Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Las Ajuntas.

Kaum zwei Leguas von der Hauptstadt entfernt und südlich von dieser, in einem reizenden Tal, in welchem zwei zusammenfließende kleine Bergströme oder vielmehr Bäche den Guayra bilden, liegt auf einer niederen Erhöhung das freundliche Städtchen Las Ajuntas (von dem Zusammenfluß so genannt) mit wohnlichen, weiß angestrichenen Häusern, hübscher, auf dem Hügel gebauter Kirche, mit einer festen steinernen Brücke und einer fleißigen Bevölkerung. In Friedenszeiten herrschte auch hier ein bedeutender Verkehr, denn im Lande lagen viele Hacienden, und in den Hügeln wurde eine nicht unbedeutende Viehzucht betrieben. Die gut gehaltene Chaussee bis Caracas war dann mit Transportkarren bedeckt und von zahlreichen Maultier- und Eselzügen belebt. Das aber hatte jetzt freilich alles aufgehört.

Seit dem Ausbruch der Revolution, die ebenfalls eine Menge Menschen anzog, überschwemmte Falcon die Nachbarschaft der Hauptstadt mit Soldaten und zog die arbeitende Bevölkerung, wenn sie dem nicht durch die Flucht entging, vollständig in ihre Reihen. Das Land wurde aber unter allen Umständen von Arbeitern entblößt, und jeder Handel und Verkehr damit gründlich unterbrochen. Ja, selbst der Ackerbau sank in dieser Zeit zu einem Hazardspiel herab, das vielleicht, bei der Teuerung der Produkte, einen bedeutenden Gewinn abwarf, allen menschlichen Berechnungen nach aber mit Verlust enden mußte, da der wohl schwerlich erntete, der gesäet hatte.

Allerdings standen noch die Läden geöffnet, aber niemand kaufte, und die Pulperien und Eßwarenbudiker machten noch die einzigen Geschäfte, denn essen und trinken mußte doch jeder, und wenn er sein letztes zu Pfand brachte.

So gedrückt aber auch der Bevölkerung bis dahin die Tage fortgeschlichen waren, ein so lebendiges, ja, fast heiteres Treiben herrschte heute in dem kleinen Ort, denn endlich, endlich schien für ihn die Zeit gekommen, wo die »gelben« Marodeurzüge nicht mehr wagen durften, ihre Schwärme hierherzusenden und – nach Gutdünken jedes einzelnen Offiziers – Kontributionen aufzuerlegen.

Die Blauen waren eingerückt! Mit schmetternden Trompeten waren sie, die Kavallerie voran, im Triumph und mit wehenden Fahnen angekommen und von den Einwohnern mit wirklicher Herzlichkeit begrüßt worden. Für diese waren es auch keine Rebellen gegen den ruhigen Frieden eines Landes, sondern wirkliche Reconquistadoren oder Wiedereroberer eines geordneten Zustandes, der dem Vaterland aufs neue Ruhe und Sicherheit geben sollte. Nicht gegen die notwendige Regierung eines Landes, sondern gegen Tyrannei und Erpressung, gegen die Verletzung der Konstitution und gegen eine wahre Blutsaugerwirtschaft hatten sie sich erhoben, und der frische Mut, der aus den Augen aller, selbst der gemeinen Soldaten, blitzte, verriet schon, daß sie sich bewußt waren, einer guten Sache zu dienen – und sie hatten sich deshalb nicht zu beklagen, daß sie hier schlecht empfangen wurden.

Die Männer schwenkten ihnen die Hüte, die Frauen Tücher entgegen, und aus allen Häusern brachte man willig Speisen und Getränke – Branntwein für die Leute, Wein für die Offiziere, um sie nach einem langen und mühseligen Marsch zu erquicken und zu stärken. Und zu diesen Truppen hatte man auch Vertrauen. Wo die »Gelben« nahten, da wurden augenblicklich sämtliche Läden geschlossen, und wer irgend etwas besaß, wovon er glaubte, daß sie es gebrauchen könnten, – und sie konnten eigentlich alles gebrauchen – versteckte es. Hier waren sämtliche Läden geöffnet und blieben es, ohne daß auch von irgend einer Seite Klage eingelaufen wäre.

Die kleine Stadt liegt eigentlich mehr an dem südlichen Hang des Hügels. wo sich derselbe leise gegen das Tal zu abdacht, denn die nördliche ist ein wenig zu steil zum Häuserbau, und Raum genug war ja ebenfalls vorhanden. Oben auf dem Hügel, mit einer prachtvollen Aussicht nach dem Guayra und dem dahinterliegenden Tal, wie auch über die nach Caracas führende Straße, hatte sich der Generalstab einquartiert, General Andres Alvarado mit den beiden Obersten Adolfo Garcia und Teja, während man die Leute so in der Stadt verteilte, daß sie den Bewohnern so wenig wie möglich zur Last fielen. In dem warmen Klima ließen sie sich ja überdies leicht unterbringen, und eigentlich nur ein Schutzdach mußten sie sich sichern, denn die Zeit der Regen war bald da und zeigte schon ihre Vorläufer in wehenden Wolkenstreifen und, wenn auch noch vereinzelt, fallenden Schauern. Fing es aber erst einmal an, dann konnten sie sich auch darauf verlassen, daß es tüchtig kam.

