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Zunächst galt es jetzt die mannigfachen Eindrücke durchzuarbeiten und die daraus erwachsenden Aufgaben zu fördern. Meine Vorlesungen in Cambridge und die Anregungen meiner Zuhörer zeigten mir das Bedürfnis nach einer kleinen Schrift, welche die deutsche Philosophie für englische Leser behandeln sollte Sie sollte den Titel tragen: German Philosophy for English readers.. In Amerika bewarben sich sofort verschiedene Verleger um die Sache, sie ist aber unter den Aufregungen und Stürmen der folgenden Zeiten einstweilen liegen geblieben. Ein Zeichen freundlicher Gesinnung erhielt ich noch im Sommer 1914, indem mein jüngerer Sohn seitens der Columbia-Universität eine sehr liebenswürdige Einladung erhielt, ein Jahr hindurch über die Hauptfragen der deutschen Sozialpolitik als Glied des Lehrkörpers dort zu sprechen. Er war bereit, diese ehrenvolle Einladung anzunehmen, und wir hatten schon für den 3.Oktober 1914 einen Platz auf dem Dampfer Columbia für ihn belegt, als der Krieg alle Pläne umwarf.
Weiter galt es nun, meine Arbeitspläne auszuführen. Jene Schrift über die deutsche Philosophie kam gut in Gang. Verschiedene neue Auflagen beschäftigten mich, zugleich empfand ich gerade unter den Eindrücken der Reise, wie notwendig eine Kräftigung und Verinnerlichung des deutschen Lebens sei. Aus dieser Überzeugung ist die Schrift »Zur Sammlung der Geister« hervorgegangen. In dieser Schrift habe ich nachdrücklich die Gefahr einer bloßen Arbeitskultur geschildert und mich darauf berufen, daß die Arbeit nur eine Seite des deutschen Lebens bilde, daß sie durch eine Geisteskultur ergänzt werden müsse, wenn nicht das Ganze und Innere des Menschen herabgedrückt werden sollte. Auf Anregung dieser Schrift hat sich dann ein Kreis von Freunden im März 1914 in Darmstadt zusammengefunden, um die wichtige Sache durch persönliche Besprechung in Fluß zu bringen und womöglich auch Ortsgruppen zu bilden. Die Frage erwies sich aber bei näherem Eingehen recht schwierig, und wir haben weitere
Schritte verschoben, zumal ich selbst damals schon an die große ostasiatische Reise zu denken hatte. Aber darüber waren wir einig, daß der innere Lebensstand bei uns Deutschen dem äußeren Wohlergehen keineswegs entsprach
Von der »Sammlung der Geister« ist nach ein paar Monaten ein unveränderter Neudruck erschienen (Anfang Februar 1914); ich durfte das als ein willkommenes Zeugnis dafür begrüßen, daß die dort behandelten Lebensfragen viel Teilnahme im deutschen Volke fanden. Über den damaligen Stand des deutschen Lebens habe ich S.3 f. folgendes gesagt:
»Alles das läßt erwarten, daß eine frische und freudige Lebensstimmung unser ganzes Volk durchdringe und es vertrauensvoll von großer Vergangenheit zu noch größerer Zukunft fortschreiten lasse. Aber unleugbar fehlt eine solche Stimmung. Wir finden vielmehr bei Betrachtung des Ganzen der Lebenslage und der Lebensschätzung viel Zweifel und Unsicherheit, wir finden die Neigung weit verbreitet, an den Dingen mehr die Schranken und Fehler als das Große und Gute zu sehen, über dem Hasten am einzelnen Eindruck das Ganze ungewürdigt zu lassen, bei Kritik und Verneinung zu bleiben und uns dadurch die rechte Freude auch an unbestreitbaren Erfolgen zu stören; dazu finden wir uns bei allen prinzipiellen Fragen in arger Spaltung, und verlieren wir in solcher Spaltung die Sicherheit und Freudigkeit des eignen Beginnens.«
Den Hauptgrund der Verwicklung fand ich in der Unterdrückung einer Geisteskultur durch eine bloße Arbeitskultur. Dieser Verwicklung habe ich unmittelbar vor dem Kriege in jener Schrift einen kräftigen Ausdruck verliehen; ich sagte dort S.82: »Nur der flachste Optimismus kann mit dem kümmerlichen Reste auszukommen hoffen, den ein weitverbreiteter Zug der Zeit von dem reichen Erbe der weltgeschichtlichen Arbeit noch festzuhalten geruht. So ist ein Entweder-Oder nicht zu verkennen, wir treiben einer Katastrophe zu, wenn dem unvermeidlichen geistigen Sinken nicht energisch widerstanden wird. Schon jetzt empfinden wir schmerzlich den Mangel an schaffenden Persönlichkeiten und an starken Charakteren, schon jetzt stockt bei uns das geistige Schaffen und sinkt die sittliche Energie; soll das so weitergehen, sollen wir immer mehr einen inneren Halt verlieren und unser Leben mehr und mehr der Leere verfallen lassen? – Soll die geistige Evolution der Menschheit das Hauptergebnis haben, daß der Mensch darin sich selbst zerstört und sich alles Wertes beraubt, indem er sich nur als ein etwas begabteres Tier versteht?«
Zustimmend erwähnte ich auch Nietzsches Worte: »Nur das Volk lebt, das seine Erlebnisse in Ewigkeitswerten ausdrückt«. Im Herbst 1913 haben wir die großen Taten der Freiheitskriege gefeiert. Konnten wir unserem Leben einen auch nur einigermaßen entsprechenden Ewigkeitswert geben? War die Feier nicht geistig und künstlerisch kläglich?. – Inzwischen kamen neue aussichtsreiche Aufgaben. Zu Pfingsten 1914 habe ich zu den modernen Theologen Hollands gesprochen und mich mit den Meinigen der herrlichen Blumenpracht namentlich Haarlems erfreut. Unmittelbar darauf erhielt ich eine außerordentlich warme Aufforderung nach London zu kommen, mich an dortigen Festlichkeiten zu beteiligen und auch an verschiedenen Stellen philosophisch zu sprechen. Ich
