Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Dicht hinter ihm fiel die Kellertür zu. Über das Geländer der Treppe in das Dunkle hinabgebeugt lauschte Kai. Nichts, Ruhe, nur das leise Singen des Dampfes in den Heizrohren. »Noch sind sie mir nicht nach, hier unten bin ich noch allein. Wie selbstgefällig er lachte, wie klug er sich vorkam! Natürlich holt er den Schlosser. – Aber vielleicht war alles nur Bluff, vielleicht war er schon unten, vielleicht ist Hans schon fort?«
Den Kopf zurückwerfend, umkrampfte er mit der Hand das Geländer. »Nein! Nein!«
Er atmete rascher, er stand vor der Tür zum Kellerzimmer, öffnete – und nun war die Ruhe da, die vertiefte Stille, die nichts von einem Draußen wußte, das hasenfarbene Kaninchen, das seinen Kopf freudig schnobernd an das Drahtgitter der Kiste legte, all das einsam Erworbene war wieder da.
Er zog die Tür hinter sich zu, schob den Riegel vor. Auf den Knien den Hasen, dessen Wärme die Schenkel erhitzte, strich er im gleichen Wechsel mit der Hand über ihn fort, spürte von neuem den raschen, eigensinnigen Druck der beweglichen Nase in seiner Handfläche wie den kuschelnden Federball eines kleinen Vogels, wie das widerwillig und beiläufig erneuerte Geständnis einer nehmenden Liebe. Unter dem lockeren Fell fühlte er die zusammengefallene Reglosigkeit der Glieder.
»Siehst du, mein Hans, wieder bist du da. Wieder kommst du mir entgegen, schmiegst dich ein, bist da, immer wieder da. Ewig wiederholst du deinen Dank, ewig gestehst du deine Liebe. Werden wir nicht beide beieinander hasenstill, und die Welt ist nichts wie solch Einschmiegen?«
Er seufzte; über das Tier fort sah er erschrocken zur Tür, deren Klinke sich regte. Den Rücken zur Wand, spürte er Lockerwerden der Knie. Das Herz klopfte unerträglich laut.
»Kai!« Frau Goedeschal rüttelte an der Tür. »Kai!«
Er antwortete nicht, während das Tier, unruhig gemacht durch das Zittern seiner Beine, den Kopf hob, rasch mit der Nase schnoberte und in lautlosem Satz von seinem Schoß sprang. Bedachtsam und ernst wandte es nach ihm den Kopf, lief in die Ecke zu einigen Kohlblättern und begann zu fressen.
»Kai! Kai! Mach doch auf. Ich weiß doch, daß du drin bist. Habe dich beim Aufschließen gehört.«
Er schlich bis zur Tür. Nur durch die hölzerne Füllung von der Mutter getrennt, murmelte er: »So? Bist du da? War es mit den Puppen nicht genug? Müßt ihr auch dies mit euern Blicken beschmutzen? Spötteln und witzeln? Soll ich alles mit euch gemeinsam haben, die ich hasse? Auch dies hier breitgetreten? Auch dies in den Kreis eurer gütigen Liebe gezogen, die nur ein Aussprechen ist, kein Handeln? – Gehst du! Gehst du weg! Laß mich! Lieber sterben als auch dies geteilt!«
Sie schwieg. Lauschte sie seinen Worten, versengte jene Hitze, die aus dem Nicht-aussprechen-Dürfen hervorbrach, ihre an die Tür gelehnte Wange? Er hörte ihr Seufzen, wie sie sich langsam umwandte und ging.
»So! Weg! Weg! Ganz allein! Ich will euch nicht!«
Sein nicht leises Zurücktreten machte das Geräusch ihrer Schritte verstummen, sie kehrte um und drückte von einer neuen Hoffnung belebt die Klinke.
»Kai! Du bist doch drin! Mach auf! Bitte. Bitte.« Sie rüttelte am Griff.
Er faßte nach ihm. Seine beiden Hände darunterstemmend, zwang er ihn in die Höhe.
»Läßt du den Griff los! Sofort läßt du den Griff los!« rief sie und versuchte mit ihrer ganzen Kraft, ihn hinabzudrücken. Er widerstand, dann, plötzlich loslassend, trat er laut pfeifend zurück, faßte das Kaninchen an den Ohren und warf es zurück in den Käfig.
»Du willst also nicht aufmachen?« Sie wartete. »Dann bleibt nichts, als es Papa zu sagen.« Wieder Stille, dann ging sie, er hörte die Treppenstufen unter ihr knacken.
»Gott sei Dank!« Er schloß langsam auf, blickte den leeren Gang entlang, dann: »Das kann böse werden. – Ach was! Sie sagt ihm nichts. Er wäre sicher nicht einverstanden. Der wollte es klüger machen. – Aber nun dalli!«
Er hob den Käfig hoch, trug ihn in den Kokskeller und verbarg ihn in einer dunklen Ecke. »Hier mußt du schon aushalten, mein Hans, mein Hase, es kommen bessere Tage.« Dann schaffte er schnell die Heu- und Kohlreste fort, schüttete ein paar Arme Holz in die Ecke des Zimmers und schloß befriedigt ab.
Am Frühstückstisch saß nur Kurt. Kai fragte leichthin: »Wo ist denn die alte Dame?«
»Was hast du nur wieder angestellt, Kai! Sie weinte!«
»So ein Quartaner! Willst auch gleich weinen, ja? – Donnerwetter! Donnerwetter! Schon drei Viertel auf acht! Es wird Zeit, daß ich losgehe.«
Auf der Treppe besann er sich. »Was denn noch? Ja so! ›Jettchen Gebert‹! Ilse ist ja auch noch da! Ilse ...«