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Wie Asmus bei der Sibylle Adolfine lernte und wie der große Pan ihn erschreckte.
Wie der »Düstere lange Balken« an einem Ende der Kultur lag, so lag das »Holstenloch« am andern Ende. Auf Wiesen und Wegen ringsum sagten sich Fuchs und Hase gute Nacht, und eines Morgens hatte der Gastwirt, der hundert Schritte weit entfernt wohnte und bei dem die Kultur anfing, ein Füchslein im Käfig, das in kalter Nacht in die Falle gegangen war, und die Kinder standen herum und schauten mit weisen Reden zu, wie der Gefangene mit zweifelhafter Lustigkeit hin- und widersprang. Uebrigens standen die Sempers nicht allein auf dem Vorposten; es wohnten wohl noch drei oder vier Familien in der Wildnis, unter diesen auch die des Hauswirts Moses. Vor dem Semperschen Hause, am eigentlichen Wege, lag ein Haus, das für einen besseren Schafstall gelten konnte, und in diesem wohnte der Grundeigentümer Moses. Moses war so häßlich, daß man unmöglich erkennen konnte, ob er arisch oder semitisch aussehe; höchstwahrscheinlich war er auch schon in Vaters- oder Großvaterslenden getauft worden, und sein einziges Kind Adolfine wurde christlich unterrichtet und konfirmiert.
Als der kleine, bucklige und krumme Herr Moses im Semperschen Hause erschien, um den fanatisch rauchenden Ofen zu reparieren, da starrte Asmus ihn mit Furcht und Grauen an. Er begriff gar nicht, warum dieser Mann ihn bei seiner Töpferarbeit immer mit einem seitwärts drohenden Auge anblickte. Dann erhob jener gar die lehmbeschmierte Faust, schüttelte sie gegen Asmus, rief: »Warte, du!« und blickte dabei schrecklich böse zum Fenster hinaus. Asmus sah nach dem Fenster; aber da war niemand zu sehen. Erst als sein Vater ihn lächelnd ansah, begriff er, daß die Drohung ihm gelte und daß Herr Moses mit ihm scherze. Und als er ihm gar einen Schilling schenkte, da war Asmus fest davon überzeugt, daß Herr Moses, obwohl er über alle Maßen schielte, ein prächtiger Mann sei.
Der kleine eiserne Ofen rauchte charaktervoll weiter; aber wenn man mit dem Mietzins im Rückstande ist, so kann man nicht viel sagen, besonders nicht, wenn der Hauswirt so ausdauernd geduldig ist wie Herr Moses. Uebrigens sah Asmus den Mann niemals wieder; es wußte eigentlich niemand, wo Herr Moses sich aufhalte und was er treibe. Nach einigen sollte es auch eine Frau Moses geben und man wollte sie einige Male gesehen haben; andere behaupteten, eine Frau Moses existiere überhaupt nicht. Nur die dreizehnjährige Adolfine, die vermuten ließ, daß auch die Mutter keine Schönheit gewesen, sah man gelegentlich aus- und eingehen, hörte man hin und wieder im Hause wirtschaften. In der Schule tauchte sie nur in großen Zwischenräumen und flüchtig auf; ihre Neigung und ihre Begabung zogen sie nicht dorthin. Man sah sie nie mit andern Kindern spielen; nur mit Asmus Semper gab sie sich gern ab und behandelte ihn wie eine mütterliche Freundin. An milden Abenden saß er mit ihr vor ihrer Tür auf der Schwelle, und sie erzählte ihm, dort drüben, wo die verlassene Färberei liege, auf dem schwarzen Teiche, der ganz unergründlich sei und bis an die andere Seite der Erde reiche, da sehe man des Abends Lichter tanzen. Da habe sich der Schneider Jensen mit seinem Sohne ertränkt, weil seine Frau alles versoffen habe. Wenn es draußen stürmte und schneite, dann saß er bei ihr in der Küche, die wohl seit Menschengedenken nicht aufgeräumt und so voll gepfropft und verstaubt und verräuchert war, wie das