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(1911)
Der Streit, welcher gegenwärtig um den Namen Böcklins ausgekämpft wird, ist sehr merkwürdig für jemanden, der die Bedeutung des Ruhms, seinen Wert oder Unwert und seine Beziehungen sowohl zur Persönlichkeit des Berühmten wie zu den ruhmspendenden Mächten betrachten will. Ein jeder Künstler strebt nach Ruhm, und es ist unwahr, wenn er das ableugnet. Einige wenige Glückliche mögen ein leichtes Leben gehabt haben: die meisten ertragen ein Leben furchtbar schwerer Arbeit, Mühe und Anstrengung, der Entsagung, Enttäuschung, Einsamkeit, tiefer Schmerzen und Leiden jeder Art; und nur eines gibt es, das sie aufrecht erhält und immer wieder vorwärts treibt, wenn sie ermatten wollen: die Ruhmbegier.
Was ist der Ruhm? Angeblich sehr wenig, wenn man ihn in der Nähe betrachtet: ein Mißverständnis, ein gedankenloses Nachreden, der hohle Klang eines Namens. Mit solchen Gedanken tröstet sich wohl mancher, dessen Kraft nicht ausreichte, um die Bahn bis ans Ende zu durcheilen, und der sein Zusammenbrechen sich vorlügt als eine tiefe Einsicht; und die praktischen Menschen, die ihre tägliche Arbeit tun, welche ihnen aufgetragen ist, und dahinleben ohne weiteren Zweck wie das Leben selbst, stimmen in solche Philosophie ein, wenn sie überhaupt an derartige Fragen denken. Aber die starken Persönlichkeiten in der Kunst wie auf jedem anderen der wenigen Gebiete, wo eine wahre Auszeichnung möglich ist, wollen solche Lehren nicht glauben; was jenen als leeres Wahngebild erscheint, das betrachten und wollen sie als das höchste aller Lebensgüter.
Daß der Weg zu ihm gefahrvoll ist, wie der Weg zu jeder Höhe, das ist eine alte Wahrheit. Das wußten schon die Griechen. Da es noch nie in der Welt so ruhmbegierige Menschen gegeben hat wie die Griechen, so haben sie auch alles betrachtet, was damals an Gefahren für den Ruhmsuchenden vorhanden war, und das so durchgreifend, daß selbst wir Neuesten, unbewußt, wie in vielen Dingen, nur noch die antiken Ansichten über diese Gefahren wiederholen. Aber die Zeiten haben in diese Vorgänge Neues gebracht, an das damals keiner denken konnte. Mag auch die griechische Kultur nicht so harmonisch gewesen sein, wie sie uns heute erscheint: sie war doch jedenfalls eine einheitliche Kultur; es gab Voraussetzungen, die jeder annahm; es gab vorzüglich in den Künsten ein festes Handwerk; anerkannte Meister, an denen gemessen werden konnte; es gab bestimmte Werte, welche von allen erstrebt wurden. Wollte jemand Großes und konnte er Bedeutendes, so fand er den Boden wenigstens vor, auf dem er stehen konnte, ja selbst die Grundmauern, auf denen er zu bauen vermochte. Wenn sein Volk ihn beurteilte, so urteilte es nur über die verhältnismäßige Größe seiner Seele und über die verhältnismäßige Größe seines Könnens; er selbst wurde von vornherein angenommen, Zweck, Ziel, Wertschätzung seiner Persönlichkeit waren nicht bestreitbar, nicht verschiedenartig zu bewerten; denn die waren allen gemeinsam. Das bedeutete denn, daß ein Irrtum über die Bedeutsamkeit eines Mannes wenigstens auf die Dauer gar nicht stattfinden konnte. Die Gefahren des Ruhms waren nur subjektiver Natur; hatte einer, der etwas bedeutete, sich zu einer großen Leistung hindurchgearbeitet, so erfolgte auch die Belohnung. Der Ruhm wurde damals nicht ungerecht verteilt. Das ist heute ganz anders. Die subjektiven Gefahren, welche schon damals bestanden, bestehen unvermindert noch heute: zu ihnen sind aber noch die objektiven Gefahren getreten, welche viel schwerer sind als jene. Es ist fraglich, ob in den neueren Zeiten der Ruhm je gerecht verteilt war, und je näher wir der Gegenwart kommen, desto stärker muß der Zweifel werden.
