Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Siebentes Kapitel

Eine Versammlung im Paradies (Schluß)

Die heilige Katharina begab sich zur Versammlung. Ihr Haupt war mit einer Krone von Smaragden, Saphiren und Perlen geziert, und gewandet war sie mit goldenem Kleide. Seitlich trug sie ein flammendes Rad, ein Bild desjenigen, dessen Lodern ihre Peiniger bestürzt hatte.

Der Herr lud sie zum Reden ein, und sie ließ sich folgendermaßen aus:

»Herr, um die Frage zu lösen, die Ihr mir vorzulegen geruht, will ich nicht die Sitten der Tiere im allgemeinen und auch die der Vögel nicht im besonderen prüfen. Ich möchte nur den Doktoren, Bekennern und Priestern, die hier zum Rat vereint sind, vor Augen halten, daß die Trennung zwischen Mensch und Tier unvollständig ist, da es spukhafte Wesen gibt, die zu beiden Gattungen zählen. So die Chimären, die halb Nymphen sind, halb Schlangen; die drei Gorgonen, die ziegenfüßigen; so die Scyllen und Sirenen, die auf dem Meere singen. Sie haben eines Weibes Rumpf und einen Fischschwanz. So sind auch die Kentauren, die Männer sind bis zum Gürtel und von da ab Pferde. Sie sind eine edle Rasse von Ungeheuern. Einer hat, wie ihr wißt, nur vom Lichtstrahl der Vernunft geleitet, sich den Weg zur ewigen Seligkeit gebahnt, und manchmal seht ihr seine Heldenbrust auf goldenem Gewölk sich bäumen. Der Kentaur Chiron hat durch seine irdischen Arbeiten es verdient, den Aufenthalt der Seligen zu teilen. Den Achill hat er erzogen; und als er ihn freigab, hat der junge Held zwei Jahre lang, wie eine Jungfrau gekleidet, unter den Töchtern des Königs Lykomedes gelebt. Spiele und Lager hatte er mit ihnen gemein, und keinen Augenblick hat er ihnen den Verdacht erregt, daß er nicht wie sie eine zarte Jungfrau sei. Chiron, der in seinem Zögling so gute Sitten befestigt hat, ist mit dem Kaiser Trajan der einzige Gerechte, der himmlischen Ruhm durch des Naturgesetzes Wahrung erlangt hätte. Und dabei ist er nur ein Halbmensch gewesen.

Ich glaube durch dieses Beispiel euch überführt zu haben, daß zum Eingang in die ewige Seligkeit der Besitz menschlicher Teile, falls sie edel sind, genügt. Und was dem Chiron möglich war ohne die Wiedergeburt durch die Taufe, weshalb sollten die getauften Pinguine, wenn sie nun Halbpinguine und Halbmenschen werden sollten, es nicht verdienen? Darum flehe ich zu Euch, Herr, gebt den Pinguinen des Greises Maël einen Menschenkopf und einen Menschenrumpf, daß sie Euer würdig leben können, und bewilligt ihnen eine, wenn auch kleine, unsterbliche Seele.«

Also sprach Katharina, und die Kirchenväter, Doktoren, Bekenner, Priester ließen ein Gemurmel der Zustimmung vernehmen.

Doch der heilige Antonius, der Eremit, sprang auf, streckte dem Allerhöchsten seine beiden knotigen, roten Arme entgegen und rief: »Tut's nicht, Herr mein Gott, im Namen Eures heiligen Trösters, tut's nicht!«

So heftig sprach er, daß der lange, weiße Bart um sein Kinn gleich dem leeren Freßsack um das Maul eines hungrigen Pferdes wippte.

»Herr, tut's nicht. Vögel mit Menschenköpfen gibt es schon. Die heilige Katharina hat nichts Neues ersonnen.«

»Die Einbildungskraft sammelt und vergleicht; sie ist niemals schöpferisch,« erwiderte trocken die heilige Katharina. »Das gibt es schon,« fuhr der heilige Antonius, der nichts hören wollte, fort. »Man nennt's Harpyien, und es sind die unziemlichsten Tiere der Schöpfung. Eines Tages empfing ich in der Wüste den heiligen Paul, den Abt, zum Nachtmahl und setzte den Tisch an die Schwelle meiner Hütte, unter eine alte Sykomore. Die Harpyien schwirrten ins Geäst; sie betäubten uns mit ihren gellen Schreien und misteten auf unser Essen. Die Frechheit dieser Ungeheuer hinderte mich, den Lehren des heiligen Paul zu lauschen, und wir aßen Vogelmist zu unserem Brot und unserem Lattich. Wie sollen wohl solche Harpyien Euch würdig loben, o Herr?

Fürwahr, in meinen Versuchungen habe ich viele Zwitterwesen gesehen, nicht bloß Schlangenweiber und Fischweiber, sondern noch verrückter zusammengesetzte Wesen, Menschen, deren Leib ein Kochtopf war, eine Glocke, eine Uhr, ein mit Speisen und Geschirr angefüllter Schrank, oder gar ein Haus mit Türen und Fenstern, durch die man Leute erblickte, die mit häuslicher Arbeit beschäftigt waren. Die Ewigkeit würde nicht hinreichen, wollte ich sämtliche Ungeheuer beschreiben, die mich in meiner Wüstenei angefallen haben, von Walfischen, an denen Schiffstaue schlotterten, bis zu dem Regen roter Tierchen, die das Wasser meines Brunnens in Blut umgewandelt haben. Doch nichts war so ekelhaft wie diese Harpyien, die mit ihrem Kot die Blätter meiner schönen Sykomore verbrannten.«

