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Jeden Freitag um neun Uhr abends vereinte der stille Gottesdienst des ehrwürdigen Paters Douillard die Elite der Gesellschaft von Alka in der aristokratischen Kirche des heiligen Mael. Prinz und Prinzessin Boscénos, Vikomte und Vikomtesse Olive, Frau Bigourd, Herr und Frau von la Trumelle versäumten kein einziges Gebet. Man sah dort die Blüte des Adels, und auch die schönen jüdischen Baroninnen ließen ihre Brillanten dort schimmern, denn die jüdischen Baroninnen von Alka waren Christinnen.
Dieser stille Gottesdienst hatte wie alle religiösen Veranstaltungen der Art den Zweck, den vornehmen Leuten etwas Sammlung zu verschaffen, die ihnen erlaubte, an ihr Heil zu denken. Auch sollte der Segen der heiligen Orberose, die die Pinguine liebt, auf so viele glanzvolle Familien herabgerufen werden. Mit wahrhaft apostolischem Eifer wirkte der ehrwürdige Pater Douillard für die Vollendung seines Werkes: die heilige Orberose wieder in die Befugnisse einer Schutzheiligen von Pinguinien einzusetzen und ihr auf einem der Hügel, die die Innenstadt beherrschen, eine monumentale Kirche zu weihen. Wunderbaren Erfolg hatte sein Mühen gekrönt, mehr als hunderttausend Anhänger und mehr als zwanzig Millionen Franks waren für das nationale Unternehmen gewonnen.
Im Chor der Kirche des heiligen Mael erhebt sich, von Gold glänzend, von Kleinodien funkelnd, von Kerzen und Blumen umringt, der neue Schrein der heiligen Orberose.
In des Abbé Plantin »Geschichte der von der Schutzheiligen Alkas vollbrachten Wunder« ist zu lesen:
»Der alte Schrein wurde während der Schreckensjahre eingeschmolzen, die kostbaren Reste warf man in ein auf dem Grèveplatz entzündetes Feuer. Doch eine sehr fromme, arme Frau namens Rot-Hans, holte nachts mit Gefährdung ihres Lebens die gedörrten Knochen und die Asche der Gottseligen aus der Glut. Sie bewahrte sie in einem Einmachtopf und brachte sie, als der Kult wiederhergestellt wurde, dem ehrwürdigen Pfarrer vom heiligen Maël. Frau Rot-Hans beschloß ihre Tage voll Frömmigkeit im Amt einer Kerzen-Verkäuferin und Stuhlvermieterin in der Kapelle der heiligen Orberose.«
Sicher ist, daß zur Zeit des Paters Douillard, beim Niedergang des Glaubens, der Orberose-Kult, der seit drei Jahrhunderten der Kritik des Kanonikus Princeteau und dem Schweigen der Kirchengelehrten erlegen war, sich von neuem aufrichtete und mit mehr Prunk, Glanz, Leidenschaft als je umgab. Jetzt schmälerten die Theologen die Legende um kein Jota mehr. Sie nahmen die sämtlichen vom Abt Simplicissimus berichteten Dinge als verbürgt und beschworen auf das Wort dieses geistlichen Mannes hin namentlich die Tatsache, daß der Teufel in Mönchsgestalt die Heilige zu einer Höhle entführt und mit jener gerungen habe, bis sie ihn bändigte. Weder Ort noch Zeit waren ihnen zur Last. Sie plagten sich nicht mit Exegese und hüteten sich, der Wissenschaft zuzubilligen, was damals der Kanonikus Princeteau ihr einräumte. Sie wußten nur zu wohl, wie diese einen hineinlegen konnte.
Die Kirche funkelte von Lichtern und Blumen. Ein Operntenor sang die berühmte Hymne der heiligen Orberose:
»Komm, paradiesisch Bild,
Jungfrau, in Nacht und braunen Düften
Strahle, o strahle mild,
Jungfrau, herab au« bebenden Lüften.«
Fräulein Clarence stellte sich neben ihre Mutter, gegenüber dem Vikomte Clèna, und lange kniete sie auf ihr Pult nieder; denn die Gebetshaltung ist für anständige Jungfrauen schicklich, und auch die Körperformen prägen sich dabei gut aus.
Der ehrwürdige Pater Douillard betrat die Kanzel. Er war ein machtvoller Redner; er wußte zu rühren, zu über» raschen, zu ergreifen. Die Frauen beklagten sich nur, daß er mit unmäßiger Rauheit gegen die Laster donnere, in derben Worten, von denen sie rot wurden. Das tat ihrer Liebe zu ihm keinen Abbruch.
In seiner Predigt behandelte er die siebente Prüfung der heiligen Orberose, die von dem Drachen, den sie bekämpfen sollte, versucht wurde. Doch sie fiel nicht und entwaffnete das Scheusal.