Laboratorium eines Alchymisten. Am Herde hockend wie eine Sibylle, beim schwälenden Docht eines Petroleumlämpchens, erzählte sie ihm, daß es in der Nacht vor dem Tode ihres Bruders dreimal ans Fenster geklopft habe und daß es zuweilen auch jetzt noch klopfe. Sie glaube, es sei ihr Bruder; aber sie habe eine schreckliche Angst, hinauszugehen. Sie erzählte auch, in der Sylvesternacht könnten die Pferde und Kühe sprechen, und dann sagten sie, wer im nächsten Jahre sterben müsse. Zuweilen wurde ihr Spuk- und Aberglaube selbst dem kleinen Asmus zu dick, und dann sagte er, das Kinn auf beide Fäuste gestützt: »Das glaube ich nicht.« Dann wurde sie giftig, riß keifend ihren großen Mund auf und setzte ihn vor die Tür. Wenn er ihr aber glaubte, dann teilte sie ihre täglichen Buchweizenklöße mit ihm. Er aß sie mit besonderem Eifer, obwohl seine Mutter sie unvergleichlich besser bereitete, und glaubte, etwas absonderlich Leckeres zu speisen; denn Kindern schmeckt fremdes Geköche, wenn's auch weder gesalzen noch geschmalzen ist, immer besser als das heimische.
Das hatte Asmus sich sogleich vorgenommen: die verlassene Färberei und den unergründlichen Teich wollte er einmal aufsuchen. Wenn nur nicht der Winter ein so kalter, harter, böser Mann wäre, der einem in die Zehe sticht, in die Finger schneidet, die Ohren zwickt und die Nase kneift, daß man glaubt, die Nase wäre überhaupt verschwunden. Aber seine Schwester Adelheid hatte von den Herrschaften, bei denen sie diente, einen dicken Rock und ein paar Knabenstiefel geschenkt bekommen, und die brachte sie im Triumph ins Elternhaus. Frau Rebekka Semper war eine unübertroffene Künstlerin mit Nadel und Schere; sie hatte sich einmal aus einem Regenschirm eine seidene Bluse gemacht, und sie machte aus dem allzu langen Rock einen passenden für Asmus. Eines Nachmittags, als Asmus in diesem Staatsrock und in seinen mehr als hinreichend großen Stiefeln vor der Tür spielte und einen Stall für den Fuchs zimmerte, den er fangen wollte, da dachte er: Du sollst doch einmal nach der Färberei gehen. Er setzte langsam ein Bein vors andere, und siehe da, es ging immer besser. Der Winter war gar kein kalter und böser Mann, nein ein warmer, stiller, freundlicher, milder Mann war er. Er hatte dicke, weiche Decken auf den Weg gelegt und die Heckenwände ringsumher so dicht mit weißem Pelz umhüllt, daß man wie in einem heimlichen Gemach geborgen war in der stummen Winterwelt. Der Weg zu Asmussens Füßen rief lockend: Komm, komm!– und rief lockender und weicher, je weiter er ging; die silberne Blütenpracht der bereiften Birken rief: Komm, komm! und ließ lautlos fallende, weiße Dolden herabsinken; die feuerrote Sonne sah durchs funkelnde Gewirr eines Gebüsches und lockte: Komm, komm! Gar nicht mehr kalt war der Winter, nein, im Gegenteil: da drinnen in der kleinen Kammer, wo das Herz pochte, da war es so warm und wohl wie noch in keinem Sommer. Er kam an den Färberteich, näherte sich behutsam dem Rande, schaute furchtsam hinein und dachte: Unergründlich – unergründlich! Dabei durchlief ein Schauer seine Seele; denn in einem unergründlichen Teiche ertrinken, das schien ihm besonders schaurig. Niemals kam man wieder heraus, niemals! Und er starrte minutenlang hinein, als müßte er dennoch den Schneider und seinen Sohn im Dunkel der Tiefe erkennen können; aber er erkannte nichts. Dann lief er weiter; der Winter lockte ihn weiter. Ja, selbst das Schweigen lockte nun, das wegeweite, felderbreite Schweigen, und sprach