Vor allen Dingen suchte nun Alvarado genau auszufinden, wieviel Besatzung in Caracas selber lag, und jede Auskunft, welche ihm die Bewohner von Las Ajuntas geben konnten, stand ihm gern zu Diensten. Alvarado kannte aber auch seine Landsleute zu genau, um nicht zu wissen, wie unzuverlässig solche Notizen waren. Nicht etwa, daß ihm die Leute absichtlich falsche Angaben gemacht, aber sie haben durchschnittlich eine zu lebendige Phantasie und übertreiben gewöhnlich. Die Versicherung, daß Falcon wenigstens über 6–7000 Soldaten verfüge, nahm er deshalb nur sehr ungläubig auf – er hatte darüber andere wahrscheinlichere Berichte, aber nach allem, was er hörte, schien es ihm doch, daß er nicht zu leichtsinnig vorgehen dürfe, sondern erst noch eine Verstärkung oder wenigstens die Gewißheit abwarten müsse, von einer anderen Division unterstützt zu werden.

Sein Zug nach Las Ajuntas sollte auch vorderhand nur eine Drohung sein. Mig. Ant. Rojas hatte ihm aber fest versprochen, schon in einigen Tagen von Valencia und der Lagune heranzurücken, und mit ihm dann vereint zu wirken. Rojas' Wunsch war natürlich Caracas zu nehmen, ehe Monagas von Barcelona her die Hauptstadt erreichen und ihm den Sieg schmälern konnte, und er rechnete dabei stark auf die Mithilfe der Stadt selber, die schon allein durch eine bloße Demonstration Falcon einschüchtern und zur Übergabe zwingen konnte. Darin hatte er sich freilich in den Bewohnern von Caracas geirrt, und überhaupt geschieht es fast in keiner dieser südamerikanischen Revolutionen, daß sich die Städte selber erheben, d. h. die Bürger, die bei solchem Akt ihr Eigentum zu sehr gefährdet sehen. Sie lassen das gewöhnlich die streitenden und einmal unter Waffen befindlichen Parteien untereinander ausmachen, schließen nur ihre Läden und Türen und fügen sich nachher mit der größten Liebenswürdigkeit dem Sieger, der dann, wie sich auch die Wage neigen möge, nie Ursache hat, auf sie erzürnt zu sein.

Die Umgegend wurde indessen durch Streifpatrouillen gehörig abgesucht, ob nicht doch etwa ein versteckter Feind in der Nähe lauere, und dazu eigneten sich diese Soldaten, von denen überhaupt der größte Teil aus Vollblut- und Halbindianern bestand (selbst Alvarado gehörte der letzteren Rasse an), ganz vortrefflich. Ein solcher Verdacht zeigte sich aber unbegründet. Falcon hatte, mit Ausnahme der weit entfernten Garnisonen, die er nicht wieder einziehen konnte, alles um sich her in die Hauptstadt gezogen – angeblich um seine Truppen zu sammeln und sich dann selber an ihre Spitze zu stellen, damit er persönlich die Revolution niederwerfe. Ob er wirklich eine solche Absicht gehabt – wer kann es sagen.

Im Osten dämmerte der Tag; der Mond war schon vor einiger Zeit hinter dem im Westen lagernden Wolkenschleier verschwunden, und als sich das Dunkel lichtete, bot sich dem Auge von der Höhe aus ein wahrhaft zauberisch schöner Anblick.

Unmittelbar unter dem Hügel, auf welchem die Stadt lag, trieb der murmelnde Bergstrom, die Guayra, ihr klares Wasser in das Tal hinab, dem nicht fernen Meer entgegen, links an den Hügeln hin zog sich die helle Straße, die hinein nach Caracas führte, und nach rechts und vorn dehnte sich, von einer mit frischem Grün bedeckten Hügelkette eingeschlossen, das fruchtbare Tal mit seinen Zuckerpflanzungen und Bananengärten aus. Den Strom selber aber bezeichnete deutlich ein schmaler Streifen hoher Weiden und Cana brava oder wildes Rohr, das in dem leichten Wind herüber und hinüber schwankte. Das rege Leben fehlte wohl da draußen, das sonst der ganzen Gegend einen so eigenen Reiz verlieh, aber die Natur bleibt sich ja immer gleich – immer schön und hehr, ob die Menschen nun in Liebe und Eintracht beieinander wohnen und ihre Gaben mit vollen Zügen genießen, ob sie im furchtbaren Bruderkrieg einander bekämpfen und den grünen, schwellenden Rasen mit ihren Rossen zerstampfen, mit ihrem Blut beflecken.

Im Tal lag noch ein leichter, duftiger Nebel, der aber das ganze Bild desselben nicht etwa verhüllte, sondern einen eigenen Schmelz darüber goß, und mit seinen beweglichen Schleiern von dem Windzug dann und wann gefaßt, bald hier, bald da hinüber wechselte, und manchmal wie ein lichter Schatten über den Bergstrom glitt. Dort unten das fruchtbare Tal zeigte auch noch hellgrünes Zuckerrohr, denn Las Ajuntas lag doch etwas zu weit ab von der Hauptstadt, als daß sich kleine Fouragietrupps, wie sie überall in der Nähe von Caracas umherstrichen und mitnahmen, was sie fanden, bis hierher gewagt hätten. Das überall von Hügeln eingeschlossene Tal gestattete zu leicht einen Überfall, und die Offiziere trauten auch selbst ihren Soldaten zu wenig, ob diese nicht die günstige Gelegenheit zum Desertieren benutzen würden. So war die Gegend denn wohl im Verhältnis zu Mariperez und Chacao wenigstens verschont geblieben, aber doch freilich dann und wann von größeren Abteilungen heimgesucht worden, die dann Vieh und Menschen einfingen, soviel sie bekommen konnten.

