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»Süße Nacht, wieder da! Weit hinter mir, oben, steht der weiße Mond der milchglas-umschlossenen Lampe. Aber hier nun, ins Bett geruht und die Glieder hingebreitet, willige Raststätten wandernder Bilder, sehe ich im Schattenwinkel klarer die Gebärden jener Gequälten, die in diesen gleichen Nächten auf dem Stachelrost meiner Briefe schlafen gehen.
Nicht, Es? Nicht genug, nicht wahr? Noch ist dein Kissen nicht genäßt von Tränen der Scham, Ilse. Oder stehst du schon auf – leise zittert dein Fuß auf dem Boden, daß ihn niemand hört –, und der Wärme des Betts entflohen, hockst du dich in den Winkel des Sofas und denkst jenem unbegreiflichen Feinde nach, der dich peitscht? Wandert dabei dein Gedanke auch zu mir? Und nun, den Kopf ein wenig zurückgelehnt, den Mund halb offen, daß die breiten Zähne feucht glänzen, denkst du nun über jenen Täter fort auch meiner, dessen Liebe jeden Tag so neu gekränkt wird?
Dort im Schatten des Ofens ... Klarer sehe ich dich nun als tags, wenn ich an deiner Seite hocke und im schwirrflügelschnellen Augenaufschlag deines Blickes Duft dieser Schmerzen zu erhaschen suche. Klarer nun. Ganz leise tropft dein Herz Blut, und leidest du schon still, legst du doch die Hand an jenes Gerundete und lockst ihn selbst nun in die Fingerspitzen, den Schmerz, der antwortend dem schweigsamen drinnen zuckt. Fragst du: warum? Und nächste Nacht wieder und immer wieder? Kein Ende? Keine Flucht?
Nicht Ende noch Flucht. Sieh, mein Segel wölbte günstiger Wind brüstegleich in den Nachthimmel hinein. Weiß ich, wohin die Fahrt geht? Das Rauschen meines Blutes tönt fremd und endlos wie das unmüdhafte Wandern von Hochseewogen, und ist mir und dir ein Strand bestimmt, nicht weiß ich, ob über seinem gelben Sand Sonne stehen wird – ferner dann weitgespreiztes Kokospalmenprangen und Quellen, die tränensalz-genäßten Wangen zu kühlen –, oder ob zwischen Tanggewirr blinder Fuß des Wanderers letzte Ruhe findet.
Jenes Wort: alles kommt, wie's muß – nicht kenne ich seinen Sämann, doch keimte es, wuchs, stämmte sich ragend auf. Nie tat ich etwas. Mit der Fingerspitze nicht einmal durchstach ich meine Eihaut. Wind war da, der mich wogenüberwärts rollte: schuf ich ihn? Liebe du, laß uns weinen, leiden. Jenes Häßliche vergiß: nein, auch dies laß wachsen, Teil mein-deiner Liebe sein.
Wenn ich das Auge schließe, singt Rot. Nicht lösche ich das Licht. Sieh, schon blößt dort im Dunkeln eine Schulter, weiß und glatt überspannt, kleine Gedanken sendet sie hierhin und dort, und bald werden Worte tanzen, sich fassen, Sätze sein, ein Brief – schreib, Schirmer, schreib!«
»Schläfst du, Kai?«
(›Atme sacht, Kai! Fremdes dräut. Atme sacht!‹)
»Und nicht das Licht hat er gelöscht! – Kai! – Du, Kai!«
»Ja ...? Wer denn? Ach du, Mama!«
»Wo warst du heut? Wir haben uns geängstet.«
»Verzeih, ich ...«
»Ja?«
»So viel Arbeit! Diese Osterversetzung! So gemein!«
»Du mußt viel schlafen. Schläfst du gut?«
»Ja, sehr gut.«
»Ich mache das Licht nun aus. Du liest nicht mehr im Bett, nein?«
»Nein.«
Es wird dunkel.
(›Aber was kommt nun wohl? Sie will etwas!‹)
Das Herz pocht Sturmlauf.
