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Zweiter Aufenthalt in Berlin

Der Aufenthalt in Berlin gestaltete sich naturgemäß weit ruhiger als der frühere. Ich mußte mich nunmehr an das alltägliche Leben gewöhnen und mich mit den dortigen Verhältnissen befreunden. Trendelenburg nahm mich in gewöhnlicher Güte auf, wir verkehrten viel miteinander. Auch entwickelte sich ein angenehmes persönliches Verhältnis zu Bonitz, den ich unmittelbar vor meinem Abschied von Berlin nach Husum kennengelernt hatte. Er hat mir sofort die Korrektur des großen Index Aristotelicus übertragen, und ich habe von dem geistvollen, lebenserfahrenen und liebenswürdigen Gelehrten vieles empfangen. Er war aus einer führenden Stellung an der Spitze des österreichischen Gelehrten-Schulwesens nach Berlin übergesiedelt, um das Direktorat des »Grauen Klosters« zu übernehmen; er trat damit aus jener Stellung in eine einfachere ein. Über die Gründe solcher Wendung hat er sich mir gegenüber wiederholt ausgesprochen. Entscheidend war für ihn der ständige Streit der verschiedenen Nationen über die Gestaltung des höheren Schulwesens. Die Hauptfrage war immer, wie viel Tschechisch, Polnisch, Slowenisch oder Italienisch an den Schulen zu treiben sei; die Aufgabe der geistigen Bildung trat dabei weit zurück. Es war begreiflich, daß der ausgezeichnete Forscher und Schulmann auf die Dauer diesen unfruchtbaren Streit nicht ertragen mochte. Natürlich ergab auch das Verhältnis zur katholischen Kirche für ihn, den norddeutschen Protestanten, manche Verwicklung, aber er besaß einen großen Takt, und seine eminente pädagogische Bedeutung wurde von allen Seiten anerkannt. Aber es fehlte nicht an sonderbaren Begegnungen. Er traf bei einem Ausflug auf den Semmering mit einem geistlichen Herrn zusammen. Die Herren unterhielten sich lebhaft, und jener Geistliche äußerte große Bedenken gegen die liberale Gestaltung des dortigen Unterrichtswesens, er meinte schließlich »und der Schlimmste bei dem allen ist der Bonitz«. Bonitz suchte zu beschwichtigen, so schlimm sei es nicht, und vielleicht hätte doch auch Bonitz etwas Gutes an sich. Der geistliche Herr aber wurde immer erregter, kurz, eine Verständigung mißlang. Als man in Wien ankam, hat Bonitz jenem mit einer freundlichen Empfehlung seine Visitenkarte überreicht. Bonitz hat nachher durch eine Reihe von Jahren das preußische Schulwesen geleitet; leider konnte er diese eingreifende Tätigkeit aus körperlichen Gründen nicht lange fortsetzen.

Auch meines Verhältnisses zu Wiese muß ich an dieser Stelle gedenken. Als ich von Husum wieder nach Berlin kam, fragte ich vor allem Trendelenburg, wie Wiese über mein Verhalten denke. Trendelenburg erzählte mir, Wiese wäre recht ärgerlich über mich, er sähe in meinem Benehmen eine gewisse Untreue gegen meinen Beruf; es war augenscheinlich, daß ich es bei ihm völlig verdorben hatte. Auch Trendelenburg fand es richtig, daß ich möglichst bald zu Wiese gehe und ihm die Gründe meines Handelns offen darlege. Dieser empfing mich in recht ungnädiger Weise; es war deutlich, daß unsere Wege auseinandergingen. So habe ich lange Jahre nichts von ihm gehört, unsere Beziehungen waren völlig erloschen. Dann aber erhielt ich, als ich schon mehrere philosophische Bücher geschrieben hatte, einen liebenswürdigen Brief von ihm. Es zwinge ihn, mir auszusprechen, daß ich damals doch richtig gehandelt habe, als ich meinen eigenen Weg verfolgt hätte; er wollte nicht unterlassen, mir seine Schätzung und seine besten Wünsche auszusprechen. So bin ich schließlich mit aufrichtiger Hochachtung und Dankbarkeit von ihm geschieden.