Im Grunde sind die Menschen heute alle ratlos. Die Ursache ist, daß die Menge, welche den Ruhm verleiht, heute verschiedenartig zusammengesetzt ist, und daß die Einzelnen in ihr wiederum ein widersprechendes geistiges Streben aufweisen: ihre Willenskräfte gehen nach verschiedenen Richtungen auseinander, statt auf einen bestimmten Punkt. Man bedenke für das erste: Damals kamen nur die Besitzenden und Vornehmen in Frage, und auch diese noch nicht einmal alle, denn selbst der reichste Metöke hatte wenigstens in der guten Zeit nichts zu sagen, und es bestand eine enge Verbindung zwischen Besitz und Vornehmheit. Heute haben wir Adel, Bürgertum, Kleinbürgertum und Arbeiter. Wir haben eine ziemlich schroffe Trennung zwischen der fast nur kleinbürgerlichen Bildung, der fast ungebildeten Vornehmheit und dem vielfach geistig nicht viel höher stehenden Reichtum. Innerhalb des Reichtums selbst haben wir dann die Deutschen und Juden. Wir haben alle Abschattierungen religiösen Lebens. Die sittlichen Instinkte gehen noch mehr auseinander wie die religiösen, so daß manches, was in den höheren Schichten als sittlich gilt, in den niederen als unsittlich empfunden wird und umgekehrt. Dazu hat unser geistiges Leben selbst keinen geraden Fortlauf gehabt; es ist immer durch fremde Einflüsse bestimmt gewesen, ja im Grund immer durch sie erst erweckt. Offen gestanden: wir bilden ein Reich und haben manches gemeinsam, wie die Sprache; aber eine Nation sind wir heute weniger wie vor hundert Jahren. Aber das ist noch nicht alles. Es kommen noch dazu die raschen allgemeinen Wechsel von fast zehn zu zehn Jahren in vielen wichtigen Anschauungen, so daß Ansichten fast Modesachen geworden sind.
Jemand, der etwas Bedeutendes leisten will, auf Grund dessen er den Kranz des Ruhmes beanspruchen kann, muß vor allem eine starke Persönlichkeit sein. Schon das ist schwer, in diesem Wirrsal sich selbst zu finden. Viele, die in ausgeglichenen Zeiten und in einer gefesteten Nation etwas aus sich gemacht hätten, müssen zugrunde gehen, weil sie dem Ansturm der verschiedenartigen Eindrücke und Einflüsse nicht widerstehen können, sie weder zu verarbeiten noch abzulehnen vermögen. Also schon die subjektiven Vorbedingungen bis zu dem Punkte, wo erst die subjektiven Gefahren beginnen, sind ungeheuer erschwert. Dann kommen die Gefahren: es soll sie einer besiegen und uns etwas Großes schaffen.
Ja, was ist denn etwas Großes, wird dieses Volk ohne Nationalität sagen. Ein katholischer Baron aus Westfalen, ein protestantischer Adeliger aus Pommern, ein Arbeiter aus Berlin, ein Professor aus Königsberg, ein jüdischer Bankier aus Frankfurt, ein Großunternehmer aus dem Rheinland, ein Handwerker aus Mitteldeutschland, ein Oberlehrer aus Bayern, ein Journalist aus Schwaben: haben alle diese Leute denn irgend etwas miteinander gemeinsam, stehen sie sich nicht fremd gegenüber wie Angehörige verschiedener Nationalitäten? Auf sie alle soll der Künstler wirken, ihnen allen soll er: nicht etwas für den Verstand geben, der ja bei allen Menschen der gleiche ist, sondern Willensantriebe auslösen. Man braucht sich nur die Frage zu stellen, um sofort einzusehen, daß sie ganz unlösbar ist.