»Gute Nacht, Kai ...«
»Gute Nacht, Mama.«
»... du ... Kai ...«
»Ja, Mama?«
»Du hast mir nichts zu sagen?«
»Wie, Mama?«
»Hat mein Junge mir nichts zu sagen?«
»Aber Mama ...!?«
»Ich weine ja nicht, Kai. Nein, ich bin nur so erkältet. Darum klingt meine Stimme so ... Weißt du noch, früher beteten wir abends zusammen, und du erzähltest mir alles, was du auf dem Herzen hattest, Kai. Alles ...«
»Papa ist zu meiner Konfirmation ja nicht einmal in die Kirche gekommen ...«
»Und darum betest du nicht mehr?«
»... nun, es hat wohl auch sonst keinen Zweck.«
»Und nichts hast du mir zu sagen?«
»Aber, Mama, was ist denn, wenn du etwas willst ...«
»Kai ...«
»Aber Muttichen, liebes Muttichen, weine doch nicht so ... Sicher, ich habe nichts getan ...«
»Mein Junge. Mein Junge du. Komm, gib mir deine Hand. Ich mache dein Kopfkissen ganz naß. Nein, du, willst du denn weg von mir?«
»Aber Mutti ...«
»Willst du gar nichts mehr von mir wissen? Hast du mich nicht mehr lieb?«
»Ja ... lieb ...«
»Weine nicht, Junge, es wird alles wieder gut ... Ich weiß ja, es ist so schwer ... Nur Vertrauen mußt du haben zu mir und Papa.«
»... so allein. So allein ...!«
»Lieber Junge ...«
»Ja, du, du bist gut ...«
»Siehst du, wenn du uns liebst, wird ja alles wieder gut ...«
(›Uns‹, denkt Kai, ›schon uns?‹)
»Und nun beten wir noch einmal. Wie früher. Komm, leg deine Hände auf meine ...«
»Gute Nacht, Kai, schlaf schön ...«
»Gute Nacht, Mama.«
Und plötzlich war sie noch einmal neben ihm. Ihr Arm tastete um seinen Hals, die von Tränen gefeuchtete Wange an die seine geschmiegt, warf sie in das Dunkel seines Gesichts Küsse, die im Schluchzen sprachen, und dann wehte noch die Klage der rasch Forttastenden an sein Bett: »Und ich dachte, unser Junge wäre noch unschuldig ...!«
»Sie wissen alles. Ich habe es gewußt. Innen drin habe ich's gewußt, einmal werden sie alles wissen. Aber nie habe ich's geglaubt. Mein Gott, mein lieber Gott, was soll ich tun? Woher nur? – Hans hat geschwatzt? – Und nun, was wird? – Aber das geht nicht so, das geht unmöglich so ... vor Ilse ... ich ... ach! Nun habe ich am Ende nur mich gequält, nur mich allein?
Schüler ... Lehrer, alle werden wissen ... Ich muß fort! Hier, das geht nicht ...! Amerika ... Geld, aber Geld ... Woher? Papas Schreibtisch ...? Aber auch das wird nichts. Sie fangen mich vorher, in Hamburg schon ... und dann ... zurückgebracht ...
Ich saß so gut bei ihr. So still. Ihre Liebe ging so sanft ... Aber nicht sie! Ich!! Ich!!! Ich!!!! – Ruhe. Nur Ruhe. Einmal ausruhen, ohne Angst ... Kein anderer Tag, da doch wieder Wind kommt, mich zu verblasen. Kein Morgen mehr ...«
»– – – Tod ...?!«
»Das habe ich immer gewußt! Tod! Ja, das ist gut. Fort von hier. Ausruhen. Da, hingelegt, in den Boden hinein und stilles Gras darauf, das der Wind kämmt. Wenn sie mich finden, alle werden sie Mitleid haben, gut werden sie von mir reden und mich so lieben ... Alles wird gut sein ..., bereuen werden sie ...
Aber schnell! Noch diese Nacht! Morgen ist schon zu spät! So schnell? Diese Nacht? Aber ... Da gehen Schritte! Papa kommt! Er wird strafen! Ich will fort, zum Fenster ...«