Meine amtliche Stellung am Friedrichs-Gymnasium war nicht so bequem, wie die Husumer, ich hatte namentlich in den mittleren Klassen zu unterrichten, was ja in Berlin keine leichte Sache und mir nicht immer voll gelungen ist. Aber ich fühlte mich wohl in dieser Tätigkeit, und ich wurde sehr freundlich von den Berliner Kollegen aufgenommen. Damals war es, als ein älterer Kollege mir in liebenswürdiger Weise folgenden Rat erteilte. Um in Berlin etwas zu gelten, dürfe man nie etwas loben, sondern müsse alles tadeln; täte man das nicht, so gelte man als ein zurückgebliebener Kleinstädter. Diesen Rat habe ich gewissenhaft befolgt und mich dabei gut gestanden. – 1869 gab es in Berlin drei Sehenswürdigkeiten: Bismarck, dessen überragende Größe nunmehr außer Zweifel stand, Strousberg, der als Eisenbahnunternehmer eine führende Stellung hatte, und den Pastor Knaack, der eine Zielscheibe des Berliner Witzes war, weil seine streng-biblische Überzeugung die Erde als den Mittelpunkt der Welt erklärte. Mein Onkel Carl, in dem noch der alte Theologe steckte, entschied sich bei gebotener Kürze des Aufenthaltes und notwendiger Auswahl für Knaack, mußte aber anerkennen, daß die dargebotene Predigt vortrefflich und eindringlich war. – Nunmehr haben wir auch die Umgebung Berlins genossen. Wir fuhren wiederholt nach Potsdam und hatten namentlich Freude an dem Zauber der dortigen Seen. Tegel war damals still und bot den wohltuenden Eindruck einer edlen Kultur. Auch Eberswalde und Freienwalde wurden besucht. Wir begannen schon Berlin als unsere Heimat zu betrachten. Die Sommerferien brachten eine Reise nach Thüringen, die uns zum ersten Male auch nach Jena führte. Schon die Reise von Apolda aus machte einen recht gemütlichen Eindruck. Wir hatten einen Schnellzug bis Apolda benutzt und erkundigten uns dann nach der Fahrgelegenheit nach Jena. Uns wurde erwidert, das hätte noch gute Zeit, die Reisenden würden abgerufen, wenn es Zeit wäre. Wir setzten uns in den Omnibus und fuhren zur nächsten Station Isserstedt. Dort wurde jedem Herrn ohne weiteres ein Kännchen Lichtenhainer Bier in den Wagen gereicht. Dann fuhren wir von der Höhe durch das anmutige Mühltal nach Jena. Die Stadt hatte damals etwa 9000 Einwohner, sie war ohne Fabriken, alles war hier in den stillen Dienst geistigen Schaffens gestellt und durch eine große Vergangenheit geweiht. Das Paradies war noch nicht zerstückelt, die Gärten hatten um jene Zeit einen prächtigen Rosenflor. Man empfing den entschiedenen Eindruck, daß es sich an diesem Orte gut leben lasse. Einen vollen Tag verbrachten wir, um sowohl den Fuchsturm, als auch den Forst zu besuchen; alles das war ländlich und behaglich. Eine Gelegenheit, die Hauptzierde der damaligen Universität, Kuno Fischer, zu besuchen, hatte ich leider nicht. Später hat schon der bedauerliche Streit zwischen Trendelenburg und Fischer ein engeres Verhältnis zu diesem verhindert. Schließlich haben wir doch in freundlicher Weise miteinander korrespondiert.

Am folgenden Morgen ging die Reise vom alten Posthause aus in das Saaletal. Von einer Eisenbahn war damals noch keine Rede. Morgens 7 Uhr begann die Fahrt, außer uns hatten sich nur noch ein paar Herren eingeschrieben. Wir alle freuten uns über den Anblick der Leuchtenburg, die vorwärts und rückwärts lange das Bild beherrscht. In Kahla war ein Frühstück für die Reisenden bereitet, an dem sich jeder beteiligte. Von Rudolstadt ging es nach dem Schwarzatal und bis nach Schwarzburg. Überaus wohltuend empfanden wir den großen Kontrast zwischen dem Berliner Leben und dem Aufenthalt im Weißen Hirsch, wo abends ganze Rudel von Rehen und Hirschen zur Tränke zu kommen pflegten und kein Laut die volle Ruhe störte. Auch der Blick vom Trippstein hat uns sehr entzückt. Ich unterhielt mich dort mit einem Herrn, der lange Jahre in Amerika zugebracht hatte; er meinte, er hätte in dem fernen Lande viel der eigentümlich deutschen Natur gedacht, dabei aber habe ihm namentlich der Trippstein und seine Aussicht immer besonders deutlich vor Augen geschwebt. Unsere Reise ging weiter nach Thüringen, Franken und nach dem Fichtelgebirge, schließlich über Leipzig nach Berlin.

Vignette

 


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