Unsere klassische Literatur, die unter sehr günstigen Verhältnissen entstand, ist im allgemeinen von unserem Volk angenommen und bereits Bildungsmittel geworden. Mit Schiller und Goethe wächst unsere Jugend in ganz Deutschland auf. Dennoch: würde man einen Volksentscheid veranstalten, selbst nur unter den oberen fünf oder sechs vom Hundert der Gebildeten, man würde erstaunen, wie wenigen diese Klassiker wirklich etwas bedeuten, wie wenige überhaupt von dem geistigen Gehalt derselben nur eine Ahnung haben. Über die nachklassische Literatur steht das Urteil selbst bei den Urteilenden noch nicht fest – und ihre Wirkung?
Mit dem Wort »die Urteilenden« ist eine für unsere Frage wichtige gesellschaftliche Erscheinung angedeutet. Wenn eine Gesellschaft so zerfahren, gespalten und des eigenen Handelns unfähig ist wie die unserige, so entwickelt sie aus sich selbst heraus Organe, welche die betreffende Arbeit für sie übernehmen. In unserem Fall bilden sich die Journalisten, Kritiker und Kunstgelehrten, welche die Wirkung des Kunstwerkes an sich verspüren, darüber der Menge Mitteilungen machen und ihr Urteil derselben aufdrängen. Aber diese Männer sind ja doch eben wieder aus dem nicht zur Nation geschlossenen Volk genommen; sie vertreten also alle die Gegensätze, welche im Volk vorhanden sind – etwas gemildert, indem sie zum großen Teil aus einer begrenzten gesellschaftlichen Umwelt stammen und gewisse gemeinsame Berufseigenschaften in sich entwickeln werden. Nur ist schlimm: zu diesen Berufseigenschaften gehört wieder eine große Beeinflußbarkeit. Was kann daraus entstehen? Bei den Besten eine relativistische Auffassung der Dinge, ein Verstehen, ein Jasagen zu jeder eigenartigen, aber dadurch doch noch nicht wertvollen Erscheinung; eine Scheu vor kräftigem Bewerten und zugleich ein sofortiges Umfallen, wenn von irgendeiner Seite stark nach einer bestimmten Richtung gestoßen wird.
Wie kann sich unter solchen Umständen der Ruhm eines Künstlers heute entwickeln?
Der Mann zeigt sich als eine Persönlichkeit und wird als solche von der Kritik freudig und freundlich anerkannt neben allen möglichen anderen wertvollen oder wertlosen Persönlichkeiten. Dem einen oder anderen Menschen im Volk, der zufällig dieselbe geistige Art hat wie er, sagt er etwas und gewinnt in dem einen Verehrer. Weiter geht es aber aus sich heraus nicht, wenn nicht der Ausnahmefall eintritt, daß gerade irgendwelche starke geistige Bewegungen vorhanden sind – eine jener zehn Jahre lang anhaltenden geistigen Moden, für welche er den Ausdruck findet. Indem er so das sagt, was gleichzeitig viele hören wollen, wird er auf einen Schlag berühmt: ähnlich wie der antike Künstler seines Ruhms dadurch sicher war, daß er zu einem einheitlich gearteten Volk sprach, das nicht seine zufällige Zeitidee, sondern seine tiefsten Instinkte gemeinsam hatte. Das also ist die Ausnahme. Trifft diese nicht zu, so muß ein neuer Umstand kommen, der diesem bis dahin nur geschätzten, geachteten und von einem kleinen Kreise verehrten Künstler den Ruhm verleiht.
Dieser neue Umstand ist das Geschäft.