»Die Harpyien,« bemerkte Lactantius, »sind weibliche Ungeheuer mit Vogelkörpern. Sie haben Kopf und Brust der Frau. Ihre Neugier, ihre Unverschämtheit und ihre Geilheit rühren von ihrer weiblichen Beschaffenheit her, wie der Poet Virgilius in seiner Äneide gezeigt hat. Evas Verdammnis sind sie untertan.«

»Wir wollen nicht mehr von Evas Verdammnis reden,« sprach der Herr. »Die zweite Eva hat die erste erlöst.«

Paulus Orosius, der Autor einer Weltgeschichte, die Bossuet später nachahmen sollte, erhob sich und flehte den Herrn an:

»Herr, hört meine und des Antonius Bitte. Verfertiget keine Ungeheuer mehr wie Kentauren, Sirenen und Faune, die den nach Fabeln lüsternen Griechen teuer waren. Ihr empfangt des keinen Lohn. Derlei Ungeheuer haben heidnische Triebe, und ihre Doppelnatur bestimmt sie nicht zur Sittenreinheit.«

Der sanfte Lactantius entgegnete folgendermaßen: »Mein Vorredner ist zweifellos der beste Historiker im Paradies, da Herodot, Thukydides, Polybius, Titus Livius, Velleius Paterculus, Cornelius Nepos, Sueton, Manethon, Diodorus von Sizilien, Dio Cassius, Lampridius des göttlichen Anblicks beraubt sind und Tacitus in der Hölle die Martern erleidet, die der Lästerer harren. Doch Paulus Orosius kennt mit nichten den Himmel ebensogut wie die Erde. Nämlich er bedenkt nicht, daß die Engel, die zwischen Mensch und Vogel stehen, die Reinheit selbst sind.«

»Wir wollen nicht abirren,« sprach der Ewige. »Was kümmern uns Kentauren, Harpyien und Engel? Um die Pinguine handelt es sich.«

»Ihr sagtet es, Herr, um die Pinguine handelt es sich,« erklärte der Älteste jener fünfzig Doktoren, die zu ihren Lebzeiten von der Jungfrau aus Alexandrien beschämt worden waren, »und ich erlaube mir den Vorschlag, daß man, um das Ärgernis zu enden, das den Himmel empört, nach dem Rat der heiligen Katharina, die uns beschämt hat, den Pinguinen des Greises Maël die Hälfte eines menschlichen Leibes gebe, samt einer unsterblichen Seele, wie sie für diese Hälfte paßt.«

Auf dieses Wort hin erhob sich in der Versammlung ein großer Lärm einzelner Gespräche und doktoraler Streitereien. Die griechischen Kirchenväter zankten sich mit den lateinischen heftig um Substanz, Natur und Ausdehnung der Seele, die man den Pinguinen verleihen müsse.

»Bekenner und Priester,« rief der Herr, »ahmt nicht die irdischen Konklave und Synoden nach. Und bringt nicht in die triumphierende Kirche jene Gewaltsamkeit, die die kämpfende zerrüttet. Denn nur zu wahr ist's: auf allen Konzilien, die unter meines Geistes Inspiration in Europa, Asien, Afrika tagen, haben die Kirchenväter Bart und Augen einander zerkratzt. Und doch waren sie unfehlbar, denn ich weilte unter ihnen.«

Als die Ordnung wiederhergestellt war, erhob sich der Greis Hermas und sprach langsam die Worte:

»Ich will Euch loben, Herr, daß Ihr Saphira, meine Mutter, in Eures Volkes Mitte geboren werden ließt, in den Tagen, wo himmlischer Tau die Erde netzte, die von ihrem Erlöser in Wehen lag. Und loben will ich Euch, Herr, daß Ihr mir vergönnt habt, mit meinem sterblichen Auge die Apostel Eures Sohnes zu sehen. Und ich will in dieser glanzvollen Versammlung reden, weil Ihr wolltet, daß aus dem demütigen Mund die Wahrheit komme, und will nur sagen: Verwandelt diese Pinguine in Menschen. Das ist die einzige Entschließung, die Eurer Gerechtigkeit zusteht und Eurer Barmherzigkeit.«

Etliche Doktoren begehrten das Wort; andere nahmen es sich. Niemand hörte drauf, und sämtliche Bekenner schwangen stürmisch ihre Palmen, und ihre Kronen stießen zusammen.

Mit einer Geste des rechten Armes beschwichtigte der Herr seiner Auserwählten Hader.

»Wir wollen die Beratung abbrechen,« verkündete er. »Die Meinung, die Hermas, der milde Greis, uns eröffnet hat, entspricht allein den ewigen Absichten, die ich hege. Jene Vögel sollen in Menschen verwandelt werden. Ich sehe dabei mehrere Unzuträglichkeiten voraus. Viele von diesen Menschen werden sich in Fehler verstricken, die sie als Pinguine nicht begangen hätten. Gewiß wird ihr Los durch die Wirkung der Taufe weit weniger beneidenswert sein, als es ohne die Taufe und ohne die Aufnahme in Abrahams Sippe gewesen wäre. Doch mein göttliches Ahnen darf ihrem freien Willen nicht vorgreifen. Um die menschliche Freiheit nicht zu gefährden, soll mir unbewußt sein, was ich weiß. Um meine Augen lege ich den dichten Schleier, den ich durchbrochen habe, und in meiner hellseherischen Blindheit soll mich das überraschen, was ich von Anbeginn sehe.«

Und sogleich rief er den Erzengel Raphaël und sprach zu ihm:

»Eile zu dem frommen Maël, unterrichte ihn von seinem Irrtum und befiehl ihm, daß er, mit meinem Namen gewappnet, die Pinguine umwandle in Menschen.«


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