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Amerika gilt verschiedenen Völkern, so auch den Amerikanern selbst, als zwei Weltteile, Nord- und Südamerika. Tatsächlich ist diese Unterscheidung berechtigt, denn nur ein schmales Band, der Isthmus von Panama, verknüpft die beiden Kontinente.
Indessen ist diese Frage für unsere Zwecke von keiner Bedeutung.
Die ureingeborenen rötlich-kupferfarbenen Völker Amerikas, die den ganzen Weltteil noch heute in vereinzelten größeren oder kleineren Gruppen (Stämmen oder Horden) bewohnen, welche uns unter dem Namen Indianer bekannt geworden sind, zählen insgesamt etwa 10 bis 15 Millionen Seelen. Ob sie als autochthon im weitesten Sinne des Wortes – als Aboriginer des amerikanischen Bodens – anzusehen sind, ist eine offene Frage, die in der Einleitung dieses Werkes ausführlicher behandelt worden ist. Numerisch am stärksten sind die neuen weißen, von Europäern abstammenden Einwohner der Vereinigten Staaten, die mit 84 Millionen (nach dem Zensus von 1900), wovon jedoch ca. 10 Millionen in Europa geboren sind, die Hälfte aller Bewohner des Weltteils ausmachen. Ferner leben noch ca. 5 Millionen Weiße von europäischer Abkunft in Kanada und etwa 1-2 Millionen zugewanderte Europäer zerstreut in den übrigen Ländern. Die zahlreichen Mischlinge, die hauptsächlich für Mexiko, Zentral- und Südamerika in Betracht kommen, sowie die Neger und deren Mischlinge (hauptsächlich auf den westindischen Inseln und in Brasilien) bilden den Rest der Bevölkerung.
Man pflegt die ureingeborenen Amerikaner in die Hyperboreer oder Arktiker im Norden und die eigentlichen Amerikaner oder Rothäute, denen man noch den geographisch deplazierten Namen »Indianer« gegeben hat, zu scheiden. Von den ersteren, mit denen wir unsere Wanderungen durch die beiden Kontinente beginnen wollen, wird allgemein angenommen, daß sie eingewanderte Asiaten sind. Unter den asiatischen Völkern werden wir noch ganze Gruppen dieser Arktiker kennen lernen. In Amerika rechnet man zu ihnen im wesentlichen nur ein Volk: die Inuit oder Eskimos.
Die Eskimos leben in Grönland und auf dem Nordrand Nordamerikas und seiner benachbarten Inseln. Ein kleines Völkchen, erreichen die Frauen der kleinsten unter ihnen, der Grönländer Eskimos, ein Mittelmaß von nur 1,486 m. Die ölige, fette Haut ist von gesättigt rotbrauner oder gelbbräunlicher Farbe. Der Schädel ist hoch und lang, fast von pyramidaler Form. Der Gesichtsausdruck wird bestimmt durch eine starke Entwicklung der Kieferknochen und Kaumuskeln und die bedeutende Entfernung zwischen den inneren Augenwinkeln einerseits, den Augenbrauen und der Lidspalte andererseits, wie durch deutlich erkennbaren Prognathismus. Die Schlitzaugen und die Stellung der Backenknochen geben der Physiognomie eher einen mongoloiden als indianischen Charakter.
Das sehr dunkle, aber nicht eigentlich schwarze Auge liegt tief, die Lidspalte ist eng und kurz. Die Mundbildung mit den großen und verhältnismäßig dicken Lippen, vornehmlich der Unterlippe, erinnert an die Anthropoiden, besonders an den Schimpansen.
Die dicken, vollen Wangen, ebenso die Lippen, sind bei den Kindern knallrot, bei den Erwachsenen nur gerötet. Das schwarze Haar ist glänzend, sehr dick und straff. Blonde Typen mit blauen Augen, die sich hier und da finden, besonders in Godhavn, deuten auf alte normannische oder dänische Mischung; doch tragen auch diese unverkennbar Eskimozüge. Auch die Kinder von Dänen, die Eskimofrauen geheiratet haben, werden zu Eskimos in Sitte und Sprache.
Hände wie Füße sind klein und zierlich; nur ist die Haut an diesen Organen, ebenso im Gesicht, dick und grob, zum Unterschied von der ziemlich feinen und glatten Haut des Körpers.
Schönheit und Anmut sind gewiß keine Eigenschaften der Eskimofrauen; nach Amundsen finden sich aber unter den jungen Mädchen von Godhavn und Tupsi in Alaska genug hübsche Individuen, die sich auch nicht wie die nördlichen Eskimos tätowieren.
Ihre Kleidung ist ganz eigenartig. Sie besteht aus Seehundbeinkleidern, die bis an die Waden reichen, gelb oder rot gegerbten Seehundstiefeln und einer Jacke aus rotem oder grünem Baumwollstoff, die im Winter und bei Wasserfahrten durch eine Seehunddecke ersetzt wird. Dazu kommt als Kopfbedeckung eine pelzverbrämte Kapuze. Junge Mädchen tragen rote, Frauen grüne Bänder in den Haaren. Leider muß hinzugefügt werden, daß diese Kleidung von Fett trieft und voller Läuse steckt, die sie gelegentlich mit den Zähnen zerknicken. Überhaupt sind Männer wie Weiber von ekelerregender Unsauberkeit. Im Innern der Hütte legen die Frauen ihre Kleidung bis auf kurze Höschen meistens ab, eine Gewohnheit, die sie mit den asiatischen Arktikern teilen.