Mühelos bewies der Redner, daß wir mit Hilfe der heiligen Orberose und stark durch die Tugenden, die sie in uns senkt, die Drachen niederzwingen, die sich gegen uns wälzen, uns zu fressen bereit: den Drachen des Zweifels, den Drachen der Gottlosigkeit, den Drachen der Versäumnis der religiösen Pflichten. Daraus folgerte er, daß das Werk der Andacht zur heiligen Orberose ein Werk der gesellschaftlichen Wiedergeburt sei, und er endete mit einer glühenden Mahnung »an die Gläubigen, die sich zu Vermittlern der göttlichen Barmherzigkeit machen, Stützen und Nährväter des Werkes der heiligen Orberose werden und ihr alles liefern wollten, dessen es bedürfe, um aufzublühen und heilkräftige Früchte zu tragen.«Vgl. I. Ernest-Charles, Der Zensor, Mai-August 1907, S. 562, 2.
Nach Schluß der Zeremonie hielt sich der ehrwürdige Pater Douillard in der Sakristei den Gläubigen zur Verfügung, die Mitteilungen über das Werk begehrten oder ihre Beisteuer abladen wollten. Fräulein Clarence hatte dem ehrwürdigen Pater Douillard etwas zu sagen; der Vikomte Cléna gleichfalls. Es waren viele Leute da; sie mußten sich der Reihe nach aufstellen. Durch einen glücklichen Zufall trafen Vikomte Cléna und Fräulein Clarence sich im Gewühl, das sie wohl etwas hart gegeneinander schob. Eveline hatte mit dem eleganten jungen Mann, der in der Sportwelt fast ebenso bekannt war wie sein Vater, geliebäugelt. Elena hatte sie bemerkt, und da sie ihm hübsch schien, grüßte er sie, entschuldigte sich und tat, als glaube er den Damen schon vorgestellt worden zu sein, erinnere sich aber nicht mehr wo. Sie taten, als glaubten sie dasselbe.
In der nächsten Woche fand er sich bei Frau Clarence ein. Er hielt sie für etwas kupplerisch veranlagt, was ihm nicht mißfiel. Und als er Eveline wiedersah, erkannte er, daß er sich nicht getäuscht hatte, und daß sie äußerst hübsch war.
Vikomte Eléna besaß das schönste Automobil in Europa. Drei Monate lang führte er die Damen Clarence täglich darin aus, über Hügel, Felder, Wälder und Täler. Mit ihnen durcheilte er die Landschaften und besuchte er die Schlösser. Er sagte Eveline alles, was man sagen darf, und ging sehr ins Zeug. Sie verhehlte ihm nicht, daß sie ihn liebe, daß sie stets und einzig ihn lieben werde. Zitternd und ernst blieb sie ihm zur Seite. Auf die Hingabe einer Schicksalsneigung ließ sie, wenn es nötig war, den unbesieglichen Widerstand einer der Gefahr bewußten Tugend folgen. Als sie drei Monate in das Auto gestiegen, von ihm abgestiegen, wieder hinauf-, wieder hinabgestiegen und während unzähliger Pannen mit dem Vikomte umhergeschlendert war, kannte tiefer sie wie die Feder seiner Maschine, sonst aber nicht. Er berechnete Überraschungen und Abenteuer, plötzliche Rasten in Waldes Schoß und vor Nachtrestaurants, und dennoch kam er nicht von der Stelle. Er sagte sich, das sei doch zu blöd, nahm sie rasend wieder in sein Auto und machte in der Stunde hundertundzwanzig Kilometer, stets darauf vorbereitet, sie in einen Graben zu werfen oder mit sich an einem Baume zu zerschmettern.
Eines Tages holte er sie vor einer Ausfahrt in ihrer Wohnung ab. Er fand sie noch reizender und verwirrender, als er geglaubt hatte. Er stürzte auf sie zu wie der Orkan ins Röhricht an eines Sumpfes Rand. Mit anbetungswürdiger Schwäche kippte sie um, zwanzigmal war sie nahe daran, losgerissen, zerbrochen sich vom Sturm forttragen zu lassen, zwanzigmal richtete sie sich behend und schneidend empor. Dabei schien es nach so vielem Toben, als ob kaum ein sachtes Lüftchen über ihre zarten Halme geglitten wäre. Sie lächelte, als sei sie gewillt, sich der kühnen Hand zu schenken. Da entfloh ihr unseliger Angreifer, um sie nicht zu morden, außer sich, wutentbrannt, zu drei Vierteln verrückt, irrte sich in der Tür, drang ins Schlafzimmer, wo Frau Clarence vor dem Spiegelschrank ihren Hut aufsetzte, ergriff sie, warf sie über das Bett und nahm sie, bevor ihr klar wurde, was eigentlich los sei.
Am gleichen Tag erfuhr Eveline, die sich erkundigen ging, daß Vikomte Eléna nur Schulden habe, vom Geld einer alten Dirne lebe und die neuen Marken eines Automobilfabrikanten in Kurs bringe. Sie trennten sich in Eintracht, und wiederum servierte Eveline mißvergnügt den Gästen ihrer Mutter den Tee.