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Orberose liebte ihren Gatten, aber sie liebte nicht bloß ihn. Um die Stunde, da Venus am blassen Himmel aufglüht, wenn Kraken Schreck zu verbreiten in die Dörfer ging, besuchte sie in seinem rollenden Haus einen jungen Hirten vom Tal der Steinfliesen mit Namen Marcel, dessen anmutige Gestalt unermüdliche Kraft verbarg. Wonnevoll teilte die schöne Orberose den duftenden Pfühl des Hirten. Doch fern lag ihr, sich ihm als das vorzustellen, was sie war. Sie nannte sich Brigitta und sagte, sie sei die Tochter eines Gärtners an der Bucht der Meertaucher. Wenn sie mit Bedauern des Hirten Arm sich entrang, lief sie durch die rauchenden Wiesen zum Gestade der Schatten. Und traf sie einen Bauern, der sich verspätet hatte, so faltete sie ihre Schleier auseinander wie große Flügel und rief:
»Schlage, der du da kommst, die Augen nieder, damit du nicht sagen mußt: Wehe, wehe mir! Denn ich habe den Engel des Herrn gesehen!«
Zitternd kniete der Dörfler und legte die Stirn zu Boden. Und etliche Leute auf der Insel meinten, nachts gingen Engel über den Weg und, wer sie erblicke, müsse sterben.
Kraken wußte nichts von der Liebe der Orberose und des Marcel. Denn er war ein Held, und die Helden ergründen nie die Geheimnisse ihrer Frauen. Doch wenn Kraken auch von dieser Liebschaft nichts wußte, ihren wertvollen Ertrag ließ er sich gefallen. Jede Nacht fand er seine Genossin lächelnder und schöner wieder. Sie atmete Wollust, sie hauchte sie aus und badete das Ehebett mit köstlichem Duft von Fenchel und Eisenkraut. Sie liebte Kraken mit einer Liebe, die nie lästig oder bekümmert war, weil nicht er allein ihr Joch trug.
Und bald sollte die glückliche Untreue der Orberose den Helden vor einer großen Gefahr retten und sein Glück, seinen Ruhm für alle Zeit sichern. In der Dämmerung sah sie einen Ochsenhirten von Belmont vorübergehen, der seine Ochsen antrieb, und sie begann ihn mehr zu lieben, als sie je den Schafhirten Marcel geliebt hatte. Er war bucklig, die Schultern ragten ihm über die Ohren. Sein Leib wiegte sich auf ungleichen Beinen. Mit gelbem Licht wälzten seine scheelen Augen sich unter struppigem Haar. Eine heisere Stimme und zischendes Lachen kam aus seinem Schlund. Er roch nach dem Stall. Doch für sie war er schön. »Mancher,« sagte Gnathon, »hat eine Pflanze geliebt, ein anderer einen Fluß, ein anderer ein Tier.«
Eines Tages nun, als sie in einem Dorfspeicher, zwischen den Armen des Ochsenhirten ausgespannt und abgespannt, seufzte, überraschte Trompetenschall, Lärm und Getrappel ihr Ohr. Sie blickte durch die Luke und sah die Bewohner auf dem Marktplatz um einen jungen Mönch versammelt, der von einem Stein herab mit klarer Stimme die folgenden Worte sprach:
»Einwohner von Belmont, der Abt Maël, unser verehrter Vater, entbietet euch durch meinen Mund, daß weder die Kraft der Arme noch Waffengewalt den Drachen besiegen werden; sondern nur eine Jungfrau wird das Tier überwinden. Ist also unter euch eine reine und völlig unberührte Jungfrau, so mag sie sich erheben und dem Ungeheuer entgegengehen. Und wenn sie es trifft, soll sie ihm ihren Gürtel um den Hals schlingen, und leicht wie ein Hündchen wird es sich lenken lassen.«
Und der junge Mönch zog seine Kapuze wieder über den Kopf und entwich, auch in anderen Dörfern die Botschaft des frommen Maël zu bestellen.
Schon war er fern, als, ins Liebesstroh gelauert, eine Hand auf dem Knie, auf die andere ihr Kinn stützend, Orberose noch immer dem nachsann, was sie gehört hatte. Wennschon sie von der Macht einer Jungfrau für Kraken viel weniger befürchtete als von der Kraft bewaffneter Männer, ward sie durch des frommen Maël Botschaft doch in Unruhe versetzt. Eine unklare, sichere Regung, die ihren Geist bezwang, sagte ihr, daß Kraken hinfort nicht mehr ungestört den Drachen spielen könne.
Sie fragte den Ochsenhirten:
»Schatz, was hältst du von dem Drachen?«
Der Bauer schüttelte den Kopf:
»Gewiß ist nun einmal, daß in alter Zeit Drachen das Land verheerten. Und man sah welche, die waren wie Berge so groß. Aber jetzt kommen keine mehr, und was man hier für ein schuppenbedecktes Ungeheuer ansieht, das sind, glaube ich, Seeräuber oder Händler, die die schöne Orberose und die schönsten Kinder von Alka in ihrem Schiff fortgeschleppt haben. Und wenn einer von den Banditen mir einen Ochsen stehlen will, dann werde ich ihm, mit Gewalt oder mit List, die Sache schon versalzen.«
Dieses Wort des Rinderhirten mehrte die Besorgnis der Orberose und entfachte aufs neue ihre Angst um einen Gatten, den sie liebte.