Die Sonne stieg über die Hügel herauf und der Nebel zerfloß in Duft, aber in Milliarden Diamanten glänzte das Tal, und eine wohltuende Frische trieb der sich erhebende Wind von dort herüber. Und wie das Licht auf den hellen Häusern der kleinen Stadt blitzte und doch zugleich die hinter ihr aufsteigenden Wolkenmassen so schwarz und düster malte! Es waren zwei Gewitter, die gegen den friedlichen Ort zu gleicher Zeit emporstiegen.

Oberst Teja stand oben am Fenster seines kleinen, freundlichen Stübchens und schaute, der Sonne entgegen, über das Tal hinaus – Garcia lag noch in seiner Hängematte, hatte sich eine Zigarette angezündet und blies Ringel.

»Caramba, Garcia,« rief der junge Mann, indem er mit dem Arm hinaus aus dem offenen Fenster deutete – »hier haben Sie, in der frischen Morgenluft, ein Bild, wie man es sich kaum schöner denken kann, fertig ausgemalt und beleuchtet, und dort liegen Sie in Ihrer Chinchorra und gönnen diesem kleinen Paradies nicht einmal einen Blick. Sehen Sie nur die Schatten, die jetzt der darüber hinstreichende Nebelstreifen in jenes Seitental wirft – sehen Sie den rosigen Hauch, der über dem Ganzen liegt, die dunklen Weiden da unten, das helle Rohr, der murmelnde Strom selbst, wie er blitzt und funkelt.«

»Sie sind so poetisch heute morgen, Teja,« erwiderte lächelnd der junge Offizier, »daß ich viel mehr Genuß habe, wenn ich Sie es beschreiben höre, als wenn ich es selber sehe. Fahren Sie fort! Bemerken Sie nicht auch irgendwo einen malerischen Eseljungen, der unten am Wasser seine Fässer füllt, oder ein paar niedliche Mädchen, die ihre schmutzige Wäsche waschen?«

»Sie sind unverbesserlich,« rief Teja – »ich, ein Fremder, finde immer neue Schönheiten in Ihrem herrlichen Lande, und Sie, der Sie als Sohn desselben nur so viel mehr darüber entzückt sein sollten, wollen nicht einmal aufstehen, um ihm einen Blick zu gönnen.«

»Wir müssen unsere Kräfte schonen, Amigo,« meinte Garcia, ohne sich aber auch nur zu rühren,« denn wir wissen nicht, wie wir sie in allernächster Zeit gebrauchen werden. Wie sieht die Straße aus? Leer?«

»Vollkommen – außer einer kleinen Staubwolke dort an der Biegung, wo – Caramba! Da ist ein Reiter, der in voller Karriere hier herzu angesprengt kommt.«

Garcia war mit einem Satz auf den Füßen und neben Teja.

»Wo?«

»Dort auf der Straße.«

Die beiden jungen Leute beobachteten wohl eine Minute lang den heranjagenden Reiter, dann aber rief Garcia, indem er rasch in seine Kleider fuhr, »da ist was im Wind. Machen Sie sich fertig, Teja, und klopfen Sie vor allen Dingen einmal den General heraus, wenn der vielleicht noch schlafen sollte. Der Bursche da unten bringt wichtige Neuigkeiten, denn umsonst strengt er sein Tier nicht so an. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn ihm Falcon selber dicht auf den Fersen wäre.«

So kaltblütig er vorher die Szenerie genommen, so rasch war er jetzt gerüstet, schnallte seinen Säbel um, steckte seine beiden Revolver ein und war eben fertig, als er den General schon die kleine Treppe hinabrasseln hörte. Noch einen Blick warf er aus dem Fenster, der Reiter jagte eben, ohne sein Pferd einzuzügeln, über die Brücke, am Hügel hin und in die Stadt hinein, und mit Teja, der jetzt ebenfalls zurückkam um seine Waffen zu holen, eilte er hinunter vor das Haus.

Sie sollten aber nicht lange über das, was der Bote brachte, in Ungewißheit bleiben. »Sie kommen!« tönte ihnen schon der Ruf voraus, die Straße herauf – »Falcon kommt! Die Gelben rücken an« – und Frauen flüchteten in ihre Häuser, die Händler, die eben erst geöffnet hatten, schlossen schnell ihre Läden wieder, und in den Straßen sammelte sich jetzt das neugierige, und allerdings hierbei auch sehr beteiligte Volk, um selber die eben gehörte Nachricht bestätigt zu sehen.

Der Ruf hatte nicht gelogen. Alvarado, als er den Boten erreichte, hörte von ihm, daß eine Heeresmasse auf der Straße heranziehe, und er sogar die Gewehre habe in der Sonne blitzen sehen. Wie stark die Truppe etwa sei, konnte der Bote nicht sagen, aber es müßten viel, sehr viel sein, denn so weit er den Weg habe überschauen können, wäre der Staub aufgewirbelt. Da sei er denn fortgesprengt, um die Kunde so rasch wie möglich hierher zu bringen.

»Und wo hast du sie verlassen?«

»Noch vor Dos Caminos – wenn sie sich dazu halten, können sie gar nicht mehr so lange ausbleiben.«

Jetzt tönten die Signale durch den ganzen Ort. Die Trommeln wirbelten den Generalmarsch, und von allen Seiten stürzten die Soldaten herzu, zu ihrem Sammelplatz an dem Brückenkopf.