Läßt sich auf irgendeine Weise mit dem Mann ein Geschäft machen, so wird sofort die stärkste Anteilnahme rege, die in einer Gesellschaft wie der heutigen erstehen kann, nämlich die auf Gewinn; und die Leute, welche mit und an ihm gewinnen wollen, sorgen dann für den Ruhm. Es ist gar nicht gesagt, daß da irgendeine niedrige Absicht vorhanden sein soll; die Betreffenden werden sich vielleicht aus den Leuten zusammenfinden, denen der Künstler durch zufällige Ähnlichkeit der Wesensanlage etwas gab; diese gehen in der besten Absicht vor: nicht ihr Urteil, aber die Kraftentfaltung und der Eifer für die Verbreitung derselben wird durch die Aussicht auf das Geschäft entfacht; und Kraftentfaltung und Eifer müssen sehr groß sein, denn sie müssen eine Massenbeeinflussung zustandebringen; deshalb genügt die bloße Verehrung und Zuneigung allein nicht, es müssen stärkere Antriebe wirken. Der moderne Ruhm kommt zunächst durch eine Massenbeeinflussung zustande, nicht durch eine unmittelbare Wirkung des Künstlers auf die Masse. Dieser Umstand erklärt viel. Ein freilich unedler Vergleich macht uns den Vorgang deutlich. Denken wir an die Schwankungen der Papiere an der Börse, oder noch augenscheinlicher, an die Entwicklung der Preise bei gewissen Liebhabereien, etwa der Bücherfreundschaft. Ein gewisses Buch, etwa Brentanos Godwi, ist immer geschätzt gewesen bei Freunden der Dichtung und war immer selten; aber bis vor einigen Jahren wurde das Buch mit zwanzig Mark verkauft. Da kommt bei einigen Leuten ein stärkeres Verlangen nach den Romantikern; die wirken wieder auf andere, eine sich steigernde Nachfrage entsteht, die nun einfach auch auf die Leute übergeht, welche an sich gar keine Beziehung zu der Romantik oder zu dem Buche hatten, und in ein paar Wochen steigt der Preis des Romans auf fünfhundert Mark. Ist das Buch wirklich das wert? Für das Geld kann man sich andere, viel schönere und auch seltenere Bücher kaufen; aber der Mann, der den ungeheuerlichen Preis bezahlt, liest das Buch vielleicht kaum; er wird zu der Gier, es zu besitzen, lediglich durch die Gier der anderen getrieben, und die lediglich durch das Verlangen einiger weniger. Nicht der innere Wert des Buches also entscheidet die hohe Achtung, welche es augenblicklich genießt, sondern die Möglichkeit für Sammler, ein Stück zu besitzen. Handelte es sich nicht um ein Buch, welches schon durch die Tatsache, daß eine Anzahl Stücke käuflich sind, Sammelgegenstand werden kann, sondern wäre das Werk nur in der Handschrift vorhanden, und wären etwa alle Handschriften des Dichters in staatlichem Besitz, so daß auch die Autographensammler nicht in Bewegung gesetzt werden könnten, so hätte »Godwi« nie seinen jetzigen Ruhm erlangt, sondern würde immer nur von den wenigen geschätzt werden, welche wirklich eine innere Beziehung zu ihm haben: und die genügen keineswegs, um ein Buch berühmt zu machen. Der Vergleich zeigt auch, daß das oben gebrauchte Wort »Geschäft« den Begriff nicht ganz deckt; ich wüßte aber kein anderes Wort zu finden.
