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Mich selbst versetzte diese Lage in viel Sorge und Unruhe, sie machte mir das Ganze meines Strebens zum Problem. Vor allem mußte ich anerkennen, daß die rasche Folge von verschiedenen Stellungen eine ernste Gefahr für meine innere Bildung war; in wenigen Jahren hatte ich mannigfachste Aufgaben und bunteste Eindrücke gehabt; mochte ich unentwegt meine aristotelische Forschung verfolgen, für meine philosophische Selbstentwicklung war nicht genügend Ruhe, eine Konzentration meiner Kräfte war unbedingt geboten. Nunmehr hatte ich die besten äußeren Bedingungen zum Schaffen, nun galt es, unabhängig von Aristoteles eine eigene Gedankenwelt herauszuarbeiten. Das aber ist mir nur langsam und unter vielfachen Mühen gelungen. Allerdings galten mir einzelne Hauptzüge des Strebens als sicher: ich mußte das Geistesleben über die Natur stellen ohne ihr ein gutes Recht zu bestreiten, ein monistisches Zusammenwerfen beider Welten erschien mir unmöglich; das Geistesleben aber faßte ich erstwesentlich ethisch, ethisch im weiteren Sinne, nicht intellektualistisch, ich habe den Intellektualismus stets als eine Verflachung und Verflüchtigung der Wirklichkeit abgelehnt, dabei aber die Bedeutung der Gedankenarbeit vollauf anerkannt; ich suchte eine enge Verbindung mit der Geschichte, aber ihre nähere Fassung stellte mir manche Fragen; das tiefe Dunkel der Welt hat mich von Jugend an stark beschäftigt, aber ich sah nicht, wie mein Denken sich damit abfinden könnte; die spekulative Philosophie in der Art Hegels galt mir als eine Überspannung des menschlichen Vermögens, aber das nähere Verhältnis von Welt und Mensch war mir nicht genügend geklärt. So blieb ich zunächst im Suchen.
Andererseits aber konnte ich nicht müßig bleiben, es drängte mich zwingend zu einer fördernden Tätigkeit. So suchte ich zunächst einen Halt und ein Ziel in Werken, die wohl zu philosophischen Problemen in enger Beziehung standen, die aber zunächst keine systematische Stellungnahme forderten. Aus diesem Streben sind die »Grundbegriffe der Gegenwart« (1878) hervorgegangen, die eine Verbindung von Geschichte und Kritik bringen sollten. Sie boten mannigfache Gedanken und Anregungen und übten eine scharfe Kritik der Zeitbewegungen, aber sie entbehrten einer genügenden positiven Förderung der Aufgaben. Die näheren Freunde, wie Reuter und Seebeck, waren im Grunde enttäuscht; ich selbst habe in den späteren Auflagen die Sache mehr ins Positive gewandt und meine eigene Stellung weiter ausgebaut. Schon die 2. Auflage (1893) hat wesentliche Umwandlungen vorgenommen: die geschichtlichen Angaben wurden strenger auf das beschränkt, was zum Verständnis der Gegenwart erforderlich schien, der Bestand der Gegenwart wurde schärfer und klarer herausgearbeitet, endlich habe ich mit meiner eigenen Überzeugung eine entschiedenere Stellung gewonnen. So ist das Ganze schon in der zweiten Auflage stark von dem Geschichtlichen ins Philosophische verschoben. Aber bei allen Mängeln hat gleich die erste Auflage manche Freunde gewonnen, und sie ist 1880 auf Anregung des Präsidenten Noah Porter durch Professor Stuart Phelps ins Englische übersetzt; das war meine erste geistige Beziehung zu Amerika. Über Noah Porter erschien 1893: Noah Porter. A memorial by friends. Edited by George Merriam. New York, Charles Scribner's sons (IV, 306). Er gehörte der älteren Generation an, welche in engem Zusammenhange mit dem deutschen Geistesleben stand und dafür namentlich durch Coleridge gewonnen war. Er war im Winter 1853/4 in Berlin und war Trendelenburgs Hause befreundet. Er verfocht entschieden die Notwendigkeit, in die Ausdrucksweise und in die Begriffswelt der deutschen Philosophie gründlich einzudringen. Über meine »Grundbegriffe« äußerte er sich in seiner Einführung jenes Werkes sehr anerkennend: »To the history and criticism of those conceptions, and their terminology, Professor Eucken has brought thorough and careful reading, acute and candid criticism and a clear and solid style. While he is at home among the systems of the past, he seems equally familiar with the controversies of the present. Above all, he has studied brevity, and has mastered the art of expressing in few words the results of patient research and critical discrimination«. In Deutschland hat es 15 Jahre gedauert, bis eine neue Auflage erschien.
Es wurde mir wiederholt nahegelegt, den geschichtlichen Befund des Buches von aller philosophischen Kritik abzulösen und daraus ein nützliches Handbuch herauszuschälen, was alle Richtungen gleichmäßig hätte befriedigen können. Doch dazu konnte ich mich nicht entschließen. Um den Grundgedanken des Ganzen deutlich herauszustellen, wurde seit der 3. Auflage (1904) der Titel in den »Geistige Strömungen« verändert; sie liegen jetzt in 6. Auflage vor.