Das war freilich in dieser Jahreszeit kein wichtiger Punkt. Ja, wenn erst die Regen einmal wirklich eingesetzt hatten, dann trieb der Guayra eine mächtige Wassermasse zu Tal, und eine Furt gab es nicht mehr, weder für Mann noch Tier. Jetzt aber konnte man ihn fast überall durchwaten. Von welcher Seite ein Angriff erfolgen würde, war deshalb vollkommen unbestimmt, denn die Gelben mochten Las Ajuntas umgehen, wie sie wollten. Die Verteidigung wurde aber dadurch erleichtert, daß sich die Belagerten auf dem nicht großen Hügel rasch nach jeder Seite wenden konnten, und der Feind in den steilen Straßen stets im Nachteil bleiben mußte. Nur die besseren Waffen gaben den Regierungstruppen wieder einen Vorteil, denn von Alvarados Schar hatte fast die Hälfte nur Lanzen und die Offiziere Revolver, und selbst die Schußwaffen eines großen Teils der übrigen bestanden in höchst mittelmäßigen Karabinern.

Ebenso dürftig sah es mit der Munition aus, und ein Munitionstransport wurde erst heute oder morgen erwartet. Hatte man doch nicht darauf gerechnet, so rasch angegriffen zu werden. Falcon konnte ja kaum erfahren haben, daß sie da waren.

Aber das alles half jetzt nichts. Der Feind kam und mußte abgeschlagen werden, und wenn sie ihre Munition nur ein klein wenig schonten, so reichten sie auch, für diesen Angriff wenigstens, damit aus.

Alvarado war ein vortrefflicher Guerillaführer und verstand als solcher auch jeden Punkt zur Verteidigung zu benutzen. Mit dem Terrain hatte er sich ebenfalls schon vertraut gemacht, und von Garcia und Teja unterstützt, gelang es ihm bald, die verschiedenen Positionen so zu besetzen, daß sie sowohl nach jeder Seite gedeckt waren, wie auch nach jeder ebensoleicht Hilfe bringen konnten.

»Da sind sie! Da kommen sie!« tönte plötzlich der Ruf, und Alvarado, der mit einem Signalisten neben sich wieder oben an seinem Fenster stand, entdeckte jetzt auch selber den aufwirbelnden Staub, der die nahende Truppe einhüllte und verriet. Es ließ sich aber für jetzt auch weiter gar nichts tun, sondern es mußte abgewartet werden, wie der Feind die Angriffskolonnen führen würde. Ehe das aber geschehen, brauchte er von da, wo er sich jetzt befand, wenigstens noch eine halbe Stunde, und die Zeit sollte von den Soldaten benutzt werden, um erst zu frühstücken und nicht hungrig in den Kampf zu gehen. Seinen Posten durfte freilich keiner verlassen, aber das war auch nicht nötig, denn die Einwohner schleppten schon selber alles herbei und trugen es ihnen zu. Wenn die Gelben siegreich eindrangen, so behielten sie doch nichts davon, und da war es viel besser, vorher die Freunde damit zu stärken.

Alvarado stand mit Teja und Garcia oben in der Stube, von der aus man den Weg am weitesten übersehen konnte, und allerdings wollte der Staub darauf gar kein Ende nehmen. Er verhinderte aber auch, daß man von dort aus einen Überblick gewann, um die etwaige Stärke zu taxieren, bis endlich ein plötzlicher Windstoß, den die aufsteigende Wolke herüberschickte, für einige Minuten Luft machte, und das genügte, um wenigstens einen Teil der Kolonne zu übersehen. Alvarado lachte.

»Ich glaube, wir haben uns umsonst gefürchtet,« sagte er, »die marschieren da unten weitläufig genug, immer zu vier und vieren, auf der Straße und gehen dabei nicht einmal Mann an Mann. Das erklärt die lange Staubwolke, und es ist, wie ich mir dachte. Wahrscheinlich ahnen sie gar nicht, daß wir hier auch mit etwas über tausend Mann stehen, sie würden sonst wohl nicht so langsam angeschlendert kommen. Also noch ein Glas Wein, meine Herren! Der Wein ist wirklich vortrefflich, und so klar und dunkelgolden, daß er einen ordentlich anblitzt.«

»Dios, Union y Libertad!«

rief er, das gefüllte Glas nehmend, und als die beiden jungen Offiziere eingestimmt und ihre Gläser geleert hatten, winkte ihnen der General. »So, meine Herren, jetzt an die Arbeit. Sie kennen Ihre Posten. Der Signalist hier gibt denen, die durch die Häuser gedeckt sind, das Zeichen, wohin sich der Feind zum Angriff wendet, ich glaube aber, er wird von verschiedenen Seiten zugleich stürmen, und darauf sind wir vorbereitet. Schärfen Sie mir nur noch einmal den Leuten besonders ein, daß sie nicht zu hastig schießen und um Gottes willen keine Munition verschwenden. Die Herren müssen ja zu uns heraufsteigen, und dann bekommen wir sie nahe genug. Vorwärts! Beim Himmel! Die machen keine lange Pause, da geht schon der eine Trupp hinab, um durch den Guayra zu setzen. Haben Sie Ihre Leute alle richtig postiert, Teja?«

»Soweit es bis jetzt möglich war, General,« rief Teja. »Sie können sich auf mich verlassen.«

»Gut, vorwärts! Auf Wiedersehen, meine Herren!« und die beiden Offiziere stürmten hinab, ihren Truppenteilen zu.

Indessen entwickelten sich dort unten die Streitmassen des Feindes immer mehr, wie sie in langem Zug auf der etwas beengten Straße vorrückten. Daß sie dabei die nötige Vorsicht außer acht ließen, sah man übrigens deutlich, denn rechts über die Hügel kletterten zugleich die Tirailleure Colinas, um sich versichert zu halten, daß sich die Rebellen nicht dort hineingeworfen und plötzlich vielleicht einen Flankenangriff versuchten. Das war aber allerdings nicht der Fall gewesen, und er konnte seine Überraschung als gelungen betrachten, denn daß er die Feinde jetzt, wo er sie zusammen hatte, werfen würde, hoffte er sicher. – Und doch, welch ein Unterschied gab sich in den verschiedenen Truppenteilen kund!