Eine Entwicklung des Ruhms, welche jenem Beispiele durchaus ähnlich ist, wird bei solchen Künstlern eintreten, wo die äußeren Voraussetzungen ähnlich sind: das sind zunächst die bildenden Künstler. Von einem Maler gibt es nur eine bestimmte Anzahl Bilder, und wenn er noch lebt, ist nur eine begrenzte Anzahl weiterer Bilder von ihm zu erwarten. Damit er aus dem Zustand der Schätzung durch die wenigen in den des Ruhms übergehe, muß die Leidenschaft der Bilderkäufer erregt werden, welche als Sammler, nicht als Liebhaber eines bestimmten Werkes, Künstlers oder einer bestimmten Kunstrichtung kaufen. Manche behaupten, daß da die besondere Fähigkeit des Kunsthändlers liegt, der einen bestimmten Künstler »macht«. Ist die Gier einmal erweckt, so geht sie selbsttätig weiter, umfaßt immer größere Kreise, die Preise steigen immer mehr und damit die Hochachtung vor dem Künstler und sein Ruhm. Das geht dann so lange, bis die Gier der Sammelnden durch eine neu erweckte Mode nach einer anderen Richtung gelenkt wird; die Nachfrage fällt, die Preise fallen, und ebenso kritiklos, wie der Mann vorher gepriesen wurde, wird er nun verachtet. Bei den Malern ist die Erscheinung nicht mehr neu: sie besteht hier, solange es Bildersammler gibt, also seit Jahrhunderten. Denken wir uns etwa in die früheren Jahre zurück, wo die Maler nicht für den sammelnden Liebhaber malten, sondern für die Kirche, das Kloster, die Stadt, den Staat: so finden wir, daß die schroffen Schwankungen im Urteil nicht vorhanden waren. Ein Kloster, welches Fresken Von Giotto hatte, wünschte gewiß zu Raffaels Zeit lieber statt der alten Bilder Bilder von Raffael zu haben: das ist nur allgemein menschlich; und die Mönche schätzten gewiß ihre Bilder geringer ein wie die Bilder Raffaels, denn der sprach zu ihren Seelen unmittelbar, während sie die unmittelbare Empfindung für Giotto nicht mehr hatten. Aber da sie ihre alten Bilder nicht verkaufen konnten, zu irgendeinem niedrigeren Preis, als sie sie früher eingeschätzt hatten, um sich, mit Draufzahlen, raffaelische Bilder zu erwerben, da also kein geschäftlicher Wettstreit zwischen Giotto und Raffael entstand, so hatten auch diejenigen Personen, welche den heutigen Kritikern entsprachen, keinen Anlaß dazu, nun Giotto als ganz verwerflich hinzustellen; man faßte ihn als einen nicht ganz zulänglichen Vorläufer auf, womit man in gewissem Sinne recht hatte: denn man schätzte eben nicht seine später nie wieder erreichte Größe, die man damals nicht verstand, sondern das, was er etwa außerdem mit Raffael gemein hatte. So konnte man unter Umständen wohl alte Fresken zerstören, um neue an die Wand zu malen, aber immer nur in dem Sinn, daß man seine ganze Zeit für fortgeschrittener hielt und dem alten Künstler seinen Ruhm für seine Zeit ließ.
Ähnliche Verhältnisse wie bei den bildenden Künstlern entwickelten sich nun in den neueren Zeiten auch bei den Dichtern, und zwar auf Grund des literarischen Eigentumsrechtes.
Am deutlichsten kann man das bei den Dramatikern sehen. Die Bühnenleiter sind dank der eigentümlichen Verfassung, in welche das Theaterleben die Geister versetzt: daß ihnen nämlich der Mittelpunkt herausgenommen wird und nur noch Umkreis übrigbleibt, durchaus nicht in der Lage von Personen, welche auf Grund einer persönlichen Schätzung einen Dramatiker aufführen, sondern sie empfinden sich lediglich als Agenten des Publikums. Dieses selbst ist, wie wir sahen, gänzlich willenlos und erwartet selbst einen Ansporn. Dadurch kommen die Bühnenleiter in die Lage von Börsenmännern, die lediglich Hausse und Baisse beobachten und kaufen oder verkaufen bei Steigen oder Fallen, ohne von den eigentlichen Gründen des Steigens und Fallens eine rechte Vorstellung zu haben, ja ohne vielleicht zu wissen, in welchem Erdteil das Geschäft betrieben wird, dessen Anteile sie handeln. Es gibt eine Anzahl Dramatiker, welche des Bühnenleiters warten, der sie aufführt. Eine Aufführung an einem großen Berliner Theater bedeutet aber ein außerordentliches Wagnis, und dabei herrscht in Bühnenkreisen die Ansicht – bei unseren heutigen Verhältnissen wohl nicht ganz mit Unrecht – daß man über den Erfolg eines Stückes vorher nichts wissen könne. Wird von den Dramatikern einer vorwärtsgeschoben durch einige Kritiker, wird der dann von einem Leiter gewählt, so kann man gewiß sein, daß sich sofort auch die übrigen Leiter auf ihn stürzen, hat er gar Erfolg, so wird er derart umworben und in die Höhe getrieben, daß der Außenstehende den Eindruck gewinnen muß, daß hier eine Jahrhundertgröße entdeckt sei: in Wirklichkeit gibt es Dutzende von seiner Art, die vielleicht nie bekannt werden. Entsprechend der Schnelligkeit, mit welcher der Ruhm erlangt wird, vergeht er freilich wieder, und neue Eintagsfliegen erscheinen. In Roman und Lyrik tritt an die Stelle des Theaterleiters der Verleger.
