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(1931)
Über das Pfingstwunder haben wir folgenden Bericht im Neuen Testament:
»Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen, Und man sahe an ihnen die Zungen zerteilet, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Und wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit andern Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen, und wurden verstürzt; denn es hörte ein jeglicher, daß sie mit seiner Sprache redeten. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind? Parther und Meder, und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien, und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien, Phrygien und Pamphylien, Egypten, und an den Enden der Libyen bei Kyrene, und Ausländer von Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber; wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden irre, und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Die andern aber hatten's ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weines.«
Das Pfingstwunder ist ein Wunder. Ein Wunder ist ein einmaliges Eingreifen Gottes in die Wirklichkeit unter Aufhebung einer oder einiger Kausalitätsreihen, welche im Augenblick des Eingreifens laufen. Die Wirklichkeit ist unsere Vorstellungswelt, von uns geschaffen mit den Formen und Anschauungen unserer Vernunft. Zu diesen Formen gehört die Kausalität. Wenn wir von einem Wunder als einer geschichtlichen Begebenheit hören, dann können wir nichts anderes tun, als daß wir die gewohnte Kausalität durch eine ungewohnte Kausalität ersetzen, nämlich durch das unmittelbare Eingreifen Gottes. Gott ist aber jenseitig und geht keinerlei Kausalitätsbeziehungen zum Diesseits ein. Mit anderen Worten: Ein Wunder, das eine geschichtliche Tatsache sein soll, ist unmöglich.
In unseren heiligen Schriften wird uns oft versichert, daß Gott jenseits unserer Vernunft ist. Wie so vieles andere, was in ihnen gesagt wird, sprechen wir auch diese Versicherung gedankenlos nach. Es ist wohl nicht möglich, daß wir uns immer auf der reinen Höhe der eigentlichen Religion halten. Wenn eine Religion wie die christliche Volksreligion ist, dann muß auch der einfachste Mann, der vielleicht nie zu jener reinen Höhe kommen kann, die Möglichkeit haben, wenn er etwa im Leben ganz verzweifelt ist, an ein unmittelbar sinnliches Eingreifen Gottes in seine Welt zu glauben. Man muß sich nur klar machen, daß gerade hier eine der Ursachen für den modernen Unglauben liegt. Diese volkstümliche Vorstellung wird fast nie durch die höhere Vorstellung verbessert, und so ist es denn möglich, daß in einer Zeit, wo das wissenschaftliche Denken das allgemein herrschende ist, die plattesten Einwendungen gegen die Religion allgemeine Überzeugungskraft besitzen.
Das wissenschaftliche Denken ist das angemessene Werkzeug für uns zur Beherrschung unserer Vorstellungswelt. Außerhalb oder jenseits unserer Vorstellungswelt hat es nichts zu suchen. Religion ist kein Verstehen, kein Einsehen; sondern sie ist Leben. Unser Leben geht zwar in der Vorstellungswelt vor sich; aber damit ist noch gar nichts über unser Leben erklärt; unser Leben ist unerklärlich. Wenn man das Wunder in unsere Vorstellungswelt hineinzieht als einen Vorgang, der nun geschichtlich einmal zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geschehen ist, so begeht man einen Denkfehler. Unsere Zeit, im Rausch des wissenschaftlichen Denkens, hat ganz vergessen, daß es außer dem, was wir mit verständigen und meinetwegen wissenschaftlichen Worten ausdrücken können, auch noch etwas gibt, was man auf diese Weise nicht ausdrücken kann. Die Dichter haben das ja immer behauptet. Sie haben immer gesagt: Nur das ist wirklich, was nie und nirgends geschehen kann. Aber auf die Dichter hört nun eben eine wissenschaftliche Zeit nicht.
Um das Pfingstwunder zu verstehen, müssen wir es mit der Geschichte vom Turme zu Babel vergleichen, die uns im Alten Testament berichtet wird. Man wird sie heute wohl als Mythos bezeichnen und sich nicht klar machen, daß sie eine Geschichte ganz derselben Art ist wie die Pfingsterzählung.
Die Geschichte vom Turmbau lautet folgendermaßen: »Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gegen Morgen, fanden sie ein ebenes Land, im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sprachen untereinander: Wohlauf, lasset uns Ziegel streichen und brennen. Und nahmen Ziegel zu Stein und Ton zu Kalk. Und sprachen: Wohlauf, lasset uns eine Stadt und Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen; denn wir werden vielleicht zerstreuet in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk, und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, das sie vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache vernehme. Also zerstreute sie der Herr von dannen in alle Länder.«
Zu Pfingsten erblüht die Natur von neuem ans der winterlichen Zerstörung und bereitet sich auf das Früchtetragen im Herbst vor. Gottes Sohn, der am Kreuz gestorben ist, hat im Glauben der Menschen Verbindungen mit uralten Frühlingsgöttern. Unsere christliche Religion, die höchste Religion, welche Gott bis heute den Menschen geoffenbart hat, ist nicht aus einem einmaligen geschichtlichen Ereignis entstanden, aus einer einzigartigen geschichtlichen Persönlichkeit: sondern sie ist das letzte der Bilder, welche Gott den Menschen gegeben hat, damit sie durch ihn am Leben erhalten bleiben. Sehen wir uns in der Welt um: Wo wird diese Lehre heute verstanden, ich will gar nicht sagen, geglaubt? Heute ist die Zeit, welche die tiefsinnige Sage vom Turmbau zu Babel darstellt. Die Manschen haben durch die Wissenschaft ein ungeheures Gebäude aufgerichtet. Nun hat Gott ihre Sprachen verwirrt, daß keiner den andern mehr versteht, und hat sie in alle Länder verstreut. Sie wissen nicht, wie das geschehen ist, denn sie haben von Gott ja nichts gesehen. Die Verwirrung der Sprachen wird immer schlimmer. Noch wird an dem Turm gebaut. Aber viele Leute wissen schon: der Tag ist nicht mehr fern, da das letzte Entsetzen den letzten Arbeiter von seiner Arbeit jagen wird, und der unvollendete Turm beginnen wird zu verfallen. Wir feiern heute das Pfingstfest. Wo in der Welt wird es heute verstanden, daß die Apostel ihre Sprache sprachen, und jedes Volk, das zuhörte, seine eigene Sprache hörte. Pfingsten ist das Fest des Frühlings; aber die Welt lebt heute nicht im Frühling, sondern sie lebt im Winter. Die Völker sind verstreut, und eines versteht nicht das andere. Nichts können wir tun, als an Gott glauben, in dessen Weltplan es so eingerichtet ist, daß auf den Winter wieder der Frühling folgt.