufseufzte, »alle Kugeln treffen nicht, und leichtsinnig setz' ich mich gewiß der Gefahr nicht aus. Ich gehe zu Rojas' Division, wo ich Eloi und Teja finde. Hierra geht auch mit und eine ganze Zahl von uns.«
»Und wie wollt Ihr nur aus der Stadt kommen?« fragte die Mutter. »Alle Ausgänge sind mit Bewaffneten besetzt, und sie schießen auf jeden, der ihnen nicht Rede steht.«
»Mache dir deshalb keine Sorge, Mütterchen, unseren Plan dazu haben wir schon entworfen. Wir nehmen die ganze Wache mit.«
»Aber José!« rief die Mutter erschreckt aus.
Die Großmutter kam auf den Enkel zu; ein freundliches, fast schelmisches Lächeln lag auf ihren guten Zügen; sie hielt etwas in der Hand, das sie noch versteckt hatte. Jetzt öffnete sie die Finger – es war die blaue Kokarde, die sie ihm einst heimlich abgetrennt.
»Da, José,« sagte sie, »jetzt hast du deine Kokarde wieder und darfst sie getrost an den Hut heften, wenn du erst draußen aus der Stadt bist, nämlich – früher war es nichts als eine gefährliche Spielerei, die keinen Zweck hatte – jetzt magst du sie tragen für dein Vaterland – und Gott geleite und schütze dich,« setzte sie hinzu, als sie ihm die Lippen zu einem Kuß bot.
»Meine liebe, liebe Großmama,« rief José, indem er sie in die Arme nahm und küßte – »wie herzlich dank' ich dir für dein Fürwort.«
»Ja, weil du deinen Willen dadurch bekommst,« meinte die alte Frau; »aber es kann nichts helfen, Pedro, mach' ihm das Herz nicht länger schwer. Caramba, Mann, wenn wir Frauen uns nicht einmal fürchten, was willst du denn sagen? Und wenn ich jung und ein Mann wäre, ich schnallte selber einen Säbel um, und zöge mit hinaus.«
Das kam den Kindern so unendlich komisch vor, daß sie hell auflachen mußten.
»Großmutter will einen Säbel umschnallen – Großmutter will einen Säbel umschnallen!«
»Still, Ihr Rangen,« rief aber die alte Frau in gutmütigem Zorn, »schreit nicht so laut, daß es die Leute auf der Straße hören, sonst werde ich am Ende auch noch als Reconquistadora eingesteckt.«
Das herzliche Lachen der Kinder, die rasch genug merkten, daß Großmutter nicht wirklich böse war, sondern nur so tat, brachte einen anderen Ton in den Familienkreis. Selbst die Mutter lächelte und auch Beatriz sagte herzlich:
»Laß ihn ziehen, Vater – er würde sich hier ja doch nur unglücklich fühlen und dir später vielleicht die bittersten Vorwürfe machen. Wer weiß denn auch, ob es noch wirklich zu einem Kampf kommt, denn rückt Monagas mit so vielen tausend Mann von Barcelona herüber, dann muß ja Falcon der Übermacht weichen.«
»Nun denn in Gottes Namen,« sagte Gonzales, von seinem Stuhl aufstehend, und José sprang auf ihn zu und preßte seine Hand, – »tu, was du nicht lassen kannst. Ich habe meine Schuldigkeit getan und mir später wenigstens keine Vorwürfe zu machen. Wann willst du fort?«
»Noch in dieser Nacht, Vater, es ist schon alles bereit; unser Sammelplatz ist draußen nach dem Kalvarienberge zu, nicht so weit von dort, wo schon gestern abend eine starke Patrouille lag.«
»Eine Patrouille? Es waren dreißig Mann.«
»Wenn auch – unsere Waffen sind ebenfalls dort schon einzeln hingeschafft.«
»Und dann kommst du noch und fragst mich um Erlaubnis?«
»Lieber Vater –«
»Also weiter – und was dann?« –
»Nun, das andere müssen wir dem Zufall überlassen. Vielleicht geht es, daß wir durch die Gärten unbemerkt hinauskommen – vielleicht ist die Patrouille auch heute nicht so stark, oder der Offizier läßt sich gewinnen. Jedenfalls sind wir entschlossen durchzubrechen, und wenn es mit Gewalt wäre.«
»Wieviel seid Ihr?«
»Fest zusammen schon fünfundzwanzig Mann, aber ich glaube, daß sich unsere Truppe heute nacht noch bedeutend vergrößern wird.«
»Und wer ist der Führer?«
»Ich selber.«
Der Vater schüttelte mit dem Kopf, aber er sagte kein Wort mehr, sondern ging nur an seinen Geldschrank, den er im Hause stehen hatte, schloß ihn auf, nahm eine Handvoll Unzen heraus und gab sie seinem Sohn.
