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Gemäß den Ratschlägen des frommen Maël bemühten sich die Einwohner von Alka, den Aberglauben, der unter ihnen gekeimt hatte, auszurotten. Sie wachten, daß ihre Töchter nicht mehr um den Feenbaum tanzten und dabei Zaubersprüche sangen. Den jungen Müttern verboten sie streng, ihre Säuglinge, um sie zu kräftigen, an den auf den Fluren errichteten Steinen zu reiben. Ein Greis aus dem Tal der Domben, welcher die Zukunft verkündigte, indem er Gerstenkörner siebte, wurde in einen Brunnenschacht gestoßen.
Das Ungeheuer indessen ließ sich nicht stören. Nacht für Nacht plünderte es Geflügelhöfe und Ställe. Entsetzt verschanzten die Bauern sich in ihren Häusern. Eine schwangere Frau, die durch eine Luke im Mondschein den Schatten des Drachen über den blauen Weg rennen sah, erschrak so sehr, daß ihre Frucht sofort vor der Zeit abging.
In diesen Tagen der Prüfung dachte der fromme Maël beständig über die Natur des Drachen nach und die Mittel, sie zu besiegen. Nach sechs Monaten des Forschens und Betens glaubte er, was er suchte, wohl gefunden zu haben. Als er eines Abends in Gesellschaft eines jungen Mönches mit Namen Samuel am Meerufer wandelte, sprach er sich dahin aus:
»Lange habe ich Geschichten und Sitte der Drachen erforscht, nicht eitle Neugier zu befriedigen, sondern Beispiele zu entdecken, die für die gegenwärtigen Verhältnisse eine Richtschnur sind. Und das ist, mein Sohn Samuel, der Nutzen der Geschichte.
Verbürgt ist, daß die Drachen äußerst wachsam sind. Sie schlafen niemals. Drum sieht man sie oft zur Hut von Schätzen verwandt. Ein Drache hütete in Kolchis das goldene Vließ, das Jason von ihm eroberte. Ein Drache hat die goldenen Äpfel im Garten der Hesperiden bewacht. Er wurde durch Herkules getötet und von Juno in ein Gestein verwandelt. Das Ereignis wird in den Büchern berichtet. Ist es wahr, so hat Zauberei es hervorgerufen, denn die Heidengötter sind in Wirklichkeit Teufel. Ein Drache hat den rauhen, unwissenden Menschen aus dem kastalischen Quell zu trinken gewehrt. Auch des Drachen der Andromeda ist zu denken, den Perseus getötet hat.
Doch lassen wir die heidnischen Fabeln, bei denen Irrtum und Wahrheit unaufhörlich sich mischen. Drachen begegnen wir in der Geschichte des strahlenden Erzengels Michael, der Heiligen Georg, Philippus, Jakobus des Älteren und Patricius, der heiligen Frauen Martha und Margareta. Und in solchen unbedingt glaubwürdigen Erzählungen müssen wir Trost und Rat suchen.
Die Geschichte des Drachen von Silenus bietet uns wohl die köstlichsten Beispiele dar. Wisset, mein Sohn, daß am Rand eines großen Sumpfes in der Nähe dieser Stadt ein furchtbarer Drache wohnte, der öfters sich zu den Mauern heranschlich und mit seinem Odem sämtliche Bewohner der Vorstädte vergiftete. Und um nicht von dem Ungeheuer verschlungen zu werden, lieferten die Silener ihm allmorgendlich einen von sich aus. Das Opfer wurde durchs Los gewählt. Nach hundert anderen bestimmte das Los die Königstochter.
Nun kam der heilige Georg, der Militärtribun war, durch die Stadt Silenus und erfuhr, daß man soeben die Königstochter zu dem wilden Tier gebracht hatte. Da stieg er wieder zu Pferd, bewaffnete sich mit seiner Lanze und eilte dem Drachen nach. Er erreichte ihn in dem Augenblick, da das Ungeheuer die königliche Jungfrau verschlingen wollte. Und als der heilige Georg den Drachen niedergestürmt hatte, schlang die Königstochter ihren Gürtel um den Hals des Tieres, das ihr folgte wie ein Hund am Gängelband.
Dies ist für uns ein Beispiel von der Macht der Jungfrauen über die Drachen. Die Geschichte der heiligen Martha gibt uns einen noch sichereren Beweis. Kennst du diese Geschichte, mein Sohn Samuel?«
»Ja, mein Vater,« antwortete Samuel.
Und der selige Maël fuhr fort:
»In einem Walde am Ufer der Rhone, zwischen Arles und Avignon, hauste ein Drache, halb Vierfüßler, halb Fisch, größer als ein Ochse, mit Zähnen so spitz wie Hörner und Flügeln, die bis zu den Schultern gespannt waren. Er versenkte Schiffe und fraß die Passagiere. Auf des Volkes Bitten zog die heilige Martha gegen diesen Drachen, den sie fand, wie er einen Menschen verzehrte. Sie schlang ihm den Gürtel um den Hals und führte ihn leicht zur Stadt.
Diese zwei Beispiele regten den Gedanken in mir an, daß die Macht einer Jungfrau uns helfen müsse, den Drachen zu überwinden, der Entsetzen und Tod auf der Insel Alka sät.
Deshalb, mein Sohn Samuel, gürte deine Lenden und gehe, bitte, mit zwei von deinen Gefährten in sämtliche Dörfer dieser Insel und gib überall bekannt, daß nur eine Jungfrau die Insel von dem Ungeheuer zu befreien mag, das sie entvölkert.
Lobgesänge und Psalmen wirst du singen und sprechen:
›O Söhne der Pinguine, wenn unter euch eine völlig reine Jungfrau wohnt, soll sie sich erheben und, mit dem Kreuzeszeichen bewaffnet, wider den Drachen kämpfen!‹«
So sprach der Greis, und der junge Samuel versprach Gehorsam. Am nächsten Tage schon gürtete er seine Lenden und reiste mit zweien seiner Gefährten ab, den Bewohnern von Alka zu verkünden, daß einzig eine Jungfrau die Pinguine von des Drachen Wut zu befreien vermöge.