Bei den Blauen herrschte reges, fast freudiges Leben. Sie sollten endlich einmal und noch dazu unter für sie günstigen Umständen mit dem verhaßten Feind zusammentreffen, und siegesgewiß trugen sie ihre oft ärmlichen Waffen und lachten und scherzten mit den Einwohnern, die ihnen noch eine Mahlzeit oder einen Schluck agua ardiente brachten. – Die Gelben dagegen rückten still und verdrossen vor, denn welches Interesse nahmen sie an dem ganzen Bürgerkrieg? Sie waren zu Soldaten, meist ohne Ausnahme, gepreßt worden. Löhnung hatten sie fast gar keine bekommen, nicht einmal hinreichende Nahrungsmittel, außer dem, was sie sich selber stehlen oder erbetteln konnten, und daß sie bei der Bevölkerung ihres eigenen Landes verhaßt waren, wo sie sich nur mit ihren gelben Bändern sehen ließen, konnte ihnen nicht verborgen bleiben. Die Offiziere zwar hatten guten Mut, denn sie gingen, wie sie meinten, in einen leichten Kampf. Es war nicht einmal wahrscheinlich, daß die Rebellen ihnen nur standhielten, und deshalb schon ließ Colina seine ersten Truppen rasch ausflanken und durch den Guayra gehen, damit sie den Feind, wenn er sich hinten in die Berge werfen wollte, wenigstens noch beschießen konnten.

Dem ähnliches geschah aber nicht. Kein einziger Mann war dort draußen zu sehen, während man deutlich erkennen konnte, daß sich die Blauen in der Stadt festgesetzt hatten und den Angriff dort erwarten wollten. Also mußte es doch zu einem Kampf kommen, wozu aber der Vortrab Colina erst wieder neue Instruktionen einzuholen hatte.

Colina selber kannte das Terrain ziemlich genau und wartete nur an der Straße, bis auch die letzten Nachzügler der Truppe angekommen waren. Jetzt aber galt es auch kein Zögern mehr, denn er hatte seinen Leuten versprochen, daß sie in Las Ajuntas frühstücken, und zwar gut frühstücken sollten. – Er konnte zwar nicht wissen, ob die Blauen freundlich dort aufgenommen waren, oder ob sie sich nur mit Gewalt festgesetzt hatten, aber er kannte zu gut die ganze Stimmung des Landes und hoffte das Rebellengesindel, wie er es schon oft getan, wieder einmal nach Herzenslust zu züchtigen.

Von Las Ajuntas aus war er schon von Alvarado sowohl wie von Teja mit dem Fernrohr erkannt worden, und die Bewohner der kleinen Stadt gerieten in nicht geringe Angst, als sie die Gewißheit erhielten, daß El Cólero den Feind befehlige; befürchtet hatten sie es ja gleich von Anfang an, da er zu solchen Expeditionen von Bruzual gewöhnlich verwandt wurde. Sie wußten auch genau wie es ihnen ergehen würde, wenn er dort einzog, und viele der Bewohner fingen schon an, ihre besten Sachen und Waren beiseite zu bringen, um sich auf den schlimmsten Fall gefaßt zu machen.

Sie sollten wenigstens nicht lange auf den Kampf zu warten haben, denn Colina zögerte nicht mit dem Angriff. Ob er es nicht der Mühe wert hielt, mit Rebellen irgend welche Umstände, wie Aufforderung zur Übergabe oder derartige Formen zu machen, ob er die Frage schon dadurch hinlänglich beantwortet glaubte, daß eben die Blauen gar keinen Versuch zur Flucht machten, also entschlossen waren, Widerstand zu leisten, genug, er teilte seine Division ohne weiteres in drei Kolonnen und gab dann so ruhig das Zeichen zum Angriff, als ob er ihnen nur befohlen hätte, in die Stadt hineinzumarschieren.

Alvarado hatte indessen seine Truppen so aufgestellt gelassen, daß nur der kleinste Teil derselben von den Gelben bemerkt werden konnte. Wie er den Feind jetzt taxierte, war er seiner Mannschaft keineswegs an Zahl überlegen, und wenn auch die Regierungstruppen mit guten Bajonettflinten bewaffnet, darin ein Übergewicht beanspruchen konnten, so wußte er sich dafür im Besitz der vorteilhaftesten Stellung und hielt den Erfolg kaum für zweifelhaft. Diese Schar war nie imstande, Las Ajuntas zu nehmen.

Bis dahin hatten sich die Angreifer noch, wenn auch außer Schußweite, doch so entfernt gehalten, daß sie von den unvollkommenen Waffen der Gegner wenig zu fürchten brauchten. Jetzt ertönte das Zeichen zum Angriff, und Colina, der den Hauptangriff über die Brücke selber leiten wollte, sprengte auf seinem starken Maultier keck dem Zug voraus – galt er ja doch auch in der ganzen Armee für einen der tapfersten Generale, der sein Leben nirgends schonte.

Es mag sein, daß die Regierungstruppen mit nur sehr weniger Begeisterung in den Kampf gingen und sich am liebsten mit den Blauen, worunter viele ihre Brüder und Freunde wußten, vertragen hätten; der Mensch ist aber ein wunderliches Geschöpf und kann mit einiger Geschicklichkeit und Ausdauer eben zu allem getrieben werden, wozu man ihn haben will. Bis dahin schien es, als ob sie dem Kampf nur verdrossen, ja widerwillig entgegen gegangen wären, jetzt aber, als zum Angriff geblasen wurde, erwachte das Tierische, das in jedem Menschen schlummert, und wenn er sonst noch so sanft und rücksichtsvoll wäre. Die Bestie kommt dann und wann einmal doch zum Vorschein.