»Da,« sagte er, »das sind die Waffen, die ich dir mitgeben kann. Ihr sollt von den armen Leuten da draußen nichts erpressen, sondern ihnen alles bezahlen. Sie haben schon ohnedies genug gelitten. Um wieviel Uhr versammelt ihr euch?«
»Um elf Uhr, so daß wir um Mitternacht bereit sind, und tausend Dank, Vater – du hast nie in deinem Leben ein paar Dutzend Unzen besser angelegt, denn wir bringen dir wieder Ruhe, Frieden und Vertrauen in das Land.«
»Das wollen wir abwarten,« sagte der Kaufmann, indem er seinen Geldschrank wieder zuschloß. »Bis jetzt halt' ich es noch immer für ein schlechtes Geschäft.«
In Caracas ging es an dem Abend bunt genug zu, doch wenn auch die Leute in der ersten Bestürzung ihre Läden und Häuser selbst geschlossen hatten, so verscheuchte die einbrechende Nacht – wenigstens für heute – ihre Befürchtungen. In der Dunkelheit griffen die Blauen die Stadt nicht an, so viel war sicher, und da es alle drängte, sich miteinander auszusprechen, so öffneten sich auch bald wieder die Privathäuser, und wo sich Bekannte auf der Straße trafen, blieben sie in Gruppen beisammen stehen, um über die Tagesereignisse ihre Meinung auszutauschen.
Verschiedene Meinungen gab es aber fast gar nicht unter allen, die sich dort begegneten. Man drückte sich im Jubel die Hände und flüsterte sich seine Hoffnungen in die Ohren; doch nur das junge, leichtsinnige Volk gab sich diesen Gefühlen offen hin. Die älteren Herren wußten dagegen aus Erfahrung, wie schwankend in den Revolutionen solche Erfolge sind, und hüteten sich wohl, sich vor der Zeit nach irgend einer Seite hin zu kompromittieren. Quien sabe – man konnte eben nicht wissen.
José mußte noch mit einigen seiner Freunde Verabredungen treffen und schritt dem Sammelpunkt zu, wo sie ausgemacht hatten sich zu treffen; aber das Herz war ihm doch recht schwer – freilich nicht des bevorstehenden Kampfes wegen, auf den er sich vielmehr freute, denn er wußte ja, daß ihnen der Sieg werden mußte. Es konnte vielleicht noch einige Zeit dauern – es kostete auch möglicherweise Blut – viel Blut. Aber in diesem Alter kennen wir den Wert des Lebens noch nicht und wissen es nicht zu schätzen. Wir haben da nur für uns selber zu sorgen, und daß andere ihre ganze Lebenszeit darauf verwandten, um uns so weit zu bringen, fällt uns selten ein.
Aber etwas anderes ging ihm durch Herz und Kopf – Isabel. – Wie hatte er das Mädchen geliebt, wie seine ganze Seligkeit nur in ihrem Besitz geträumt – und jetzt war das alles vorbei und lag nur wie ein schöner, aber auch zugleich unheimlicher Traum hinter ihm. – Doch wenn er ihr nun Unrecht getan hätte? Wenn er nur allein auf einen Verdacht hin gehandelt und dadurch vielleicht mutwillig sein ganzes Lebensglück untergraben hätte? – Hierra wußte sich von ihr geliebt; – aber sprach selber das so ganz entschieden und unabweisbar gegen sie? – Ein böses, schmerzliches Beispiel fiel ihm aus seiner eigenen Familie ein. – Eine Kusine von ihm sah sich von ihrem Verlobten verlassen; nur ein Mißverständnis, das sich später aufklärte, hatte sie für den Augenblick von dem Geliebten getrennt; aus gekränkter Eitelkeit aber, denn sie wußte sich unschuldig, reichte sie einem anderen Manne, der sich zu gleicher Zeit um sie bewarb, die Hand und wurde unglücklich ihr ganzes Leben lang. – Und Isabel? – Ein schmerzliches Gefühl erfaßte ihn, wenn er sich dachte, daß er jetzt, daß er so von ihr scheiden sollte, und fast unwillkürlich lenkten sich seine Schritte dem Hause zu, in dem sie wohnte.
