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51

Knarrend klaffte ein Türspalt, ward weit – jenseits der Diele funkte blau und rot, sonnenbestrahlt, die Fensterverglasung der Treppe. Herein schob sich Schütt, farbig gekrönt; mit der ins Schloß seufzenden Tür ergraute sein Antlitz; doch bot er nähertretend Kai Hand und Gruß und warf, plötzlich im Lehnstuhl viele Bauchfalten aufbreitend, die Erklärung eines Bedauerns, daß der Freund Kai so wenig nur noch zu sehen.

Dann wartete er, schiefen Gesichts, blaß und rotblond blinzelnd.

Kai fühlte ablehnenden Unwillen. Indem er die Hände, deren einen Strich seitlich geschwungenes Endglied bedrückte, zwischen knitternde Buchseiten schob, spürte er wachsend in sich das Schweigen, es knödelte im Hals und setzte auf die Augenhaut brennende Wüsten.

So brummte er schwach und schob einen auffordernden Blick gegen Schütt.

»Du schweigst, rara avis? Aber dein Schweigen sagt, daß deine Abkehr nicht zufällig. Etwas ist da, also? Und?«

Halb anerkennend hob Kai die Achsel, seine Hände flatterten leicht auf und hockten sich beschämt ins weiß knitternde Nest.

»Bin ich Zahnschlosser«, markierte Arne Empörung, »rede nun du!«

»Ach ...«

Aber im Ach zitterte so viel tränengereizte Schwäche. Arne ermunterte klatschend das eigene Knie, und Kai stärkte sich zu einem knurrenden: »Bockmist!«

Auf den fragenden Blick: »Es lohnt 's Reden nicht ... wirklich nicht ... nun, ja denn, wenn du durchaus willst ... also ...«

Und stand grell flammend über der Erkenntnis, daß er hatte pratteln wollen: Königtum verlieren, einsamkeitsverjagt in die sühnenden Hände häschriger Lehrer und Richter sich selbst liefernd. Röte überspülte das Gesicht, schon stand er, drehte die Hände umeinander, der nahe Absturz besaugte ihn schwächend, aber er warf den Leib zurück und klirrte ein schrilles: »Nichts ...!«, während Arne noch immer aus der Flamme des Streichholzes flackernde Schwelung seiner Zigarette puffte.

»Nichts ...? Aber was ist das, Kai, da war etwas? Und du willst nicht reden, zum Freunde?«

Die Berufung des Wesensmeilenentfernten auf diesen Titel ... Achselzucken ...

»Wie?!!!!«

Arne schoß auf. Knarrend rieb der verstoßene Stuhl die Schrankwand. »Wie?!!!!«

Zuckendes Gewitter durchwarf faltig Schütts Gesicht. Das Fette der Wangen schwappte zurück und blößte einen kleinen, schwarzen und kochenden Blick aus Blau.

»Du zuckst zur Freundesberufung die Achsel?!!!«

Wie kleckerte weichlich Eifer: »Aber nein, mein Arne! Nicht dazu. Sondern die Geschichte, so unlohnend ...«

»Erzähle doch ...«, noch grollte Donner in dem. Und nun ganz weich in Fleisch und Skelett breitete Kai das rettende Lügengewebe der Entfremdung mit Ilse, den Herauswurf; indem Arne Rauch paffelte und den geschliffenen Nagel gegen das Fensterglas stieß.

Aber im Reden fühlte der Schurke am höchsten sich landesverwiesen des vom Gefährten entfremdeten Königtums nächtlicher Schmach, fand im Prüfen des Verquollenen drüben nichts so weich redender Betriebsamkeit wert und – sabbelte weicher.

Da die Tür hinter dem sich elegant verbeugenden Entdeckten, der das Anhören so intimer Gespräche weltmännisch-zynisch bedauerte, zufiel und Heimweg, Erna, Paradies der Schmach, wohl Rede begehrend, aber nicht zu bereden, im Dunkel blieb, erwog Arne: »In all dem keine Not solcher Freundesflucht. Eher Beratung ...«

»Wozu ...?«

Da röchelte Arne, schulschillerpathetisch: »Racha ...!« Schwellte die Brust und warf die Hände, torkelnd im Zugriff spitznäglig gekrallter Hälse durch die Luft.

Dann, matter säuselnd: »Das ließest du dir bieten, etwa? Von solchen Spießern. Stumm bleibst du dem Haus fern, du Verjagter ...«

»Nicht stumm. Ich schrieb ...«

Arne bestätigte das Wertlose. »Du schriebst ... Wenn schon. Ist das genug?« Und nun lohend: »Racha! Freund! Racha den Spießern!«

Ein leises Prickeln durchtrieb Kais Adern, doch schien solchem Pathos gegenüber Rückhaltung geboten. »Sagt sich; tut sich nicht so leicht.«

»Man überlege; nicht heute, nicht morgen, irgendwann. Wisse ...«, und drehte dozierend den Finger um sich, daß der faxige Lichtreflex den Nagel bewanderte, »wisse: jede ungerächte Beleidigung ist Minderung des Lebensgefühls.«

»Wo steht das?«

»Eigenes Axiom.«

»Und sonst ...?«

»Dies und das zu erzählen. Frucht deiner Briefschreiberei an eine gewisse ... Doch ich sehe, die Uhr weist eindringlich, daß die alte Dame bereits seit zehn Minuten zum Schuhkauf wartet ...«

»Margot ...?!«

»Wer sonst. – Seit ich nämlich vor einigen Tagen mir für die Anschaffung von Schuhen anvertrautes Geld zu einem genußreichen Bummel verwandte, ist selbst der Ankauf eines Schlipses nur mit elterlicher Begleiterscheinung denkbar.«

»Sag doch, Arne ...«

»Ein andermal, Lieber. Auch ich weiß zu schweigen, dann und wann.«

»Aber, Arne ...!«

»Gehässig, weiß schon. Nicht zu verändern, Liebwerter. Kismet. Servus.«

Einen Augenblick überspülte Kai im Gang Winterluft, die Schläfe frischend, aber dem Umwendenden schon lastete das Alte wiegend und krümmend die Schulter und das scherzhaft Erhellte war der Tür entschlüpft wie Schütt.


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