Gerade als Colina mit seiner Kolonne die Brücke passierte, schmetterte die erste Flintensalve durch das Tal und kündete den Beginn des Kampfes an. Die Kugeln schlugen auch zum Teil richtig ein und rissen zwei Menschen nieder, konnten aber den Feind ebensowenig einschüchtern als zurückhalten, ja, bewirkten vielleicht das Gegenteil.

Es war Blut geflossen, der Kampf im vollen Ernst begonnen, und während Colina mit einem donnernden Hurra seinen Säbel schwang und, den Revolver in der linken Hand, sein Maultier mit den Schenkeln regierend, vorsprengte, stürmten seine Soldaten mit einem wilden Racheschrei über die gefallenen Kameraden hinterdrein und warfen sich mit gefälltem Bajonett dem Feind entgegen.

»Halt! Feuer!« Im Nu sammelten sie sich, um dem Befehl zu gehorchen, erst ihre Gewehre abzuschießen, und dann mit dem Bajonett hinein und hinauf in die Stadt. Da drüben knatterte es auch schon herüber. An ein regelmäßiges Feuern war allerdings nicht zu denken. Jeder gab seinen Schuß ab, wie er eben fertig wurde, aber anstatt, daß sich da oben die Straße gelichtet hätte, sprangen die Blauen jetzt von allen Seiten vor, feuerten ihre Gewehre die Straße hinunter und verschwanden dann wieder in und hinter den Häusern.

»Vorwärts!« schrie Colina, indem er selber aus dem Sattel sprang und sein Tier zurückjagte, »vorwärts, meine Burschen! Sie fliehen schon. – Daß sie uns nicht entkommen. Hurra für Falcon und die Föderation, hurra!«

»Hurra!« tönte es zurück, und die Schar, welche die Aufgabe hatte, vor allen Dingen den Hügel zu nehmen, wonach sich die Rebellen nicht mehr in der Stadt halten konnten, stürzte sich mit wirklicher Tapferkeit dem Feind entgegen. Noch aber hatte sie nicht den Abschnitt, den die erste Querstraße kreuzte, erreicht, als plötzlich von allen Seiten wieder die einzelnen Schützen vorsprangen, und auf die kurze Entfernung eine tödliche Salve niedersandten. Die Gelben stutzten, viele von ihnen fielen, aber sie wollten sich dadurch nicht werfen lassen; mit wildem Geschrei stürmten sie vorwärts. Da wichen aber die mit Karabinern bewaffneten Blauen zurück, und ein dichter Schwarm Lanzenträger, von Teja geführt, wälzte sich auf die Stürmenden. In der Straße selber hatten die Reconquistadoren mehrere Häuser besetzt und Schützen an die Fenster postiert. Jetzt, auf ein Trompetensignal, traten sie vor und feuerten mit ihren Gewehren in die Masse hinein, während die Lanceros – von dem höheren Boden, auf dem sie standen, unterstützt – einen wütenden Angriff machten.

Den ersten Anprall hielten die Gelben wacker aus. Mit Wutgebrüll trieb sie Colina vorwärts, aber der auf sie niederpressenden Wucht konnten sie nicht widerstehen. Die hinter ihnen Drängenden beengten sie sogar im Gebrauch ihrer Waffen. Und dazu noch die knatternden Schüsse von den Seiten, das war zu viel für ihren schwachen Patriotismus.

Sie fingen an Raum zu geben und beschränkten sich schon auf augenblickliche Verteidigung. Colina wütete und drängte nach vorn. Ein stürzender Soldat kam zwischen seine Füße, er mußte sich selber gegen einen nach ihm geführten Lanzenstoß schützen, er wich etwas zurück, und jetzt war an Halten nicht mehr zu denken. In toller Flucht wälzten sich im Augenblick Verfolgte und Verfolger den Hang hinab.

Aber auch Garcia war auf seiner Seite nicht müßig gewesen und hatte seine Soldaten so geschickt postiert, daß sie sich zum Teil versteckt halten konnten, bis die Gelben die ersten Außengebäude passierten. Jetzt brachen sie vor, hinter und mitten zwischen der Angriffskolonne, und verbreiteten gleich von allem Anfang an Verwirrung in den Reihen der Feinde.

Die dritte Kolonne war noch gar nicht recht zum Angriff gekommen, sondern von einem so heißen Feuer empfangen worden, daß sie, mit einem nicht sehr tapferen Führer an der Spitze, nur Deckung und einen anderen Platz zum Einbrechen suchten; ehe sie den aber fanden, ertönte schon von drüben ein Signal zum Rückzug, und zu gleicher Zeit sahen sie einen Teil der ihrigen in voller Flucht den steilen Abhang nach dem Guayra hinabspringen.

