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Nach meiner Rückkehr aus der Schweiz fand ich das deutsche Leben in eigentümlicher Lage. Es war ein großer militärischer Sieg errungen, und Kraft und Geschick eines großen Staatsmannes schienen Deutschland aller Gefahr enthoben zu haben. Aber von innen her drohten geistige Verwicklungen, die freilich erst allmählich ins Bewußtsein traten. Eine starke Einseitigkeit war nicht zu verkennen: einerseits eine politische Gestaltung, welche den Schwerpunkt des Wirkens in die Regierung legte und der Selbsttätigkeit des Volkes nur einen bescheidenen Einfluß gestattete, andererseits ein rasches Vordringen der wirtschaftlichen Interessen, die mehr und mehr zur Hauptsache wurden. Es wurde nach beiden Richtungen Treffliches geleistet, aber das Leben ging ausschließlich in solchen Leistungen auf, es fehlte ein gemeinsames Ziel für den ganzen Menschen, es fehlte eine innere Erhöhung, es fehlte eine klare Auseinandersetzung mit den Problemen und Gegensätzen des modernen Lebens; der Hauptzug der Zeit ging nach einer unbedingten Bejahung des Lebens, mehr und mehr zog das sichtbare Dasein alles Streben an sich, es war eine Unwahrhaftigkeit darin unverkennbar, daß das äußere Bekenntnis der Zeit an einer geistigen Welt und an einer Religion christlicher Färbung festhielt. Das ergab eine bloße Arbeitskultur, die innerhalb ihrer Grenzen manches förderte und verbesserte, die aber bei ihren Erfolgen die Seele des Menschen vergaß; es konnte als ein Widerspruch erscheinen, daß dieses Volk fortfuhr, sich ein Volk der Denker und Dichter zu nennen, da bei ihm keine innere Notwendigkeit weder für die Kunst noch für die Religion noch für die Philosophie wirkte. Das war die Zeit, welche Nietzsche mit gutem Grunde gegeißelt hat; zunächst aber fand er für seinen wuchtigen Angriff taube Ohren, er hat vor seiner schweren Erkrankung von keinem seiner Bücher eine neue Auflage erlebt und war einstweilen ein Prediger in der Wüste. Erst vor und gegen 1890 erfolgte ein Umschwung der Stimmung, mit dem wir uns später zu beschäftigen haben. In Summa war bei allem äußeren Wohlergehen eine starke Veräußerlichung und Verflachung nicht zu verkennen.
Eine solche Lage brachte auch das philosophische Streben in eine schwierige Lage. Es bekämpften sich einerseits die Anhänger des alten Idealismus, andererseits die Realisten und Positivisten. Jener Idealismus hielt den Grundgedanken einer selbständigen Geisteswelt fest, aber er wollte die Gewaltsamkeit der spekulativen Systeme mildern, ihren überkühnen Gedankenflug mäßigen, die Erfahrung in Natur und Menschenleben zu größerer Geltung bringen, auch den Befund der Geschichte sorgfältiger und unbefangener würdigen. So hat er dem Streben mehr Besonnenheit und Umsicht verliehen. Aber so schätzbar die daraus erwachsenden Leistungen waren, sie brachten keine selbständige Grundrichtung, sie gaben dem Leben keine neue Gestaltung, wie unsere zerrissene und gärende Zeit sie verlangt. Der hier gebotene Idealismus war mehr eine Abwehr des vordringenden Realismus, mehr ein Festhalten überkommener Ziele als ein ursprüngliches Schaffen aus dem Ganzen, als ein Eröffnen neuer Bahnen aus der weltgeschichtlichen Lage der Gegenwart.
So war es begreiflich, daß auf philosophischem Gebiet der Positivismus siegreich vordrang. Er nahm seine Stellung ausschließlich in dem von der Erfahrung gebotenen Dasein und kannte keine selbständige Tatwelt, er schob das Weltproblem als vom Menschen unlösbar zurück und suchte als »wissenschaftliche« Philosophie sich aller Metaphysik zu entledigen, ihm wurde die Philosophie vorwiegend zu einer systematischen Ordnung der Einzelwissenschaften. Ohne Zweifel hat sowohl seine Kritik überkommener Gedankenmassen als sein unmittelbares Erfassen der Breite der Wirklichkeit vieles in Fluß gebracht, aber sein Unternehmen, von außen nach innen zu bauen und die ganze Wirklichkeit in ein Gewebe von Beziehungen, damit aber in eine bloße Außenwelt zu verwandeln, konnte unmöglich den Bedürfnissen des deutschen Geistes genügen; es ist kein Zufall, daß große Positivisten wohl Frankreich und England, nicht aber Deutschland geliefert hat.
Noch weniger konnte eine materialistische Populärphilosophie in der Art Haeckels und der Monisten der Tiefe des deutschen Geistes entsprechen. Die subjektive Gesinnung dieser Populärdenker sei in keiner Weise bestritten, sie glaubten mit ihrer Verstandesaufklärung das menschliche Leben von Irrtum und Wahn befreien zu können, sahen aber nicht die gähnende Leere, welcher ein solches Unternehmen unrettbar verfiel. Ihr Unternehmen wäre aber mit seiner Dürftigkeit nicht so sehr in die Massen eingedrungen, wenn nicht das Ganze des deutschen Lebens alles festen und erhöhenden Zieles entbehrt hätte; die im Durchschnitt gebotene Gedankenwelt war ein Gemisch von Intellektualismus und Naturalismus, ein geistiger Tiefstand war nicht zu verkennen; spätere Zeiten werden sich darüber wundern, wie es möglich war, daß ein Volk, das Männer wie Leibniz, Kant, Hegel hervorgebracht hat, so sehr von allen guten Geistern verlassen war und sich seiner Armut wohl noch besonders rühmte. Die hier gebotene Kultur hatte alle Vorzüge, aber auch alle Schranken einer bloßen Arbeitskultur; wir waren tüchtige Arbeiter, aber wir waren flache Menschen.