Wegen der Sennora Corona hatte er keinen Zweifel mehr, daß sie falsch sei und allein ihre eigennützigen und verächtlichen Ziele verfolge; aber war es auch nur wahrscheinlich, daß sie das junge, unschuldige Mädchen in solche Intriguen eingeweiht hatte? daß sie hätte hoffen dürfen, bei ihr Hilfe und Unterstützung zu finden? Er war zu hastig, zu ungerecht gegen Isabel gewesen und hatte vielleicht sein eigenes Glück von sich gestoßen. – Aber dann wieder das Haus, das Falcon dort erstanden hatte, wo er so oft verkehrte? – Konnte das nicht ein Zufall sein, ein Zufall, den das Mißtrauen von Menschen, die ihm überhaupt nicht wohlwollten, ausgebeutet hatte, um die schlimmsten Folgerungen daraus zu ziehen? Und zeugte das von Liebe, treuer, vertrauensvoller Liebe zu dem Mädchen seiner Wahl, daß er sie sogleich, nur auf den ersten unbestimmten Verdacht hin, ja, ohne einen einzigen Beweis ihrer wirklichen Schuld, völlig aufgegeben und verlassen hatte?
Von diesen Selbstvorwürfen gequält, schritt er langsam die Straße hinab, unschlüssig, was er tun, wie er handeln könne, und ob überhaupt noch ein Schritt in dieser Sache möglich sei, – schon des Freundes wegen.
Da, als er so ganz in die eigenen Gedanken vertieft seinen Weg verfolgte, überholte ihn Hierra, mit dem er sich im Geist die ganze Zeit beschäftigt hatte. Aber der Freund war fröhlich und guter Dinge, und ihm die Hand auf die Schulter legend, sagte er freundlich:
»Gehst du mit zur Versammlung, José? Es wird bald Zeit werden.«
»Ich war auf dem Wege dahin, aber eine Menge Dinge gingen mir dabei im Kopf herum.«
»Du bist doch nicht unschlüssig geworden?« rief Sierra rasch.
»Unschlüssig? Wahrhaftig nicht, und ich wollte nur, wir stünden erst dem Feind gegenüber – ich habe felsenfestes Vertrauen auf unseren Sieg.«
»Und was sonst bedrückt dich, du siehst so niedergeschlagen aus? Mir ist so leicht und froh ums Herz, daß ich meine Lust lauter hinausjubeln möchte in die Welt.«
José seufzte tief auf. »Du bist glücklich in deiner Liebe?« sagte er endlich leise, ohne aber den Freund dabei anzusehen.
»Selig!« rief dieser, indem seinen Arm in den Josés legte.
»Und sie wird erwidert?«
»Isabel ist ein Engel!« rief Hierra, und setzte lachend hinzu: »wie aber kein Ding vollkommen ist auf der Welt, so muß ich dir gestehen, daß mir die Schwiegermutter weniger gefällt.«
»Hast du sie auf die Probe gestellt, wie ich dir riet?« rief José rasch.
»Das habe ich allerdings nicht,« meinte der junge Mann, »denn wenn ich dort war, hatte ich wichtigere Dinge zu tun, als mich mit politischen Fragen zu beschäftigen, die ja nur das Schwert lösen kann.«
»Und Isabel hat nicht mit dir von Politik gesprochen?«
»Das arme Herz hört ja schon den ganzen Tag nichts weiter von der Alten als Politik,« sagte Hierra.
