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35

»Schlafe ich denn nicht? Ich bin ganz wach. Dort steht der Waschtisch, seine Marmorscheibe glänzt dumpf in einem Lichtstrahl, der durch den Vorhangspalt fällt. Eben noch war ich ganz ertrunken in einem wattig-wolligen Gewoge von Schwärze, nun treibe ich wieder oben, auf dem Teich der Nacht.«

»Ja, ich könnte nun träumen, daß ich in einer Kajüte liege, ganz allein, an der Seite plätschert das Wasser, immerzu, und oben gehen ewige Schritte, hin und her. Draußen ist helle Nacht, bei mir ist es dunkel. Ich bin rundherum eingepackt in meine Decke, alles ist weg von mir, ich bin ganz sicher in meiner Koje.«

»Auch das hilft nichts. Ich könnte ja nun Seeräuber kommen lassen und siegreich mit ihnen kämpfen, oder ein Sturm geht auf und ich bin der einzige Gerettete und werde Robinson, von der ersten Nacht im Baumwipfel bis zu Freitag; aber all das hilft nicht.«

»Ich bin so hellwach, ich werde endlos lange nicht einschlafen können. Wenn ich aufstände und Licht machte, irgend etwas läse oder schriebe? Was denn?«

Und plötzlich ist er doch wieder tief gefallen, über die Bettkante, in den schwarzen Teich – es ist als streichele Samt seine Schläfen –, er ist ganz fort und nun schon wieder aufgetaucht, rasch hoch emporgehüpft über den Wasserspiegel wie der Kork einer Angelschnur, grad noch rasch genug, um eine Uhr schlagen zu hören, langsam, weit weg: Mitternacht.

»Oder hat sie nicht geschlagen? Habe ich nichts gehört? Es mir nur eingebildet? Es klingt aber noch immer in meinem Ohr!«

Und er reicht seine Ohrmuschel weit von sich, daß er den Klang wieder hören kann. Doch ist es still, kein Laut zu vernehmen, nicht ein Laut, im ganzen Hause nichts, auch die Uhren ticken nicht, ganz still. Und immer stärker hält er sein Ohr hin, nur um einen Ton zu hören.

Aber dann weiß er plötzlich, daß er sich nur betrügen will, daß dies nur Tuerei ist, über das fort, was in seinem Innern pocht und pickert, immerzu.

»Nun denn! Was ist es nur?«

Er weiß es nicht, er muß furchtbar nachgrübeln, doch fällt es ihm nicht ein. Und alles hängt davon ab, daß er es findet.

»Ich muß es ja finden.«

Und nun kommt schon wieder der Samt geschlichen, er legt sich rund und voll, ohne Ritz und Loch um seine Beine, er ist ein Fell geworden und gleicht der Pelzjacke von Mama, die man endlos streicheln kann. Und Kai muß sich sehr anstrengen, daß er die Beine ein wenig bewegt, und kalte Luft unter die Decke bringt, mit der er den Samt borstig macht.

»Ja, und nun will ich wieder suchen.«

Die Nacht ist so still. Aber nun plötzlich, grad, wie das Pochen in den Kopf huschen will, springen alle Uhren im Haus auf ihn los: »Tick. Tick. Tick. Tick. Tick. Tick!«

Sie rasen und zerreißen das Werdende. Kai hört sie alle, den Wecker neben sich und seine Taschenuhr und die kleine Uhr im Eßzimmer und die Kaminuhr in Vaters Zimmer, und nun hört er auch im Nebenhaus Uhren, und er kann sie alle nennen: diese ist von der Schneiderin, die immer das Fenster nach der Straße aufhält, daß man große Puppen ohne Köpfe und statt eines Halses einen gedrechselten Schwanz stehen sieht, seltsam lückig bekleidet, und jene gehört dem Herrn mit dem wehenden Vollbart, der Kai wegen dieses Schneeballs nach seinem Fenster ausschalt.

Und die und die und die, alle kann er sie nennen, aber eine ist dazwischen, er hört sie genau aus dem Sturmlauf der andern: »Wie heißt die doch?«

Er zergrübelt sich, er muß nun finden, wem die gehört, – aber nein, das ist ja Unsinn, er muß diesen Gedanken suchen, der grad, als die dummen Uhren anfingen, in sein Gehirn schlüpfen wollte. »Wie war es doch? Was wollte ich?«

Er denkt scharf nach, aber nun kommt es von neuem angestürmt: »Tick. Tick. Tick.« Und wieder ist der fremde Mitläufer dabei.

Kai richtet sich ganz hoch auf, er streift die Decke zurück und winkt mit der Hand. »Seid doch still! Ich werde ja verdreht vor Geticke, ich habe nachzudenken.«

Da sind die Uhren versunken, nur eine schleicht ganz langsam ihres Weges noch, schlapsig und beutlig klingt's.

»Sie muß weit weg sein. – Nein, ganz nah.«

Er bückt seinen Kopf zur Wand, vielleicht tickt sie dahinter; aber schon ist es da, er sagt laut: »Das ist gar keine Uhr, das ist mein Herz«. Und da geht ein Bein aus seinem Bett und nun das andere.

Licht ist angebrannt, er weiß nicht warum, alle Bewegungen fallen aus ihm. Er hat nicht die geringste Zeit, über sie nachzudenken. Nur aufpassen muß er, daß ihm keine entgeht, denn sie regen sich so klein in ihm wie die Hände von Babies, die aufwachen möchten, über den Bettdeckenrand zucken.

Und nun zieht er das Nachthemd über den Kopf, und nackt sitzt er am Schreibtisch, Briefpapier liegt vor ihm, ohne Zögern und Hast geht der Federhalter zum Tintenfaß und von da zum Briefbogen, er schreibt: »Liebe kleine Margot.«

Da ist er frei, es wird so warm, er lächelt hell, seine Glieder werden nun ganz voll und scheinen irgend etwas zu betreiben wie Gesang. Und er lächelt und schreibt.


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