zu ihm mit einer Stimme, die so leise war, wie wenn zwei Schneeflocken zusammenschmelzen: Komm nur, komm! Und nun war er der Sonne so nahe, daß er nur noch über ein einziges Feld zu gehen brauchte, um bei ihr zu sein. Er blickte träumend hinein in ihre rote, wogende Glut. Da – da war es – da überfiel ihn das tückische Schweigen von hinten und griff mit kalten, langen Fingern um seinen Hals. Er fuhr zusammen; er drehte sich hastig um und sah nun, daß er ganz allein auf der Welt war. Nach Hause! dachte er. Und er kehrte um. Aber da waren zwei Wege, welchen sollte er gehen? Er entschied sich schnell und ging links. Aber er ging und ging, und sein Elternhaus wollte sich nicht zeigen. Da ging er schneller, und endlich lief er in stummer Angst ohne Wahl des Weges dahin. Er lief so hastig, daß er stolperte und fiel; er stand wieder auf, klopfte sich den Schnee von den Kleidern und lief weiter. Aber der Schnee, der sich beim Fallen an seine Finger gesetzt hatte, schmolz, und die Fingerchen wurden starr und begannen zu kribbeln und zu schmerzen. Jetzt stand er wieder vor einer Gabelung des Weges. Da sah er sich um und dann brach er los mit einem schrecklichen Geheul. Und heulend lief er jetzt rechts dahin, immer
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und dabei unausgesetzt heulend
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da – da sprang ein Tier über den Weg, ein ganz dünnes, schlankes; es war ein Wiesel; aber er kannte es nicht; er stand plötzlich still und schaute ihm stumm, mit weit aufgerissenen Augen nach. Dann hub er wieder an zu laufen mit
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und Asmus Semper und diese seine Geschichte hätte vielleicht ein vorzeitiges Ende im Schnee gefunden, wenn nicht plötzlich, wie mitunter die Rettung um die Ecke in unsern Weg einbiegt, genau so plötzlich um die Ecke in den Weg eine lange Gestalt mit fliegenden Rockschößen eingebogen wäre. Die Gestalt rief und fuchtelte mit den Armen; aber da ihr Gesicht dem spärlichen Lichte abgewandt war, so sah sie aus wie ein schwarzer Mann, und Asmus dachte: Das ist der tote Bruder von Adolfine Moses! er machte schleunigst Kehrt und lief wie rasend davon. Aber jetzt hörte er seinen Namen: »Asmus! Asmus!« rief es – und die Stimme kannte er auch – er blieb stehen und sah sich um, und in langen Sätzen flatterte der Wolkenschieber auf ihn zu.
»Asmus, Junge, verdrehter Kerl, was machst du denn? Wo bist du denn gewesen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Asmus.
»Was willst du denn mit dem Hammer?«
»Hammer?« fragte Asmus, und die dicken Tränen hingen ihm noch an den Backen. Richtig: den Hammer, mit dem er den Fuchsstall machen wollte, hatte er mitgenommen und auf der ganzen Reise krampfhaft festgehalten. Der Wolkenschieber erzählte ihm, daß die ganze Familie ausgegangen sei, ihn zu suchen.
»Ist Mutter tüchtig böse?« fragte Asmus.
»Nein, das glaube ich nicht«, beruhigte ihn sein Freund.
»Geh man mit hinein«, sagte Asmus, »dann tut sie mir nichts; wenn Besuch da ist, kriege ich keine Schläge.«
Heinrich der Seefahrer versprach es ihm; aber es hatte dessen nicht not: Rebekka Semper schalt zwar; aber sie schalt sehr mangelhaft, weil sie gleichzeitig vor Freude lachen mußte.
Ludwig Semper sah seinen Sohn nur immer mit einem ruhigen Lächeln an und sagte nichts. Er sah aus, als wenn er sich gar nicht beunruhigt hätte; er schien eine Gewißheit zu fühlen, daß er und sein Asmus so früh nicht von einander getrennt würden.