»Und ist eure Verbindung schon auf eine bestimmte Zeit festgesetzt?«
»Nach Beendigung der Revolution,« lautete die Antwort; »jetzt können wir natürlich an etwas derartiges nicht denken, und dann ist auch ein unangenehmer Zwischenfall eingetreten, den ich vorher erst wieder ausgleichen muß.«
»Darf ich ihn wissen?«
»Weshalb nicht, ich habe kein Geheimnis vor dir. – Meine Mutter und die Sennora Corona müssen sich durch irgend etwas, Gott weiß was, überworfen haben. Sie besuchen einander nicht mehr und Mutter hat sogar von mir verlangt, ich sollte das Haus nicht wieder betreten. Merkwürdig dabei, sie warnt mich ebenfalls davor, mit der Sennora über Politik zu reden, wenn ich sie zufällig träfe.«
»Und weiß deine Mutter von deiner Liebe?«
»Gewiß, und wie sie jetzt aufgeregt und ärgerlich ist, schwört sie, daß sie mir nie ihre Einwilligung geben werde: aber ich kenne meine Mutter. Sie beruhigt sich rasch wieder, und dann,« setzte er halb trotzig hinzu, »bin ich schon seit vierzehn Tagen majorenn.«
»Du könntest Isabel nicht wieder aufgeben?« fragte José leise.
»Eher mein Leben!« rief Hierra rasch; »wenn du wüßtest, José, wie alle meine Gedanken von ihr erfüllt sind, wie sie mit jeder Faser meines Herzens verwachsen ist, wie sie meine Träume belebt und sich selbst in mein Gebet schleicht, du würdest die Frage wahrlich nicht an mich richten. Sieh, ich habe bis jetzt eine Art träumerisches Leben geführt, ich bin ja auch noch jung, – von dem Augenblick aber, wo ich dieses Mädchen zum ersten Male sah, war es, als ob ein ganz anderer Geist über mich gekommen, als ob ich erst von da an gelernt hätte, was das Leben sei, was es biete, wie es lohne. – Anfangs freilich, und fast noch bis vor kurzer Zeit, sah ich zu ihr fast wie zu einer Heiligen empor, wagte kaum mich ihr zu nahen und beneidete nur dich, dem so manches freundliche Lächeln von ihrer Lippe galt – und trotzdem mißgönnte ich dir dein Glück nicht. Aber die Leidenschaft wuchs, als ich plötzlich fand, daß du das Haus miedest, so daß mich sogar die Sennora nach dir fragte und wissen wollte, wo du wärest, da du wochenlang ihre Schwelle nicht betreten; da keimten neue Hoffnungen in mir empor. Du konntest sie nicht lieben oder Gegenliebe gefunden haben, oder du hättest dich nicht so von diesem Engel losreißen können. Von da an näherte ich mich ihr mehr und – wurde nicht zurückgewiesen, wie ich es anfangs immer gefürchtet. – Jetzt habe ich den Beweis ihrer Liebe, ihr ausgesprochenes Wort, und wie selig es mich gemacht hat, José, brauche ich dir nicht zu sagen.«
»Und suchst du sie noch einmal auf, ehe wir hinausgehen?«
»Gewiß. Glaubst du, daß ich ohne Abschied von ihr scheiden möchte, wo wir einem vielleicht erbitterten Kampf entgegenziehen?«
»Dann werde ich dich begleiten, Hierra,« sagte José nach einer kleinen Pause, in der er augenscheinlich mit sich gekämpft. »Es ist wahr, ich habe das Haus der Sennora lange nicht betreten und möchte nicht, daß Isabel mir zürne, schon deinetwegen. Aber ich will sie auch nicht mehr allein aufsuchen. Laß uns nachher zusammen gehen – aber jetzt wird es Zeit, daß wir uns bei den Freunden einfinden; wir sind hier, miteinander plaudernd, ganz von unserer Bahn abgekommen, und da steigt noch dazu ein Gewitter auf. Komm rasch, unsere Verhandlung wird nicht lange dauern, und wir treffen ja auch eigentlich nur zusammen, um die Zahl unserer kleinen Schar festzustellen.«
Die beiden jungen Leute schritten eine Seitenstraße hinab, die sie zu dem besprochenen Rendezvous führte, und sie hatten Ursache zu eilen, denn der Sturm fing an die Straßen zu fegen. Die Sonne konnte kaum hinter den Horizont gesunken sein, aber volle Dunkelheit herrschte schon in den Straßen, in denen man zu so früher Stunde noch versäumt die Laternen anzuzünden. Alles flüchtete in die Häuser, denn diese Schauer der jungen Regenzeit ließen nicht mit sich spaßen. Selbst das Militär, das auf der Plaza aufmarschiert gestanden, zog sich ebenfalls, ohne besondere Ordnung und nicht einmal einen Befehl abwartend, unter die schützenden Dächer zurück. Die Offiziere sagten auch nichts dagegen, denn sie wußten gut genug, daß die Leute ihre Gewehre trocken halten mußten, und hatten nur nicht daran gedacht, die Order zu geben. Wer kümmerte sich auch um einen venezuelanischen Soldaten.