war nahe daran, das anzunehmen, wurde aber bedenklich durch die Schwierigkeit, den auseinandergehenden religiösen Strömungen des dortigen Lebens vollauf zu genügen: die Unitarier hatten mich zuerst berufen, ihnen war ich zunächst freundschaftlich verbunden; die neue Einladung aber ging mir von philosophisch gesinnten Mitgliedern der Hochkirche zu. Ich fürchtete durch einen solchen Gegensatz in eine schiefe Lage zu kommen. So habe ich schließlich jene Einladung abgelehnt. Charakteristisch für die damalige Stimmung war es, daß der in London bestehende Presse-Klub auswärtiger Vertreter mir einstimmig eine liebenswürdige Einladung sandte, und daß mir dabei ausdrücklich versichert wurde, auch die französischen Journalisten teilten diese Gesinnung. Dast auch darüber hinaus in französischen Kreisen eine freundliche Stimmung für uns herrschte, zeigte der Vesuch des angesehenen Philosophen Boutroux, der sowohl in Berlin als in Jena in sympathischer Weise gesprochen hat. Auch einer mich erfreuenden Adresse seitens bulgarischer Kreise möchte ich gedenken, die im Frühling 1914 an mich kam. Zu den Bulgaren hatte ich seit einer Reihe von Jahren, ja Jahrzehnten manche wissenschaftliche und persönliche Beziehungen, viele Studenten kamen nach Jena wegen der hier blühenden Pädagogik, andere wegen der Philosophie. Mehrere haben unter meiner Leitung promoviert, verschiedene von ihnen sind in ihrem Vaterlande zu hohen Stellungen gekommen. Aus dem Kreise dieser Schüler und Freunde wurde an mich die Bitte gerichtet, den von den früheren Kriegen tiefgebeugten Bulgaren einen tröstenden und anerkennenden Brief zu schreiben, der durch die dortigen Zeitungen zu veröffentlichen sei. Das ist denn auch geschehen, und nach einiger Zeit erhielt ich einen in französischer Sprache verfaßten Dankbrief, der von allen Spitzen des bulgarischen Volkes persönlich unterzeichnet war. Ich war sicherlich nicht der Einzige, der einen solchen Dank erhielt, immerhin hat es mich aufrichtig erfreut, in dieser Weise zu einem ganzen Volke ein persönliches Verhältnis zu erlangen.
In jener bulgarischen Adresse waren namentlich folgende Stellen bemerkenswert:
»Vous êtes, Monsieur, de ces amis de la Bulgarie qui par leurs paroles, leurs écrits et leurs actes ont mérité sa reconnaissance éternelle«.
»Nous, soussignés, représentants des institutions et des sociétés de culture intellectuelle en Bulgarie, nous venons vous exprimer toute la reconnaissance du peuple bulgare.« Daß das auch gegenüber Finnland in noch gesteigerter Weise geschah, wurde schon erwähnt. Von bulgarischen Kreisen erhielt ich auch während des Krieges freundliche Einladungen, denen ich aber leider aus Mangel an Zeit nicht folgen konnte.
Inzwischen wurden mir neue Aufgaben von Japan und China gestellt. Zu Japan bestanden alte Beziehungen, indem der frühere Großherzog von Weimar ein besonderes Interesse für die evangelischen Gemeinden in Japan zeigte. An unserer Universität haben die Japaner sich als strebsam und tüchtig erwiesen, mehrere haben bei mir promoviert, so ein Buddhist, der über die Bedeutung der buddhistischen Ethik schrieb. Bald erwachte dort auch ein großes Interesse für die Übersetzung meiner Hauptschriften; die meisten von ihnen sind ins Japanische übersetzt. Daß man in Japan an mich dachte, erfuhr ich zuerst in Amerika durch Münsterberg, doch nahm ich die Sache zunächst nicht ernstlich. Aber schließlich kam eine sehr freundliche Einladung, ich möchte an den beiden Reichs- Universitäten Tokio und Kioto eine Reihe von Vorlesungen über die großen Lebensprobleme halten. Das hatte einen besonderen Reiz für mich, bot sich doch dadurch die Gelegenheit, diese uns sonst fremde und ferne Welt aufs genaueste zu sehen, und, was mich besonders anzog, in einen unmittelbaren Geistesaustausch mit leitenden japanischen Kreisen, namentlich mit den buddhistischen, zu kommen. Nicht nur die Gesinnung dieser akademischen Kreise war sehr entgegenkommend, auch alles Äußerliche war sehr umsichtig überlegt. Wir, d.h. meine Frau und ich, sollten zunächst über Rußland auf der sibirischen Bahn durch Korea fahren, wo uns ein japanischer Abgesandter empfangen würde, um dann die kurze Seereise nach Tokio anzutreten. Kaum hatten wir diese Einladung angenommen, so empfing ich eine dringende Bitte, auch die Hauptstädte in China zu besuchen. In ihnen sollte ich einige philosophische Vorträge halten; ich sollte in deutscher Sprache reden, der Vortrag aber für die Hörer vorher ins Chinesische übersetzt werden. Die Rückreise sollte durch den indischen Ozean und über Ägypten erfolgen. Da hat der plötzliche Ausbruch des Krieges alle Pläne zerstört, und wir mußten dankbar sein, daß uns der Krieg nicht draußen, entfernt von unseren Kindern, antraf.