Mit Ausschluß der westlichen Eskimos herrscht bei ihnen wenigstens nach außen hin ein gewisser Anstand. Junge Mädchen sind züchtig, und Verführungen kommen selten vor. Im geheimen aber ist unter Verheirateten illegitimer Verkehr durchaus gang und gäbe. Anders bei den westlichen Eskimos. Bei ihnen herrscht Polyandrie ganz allgemein, und Sodomie soll sich noch häufiger finden als auf den Aleuten. Inzest zwischen Geschwistern, wie zwischen Eltern und Kindern soll ganz gewöhnlich sein.
Die Stellung der Eskimofrau ist eine sehr harte, obschon sie ihr Mann gut und sogar zärtlich bis ins hohe Alter behandelt. Häufig begegnet man besonders jüngeren verliebten Paaren, die sich ohne Scheu liebkosen. Aber der Eskimo, der sein Weib lieb hat, küßt es nicht wie wir kultivierten Europäer; an Stelle des Kusses tritt ein zärtliches Nasenreiben, wie wir es bereits bei den Polynesiern kennen gelernt haben.
Polygamie, doch selten mehr als zwei Frauen, ist den Nichtgetauften gestattet, gilt aber nicht als guter Ton, ebenso wie die zuweilen auftretende Polyandrie. Die Ehe wird in jungen Jahren zunächst auf Probe geschlossen und, falls der Mann unzufrieden, besonders wenn das Weib unfruchtbar ist, wieder aufgelöst. Selten finden sich mehr als 2-3 Kinder, und die Sterblichkeit unter ihnen ist groß.
Vom vierzehnten Jahre ab muß die Tochter die Mutter in der Häuslichkeit unterstützen. Bald wird sie in die Ehe gegeben und wohnt dann bei Lebzeiten ihrer Schwiegereltern in deren Hause mit ihrer Familie. War ihr Leben bisher noch erträglich angenehm, so ist es vom zwanzigsten Jahre ab eine Kette von Arbeit und Plage. Nicht nur im Haushalt, sondern auch beim Bauen der Häuser und Zelte muß sie tätig sein. Der Mann schafft nur das Material herbei. Selbst das Zerlegen des Wildes liegt ihr ob; denn für ihren Gatten wäre das bloße Herausziehen eines Seehundes aus dem Wasser eine Schande. Dennoch rühmen Reisende ihren heiteren und gutmütigen Charakter.
Ehe wir diese Zeilen schließen, möge noch eine Schilderung aus dem Leben der Eskimofrau folgen, wie sie uns Roald Amundsen in seinem berühmten Werk »Die Nordwest-Passage« bietet. Er führt uns in die Schneehütte ein, in der die Familie Sommer und Winter zubringt. Darinnen waltet die fleißige Hausfrau; sie bereitet das Essen, bearbeitet die Felle, mit denen sie das Eskimoboot, den Kajak, überzieht. Ihre kleinen Hände – »denn feinere und wohlgeformtere Hände und Füße als die der Eskimofrauen gibt es wohl kaum« – sind unaufhörlich beschäftigt; denn dort, wo ein Mangel in der Kleidung den Tod nach sich zieht, gibt es immer auszubessern.
Liebe ist in den seltensten Fällen der Beweggrund zur Ehe. Die Frauen verheiraten sich, weil sie eben von den Eltern weggegeben werden, und der Mann, um ein Haustier mehr zu bekommen; denn in Wirklichkeit ist die Stellung der Frau nichts mehr und nichts weniger als die eines Haustieres. Sie ist ein willenloses Werkzeug, das der Mann verschenken, verkaufen und vertauschen darf, was er, wenn sich Gelegenheit bietet, auch skrupellos tut. Der Mann gebietet, die Frau gehorcht ohne jeden Widerspruch. Dennoch soll das Familienleben dieses Volkes meist glücklich sein.
Endlos ist die Mutter um ihre Kinder besorgt. »Bis das Kind volle zwei Jahre alt ist – ja oft noch länger – wird es in einer Art von ganz kleinem Sack mit dem Rücken getragen, nicht in der Kapuze, wie man meinen sollte; diese ist nur ein notwendiger Anhang der weiblichen Kleidung und hat weiter keine Bedeutung, als daß sie bei kaltem Werter hinaufgeschlagen wird. Sie würde auch ganz denselben Dienst tun, wenn sie nur ein Drittel von ihrer wirklichen Große hätte. Das Kind aber wird immer in jener Art Sack getragen, der so klein ist, daß man ihn, wenn das Kind nicht drin ist, kaum sieht. Da liegt das Würmchen mit heraufgezogenen Beinen wie ein Frosch ganz nackt auf dem nackten Körper der Mutter. Das ist natürlich ein sehr warmer Platz; und um das Kind am Hinuntergleiten zu verhindern, trägt die Mutter auf ihrem Überkleid einen aus Renntiersehnen geflochtenen Strick um den Leib. Dieser Strick wird vorn mit zwei hölzernen oder beinernen Knöpfen zusammengehalten und kann im Nu geöffnet werden, wenn das Kind herausgenommen werden soll, was natürlich nicht so ganz selten vorkommt und bisweilen mit Blitzesschnelle ausgeführt werden muß. Ich habe gesehen, wie Säuglinge unter solchen Umständen aus ihrem warmen Platze herausgerissen und dann mehrere Minuten lang bei einer Temperatur von minus 50 Grad Celsius splitternackt gehalten wurden. Man sollte meinen, dies sei zu viel für solch ein kleines Kind, aber es schadet ihm offenbar nicht das geringste!«