Und jetzt prasselte es nieder, als ob die Wolken geborsten wären und ihre Massen auf die Erde niederschütteten. Die großen Tropfen schlugen auf die Steine wie fallender Hagel, und nach kaum zwei Minuten schon wälzten sich kleine Bäche durch die Straßen und überfluteten manche, wo das Wasser nicht so rasch ablaufen konnte, vollkommen. Aber gestrenge Herren regieren nicht lange, und nach kaum einer halben Stunde teilten sich die Wolken wieder und die Sterne brachen hie und da hindurch, während der Mond, wie von silbernen Schleiern eingefaßt, sein Licht auf die getränkte Erde sandte.
Die Versammlung der jungen Freiheitskämpfer war indessen ebenfalls beendet, und wider Erwarten hatten sich zweiundvierzig junge Leute eingefunden, die bereit waren in der Nacht mit herauszubrechen und sich der Revolution anzuschließen, ja man versprach sich sogar noch vor dem Aufbruch Zuwachs. Jetzt hatte es auch keine Gefahr mehr, daß sie zurückgehalten werden konnten: es bekam nur jeder die Order, sein Gepäck so einzurichten, daß er es selber tragen könne, außerdem genügende Lebensmittel für ein paar Tage wenigstens mitzunehmen und spätestens ein Viertel vor zwölf an dem Ort ihrer Zusammenkunft zu sein. Um zwölf Uhr wurden die Straßen unruhig, weil die verschiedenen Patrouillen zur Ablösung umherzogen, und gegen Morgen lag die Möglichkeit vor, daß die ganze Armee in die Vorstädte gelegt wurde, weil die meisten Angriffe kurz vor Tagesanbruch stattfanden. Bald nach Mitternacht, wenn sich wieder alles beruhigt hatte, schien deshalb die beste Zeit, um ihren Plan ins Werk zu setzen.
Übrigens trennten sie sich jetzt einzeln und nach und nach, um nicht die Aufmerksamkeit irgend eines Spähers zu erregen, und nur José und Hierra schritten – es konnte kaum acht Uhr sein – dem Hause der Sennora Corona zu.
Wie sie aber so nebeneinander hingingen, blieb José, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen stehen, und Hierras Arm ergreifend, fragte er ihn rasch:
»Du hast doch nicht im Hause der Sennora unseren Zug erwähnt?«
»Natürlich nicht,« antwortete Hierra, »Isabel würde sich ja nur unnützerweise die ganze Zeit um mich geängstigt haben.«
»Gott sei Dank,« sagte José, indem er aus voller Brust Atem holte.
»Aber José!« rief Hierra erschrocken, »du glaubst doch nicht etwa, daß –«
»Einerlei, was ich glaube, Amigo,« erwiderte José »besser ist besser. Wir können immer Abschied von den Damen nehmen, aber sie brauchen nicht zu wissen, wohin wir gehen. Eine Geschäftsreise nach La Guayra ist das wahrscheinlichste; es ist ein Schiff angekommen, auf dem wir Waren erwarten. Ich selber gehe dann noch weiter nach Puerto Cabello. Das genügt vollkommen.«