Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Achtes Kapitel

Verwandlung der Pinguine

Der Erzengel schwebte zur Pinguin-Insel hinab und fand den frommen Mann in der Höhlung eines Felsens unter seinen neuen Schülern entschlummert. Er legte ihm die Hand auf die Schulter, weckte ihn und sprach mit sanfter Stimme: »Maël, fürchte dich nicht!«

Und von starkem Lichte geblendet, von köstlichem Duft berauscht, erkannte der fromme Mann den Engel des Herrn und neigte sich mit der Stirn auf den Boden.

Und der Engel sprach weiter:

»Maël, erkenne deinen Irrtum! Du hast, im Glauben, Kinder Abrahams zu taufen, Vögel getauft. Und so sind durch dich Pinguine in Gottes Kirche gekommen.«

Bei diesen Worten ward dem Greis ganz dumm. Und der Engel fuhr fort:

»Steh auf, Maël, bewaffne dich mit dem mächtigen Namen des Herrn und sprich zu diesen Vögeln: Seid Menschen!«

Und der fromme Maël weinte und betete und wappnete sich mit dem mächtigen Namen des Herrn und sprach zu den Vögeln:

»Seid Menschen!«

Alsbald wechselten die Vögel die Gestalt. Ihre Stirn wurde breit, ihr Schädel rundete sich zur Kuppel, ähnlich der Sankta Maria Rotonda in Rom. Ihre ovalen Augen starrten größer ins Weltall. Eine fleischige Nase überzog die Spalten ihrer beiden Nasenlöcher. Ihr Schnabel wandelte sich zum Mund, und aus diesem Mund kam das Wort. Ihr Hals wurde kurz und dick. Ihre Flügel wurden Arme und ihre Pfoten Beine. Eine unruhige Seele bewohnte jetzt ihre Brust. Doch blieben noch einige Spuren ihrer ersten Natur. Sie schielten etwas, sie wiegten sich auf ihren zu kurzen Schenkeln, und ihr Leib war noch immer mit feinem Flaum bedeckt.

Und Maël dankte dem Herrn, daß er diese Pinguine in Abrahams Sippe aufgenommen habe.

Doch ihn betrübte der Gedanke, er müsse die Insel bald verlassen, um nie zurückzukehren, und fern von ihm solle der Glaube der Pinguine vielleicht unbewacht zugrunde gehen wie ein zu junges, zu zartes Pflänzchen. Und er geriet auf den Einfall, ihre Insel nach der Küste von Armorika zu ziehen.

»Ich kenne die Absichten der ewigen Weisheit nicht,« sprach er bei sich. »Doch wenn Gott die Verlegung der Insel will, wer kann sie dann hindern?«

Und der fromme Mann webte aus dem Linnen seiner Stola eine sehr dünne, vierzig Fuß lange Schnur. Er schlang ein Ende dieser Schnur um eine Felsenspitze, die aus dem Dünensand ragte, hielt das andere Ende der Schnur in der Hand und stieg so in den steinernen Kübel.

Der Trog glitt aufs Meer, mit der Pinguin-Insel im Schlepptau. Nach neuntägiger Fahrt landete er glücklich, samt der Insel, an der Küste der Bretonen.


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