Man wende nicht ein, daß diese Erörterungen nicht auf die wirklichen Künstler gehen, sondern nur auf den leichten Schaum, welcher auf den Wellen tanzt. Das Beispiel Böcklins zeigt, daß auch die großen Persönlichkeiten von diesen Dingen betroffen werden: und daß Böcklin eine große Persönlichkeit ist, das wird selbst sein Gegner nicht leugnen können. Und nicht bloß die Zeitgenossen werden von diesem Schwanken getroffen; sondern, indem der ganz ziellose Geschmack sich immer nach den jeweiligen Größen richtet, schwankt auch das Urteil über die Verstorbenen: sind sie dem augenblicklichen Heros nicht irgendwie ähnlich, so werden sie tiefer eingeschätzt. Vielleicht muß man etliche Geschlechter zurückgehen, um auf Festes zu kommen? Nun, wenn Hofmannsthal plötzlich eine Hochschätzung der zweiten schlesischen Dichterschule erweckt, die bisher immer in gerechter Verachtung verborgen lag, weil er durch seine Bücher den Schwulst wieder zeitgemäß gemacht hat, so verzweifelt man auch daran; oder wenn Gottsched plötzlich als geistiger Held gepriesen wird, den man bisher mit Recht als einen in seiner Jugend verdienstvollen, in seinem Alter schädlichen Schulmeister auffaßte, so ist eben alles schwankend: Wir haben keine Kultur.
An Selbstbewußtsein fehlt es den neuesten Künstlern gewiß nicht, wie denn der moderne Mensch überhaupt sich gewiß nicht unterschätzt. Aber ist es nicht merkwürdig: jene edle Ruhmbegierde, die zu Beginn unserer klassischen Zeit die Gemüter beseelte und bei einer großen Persönlichkeit, wie Klopstock, überhaupt der Angelpunkt des Daseins wurde, ist nirgends mehr anzutreffen: gerade die Selbstbewußtesten sind von heimlichen Zweifeln gequält: und wie sollten sie nicht zweifeln, müssen sie doch empfinden, daß ihr Ruhm im letzten Grunde nur Tageslärm ist. So möge denn, um den Unterschied zu zeigen, Klopstock diese Ausführungen schließen, mit dem Schluß der »Beiden Musen«:
Doch wäg's noch einmal, eh' zu gefahrvoll dir
Der Herold tönet. War es nicht ich, die schon
Mit der am Thermopyl die Bahn maß
Und mit der hohen der sieben Hügel?
Sie sprach's. Der ernste, richtende Augenblick
Kam mit dem Herold näher. Ich liebe dich!
Sprach schnell mit Flammenblick Teutona,
Britin, ich liebe dich mit Bewundrung!
Doch dich nicht heißer, als die Unsterblichkeit,
Und jene Palmen! Rühre, dein Genius
Gebeut er's, sie vor mir: doch faß ich,
Wenn du sie fassest, dann gleich die Kron' auch.
Und, o wie beb' ich! O, ihr Unsterblichen!
Vielleicht erreich' ich früher das hohe Ziel!
Dann mag, o dann an meine leichte
Fliegende Locke dein Atem hauchen!