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Die Insel sah nicht länger so holprig aus wie damals, als sie zwischen schwimmendem Eis in einem Amphitheater von Felsen ein Vogelvolk beherbergte. Ihr schneeiger Gipfel war eingesunken, und nur ein Hügel war noch da, von dessen Höhe man Armorikas Küsten entdeckte, in ewigem Nebelschleier, und den Ozean, der mit finsteren Klippen besäet war, wie mit Ungeheuern, die über dem Abgrund sich halb aufgerichtet hatten.
Der Insel Ufer waren jetzt sehr ausgedehnt und ausgebuchtet, und ihre Gestalt erinnerte an das Blatt des Maulbeerbaums. Plötzlich wuchs salziges, den Herden willkommenes Gras, es sprossen Weiden, alte Feigenbäume und hohe Eichen. Den Vorfall bezeugen Beda Venerabilis und sonst mehrere glaubwürdige Autoren.
Im Norden bildete das Ufer eine tiefe Bai, die später einer der berühmtesten Häfen der Welt wurde. Im Osten erstreckte sich, vor einem steinigen Küstengebiet, gegen das schäumend das Meer sich wälzte, eine öde, duftende Heide. Dies war das Gestade der Schatten, wohin die Inselbewohner sich niemals wagten, aus Furcht vor den Schlangen, die in den Felslöchern nisteten, und aus Angst, dort die Seelen der Toten in Gestalt bläulicher Flammen zu treffen. Im Süden begrenzten Obstgärten und Wälder die warme Bucht der Meertaucher. Auf diesem Glücksgestade baute der Greis eine Kirche und ein hölzernes Kloster. Im Osten benetzten zwei Bäche, Clange und Surelle, die fruchtbaren Täler der Steinfliesen und der Domben.
An einem Herbstmorgen nun sah der selige Maël, der mit einem Mönch von Yvern, namens Bulloch, das Tal des Clange durchwandelte, über den Weg Rotten von wild scheuen Menschen gehn, die Steine mit sich führten. Und sogleich hörte er von überall Schreie und Klagen aus dem Tal zum ruhigen Himmel dringen.
Und er sprach zu Bulloch:
»Zu meiner Trauer gewahre ich, mein Sohn, daß die Inselbewohner, seit sie Menschen geworden sind, mit geringerer Weisheit handeln denn früher. Als sie Vögel waren, zankten sie sich nur in der Jahreszeit der Liebe. Und jetzt streiten sie immerzu. Sommer und Winter sind sie aufeinander erbost. Wie sehr sind sie von jener friedlichen Hoheit abgefallen, die auf der Versammlung der Pinguine lagerte und sie dem Senat einer weisen Republik ähneln ließ.
Blicke, mein Sohn Bulloch, nach der Surelle hin. Just sind in dem kühlen Tal ein Dutzend Pinguinen-Männer beschäftigt, einander mit Spaten und Hacken zusammenzuhauen, mit denen sie besser die Erde aufgraben würden. Doch grausamer noch als die Männer zerreißen die Weiber mit ihren Nägeln das Gesicht der Feinde. Weh! mein Sohn Bulloch, warum morden sie also?«
»Aus Genossenschaftsgeist, mein Vater, und in Ahnung der Zukunft,« erwiderte Bulloch. »Denn der Mensch ist seinem Wesen nach ahnungsvoll und gesellig. So ist nun einmal sein Charakter. Ohne eine bestimmte Aneignung von Dingen kann er sich selbst nicht vorstellen. Die Pinguine, die Ihr seht, Meister, eignen sich Ländereien an.«
»Könnten sie das nicht minder gewaltsam tun?« fragte der Greis. »Mitten im Kampf tauschen sie Schimpf und Drohung. Ihre Worte kann ich nicht unterscheiden. Dem Ton ist zu entnehmen, daß sie zornig sind.«
»Wechselseitig klagen sie sich des Diebstahls und des Raubes an,« erwiderte Bulloch. »Dies ist der allgemeine Sinn ihrer Reden.«
Da stieß der fromme Maël, die Hände ringend, einen großen Seufzer aus und rief:
»Siehst du nicht, mein Sohn, diesen Rasenden, der mit den Zähnen die Nase seines hingeschleuderten Gegners zerbeißt, und den dort, der eines Weibes Kopf unter einem riesigen Stein zermalmt!«
»Ich sehe sie,« antwortete Bulloch. »Sie schaffen das Recht. Sie gründen das Eigentum. Sie errichten die Prinzipien der Zivilisation, den Unterbau der Gesellschaft, die Grundlagen des Staates.«
»Wieso denn?« fragte der Greis Maël.
