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Nun aber, als Kai die Hand in die Rundung des Geländers ruhte, war es still um ihn; die Melodien der Hoffnung und eines rauschstarken Lebens waren in diesem Treppenhaus verhallt. Eine nie atmende Stille schien diese Luft imprägniert zu haben, in der selbst der Staub ohne Rührung ruhte. Da nun sein eben noch im Takt mit dem Wind hingespielter Schritt zusammensank, fühlte er in sich das Wachsen zager Gedanken, und ohne die Lippen zu rühren, die Augen auf die schultergeriebene, klimmende Wand geheftet, befragte er das Schweigende um sich:
»Doch warum komme ich? Will ich denn bereuen? Wieder einmal stillstehend und die Verantwortung meiner Umkehr anderen aufladend, werde ich mich also nun in ihrem Schoß reuig verströmen, jene Liebe anflehen, deren zu matte Gebärden mich doch nur für eine Stunde retten könnten oder zwei?«
Er lauschte. Indem er die Frage, deren Ton seine Lippen nicht geformt hatten, ins Auge zwang, meinte er, heißeres Brennen des Blicks müsse selbst diese Materie erweichen. Doch geschah nichts.
»Wie entkräftend dies ist zu wissen, daß jedes Wort Fälschung und nur die Gesinnung bestimmt! Will ich denn bereuen oder etwa umkehren? Nein, nicht bereuen, keine Umkehr. Wenn meine Worte schon sagen, daß dies hier sinnlos ist, nichts ändernd, treibt es mich doch, nun die Hand zu erheben und vom Zuge des Klingelgriffs an alles zu leugnen, was ich eben noch tat, nichts mehr zu wissen. Heimathafen ersehne ich in ihr, zu dem mich Einsamkeitswind trieb.«
»Begreife doch!«
Er tat's. Die Klingel schrillte. Drinnen der Gang rauschte, und nun im Öffnen der Tür sah er's: Sonnenaufgang über das breitgeschichtet Bleiche, Beseelung von Augen, deren Tiefe grenzenlos ward: auf ihrem Grund brannten fröhliche Feuer, allererstes goldfarbenes Birkenlaub wehte, in einem Römer glomm Wein.
Da er's noch nicht begriff, lagen auf seiner Schulter zwei Hände, zu eigen nehmend, und ihre Stimme läutete: »O du! O du! Bist du endlich da! Wo warst du?«
Ihr Mund brach auf, da sie ihr Gesicht zu seinem hob, strich ihr Atem lau und frisch wie Wind ersten Frühlings zwischen Föhren über sein Gesicht, daß er die Lider senkte, doch sie: »Nein, deine Augen! Weißt du, wie ich mich sehnte! Wo bist du gewesen? Warum kamst du nicht?«
Und dies dann: »O, ich liebe dich! Ich liebe dich!«
Wie die Süßigkeit rinnt! Sie erfüllt die Ohrmuscheln, und ihre feierlichen Erntedankfest-Töne, über Stoppel und Wald geläutet, fließen ins Herz. Dort geschieht Erblühen von Weichheit und Glück, um Glück neigt sich die schwesterliche Blüte jenes Briefes, der, in dieser Stunde aufgeflattert, süßester Verrat, ihre Liebe noch weiter öffnen wird.
»Ja, du kannst nichts sagen. Aber die ich nichts weiß von dir, dieses bleibt: Liebe – Liebe – Liebe – du!«
Ihre Augen verschwommen. Ineinander gossen sie alle Hingabe durch diesen Blick, dessen Süße so süß war, daß sie stöhnen machte, und stärker schlug das Herz.
»Mehr«, murmelte er, »mehr.«
»Jeden Tag wartete ich ...«, ihre Stimme verflog. Im Zimmer hinten raschelte es, man kreischte: »Ilse!« Stille entstand. Ihre Blicke entfernten sich, wurden klein. Die Seligkeit war vorüber. Noch blieb dies, die Hände von seinen Schultern zu lösen, Übergang zu finden, aber als er dann vor der Mutter sich neigte und das Lächeln spürte, wie sie sprach: »Es war ein Irrtum, nicht wahr, Herr Goedeschal?« – da war längst das Aroma einer erlebten Süßigkeit verflogen; alte Bahnen luderte, leierte das Leben, und dies war das einzige noch, stärker und verlockender in dem und dem: die Uhr zu ziehen und zu sagen: »Schon halb fünf!«, da am Hauptpostamt die Klappe eines Briefkastens zuschlug.