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Der Wind, der die Straße hinter ihnen hinabjagte, holte sie ein, stürmte auf den Markt und war plötzlich verflogen und verstummt.
Aufatmend zeigte Kai zum ruhigen Nachthimmel empor: »Sieh die Sterne! So viele. So still.« Arne folgte seinem Blick, heftiger fragte ihn Kai: »Wenn du sie anschaust, was denkst du?«
Er zögerte; mit dem Finger an seinem Mantel herumtastend, flüsterte Arne schließlich von weißen Füßen kleiner Kinder, die sich in einer Kirche verirrt haben.
»Steht bei Hofmannsthal«, sagte Kai, »schade, schade.«
»Und du? Was denkst du?«
»Ich ..., ja, du, übrigens die Margot ...«
Arne riß den Blick vom Himmel los und sah Kai an: »Ja, du, die Margot. Süß, nicht? Wie sie uns die Hand gab!«
»Und wie sie ›liebe kleine Jungen‹ sagte.«
»Ich wäre ganz sicher ...«, begann Arne, aber Kai unterbrach ihn: »Was glaubst du, ob solche Mädchen glücklich sind?«
»Glücklich? Ich weiß nicht. Glaube kaum. Immer um Geld.«
»Ja, siehst du«, sagte Kai leise und griff nach Arnes Arm, »das alles ist doch nur Taumel, Rausch für sie. Am Morgen aufwachend, entdecken sie, wieviel schöner die Welt war, als sie noch draußen waren, Fliederblüten und Jasmin, und statt greller Cafés Waldflächen und Feldbreiten sie erwarteten.«
»Ja, und?«
»Ja, ich habe gedacht, Arne ..., aber du darfst keinem Menschen ein Wort davon sagen, versprich es ... Ich habe gedacht, ob man sie nicht glücklicher machen, ihnen helfen könnte.«
Arne schwieg. Kai sah rasch auf. »Sie sind so allein. Alle verachten sie. Die reine Liebe sein sollten, haben nichts als Verachtung. Wenn man sie erlöste ...«
»Aber wie! Kai! Wie denn?«
»Ich habe gedacht ... Luther ist nicht das Richtige. Aber was meinst du, Christus? ›Du hast viel geliebt, darum soll dir viel vergeben werden.‹«
»Und du meinst, Margot ...?«
»Du mußt mich nur recht verstehen, Arne. Siehst du, ich will ja nichts von ihr, ich will etwas für sie. Ihr helfen.«
»Wie sie lachte. Als sie auf den Stuhl stieg, schwankte das Sektglas in ihrer Hand, sie sang: ›Wenn ein Mädel einen Herrn hat‹ ...«
Kai sah zur Erde. Einer Vision gleich, war es da: der Rock, im Hinaufsteigen auf den Stuhlsitz verschoben, entblößte Knöchelansatz und ein Stück Wade. Kleine Schreie ausstoßend, sang sie.
»Auch diese Welt gibt es. Sie wissen alles.« Lauter: »Ihr helfen!«
»Aber wie, Kai? Du redest, aber sagst nicht wie.«
»Vielleicht, daß ich ihr einen Brief schriebe ...?«
»Einen Brief? An Margot? Die blonde Margot?«
»Daß ich ihr endlich wieder sagte, wie es einmal war, früher, alles, was sie vergessen. Daß da nur eines ist, wert, gelebt zu sein: ein wenig lieb haben, ein wenig gut sein.«
»Sie wird ihn zerreißen.«
»So bekommt sie einen neuen.«
»Sie wird darüber lachen, ihn ihren ›Kolleginnen‹ zeigen.«
»Der Stachel bleibt!«
»Verrückt, Kai, total verrückt, so ein Mädchen aus einem Nachtcafé.«
»Grad darum, Arne.«
Er zuckte die Achseln, schwieg. Wieder sahen sie zum Himmel. Neu aufjagender Wind prickelte ihre Gesichter mit feingefrorenem Schnee.
»Ich muß nach Haus, Kai.«
»Also denn morgen in der Penne.«
»Und du bist nicht mehr böse, Kai, wegen der Mathematik ...«
»Nein. Nein. Servus, Arne.«
»Servus, Kai.«
Den Wind im Rücken, verdunkelte Straßen durcheilend, dachte Kai: »Wenn sie gemerkt haben, daß ich fortging ... Ach, ich werde an Margot schreiben, sie wird mich lieben.«