»Indem sie ihre Fluren abgrenzen. Das ist der Ursprung jeder Polizei. Eure Pinguine, Meister, vollziehen die erhabenste Tätigkeit. Ihr Werk wird die Jahrhunderte hindurch von den Gesetzesforschern geweiht, von den Behörden geschützt und bekräftigt werden.«
Während der Mönch Bulloch diese Worte sprach, stieg ein großer, weißhäutiger, rothaariger Pinguin ins Tal hinab, einen Baumklotz auf der Schulter. Er näherte sich einem kleinen, in der Sonne völlig verbrannten Pinguin, der seinen Lattich bewässerte, und schrie ihn an: »Dein Feld gehört mir!«
Und als er dieses machtvolle Wort verkündet hatte, hieb er mit seiner Keule auf den Schädel des kleinen Pinguins, der tot niederfiel über den von seinen Händen gepflegten Acker.
Bei diesem Anblick schauderte es den frommen Maël am ganzen Leib, und er vergoß stürzende Tränen.
Und mit einer Stimme, die Grauen und Angst erstickten, sandte er zum Himmel das Gebet:
»Mein Gott, Herr, der du des jungen Abel Opfer empfangen, der du Kain verflucht hast, räche, o Herr, diesen unschuldigen, auf seinem Felde hingeschlachteten Pinguin und gib dem Mörder deines Armes Wucht zu fühlen! Ist ein Verbrechen hassenswerter, kann etwas deine Gerechtigkeit schwerer beleidigen als dieser Mord und dieser Diebstahl?«
»Nehmt Euch in acht, mein Vater,« sprach Bulloch sänftiglich. »Was Ihr Mord und Diebstahl nennt, sind in Wahrheit Krieg und Eroberung, die geheiligten Fundamente der Kaiserreiche, die Quellen aller menschlichen Tugend und Größe. Bedenkt zumal, daß Ihr, wenn Ihr den großen Pinguin tadelt, das Eigentum in seinem Ursprung und in seinem Prinzip angreift. Unschwer kann ich Euch das beweisen. Den Acker pflegen ist ein Ding, den Acker besitzen ein zweites. Und diese beiden Dinge dürfen nicht durcheinandergebracht werden. In Sachen des Eigentums ist das Recht des ersten Besitzers unsicher und schlecht begründet. Das Recht der Eroberung hingegen ruht auf soliden Grundlagen. Es ist allein zu achten, weil es allein sich Achtung erzwingt. Des Eigentums einziger, herrlicher Ursprung ist die Gewalt. Es wird durch Gewalt geboren, durch Gewalt bewahrt. Und soweit ist diese erhaben, daß sie nur einer Gewalt weicht, die noch größer ist. Deshalb gebührt sich's zu sagen, daß, wer besitzt, edel ist. Und dieser große Rothaarige hat vorhin, indem er einen Ackersmann tötete, um ihm sein Feld zu rauben, auf Erden ein sehr edles Haus begründet. Ich gehe und wünsche ihm Heil.«
Hierauf näherte sich Bulloch dem großen Pinguin, der an der blutgetränkten Ackerfurche stand und sich auf seine Keule lehnte.
Und Bulloch verneigte sich bis zum Boden und sprach:
»Herr Greatauk, schrecklicher Fürst, ich habe Euch jetzt als dem Begründer gesetzlicher Macht und erblichen Reichtums gehuldigt. In Euer Feld verscharrt, wird der Schädel des niederen Pinguins, den Ihr erschlagen habt, für immer die geheiligten Rechte Eurer Nachkommenschaft auf diese durch Euch geadelte Erde bezeugen. Heil Euren Söhnen und Eurer Söhne Söhnen! Sie werden Greatauk heißen, Herzöge von Skull, und über die Insel Alka gebieten.«
Dann erhob er die Stimme und wandte sich zu Maël, dem frommen Greis:
»Mein Vater, segnet Greatauk! Denn alle Macht kommt von Gott.«
Maël blieb unbeweglich, stumm und starrte zum Himmel hinauf; er empfand schmerzlichen Zweifel an der Lehre des Mönches Bulloch. Und doch sollte diese Lehre in den Zeiten der hohen Zivilisation obsiegen. Bulloch kann als Schöpfer des bürgerlichen Rechts in Pinguinien betrachtet werden.