Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Viertes Kapitel

Der erste pinguinische Ständetag

»Mein Sohn Bulloch,« sprach der Greis Maël, »wir müssen die Pinguine zählen und eines jeden Namen in ein Buch einzeichnen.«

»Das ist äußerst dringend,« antwortete Bulloch. »Sonst ist eine gute Polizei nicht möglich.«

Sofort ließ der Apostel mit Hilfe von zwölf Mönchen die Volkszählung veranstalten.

Und dann sprach der Greis Maël:

»Jetzt, wo wir ein Verzeichnis sämtlicher Einwohner haben, müssen wir, mein Sohn Bulloch, eine gerechte Steuer erheben, um die öffentlichen Ausgaben und den Unterhalt der Abtei zu bestreiten. Jeder trage nach seinen Mitteln bei. Deshalb, mein Sohn, rufe die Ältesten von Alka, im Einvernehmen mit ihnen werden wir die Steuer festsetzen.«

Auf diesen Ruf hin vereinigten sich die Ältesten, dreißig an der Zahl, im Hof des hölzernen Klosters, unter der großen Sykomore. Das war der erste pinguinische Ständetag. Zu drei Vierteln bestand er aus den Großbauern von Surelle und Clange. Greatauk thronte als der Pinguine Edelster auf einem hohen Stein.

Der ehrwürdige Maël nahm unter seinen Mönchen Platz und sprach folgendermaßen:

»Kinder, der Herr gibt und entzieht den Menschen Reichtum, wie ihm gefällt. Nun habe ich euch versammelt, um vom Volk Steuern zu erheben, zur Bestreitung der öffentlichen Ausgaben und für den Unterhalt der Mönche. Ich schätze, daß diese Steuern dem Reichtum eines jeden gemäß sein müssen. So wird, wer hundert Ochsen hat, zehn geben, wer zehn hat, einen.«

Als der fromme Mann gesprochen hatte, stand Morio auf, ein Bauer von Anis am Clange, einer der reichsten Pinguine, und sagte:

»O Maël, mein Vater, ich schätze, daß es gerecht ist, wenn jeder zu den öffentlichen Ausgaben und zu den Kosten der Kirche beiträgt. Ich für meine Person will mich zum Wohl meiner pinguinischen Brüder alles dessen entäußern, was ich besitze, und müßte es sein, so gäbe ich frohen Mutes sogar mein Hemd. Alle Ältesten des Volkes sind wie ich bereit, ihr Hab und Gut zu opfern; und gegen ihre unbedingte Treue zum Vaterland und zum Glauben ist kein Einwand. Wir müssen also nur das öffentliche Wohl erwägen und tun, was es heischt. Nun, mein Vater, es heischt, es fordert, daß man nicht viel von denen verlange, die viel besitzen, denn dann würden die Reichen weniger reich und die Armen noch ärmer. Die Armen leben von der Reichen Gut; deshalb ist dieses Gut geheiligt. Rührt nicht daran; es wäre grundlose Bosheit. Nehmt Ihr von den Reichen, so bringt Euch das keinen großen Nutzen; denn ihrer sind nicht viele. Und Ihr würdet im Gegenteil Euch jede Hilfsquelle versperren und das Land ins Elend senken. Wenn Ihr aber von jeglichem Einwohner einen geringen Beistand verlangt, ohne sein Hab und Gut zu rechnen, so werdet Ihr genug für Eueren Bedarf gewinnen, und Ihr braucht Euch nicht nach dem Besitz der Bürger zu erkundigen, die jede Nachforschung dieser Art als hassenswert und lästig betrachten würden. Wenn Ihr jedermann gleichmäßig und leicht besteuert, so schont Ihr die Armen, da Ihr ihnen die Güter der Reichen laßt. Und wie soll man die Steuer vom Reichtum abhängig machen? Gestern hatte ich zweihundert Ochsen; heute habe ich sechzig, morgen würde ich hundert haben. Clunic hat drei Kühe; doch sie sind mager. Nicclu hat nur zwei; doch sie sind fett. Wer ist reicher, Clunic oder Nicclu? Die Zeichen des Wohlstandes sind trügerisch. Sicher ist nur, daß jeder ißt und trinkt. Besteuert die Leute nach dem, was sie verzehren. Das wird die Weisheit sein, die Gerechtigkeit.«

So sprach Morio unter dem Beifall der Ältesten.

»Ich verlange, daß man diese Rede auf eherne Tafeln ritzt,« schrie der Mönch Bulloch. »Sie ist ein Vermächtnis für die Zukunft. In fünfzehnhundert Jahren werden die besten Pinguine nicht anders reden.«

Die Ältesten klatschten noch, als Greatauk, die Hand auf dem Schwertknauf, die kurze Erklärung abgab: »Da ich edel bin, zahle ich keine Steuer. Denn Steuer zahlen ist gemein. Das Hundepack soll zahlen.«

Auf diese Erklärung hin trennten sich die Ältesten schweigend.

So wie in Rom wurde alle fünf Jahre der Zensus festgesetzt; und hierdurch gewahrte man, daß die Bevölkerung mit Schnelligkeit zunahm. Obwohl die Kinder in wunderbar großer Zahl starben und Hunger und Seuche mit vollkommener Pünktlichkeit ganze Dörfer verheerten, trugen immer neue und immer mehr Pinguine durch ihr privates Elend zum öffentlichen Wohlstand bei.


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