Noch standen sie unschlüssig, als oben in der Stadt Trompeten ihre Signale schmetterten. Das war kein Sammelruf, das war ein Sturmsignal der Blauen, das viele von ihnen recht gut kannten, und jetzt wurde die Stadt selber auch lebendig. Aus allen Straßen brachen Feinde hervor, aus den Häusern sprangen sie toll und wild und Lanze oder Muskete in der Hand, den Hang herunter, und wären die Soldaten jetzt gesammelt worden, so hätten sie den immer noch vereinzelten Angreifern verderblich werden können – aber schon war kein Halten mehr unter der Truppe, und die Gelben glaubten sich von einer Übermacht angegriffen und umstellt. Auf die Straße hin flohen sie, in das Tal sprangen sie hinab und durch den Fluß; an den Hügeln, die links die Straßen beengten, kletterten sie hinauf. Viele ließen dabei ihr Gewehre fallen und nahmen sich nicht die Zeit sie wieder aufzuheben, und Colina selber hatte Mühe, sein Maultier in diesem augenblicklichen Wirrwarr aufzufangen und zu besteigen. In vollem Karriere sprengte er jetzt mit dem wackeren Tier die Straße entlang, um die Ersten der Flüchtigen einzuholen und zu sammeln. Mit seinem Säbel hieb er sogar in voller Wut nach ihnen, aber sie wichen ihm aus und waren nicht in ihrer Flucht zu hemmen.

Hinterdrein brachen die Reconquistadoren mit Siegesjubel und tönenden Hörnern und hätten jetzt, da sie sich in gedrängten Massen hielten, ein Sammeln der Flüchtlinge gar nicht mehr gestattet.

An der Brücke erreichte Teja, der mit unter den Ersten der Verfolger war, die Feinde und warf sich selbst mitten zwischen sie hinein, um einen Teil von ihnen abzuschneiden und zu Gefangenen zu machen. Sein Revolver war abgeschossen, aber er nahm sich gar nicht die Zeit, ihn wieder zu laden, sondern nur mit dem Säbel in der Rechten, die linke Hand frei, sprang er in den Schwarm und erwischte einen Indianer, der an der Einfassung hinfloh, am Kragen. Das aber war ein handfester Bursche, und mit einer raschen Wendung, von seinem Nachbar unterstützt, faßte er den jungen Offizier um den Leib, hob ihn wie ein Kind in die Höhe und wollte ihn eben über das steinerne Geländer hinunter in den Strom werfen, als beide Soldaten einen lauten Schrei ausstießen und machtlos in die Kniee sanken. Ein breitschulteriger Neger nämlich, mit keiner Waffe als seinen Fäusten, hatte sie beide zu gleicher Zeit im Nacken gepackt und dermaßen gepreßt, daß sie vor Schmerz zusammenbrachen. Der Neger nahm weiter keine Notiz von ihnen, riß nur dem einen die Muskete aus der Hand, sprang über ihn weg, und Teja lachend zunickend, folgte er den übrigen mit gewaltigen Sprüngen.

In Los dos Caminos hoffte Colina seine Leute wieder zu ordnen, aber ob die Flüchtigen etwas Ähnliches befürchteten oder vielleicht glaubten, daß ihnen in dem Dorf ein neuer Überfall drohe, genug, die meisten von ihnen brachen nach rechts und links aus, und als sie endlich Chacao erreichten, war ihre Zahl – weniger durch Tote und Verwundete als durch Gefangene und Deserteure – dermaßen gelichtet und zusammengeschmolzen, daß an weiteren Widerstand nicht zu denken war.

Dort erst, und zwar hinter Mariperez, hielten die Blauen, denn die Munition war ihnen fast vollständig ausgegangen, sammelten sich wieder, nahmen noch eine Anzahl von Überläufern auf, die froh waren, auf gute Manier dem Dienst in der Hauptstadt zu entgehen, wieder zu ihren Familien in das Innere zurückzukehren und zogen sich dann langsam gegen ihr Hauptquartier zurück.

In Chacao hielten sie kurze Rast, oder eigentlich erst hinter dem kleinen Orte, um die Bewohner nicht zu sehr zu alarmieren. Teja hatte einen Streifschuß im Gesicht erhalten, der ihm die linke Backe aufgerissen, und wollte sich die Wunde gern zunähen lassen, fand aber niemanden, der damit umzugehen wußte, und beorderte eben einen seiner Leute, in das Städtchen zurückzulaufen, um zu sehen, ob er keinen Wundarzt auftreiben könne, als einer der Gefangenen oder vielmehr Deserteure auf ihn zu trat und sich in sehr gebrochenem Spanisch erbot, die »Arbeit« zu übernehmen.

»Bist du ein Wundarzt, mein Bursche?« fragte ihn der Offizier.

»Nein,« sagte der Mann, entschieden mit dem Kopf schüttelnd, »una sastre

»Una?« rief Teja lachend – »ein Schneider? Wo kommst du her?«

»Aus Alemania,« sagte der Bursche, indem er kaltblütig in die Tasche griff und Nadel und Zwirn herausholte. »Wollen das schon wieder zusammenflicken. Habe neulich schon einmal einem pechschwarzen Neger das Gesicht so zusammengeheftet, daß es eine Freude war. Auf der schwarzen Haut werden nur die Nähte leicht weiß, und das sieht nachher nicht hübsch aus. Seinem Gesicht tat's aber keinen Schaden.«

»Und wie bist du denn unter das Militär geraten, mein Bursche?« fragte der Offizier, während der Schneider seine Nadel einfädelte und einen ordentlichen Knoten machte – »Freiwilliger?«

»Ja wohl,« sagte der Schneider, »freiwillig eingefangen und einen Real Löhnung versprochen – und dafür auch noch totschießen lassen? Caracho – weiter fehlte nichts.«

Teja lachte. – »Aber wenn du die Absicht hattest, weshalb bist du denn da bis hierher gerannt? Das konntest du doch schon in Las Ajuntas bequemer haben.«

»So? Wenn der verdammte schwarze Neger immer mit Revolvern nach allen schoß, die rechts oder links auskniffen, oder mit dem Säbel hieb, nicht wahr? Aber wie ich nur erst einmal wieder Bäume hatte, war ich sicher.«

