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Die »Colonial« oder weiße Australierin.

Die von europäischer, d. h. vorwiegend britischer Herkunft entstammenden weißen Bewohner Australiens, treue Untertanen des Königs Georg, die für den unscharfen Beobachter kaum von den Briten zu unterscheiden sind, nennen sich selbst »Colonials«. Wer sie indessen näher betrachtet, wird zweifellos Züge und Eigenschaften bemerken, die sie von den Bewohnern des Mutterlandes unterscheiden. Nennen wir sie nach deutschem Brauch kurz Australier – der Leser weiß, daß an dieser Stelle nicht von den Eingebornen gesprochen werden soll.

Die junge Australierin entwickelt sich physisch weit früher und üppiger als die europäische Britin. Sie schießt sozusagen ins Kraut. So finden wir junge Mädchen im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren, die wir nach europäischen Begriffen für weit älter abschätzen würden. Alle Organe des Körpers erscheinen gleichmäßig entwickelt. Auffällig ist bei dieser weiblichen Jugend das prächtige lange Haar.

Diese Treibhauskultur macht sich aber nicht nur in der Jugend bemerkbar, sondern scheint ihnen Zeit ihres Lebens anzuhaften. Der frühen Entwicklung entspricht ein vorzeitiges Zurückgehen im Alter. Wenn die Britin physisch vielleicht erst im Zenith ihres Lebens steht, bewegt sich die Australierin bereits auf der niedergehenden Bahn, deren Abschluß ein verhältnismäßig früher Tod bildet.

Die intellektuellen Eigenschaften der Australierinnen sind gewiß nicht zu unterschätzen, obschon ihnen ihre britische Schwester überlegen ist. Im großen und ganzen fehlt ihnen trotz des besten Willens, eines besonders hoch entwickelten Ehrgeizes und großen Fleißes vielfach jene besondere Eigenschaft, die man im Englischen mit » pluck« bezeichnet und schätzt.

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Abb. 76. Jugendliche Tahitierinnen.

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Abb. 77. Kanakische Tänzerinnen von Hawaii.

Die Schulbildung entspricht ungefähr der britischen oder bleibt wenig hinter dieser zurück. Das Streben der sich bildenden Australierin geht wesentlich dahin, Preise und Diplome zu erlangen, und möglichst ein paar Buchstaben (die Anfangsbuchstaben einer Hochschule, in der sie ein Examen bestanden), die sie dann hinter ihren Namen setzt. Für den ideellen Wert der Bildung ist ihr Verständnis, wenigstens im Vergleich zu ihrem Verlangen nach jenen äußeren Zeichen, ein geringes. Es kommt ihr zunächst darauf an, ihre geistigen Errungenschaften bzw. das »Diplom« in Scheidemünze umzusetzen. Sie ist durchdrungen von dem Gedanken, daß auch die geringste Leistung in Schillings und Pence ausgedrückt werden kann.

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Abb. 78. Kanakin von Hawaii. Halbblut, von europäischem Vater.

Sicher finden die Australierinnen einen größeren Reiz in der Erlernung eines musikalischen Faches als im wissenschaftlichen Studium. Man ist in der Tat nicht übel musikalisch in den Kolonien, und die Liebe zur Kunst der Töne ist zweifellos noch größer als im englischen Mutterlande.

Berühmte Australierinnen sind nicht bekannt geworden, wenn wir von der Tänzerin Saharet und einer Anzahl von Frauen absehen, die gefeierte Sängerinnen geworden sind. Es scheint, daß das milde Klima einiger Kolonien besonders günstig für die Entwickelung der Kehlen ist.

Unsere Frauenrechtlerinnen rühmen öfters, daß in Australien Frauen es »sogar« zum Bürgermeister gebracht haben. Zufällig kenne ich das einzige primitive Örtchen, in dem eine Frau einen solchen Posten unlängst verwaltet hat. Wie schade, daß unsere Frauenrechtlerinnen nicht die »Bürger« dieses Ortes kennen; sie täten wahrscheinlich der australischen Bürgermeisterin nie wieder Erwähnung.

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Abb. 79. Jugendliche Markesas-Insulanerin.

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Abb. 80. Jugendliche Markesas-Insulanerin.

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Abb. 81. Jugendliche Markesas-Insulanerin.

Wo finden wir die schönsten Australierinnen? Ich nenne ohne Zögern Melbourne, danach vielleicht Adelaide, in dem ein guter Bruchteil der Bevölkerung von deutschem Ursprung, aber durchaus australisch anglisiert ist. In Sydney ist das Klima weniger günstig für die Entwickelung schöner Linien, eher für das In-die-Länge-Schießen der Körper. Neben recht sympathischen finden sich hier nicht gerade unschöne, aber öfters ziemlich rohe Züge. Ob das damit zusammenhängt, daß Neu-Süd-Wales, dessen Hauptstadt Sydney ist, eine der ehemaligen Sträflingskolonien des Landes war? Das abseits gelegene Neuseeland birgt wieder zahlreiche Frauengestalten von gewinnendstem Äußeren und angenehmen Wesen. Im Grunde genommen gilt die Australierin als Egoistin, als eine Frau, die gern auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist; schnell überwindet sie Dankgefühle, Anerkennung für ihr erwiesene Freundlichkeiten; schnell vergeht auch ihre Trauer um Dahingeschiedene, die ihr im Leben nahestanden. Dennoch ginge man zu weit, wollte man sie gemütlos nennen. Im Verkehr unter Freunden fand ich sie stets herzlich und aufrichtig, und vor allem überaus höflich. Ihr Empfindungsvermögen ist freilich mehr ein Anempfinden als jene nervendurchzuckende seelische Sensibilität, die wir Empfindung nennen. Was ich nie und nirgends in Australien gefunden habe, das ist die so oft übersprudelnde Heiterkeit und Ausgelassenheit unserer jungen Frauenwelt. Wie anders erscheint ihre britische Schwester im Vereinigten Königreich! Bei der Australierin macht sich vielmehr ein gewisser Zug von Schwermut dem bemerkbar, wenn er auch öfters unter der Oberfläche von Gleichmut und selbst Frohsinn schlummern mag. Was ist wohl der Grund dieser still hingetragenen Stimmung? Hat sie irgend welchen Zusammenhang mit den alten, längst vergessenen sozialen Zuständen des Landes? (Es heißt ja, daß in den meisten Australiern das Blut der ehemaligen Deportierten des Mutterlandes fließt.) Ist es Nicht-Anerkennung ihres Wertes in der Heimat (England)? Ist es das Bewußtsein geringer Leistungen? Oder ist es die ewige Sehnsucht nach dem Mutterlande, das die Australier so gut wie alle Briten der Welt die Heimat nennen? Es ist schwer, die Frage zu lösen.

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Abb. 82. Kanakin von Hawaii mit Lis geschmückt.

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Abb. 83. Junge Dame von Neu-Süd-Wales (Colonial).

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Abb. 84. Junge Dame aus Neu-Süd-Wales (Colonial).


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