Unmittelbar diesem Buch folgte die »Geschichte der philosophischen Terminologie, im Umriß dargestellt« 1879. Sie beruhte auf eingehenden Studien zur Geschichte der Begriffe. Es beschäftigte mich damals der Plan einer Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe; aus diesem umfassenderen Plane ist jener Umriß der Geschichte der philosophischen Terminologie als Nebenschößling herausgewachsen.
Über die Begrenzung eines solchen Unternehmens war ich mir völlig klar, nur als eine Einleitung und Anregung konnte das Ganze einen Wert besitzen. Inzwischen ist das Interesse für die philosophische Terminologie sehr gewachsen, und es sind verschiedene
schätzbare Werke darüber erschienen; eine volle Lösung der Aufgabe übersteigt aber das Vermögen eines Einzelnen, hier bleibt eine Aufgabe für eine Akademie offen, die nur durch eine gemeinsame Arbeit der Hauptkulturvölker lösbar ist. Wiederholt habe ich darauf gedrungen. Ich selbst habe beim Ausbau meiner philosophischen Überzeugungen diese Probleme nicht weiter verfolgt, und ich habe meine Sammlungen zur Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe vernichtet. Für einen Fremden hatten sie keinen Wert, und mich selbst fesselte bald ganz und gar die Weiterentwicklung meiner eigenen Gedankenwelt. Aber jene Untersuchungen zur Terminologie haben mir manche Klärung gebracht.
Wenn mein Umriß der philosophischen Terminologie an erster Stelle eine gelehrte Arbeit war, so wurde er doch von gewissen philosophischen Überzeugungen getragen. Es heißt u. a. S. 217: »Die Erforschung der Terminologie kann dafür wirken, daß die Fragen an der richtigen Stelle aufgenommen werden, daß nicht unnützer Streit sich entspinne, das Streben irrleite und herabziehe. Konzentration des Kampfes auf die entscheidenden Punkte, dazu mag unser Gegenstand dienen, den Kampf selbst aber wird er steigern, nicht vermindern.«
Über das Verhältnis der Massen und der Einzelnen heißt es (S. 218): »Unter besonderen Umständen vermögen die Massenkräfte auch positiv zu wirken, indem sie in den Dienst aufstrebender geschichtlicher Bewegungen treten und eine Neugestaltung vorbereiten, aber durch solche Strömungen werden nur Bedingungen und Unterlagen hergestellt, großes positives Schaffen erfolgt einzig und allein durch die mühevolle Arbeit jener Persönlichkeiten, welche ihr Leben an die Sache setzen. Zur Negation und zur allgemeinen Richtung genügen die elementaren Kräfte, die entscheidenden Taten vollziehen sich in jenen Einzelnen.«
Aber zugleich gilt die Überzeugung, daß alle einzelne Arbeit von einem Ganzen der Vernunft umfaßt wird, und daß die Philosophie als eine Gesamtmacht wirkt. »Jene zugleich dürftige und hochmütige Ansicht, welche die Philosophie in erster Linie auf die subjektive Reflexion der Individuen zurückführt, erscheint schon von hier aus als unhaltbar« (S. 220). Über das Verhältnis zur Geschichte aber heißt es (S. 220): »Erhebung über das Geschichtliche bleibt das Ziel, aber nur durch Versenkung in die Geschichte kann dasselbe erreicht werden.«
Jener Zeit des Suchens und Schwankens kann ich nicht gedenken ohne zu erwähnen, daß manche treffliche Männer meine Bestrebungen mit freundlicher Gesinnung begleitet haben; es waren namentlich Mitglieder der älteren Generation, welche mir eine liebenswürdige Schätzung entgegenbrachten. So z. B. Zeller, Harms, Ulrici, Schaarschmidt, Wildauer, der mit unermüdlichem Eifer für eine Berufung meiner nach Österreich wirkte; auch Heyder, der mir eine Berufung nach Erlangen vermittelte, muß ich dankbar erwähnen. Auch zu katholischen Gelehrten wie Sengler und Hoffmann stand ich in freundlichen Beziehungen. So fehlte es meinem Streben nicht an wohlwollender Anerkennung. Das jedoch konnte mir nicht entgehen, daß überwiegend die Älteren für mich eintraten, während den Jüngeren mein Streben gleichgültig war. Ich stand eben mitten zwischen verschiedenen Lebenswogen: die ältere Epoche war vergangen, und ich konnte mich ihr nicht anschließen, die Jüngeren aber verfolgten eine andere Richtung; so blieb meine Stellung eine einsame. Neben meinen Schriften habe ich manche kleine Aufsätze über laufende Zeitfragen geschrieben; es war namentlich die Augsburger Allgemeine Zeitung, die mir dabei freundlich zur Hand ging.
Für die innere Unruhe, unter der ich damals stand, war mein Verlangen bezeichnend, größere oder kleinere Reisen zu unternehmen; so war ich in Berchtesgaden und Umgebung, so in Borkum, so in Saßnitz, so in Holland und Flandern, so zweimal auch in Italien; alles das brachte mir natürlich mannigfache Erweiterung und Förderung, aber es gab mir nicht einen festen Stand im eignen Leben und Denken, es gewährte mir keine innere Sicherheit und Freiheit.