»Und willst du jetzt bei uns eintreten?«

»Wenn ich einmal verrückt werde, ja, dann gehe ich unter die venezuelanischen Soldaten,« rief der Deutsche, »aber solange ich noch einen Funken gesunden Menschenverstand im Hirn habe, dank' ich dafür. – So – nun setzen Sie sich einmal dahin – meinen Fingerhut hab' ich auf der Hetze verloren, aber es wird wohl auch ohne den gehen.«

»Aber hast du dich denn da nicht an deinen Konsul gewandt?« fragte Teja, »ich bin auch Ausländer, aber diene freiwillig – gewaltsam dürfen sie uns gar nicht unter das Militär stecken.«

»Tun Sie mir den Gefallen« sagte der Schneider, »und verderben Sie mir den schönen Tag nicht mit meinem Konsul. Ich bin Königlich bayerischer Untertan, und jetzt seien Sie so gut und setzen Sie sich endlich einmal auf – den Stein da, und halten Sie den Mund.«

Teja lachte, ließ aber den komischen Burschen gewähren, der ihm denn auch bald, und noch dazu mit ziemlicher Geschicklichkeit, die aufgerissene Backe wieder zunähte.

»So,« sagte er dann, als er zurücktrat und mit schräg gehaltenem Kopf seine Arbeit wohlgefällig betrachtete »– schade, daß wir's nicht ausbügeln dürfen; aber ein Pflaster sollten Sie sich jetzt auflegen.«

»Ich habe keins – weiß der Henker, wo der Doktor steckt.«

»Hm, macht nichts,« sagte der Schneider, indem er ein paar alte Lappen aus der Tasche nahm und von dem einen einen Streifen abriß – »legen wir ein Stückchen Leinwand auf.«

»Aber das bleibt nicht liegen.«

»Macht wieder nichts – dann heften wir es mit ein paar Stichen fest!«

»Im Gesicht? Na, das fehlte auch noch!«

»Kommt ja bloß in die Haut.«

»Nein, danke!« rief Teja emporspringend, »da lassen wir's lieber so, bis ich heute abend ins Quartier komme, und dann hol' dir auch gleich den Schneiderlohn, Kamerad.«

»Wäre wirklich liebenswürdig,« sagte der Mann, »wenn ich einmal wieder bar Geld sollte zu sehen kriegen, aber abwarten!« – Und sein Nähzeug wieder sorgfältig zusammenwickelnd, schob er es in die Tasche und schritt seinen übrigen Kameraden zu.

Als Teja noch seine umhergelagerten Scharen mit dem Blick überflog und ungeduldig auf das Signal zum Rückmarsch wartete, bemerkte er den großen, breitschulterigen Neger, der ihm auf der Brücke den Liebesdienst erwiesen, und ihn von den beiden Feinden frei machte. Er schlenderte langsam an ihm vorüber und schien sich einen Platz zum Hinlegen auszusuchen.

»Amigo,« rief er ihn an, »ich bin Euch zu vielem Dank verpflichtet, denn ich war nahe daran, einen Sprung von der Brücke zu machen. Ihr kamt gerade zur rechten Zeit – Ihr sollt dafür heute abend eine Flasche vino blanco extra bekommen.«

»Wäre nicht übel,« erwiderte lachend der Neger. »Die Gegend hier ist verdammt durstig und mir brennt so schon die Kehle.«

»Caramba!« rief Teja, der bei der Stimme des Mannes aufhorchte und sich die breite Gestalt jetzt näher betrachtete, »haben Euch etwa die Gelben vor einiger Zeit einmal in Caracas eingesteckt gehabt, und seid Ihr mit einem Mitgefangenen ausgebrochen?«

»Ist ganz was Ähnliches passiert, aber – Caracho! Woher wißt Ihr das? Ich habe doch mit keinem Menschen darüber gesprochen.«

»Dann sind wir Kameraden, Amigo, noch von früher her,« sagte Teja, ihm die Hand reichend. »Ich habe Euch damals die eiserne Brechstange gebracht und bin nachher mit Euch geflohen. Wißt Ihr nicht, daß ein Offizier dabei war?«

»Aber ein gelber,« erwiderte der Neger, ihn erstaunt ansehend.

»Das war ich – ich trug ein goldenes Band an dem Abend um die Mütze.«

»Und hattet Euch nach Caracas hineingeschlichen?«

»Gewiß, um Euren Mitgefangenen, den jungen Castilia, zu befreien. Wir bestiegen aber dann Pferde, und Ihr ranntet zu Fuß davon.«

»Bravo,« rief der Neger, indem er die breite Hand noch einmal dem Offizier hinreichte und sie so herzlich drückte, daß Teja hätte laut aufschreien mögen, »das war gescheit gemacht, und von der Gelegenheit habe ich ebenfalls profitiert. Hol' die Bande da drin der Teufel – Caracho – jetzt will ich's ihnen heimzahlen, was sie mir angetan, die Schufte, und sie sollen noch an den Samuel denken.«

»Haben sie Euch schlecht behandelt?«

»Reden wir nicht davon; ich war eigentlich selber schuld daran und ein Narr. Jetzt aber bin ich kuriert, und nun kann die Geschichte von vorn wieder losgehen. Wenn wir nur heute mehr Munition gehabt, so hätten wir wahrhaftig das ganze Nest gleich genommen, so waren die Kerle auf der Flucht. Habe gar nicht geglaubt, daß der Colina so laufen könnte.«

In diesem Augenblick ertönte das Signal – es wurde zum Sammeln geblasen, und wenige Minuten später zog sich der Trupp, rasch geordnet und wieder in Reih' und Glied, nach Las Ajuntas zurück.



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